Joseph, der schwarze Mozart - Roman

von: Jan Jacobs Mulder

Unionsverlag, 2018

ISBN: 9783293309876 , 320 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

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Joseph, der schwarze Mozart - Roman


 

1


Dass ich in einigen Tagen sterben werde, schreckt mich nicht. Der stechende Schmerz ist kaum zu ertragen, und mein Körper verbreitet einen solchen Fäulnisgestank, dass ich mir schon oft den Tod herbeigewünscht habe. Auch wenn dieses Verlangen nie so sehnlich war, dass ich ein gewaltsames Ende ins Auge gefasst hätte. Sonst hätte ich mir schon vor Monaten in Saint-Domingue die befreiende Kugel in den Kopf gejagt. Ich habe so vieles überstanden, sogar die Woge der Gewalt in den Jahren der Schreckensherrschaft, als jeder jeden umbrachte. Und ich habe das hartnäckige Gefühl, nein, die Gewissheit, dass alles kam, wie es kommen musste. In meinen Ohren schallt noch die Kakofonie von Kreischen und Schreien, ängstlichem Flüstern und in Blut erstickten Lauten. Nach allem, was ich mit ansehen musste, habe ich gebetet, die Bilder aus meinem Kopf vertreiben zu können.

Ich mache mir keine Illusionen mehr. Die Sklaverei wurde 1794, während der Revolution, abgeschafft, aber auf den karibischen Inseln ist davon wenig zu merken. Große Worte, große Pläne, aber kein Ergebnis. Obwohl das Blut von uns Schwarzen genauso rot und flüssig ist wie das Blut der Hellhäutigen, der hochwohllöblichen Weißen mit ihren Sommersprossen. Mein makelloser, muskulöser brauner Leib, einst mein geschmeidiges Instrument, wurde von Pariser Frauen ebenso begehrt wie von meinen Gegnern im Duell gefürchtet. Nun sehnt er sich, erbärmlich geworden, nur noch nach dem Abschied.

Aus der missmutigen, schmierigen Visage des hiesigen Wundarztes, der in seiner unendlichen Dummheit keine Ahnung hatte, wer sich da zwischen den schmuddeligen, verschlissenen Schaffellen und ausgeblichenen Lumpen auf dem Bett krümmte, kam das Wort, das ich erwartet und so gefürchtet hatte: Wundbrand.

Zu lange hatte ich gewartet mit der Versorgung der Beinverletzung, die ich mir in Saint-Domingue zugezogen hatte, zu lange ließ ich das Bein abgebunden, weil sich die Blutung in der klebrig feuchten Hitze nicht stoppen ließ. Sauberes Wasser und frisch gewaschene Tücher hatten nicht geholfen, die Wunde zu schließen.

Auf der Schiffspassage nach Frankreich, zurück nach Le Havre mit den Überlebenden meines Trupps, von denen es noch zwei weitere bös erwischt hatte, schwoll der Unterschenkel an, wie viel Meereswasser ich auch auf Rat des Kapitäns darüber laufen ließ. Als wir endlich in Horta, dem traditionellen Zwischenstopp auf den Azoren, festmachten, eilte ich hinkend und gestützt von Lamothe zum dortigen Wundarzt, den ich von meinen früheren Reisen kannte.

Zu meiner Bestürzung stellte sich heraus, dass der Mann am Vortag ermordet worden war. Sein Körper lag, umringt von Neugierigen, zwischen denen ich mich vorsichtig hindurchdrängte, ausgestreckt auf dem Steinboden seines Hauses in einer schwarzen Blutlache und stank. Der Mann hatte wohl noch versucht, die Tür zu erreichen. Es war ihm nicht gelungen. Fliegen schwirrten über der Leiche, flogen in den und aus dem offen stehenden Mund und krochen durch die Nasenlöcher in den Kopf. Auf meine Frage an die Umstehenden, warum er noch nicht begraben sei oder wenigstens in einem Sarg liege, wurde gemurmelt, dass er am Nachmittag zum Friedhof gebracht werden solle. Die halbe Insel war auf der Suche nach dem Mörder des unglücklichen Chirurgen und nach seiner verängstigten Frau, die geflohen war und sich in einem der verfallenen Häuser in den Bergen versteckt hatte. Zumindest wollten das einige Nachbarn gesehen haben.

Hatte irgendjemand im Umkreis eine Vermutung, wer der Messerstecher gewesen sein könnte? Die Insel war ja klein, jeder kannte jeden. Schulterzucken, niemand hatte auch nur eine leise Ahnung, außer einem Schwarzen, der zwischen seinen Zähnen etwas über den Sklaven des Wundarztes hervorzischte. Warum nicht? Man weiß ja nie, schwarzer Mann! Stumpfe, ausdruckslose Gesichter um mich herum.

Der Arzt war mir von einer früheren Reise als ein tiefgläubiger, sanfter und gegenüber allen, die ihn brauchten, mitfühlender Mensch in Erinnerung geblieben, weshalb mir sein brutaler Tod besonders grotesk erschien. Gebannt starrte ich auf den gekrümmt daliegenden Körper, fasziniert von diesem stillen Liegen. Tot. Nie mehr denken, hören, lauschen, argumentieren, schluchzen, laufen, schwitzen, wissen, zweifeln, lachen, seufzen. Nie mehr reden. Ach, ich hatte es so oft gesehen. Aufgeschlitzt, enthauptet, erstochen, erschossen, zerquetscht, in die Luft gesprengt. Aber dieses stille, sinnlose Liegen, angestarrt von allen, ließ mir die Nichtigkeit des Lebens noch einmal besonders deutlich vor Augen treten.

