Immersive Macht - Affekttheorie nach Spinoza und Foucault

von: Rainer Mühlhoff

Campus Verlag, 2018

ISBN: 9783593438597 , 501 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 41,99 EUR

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Immersive Macht - Affekttheorie nach Spinoza und Foucault


 

Einleitung Der Dokumentarfilm 'Work Hard Play Hard' von Carmen Losmann (2011) zeigt direkt zu Beginn den Neubau eines Bürogebäudes der Firma Unilever in der Hamburger HafenCity. Ein Architekt des Stuttgarter Architekturbüros Behnisch erläutert das Projekt folgendermaßen: 'Ich lese einmal ganz kurz [die] Auslobung vor: ?Zielsetzung für das Gebäude: Die Wahl für die Errichtung eines Neubaus in der HafenCity, dem Platz in Hamburg, der für Modernität und Dynamik steht, passt voll und ganz zu den Zielen Unilevers. Denn diese Attribute - modern und dynamisch - sollen konsequenterweise in dem zu errichtenden Neubau mit den Mitteln der architektonischen und innenarchitektonischen Gestaltung fortgeführt werden, als Zeichen des Aufbruchs in eine moderne und dynamische Zukunft. Das neue Gebäude soll [...] den neuen Geist der vitality company und den Team-Gedanken des One Unilever verkörpern. Lichtdurchflutete, transparente Büros sollen nicht durch Luxus, sondern durch eine vitalisierende und funktionale Anmutung, Farben, Materialien, Natur-Erlebniswelten Spaß am Arbeiten vermitteln.? - Es ist also unsere Aufgabe, [...] ein Gebäude zu entwickeln, das in jedem Quadratmeter das spürbar hält, was hier [beschrieben wird]. Flexibilität ist das eine, aber das andere ist die Arbeitsatmosphäre. Das erlebt man ganz selten, dass in einer Auslobung ein Abschnitt über Arbeitsatmosphäre [enthalten ist]. Also dass die schon eine Gefühlswelt beschreiben, die sie dort generiert sehen wollen. [... Unilever] ist es wichtig, dass ein solches Gebäude vermittelt, dass Arbeiten keinen Zwang darstellen muss. Es sollte auf keinen Fall ein Ort sein, an dem ich erinnert werde, zu arbeiten. [... Das neue Gebäude ist ein Raum], den man gar nicht richtig programmieren kann, sondern dort wird Leben generiert werden. Dort wird eine Kommunikation entstehen [...], die einen Wandel in der Art des Arbeitens miteinander forcieren kann.' Was ich in der vorliegenden Untersuchung als immersive Macht beschreibe, manifestiert sich bereits in dieser Fallstudie. Ein multinationaler Konzern des produzierenden Gewerbes zielt mit dem Neubau eines Bürokomplexes auf die Schaffung einer 'Gefühlswelt' ab. Er imaginiert das Gebäude als einen Raum der spontanen und ungeplanten Begegnungen, als einen Ort, an dem das Arbeiten nicht als Arbeiten empfunden wird. 'Wir stellen uns vor [...] dass wir auch in der Möblierung völlig frei werden von jeder Auflage, es soll keinen Bürocharakter haben. Da sollen eher Möbel stehen, die wir aus dem Wohnbereich kennen, aus der Küche.' (Ebd.) Nicht bestimmte technische Ausstattungsmerkmale, die für das Gewerbe des Unternehmens spezifisch wären, bilden die ersten Anforderungen dieses Gebäudes. Auch nicht die klassischen Insignien von Geld, Luxus, Repräsentation gilt es zu reproduzieren. Im Mittelpunkt des Konzepts steht ganz schlicht, so erläutert es der Film, 'eine neue Kommunikation zu entwickeln' (ebd.). In den früheren Arbeitswelten sei der Anlass gewesen, ins Büro zu gehen, dass sich dort die Mitarbeitenden, die Unterlagen und die Bürotechnik befanden. Doch im Zuge der elektronisch vernetzten und informatisierten Arbeitswelten sei die Bürotechnik heute mobil, genauso die Unterlagen und prinzipiell auch der eigene Arbeitsplatz. 'Das heißt, Sie gehen eigentlich nur noch ins Büro, um zu kommunizieren, weil Sie dort Menschen treffen.' (Ebd.) In einer fast paradox erscheinenden Wendung gegen den Hype des Home Office, der entgrenzenden Mobilität, der Verfügbarkeit und Erreichbarkeit aller Personen und Informationen an jedem Ort und zu jeder Zeit erfährt ein ?analoges? und immaterielles Gut eine überraschende Renaissance: die persönliche Präsenz und die kommunikative Interaktion in der Nahwelt. 