Die Sklaverei und die Deutschen - Eine Geschichte von Ausbeutung, Profit und Verdrängung - Ein SPIEGEL-Buch

Die Sklaverei und die Deutschen - Eine Geschichte von Ausbeutung, Profit und Verdrängung - Ein SPIEGEL-Buch

von: Jasmin Lörchner, Frank Patalong

Deutsche Verlags-Anstalt, 2024

ISBN: 9783641318659 , 240 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 17,99 EUR

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Die Sklaverei und die Deutschen - Eine Geschichte von Ausbeutung, Profit und Verdrängung - Ein SPIEGEL-Buch


 

»Beträchtlicher Gewinn«


Auch mit Sklaventransporten wurde der Reeder Friedrich Romberg zu einem der reichsten Menschen der Welt. Dann rebellierten die Ausgebeuteten in der Karibik – und der westfälische Kaufmann stürzte tief.

Von Katja Iken

Die Von-Romberg-Straße im sauerländischen Hemer ist eher kurz und abgelegen – dafür ist das Straßenschild umso ausladender: »Johann Bernhard Friedrich Romberg. Geboren 1729 in Sundwig, gestorben 1819 in Brüssel, dort ein erfolgreicher Großunternehmer, durch Kaiser Joseph II. von Österreich in den Adelsstand erhoben« ist dort zu lesen. Drei Zeilen, weiß auf blau. Historiker Magnus Ressel, Privatdozent an der Goethe-Universität Frankfurt, würde das Schild gern um eine vierte Zeile ergänzen: »Sein Engagement im Sklavenhandel führte zum Tod zweier Söhne und dem Ruin seiner Firma.«

Denn Romberg war weit mehr als der talentierte Manager oder gefeierte Wohltäter, der seinem 1779 durch einen Brand zerstörten Heimatort im nördlichen Sauerland finanziell wieder auf die Beine half. Friedrich Romberg gehörte, gemeinsam mit dem deutsch-dänischen Kaufmann Heinrich Carl von Schimmelmann, zu den bedeutendsten deutschen Kolonial- und Sklavenhändlern seiner Zeit.

»Rombergs Firmenimperium mit der großen Kolonialtochterfirma in Bordeaux erscheint wie eine besonders massive Ausprägung und Überspitzung der deutschen Verwicklungen in den Sklavenhandel«, so Historiker Ressel, Forschungsstipendiat der Gerda-Henkel-Stiftung und Junior Fellow der Stiftung Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald. Er arbeitet seit zwei Jahren an der ersten wissenschaftlichen Romberg-Biografie.

Um 1785 besaß Romberg eine Flotte von mehr als 100 Hochseeschiffen, in Ostende registriert, weltweit im Einsatz. Ressels Recherchen zufolge ließ Romberg mindestens 10000 Menschen von der afrikanischen Küste aus in die Karibik transportieren, im Durchschnitt 300 Verschleppte pro Schiff. Zu zweit aneinandergekettet, über Monate eingepfercht in stickigen, engen, gerade einmal 1,5 Meter hohen Laderäumen. Rombergs Buchhalter kalkulierten nüchtern den Tod von zehn Prozent der verschifften Sklaven ein. »Legt man diese Quote zugrunde, war Romberg zumindest indirekt für den Tod von mindestens 1000 Menschen verantwortlich«, sagt Ressel.

Romberg wusste um die vielen Toten und bedauerte die Sterblichkeit unter den verschleppten Menschen als »größten Verlust«, wie er in seinen 1810 verfassten Memoiren schrieb, als wirtschaftlichen Schaden. Belege für moralische Skrupel fand Ressel bei Romberg nicht. Auch weil der sich nicht persönlich die Finger schmutzig machte: Der Geschäftsmann saß in seinem Kontor in Brüssel, schrieb Briefe, prüfte Rechnungen, studierte Zahlenkolonnen – mit den ausgebeuteten, erniedrigten, missbrauchten Menschen selbst hatte er wohl nie Kontakt.

Für Romberg waren die Versklavten nichts weiter als abstrakte Zahlen, ein Rohstoff wie Elfenbein, Kaffee oder Zucker – Handelsgüter, mit denen sich Profit erzielen ließ. Viel Profit: Auf dem Höhepunkt seiner Karriere 1785 gehörte der Geschäftsmann wohl zu den reichsten Menschen der Welt.

Laut eigenen, einstweilen kaum überprüfbaren Angaben besaß Romberg um diese Zeit ein Aktivkapital von 20 Millionen flämischen Gulden – doppelt so viel wie damals das führende niederländische Bankhaus Hope in Amsterdam. Zum Vergleich: Rombergs prunkvolles Schloss Beaulieu in Machelen (nordöstlich von Brüssel) inklusive der umgebenden Ländereien war zu seinen Lebzeiten rund 100000 flämische Gulden wert. »Es gibt kein Land, ja keine Stadt, mit welcher er nicht in Handlungsgeschäften« stehe, rühmte der französische Autor Auguste-Pierre Damiens de Gomicourt 1783 die globale Bedeutung des Romberg’schen Firmenimperiums.