Ich deutete dieses Geschehnis als ein böses Omen. Ratlos humpelte ich zurück zum Quai. Vielleicht hatte Lamothe ja inzwischen einen anderen Arzt gefunden. Er kam mir kopfschüttelnd entgegen und half mir auf unser Schiff. Ich drängte den Kapitän, so schnell wie möglich abzulegen.

Eine Woche später wurde das Bein schwarz, und auf dem Weg von Le Havre nach Paris schrie ich in der rumpelnden Kutsche hemmungslos vor Schmerzen. Ein schwerer, feuriger, unterschwelliger Strom schien mein Fleisch zu versengen und aufzureißen.

Dieses Bein sei unheilbar, verkündete der Arzt selbstgefällig. Auf dem schwammigen, pockennarbigen Gesicht klebte ein falsches Lächeln. Schwarzes, nasses, totes Fleisch. Da sei nichts mehr zu machen. Das verstünde ich doch, nicht wahr? Er bedeckte seine Nase mit einem grauen Tuch, mit dem er sich gelegentlich auch den Schweiß von der Stirn wischte. Das Einzige, was er tun könne, sei, das Bein zu amputieren. Ich hätte ihn viel zu spät gerufen, aber eine Amputation würde mein Leben auf jeden Fall um einige Monate verlängern, vielleicht sogar um ein Jahr. »Mors ultima linea rerum est.« Während er das sagte, zwinkerte er dem schüchternen Lehrling zu, der, vom Gestank benebelt, sein bleiches Gesicht abwandte. Verstand er, was sein Meister über den Tod als das Ende aller Dinge sagte? Und wollte nichts mit dieser elenden, grausamen Verschwörung der Welt gegen mich zu tun haben?

Die schäbigen Wände der armseligen Dachkammer bewegten sich auf mich zu, die Decke schien herabzustürzen. Mein Magen verkrampfte sich vor Angst, und apokalyptische Visionen von übereinandergefallenen Leibern in der blutroten, glühenden Hölle tanzten vor meinen Augen. Und gerade jetzt war Duhamel, mein ehemaliger Offizier, treuer Freund und Pfleger, zu Besuch bei seiner Mutter – nur dies eine Mal, hatte er gesagt – und konnte mir verdammt noch mal nicht helfen, diesen fetten Aufschneider aus dem Zimmer zu werfen.

Amputieren! Noch mehr Schmerzen, als ich ohnehin schon litt. Ich begann, am ganzen Leib zu zittern. Ich versuchte, mich aufrecht hinzusetzen, was mir, auf den rechten Arm gestützt, schließlich gelang. Dann begann ich zu toben, zu schimpfen, zu kreischen: Er sei ein Barbar, ein Henker, ein Scharlatan und gewissenloser Metzger. Wusste er denn, wie sich der Schmerz anfühlt, wenn eine Säge einen Leib bearbeitet? Ein gefühlloser Schlachter sei er, der die unglaubliche Dreistigkeit habe, mich mit seinen verkrusteten dicken Fingern anzufassen, deren abgenagte Fingernägel die Krönung seien. In meiner Raserei strauchelte ich über meine eigenen Worte, und ohnmächtig versuchte ich, mit meiner Krücke nach ihm zu schlagen.

Er wich grinsend aus, mit provozierender Gemächlichkeit. Aber als ich meine Muskete unter den Fellen hervorzog und ihn anschrie, dass er keinen Sou für seinen Besuch und seinen absurden Rat erhalten würde, raffte er seine rostigen Instrumente zusammen und warf sie in seine Tasche, während er die Mündung genau im Auge behielt. Mit seinem schmutzigen Tuch wischte er sich das Gesicht ab und stand auf.

»Wenn ich einem Hund einen Knochen gebe, will ich nicht wissen, ob der ihm schmeckt«, schnauzte er mich an und teilte mir mit, dass nur sein Adel und seine Würde als Arzt ihn davon abhalte, mir jetzt mit der Zange aufs wunde Bein zu schlagen. Mit dem Zeigefinger drohend, zischte er, dass Gott mir als schwarzem Satanskind wenig Zeit lassen werde wegen all des Bösen, das ich in meinem Leben getan habe. Die Guillotine sei noch zu schade für mich! Er knallte die Tür zu, und ich vergrub meinen Kopf in den schmierigen Lumpen. Als ich ihn und seinen Lehrling die Treppe hinabsteigen hörte, schrie ich ohnmächtig auf.

Um mich zu trösten, versenke ich mich in Erinnerungen an Elisabeth, an meine schöne, warme Sängerin, die vor so langer Zeit von der Schwindsucht dahingerafft wurde. Elisabeth, die ich nicht habe heiraten dürfen, weil ich schwarz bin. Sie war die einzige Frau, bei der ich es mit Begeisterung getan hätte. Sie, der Bastard eines arroganten Monarchen, wird mit mir noch einmal sterben, und die einzige Erinnerung an sie in der Welt der Lebenden ist dann noch ihr Name, in einen Grabstein gemeißelt. Bald ist es so weit, bald wird mein Leib in ein Erdloch über andere Leichen geworfen und mit ein paar Schippen Kalk bedeckt.

Duhamel ist heute noch nicht aufgetaucht. Ich ziehe die Decke über mein Bein, aber der pestilenzialische Geruch lässt sich auch mit dickster Baumwolle nicht unterdrücken. Dieser höllische Verwesungsgestank! So stinkt ein geöffnetes Grab auf einem Pariser Friedhof im Sommer. So stinken zerfetzte Eingeweide auf dem Schlachtfeld unter der prallen Sonne. Gestern habe ich Duhamel Duftwasser und zwei holländische Pfeifen kaufen lassen sowie Tabak aus den Cevennen. Ich stoße wie ein Vulkan Rauch aus, in der Hoffnung, damit den beißenden Gestank zu vertreiben.

Ich...