Ein schönes Sterben - Roman. Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll

von: Álvaro Mutis

Unionsverlag, 2019

ISBN: 9783293310667 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Ein schönes Sterben - Roman. Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll


 

»Das hat seine Gründe«, meinte der Offizier, während sich ein müdes Lächeln auf seinen Lippen abzeichnete. »Der Mann legt auch denen keine Rechenschaft ab, die seine Dienste in Anspruch nehmen. Im Waffenhandel, wo es nicht üblich ist, die Gewinnspanne jedes Zwischenhändlers genau festzulegen, herrscht eine große Laxheit. Der Typ hat den Nachnamen Brandon und ist Ire. Die Liste seiner Vorstrafen ist unendlich: In Trinidad saß er im Gefängnis wegen Scheckfälschungen; die Engländer suchen ihn, weil er Mädchenhandel im Nahen Osten betrieb; die Saudis glaubten ihn schon tot, nachdem ihm der Scheich, dem er statt zweier jungfräulicher Mädchen aus Alicante zwei Huren aus San Pedro Sula andrehte, eine Tracht Prügel verpassen ließ. Die Liste ist, wie ich Ihnen schon sagte, sehr lang. Aber hier lasten viel schwerere Anklagen auf ihm. Es ist unwahrscheinlich, dass Sie ihn wiedersehen. Erwartet Sie in La Plata noch eine weitere Fracht, die auf den Tambo transportiert werden soll? Oder ist Ihres Wissens eine auf dem Weg?«

»In La Plata habe ich zwei Kisten in van Brandens Zimmer hinterlassen, die denen glichen, die ich vorgestern auf den Tambo brachte. Mir ist nicht zu Ohren gekommen, dass noch etwas ankommen soll.« Maqroll spürte den durchdringenden Blick des Offiziers auf sich. Dieser ging immer noch auf und ab, sichtlich nervöser. Mit einer leichten Veränderung im Tonfall fragte er weiter: »Wer weiß überhaupt von diesen Kisten? Hat Amparo María davon erfahren?«

Eine ohnmächtige Wut regte sich in Maqrolls Innerem. Es war, als würde ihn dieses Eindringen in seine Gefühlssphäre auf Gedeih und Verderb der grenzenlosen Macht ausliefern, die das Militär darstellte. Er hatte sein ganzes Leben lang versucht, jeglichen Kontakt mit ihm zu vermeiden. Er antwortete so knapp wie nur möglich: »Nein, ich glaube nicht, dass sie etwas weiß. Es sei denn, dass Doña Empera ihr davon erzählt hätte. Die Blinde weiß selbstverständlich über alles Bescheid, was meine Reisen auf den Tambo betrifft.«

»Entschuldigen Sie, aber ich muss auf dieser Frage bestehen, die ihre persönliche Sphäre betrifft, denn es ist für mich äußerst wichtig, diesbezüglich zu wissen, woran ich bin. Sie ahnen nicht, mit wem wir es hier zu tun haben und wozu sie imstande sind. Ihr Privatleben geht mich natürlich nichts an, aber ich möchte wissen, was Sie Amparo María über Ihre Zusammenarbeit mit Brandon erzählt haben.« Der Hauptmann bemühte sich wohlweislich, seiner Frage einen möglichst routinemäßigen Anstrich zu geben.

»Ich habe mit ihr keine Einzelheiten besprochen. Sie weiß, was alle anderen auch wissen: dass ich mit einer Anzahl Maultiere Kisten mit Maschinen und Gerätschaften für den Bau der Eisenbahnlinie auf den Tambo transportiere. Ich habe ihr gegenüber weder Brandon noch die Lagerräume auf dem Grat erwähnt. Aber Amparo María spricht natürlich mit Doña Empera, der ich schon Genaueres erzählt habe. Ihre Kenntnis der Gegend und ihrer Bewohner war mir sehr nützlich.« Maqroll wollte nichts mehr über die Wirtin sagen, weil er fürchtete, sie damit in Schwierigkeiten zu bringen.