'Für ein Unternehmen wie Unilever, das jeden Tag neue Produkte erfinden muss,' rücke diese Nahweltinteraktion gerade deshalb in das Zentrum des Interesses, 'weil nämlich die informelle Kommunikation die Quelle für Innovation ist - für Innovation und Kreativität. [...] 80% aller Innovationen entstehen durch die zufällige, ungeplante Kommunikation.' (Ebd.) Natürlich ist hiermit nicht impliziert, dass in einer technisch vereinnahmten und durchweg mediatisierten Arbeitswelt eine Rückzugszone ?menschlich-unmittelbarer Ungeplantheit? entstehen würde. Der Kapitalismus der Diversität setzt zur Erfindung immer neuer Produkte und Märkte auf die gute Idee des zufälligen Augenblicks, doch er überlässt diesen Augenblick keineswegs dem Zufall. Ganz im Gegenteil, dieser Kapitalismus wird alles daran setzen, die Dichte und Intensität der Begegnungen zu 'forcieren'. Er eignet sich das Design der Arbeitswelt als eine Technologie des Life Styles an. Er holt die Menschen bei ihren affektiven Eigenschaften ab, um sie von dort her in seine Abläufe einzubinden. Er geht planerisch und strategisch darin vor, die vitalen Kräften der 'Ressource Mensch' als randomisierende, bisweilen irrende und dabei doch innovative Bewegungen unter idealen Bedingungen wachsen zu lassen und stimulieren zu können. Es soll 'Leben generiert werden'. Die 'vitality company' macht ihren Mitarbeitenden keine Vorschriften, ihr Einsatz ist nicht die Bestimmung von Pflichten und Solls in der Umschließung eines genormten Arbeitsablaufs. 'Der neue Geist des Kapitalismus', so die These der vorliegenden Untersuchung, regiert seine Subjekte durch Anregung und Steigerung der affektiven Lebenskräfte in immersiven Sphären. Mehrwert zieht dieser Geist nicht aus Disziplin, sondern aus der 'freien' Selbstentfaltung jedes/r Mitarbeitenden, für die er ein Biotop stimulierender Potenziale organisiert. Das Abwegige, Spleenige, Ungehorsame hat er nicht zu fürchten, wenn er die Individuen in selbstregulierende Sozialgefüge immersiviert. Die Diversität der Lebensmodelle, Geschmäcker und Hintergründe ist Garant für Innovation - unter der einen Bedingung, dass die Individuen verfügbar sind, sich in Relationen des Affizierens und Affiziertwerdens anregen und modulieren zu lassen. Ich werde die These vertreten, dass die Macht dieses Kapitalismus im Arrangement von affektiven Relationen liegt - in einer immersivierenden und vereinnahmenden Form der Einbindung, die jedes Individuum bei seiner spezifischen affektiven Disposition abholt und zugleich moduliert. Es ist ein Ziel dieser Untersuchung, Beispiele wie dieses als Indizien für eine gegenwärtig neu hervorkommende Strategie der Gouvernementalität auszuwerten. Es wird gezeigt, dass es sich hierbei um eine Form der Regierung von Menschen handelt, die auf Ebene der Affizierungsverhältnisse operiert und sich die spezifische personale und emotionale Konstitution jedes Individuums zunutze macht - als abschöpfbare und zugleich formbare Quelle intrinsischer Kräfte. Eine Personalführung, die um das Design von 'Gefühlswelten ' bemüht ist, tut dies nicht zum Wohlgefallen. Als ?Human Resource Management? kapitalisiert sie die affektiven und charakterlichen Dispositionen von Menschen: ihre Eigentümlichkeiten und Schwächen, Lüste und Traumata, die Spieltriebe, Flausen, Unsicherheiten und spezifischen Bindungsbedürfnisse. Indem sie diese Dispositionen gezielt in mikrosoziale Zusammenhänge stellt, erschließt sie ein elementares Register, Anreize zum Handeln aus intrinsischer Motivation zu schaffen. Hiermit wird ein Apparat beschrieben, der sich im Ganzen aus den Kräften personaler und emotionaler Bezugnahme der Individuen zusammensetzt - auf Grundlage einer affektpsychologischen Auslegung eines Prinzips der Regierung zur Selbst-Regierung.