»Doña Empera spricht nur von dem, wovon sie weiß, dass sie sprechen soll, und ich bin überzeugt, dass sie sehr darauf bedacht war, Amparo María oder sonst jemandem nicht mehr als nötig zu sagen. Nun möchte ich Sie bitten, uns in einer Sache zu helfen, die meines Erachtens für Sie kein größeres Risiko darstellt als das, das Sie sowieso schon eingegangen sind. Hören Sie mir bitte gut zu. Es geht um Folgendes: Führen Sie weiterhin Ihre Arbeit aus, als ob Sie von nichts wüssten. Tun Sie so, als seien wir uns nie begegnet. Bringen Sie die zwei übrigen Kisten und die Fracht, die möglicherweise mit dem nächsten Schiff in ein paar Tagen kommen soll, auf den Tambo. Das wird Ihre letzte Reise sein. Wenn Sie bei Ihrem Aufstieg bei Don Aníbal vorbeikommen, wird er Ihnen meine Anweisungen übermitteln. Versuchen Sie nicht, allzu viel über das hier herauszufinden. Zeigen Sie in La Plata keinerlei Interesse an dem, was Sie da transportieren. Je weniger Sie wissen, desto besser. Wenn Sie denen in die Hände fallen und der Verdacht aufkommen sollte, dass Sie zu viel wissen, dann kann ich Ihnen nur sagen: So viel Sie von der Welt gesehen und so viel Sie auch erlebt haben mögen, können Sie sich nicht vorstellen, wozu diese Leute in der Lage sind, um aus Ihnen das herauszubekommen, was Sie wissen. Sie sind schon seit vielen Jahren im Geschäft und haben längst verlernt, was Mitleid heißt.«

»Und wenn van Branden zurückkehrt, was soll ich ihm dann sagen?«, fragte der Gaviero mit gespielter Naivität, die der Hauptmann selbstverständlich überging.

»Wenn Sie wirklich wissen wollen, was aus Brandon geworden ist, sage ich Ihnen gleich, dass es sich nicht lohnt, es herauszufinden. Zur gegebenen Zeit werden Sie es erfahren, vielleicht auch nie. Was solls? Vorerst genügt es zu wissen, dass Sie ihn nicht wiedersehen werden. Aber fahren wir fort: Führen Sie in La Plata Ihr Leben so weiter wie bisher. Jegliche Veränderung würde Verdacht erregen. Gehen Sie weiterhin in die Schänke und geben Sie vor, Brandon dort zu suchen. Das Lokal ist eine Hochburg der Schmuggler, und es gibt immer welche von ihnen, die dort herumschnüffeln. Gehen Sie zur Flussmole hinunter und erkundigen Sie sich nach dem nächsten Schiff. Lesen Sie Doña Empera weiterhin vor und treffen Sie sich mit Amparo María. Unternehmen Sie nichts, was auch nur im Geringsten auf Ihren Argwohn in dieser Sache hindeuten könnte. Legen Sie wie bisher eine absolute Unwissenheit, ja eine vollkommene Naivität an den Tag, was dieses Land und insbesondere diese Gegend anbelangt. Möglicherweise werden Sie im Hafen auf neue Gesichter stoßen. Vielleicht kommt man auf Sie zu, um Ihnen etwas über die Vorgänge auf dem Tambo zu entlocken. Bestehen Sie einfach hartnäckig auf der Version mit der Eisenbahnlinie und weichen Sie nicht davon ab. Sprechen Sie mit niemandem darüber, dass Sie La Plata verlassen werden. Kurz und gut, bleiben Sie der Mann, den Brandon angeheuert hat. Übrigens, sprechen Sie niemals diesen Nachnamen aus und geben Sie keinem zu verstehen, dass er Ihnen bekannt ist, falls man ihn zufällig erwähnt. Zum Schluss sollten Sie noch wissen, dass ich Ihnen das alles mehr in Ihrem als in unserem Interesse sage. Was allerdings nicht bedeutet, dass uns ein unüberlegter Schritt Ihrerseits nicht viele Menschenleben kosten würde. Das können wir uns im Moment nicht leisten. Ist alles klar? Haben Sie noch irgendeine Frage?«

»Es ist alles klar, Hauptmann. Ich bin nicht zum ersten Mal in einer solchen Lage und kann auf mich aufpassen und meine Zunge hüten. Seien Sie in Bezug auf mich und auf Ihre Leute unbesorgt. Ich habe vollkommen begriffen, welche Gefahr ich laufen könnte und was für Sie und die Ihren auf dem Spiel steht.« Er verspürte eine leichte Wut im Bauch. Schon immer hatte ihn dieses Unvermögen der Leute in Uniform gestört, sich vorzustellen, dass ein Zivilist die Probleme einer Welt, die sie für ihre Domäne halten, versteht und mit ihnen umzugehen weiß.

Segura stand noch eine Weile in Gedanken versunken da, als suche er nach einer Antwort auf Maqrolls Worte, aber dann hob er seine Hand an den Schirm seiner Mütze und kehrte ihnen mit einem knappen ›Gute Nacht, meine Herren‹ den Rücken zu, bevor er im dichten Gestrüpp verschwand. Das Schmatzen seiner Stiefel auf dem sumpfigen Boden entfernte sich immer mehr, bis es ganz verschwand, ohne dass man die eingeschlagene Richtung ahnen konnte. Es war, als hätte ihn die Nacht samt seinem soldatischen Stolz und dem unwiderruflichen Verhängnis seines Kriegerschicksals plötzlich verschlungen.

Auf dem Weg zurück zur Hazienda ließ sich Don Aníbal noch über ein paar Gesichtspunkte der Lage aus, die der Hauptmann übergangen hatte. Der Plan, Waffen von den Verladehäfen nach La Plata zu bringen, war von Anfang an aufgedeckt worden. Der militärische Geheimdienst hatte die Kisten in den Lagerräumen des internationalen Zolls sofort identifiziert. Der Generalstab beschloss, die Spur bis zum Lager zu verfolgen, um diejenigen zu ertappen, die die Fracht entgegennahmen. Sie waren Maqroll gefolgt, und so kamen sie auf den Tambo. Der militärische Geheimdienst selbst hatte inzwischen Informationen über die Ausländer eingeholt, die sich unter dem Vorwand, für das Eisenbahnprojekt zu arbeiten, in der Gegend aufhielten. Hauptmann Segura, der Jahre zuvor schon als Befehlshaber der Einheit in der Gegend war, die dort um den Preis herber Verluste operierte, wurde mit dem Manöver beauftragt, jene zu umstellen, die die Waffen von den Lagerräumen auf dem Páramo abholten. Don Aníbal war der Meinung, dass die Streitkräfte allzu sehr auf den Erfolg ihres Planes vertrauten. Angesichts der Bedeutung und des Wertes, die das Waffenarsenal dort oben besaß, konnte die Anzahl der Schmuggler sehr viel größer sein, als Segura vermutete.

»Aber«, wandte Maqroll ein, »ich habe erst zwei Reisen unternommen, und so modern und stark die Waffen auch sein mögen, glaube ich einfach nicht, dass man so viele Leute damit ausstatten kann. Tatsache ist natürlich, dass sich in dem Lagerraum schon Waffen befanden, die man zuvor hochtransportiert haben muss.«

»Sie«, erklärte der Gutsbesitzer, »haben die hochtechnisiertesten und empfindlichsten Waffen dort hinaufgebracht. Aber man hat schon vorher viel Munition und konventionelle Waffen auf den Tambo geschafft.«

Der Gaviero spürte, dass sein Freund das Thema nicht weiter vertiefen wollte, aber er stellte ihm eine letzte Frage: »Wer wurde damit beauftragt?«

»Leute, die mit...