Der Unternehmer habe anfangs »viele Widersprecher« gehabt, als er sich aufs Sklavengeschäft verlegte, betonte Damiens. Die Kritiker lägen jedoch falsch: Der Handel mit den Versklavten »kann mit weit wenigeren Kosten geführt werden, als die mehrsten andern Handlungsunternehmungen«, so Damiens. »Dieser Handel sezt zwar die Unternehmer großen Gefahren aus«, weil bei der Überfahrt von Afrika nach Amerika ein Drittel, bisweilen auch die Hälfte der Menschen auf den Schiffen sterben könne, »allein sie haben dagegen auch einen beträchtlichen Gewinn bei dem Verkauf der Uebriggebliebenen«.

Ausgerechnet Damiens, der wegen seiner radikal aufklärerischen Gesinnung aus Frankreich hatte flüchten müssen, glorifizierte den Sklavenhandel zynisch als lukratives Zukunftsbusiness – und Romberg als mutigen Visionär.

Dessen kometenhafter Aufstieg über alle Standesschranken hinweg scheint wie ein frühneuzeitliches Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Märchen. Geboren 1729 als fünftes von sechs Kindern im Dorf Sundwig (heute ein Stadtteil von Hemer), haftete dem Sohn des lokalen Holzrichters qua Herkunft ein Makel an: Sein Vater war der uneheliche Sohn des Freiherrn Friedrich-Wienhold von Romberg zu Edelburg-Bredenol-Fronsberg.

Bereits mit zehn Jahren musste Romberg die Schule verlassen, um zum Einkommen der protestantisch-bürgerlichen Familie beizutragen. Mit seinem jüngeren Bruder Johann Christian Wienold absolvierte er eine Kaufmannslehre, danach arbeiteten die beiden in Augsburg beim aufstrebenden, bald international bekannten Kattunfabrikanten Johann Heinrich Schüle. »Fleißig, umsichtig, sparsam und gefällig, ersparten sie sich nach mehreren Dienstjahren ein kleines Kapitälchen«, schrieb der Hemeraner Pfarrer Friedrich Wilhelm Wulfert in seiner 1845/46 verfassten Ortschronik.

1755/56 gingen die Brüder Romberg nach Brüssel (damals Österreichische Niederlande) und bauten ein rasant wachsendes Transport- und Transithandelsunternehmen auf. Auch nach dem Tod des jüngeren Bruders 1779 blieb die Firma erfolgreich, nun nicht mehr als »Romberg frères«, sondern als »Romberg & fils« – mit dem ersten Sohn Rombergs als Juniorpartner.

Der ehrgeizige, arbeitsame Firmenpatriarch war getrieben von protestantischem Arbeitsethos wie unbedingtem Aufstiegswillen. 1766 ersteigerte er ein Transitprivileg und schuf so eine günstige, da fast zollfreie Route von Ostende an der Nordsee bis nach Neapel oder Venedig am Mittelmeer, quer durch den Kontinent. Dadurch wurde er Ressel zufolge der »bedeutendste Speditionsunternehmer Zentraleuropas«.

Doch auch in anderen Branchen betätigte sich Romberg: Er kaufte mehrere Firmen und Fabriken und war als Bankier im internationalen Finanzverkehr engagiert. Romberg investierte unter anderem in die Textilbleichereien seiner Heimat, war Haupteigner der wichtigsten Seeversicherung der Österreichischen Niederlande in Brügge – und betätigte sich als Erfinder in den Bereichen Schiffbau und Textilerzeugung.

Schließlich stieg der Geschäftsmann zu einem idealen Zeitpunkt ins Reedereigeschäft ein: Der Ausbruch des Kriegs zwischen Frankreich und Großbritannien 1778 ließ die Nachfrage nach neutralen Schiffen exorbitant steigen – Ostende verblieb als einzig wichtiger neutraler Hafen zwischen Emden und Portugal. Zwischen 1773 und 1781 versiebenfachte sich die Zahl der dort anlegenden Schiffe.

Romberg entdeckte den Atlantikhandel als neues, lukratives Geschäftsfeld – ab 1780 engagierte er sich im Handel mit Versklavten. »Das erste Schiff, das aus dem Hafen von Ostende nach den afrikanischen Küsten ging, war von Herrn Romberg ausgerüstet, es hieß ›Marie Antoinette‹ und hatte 290 [Verschleppte] an Bord«, schrieb der Franzose Damiens: 1782 rüstete Romberg zehn weitere Schiffe zum Transport von 5000 Sklaven aus.

Die erste direkt mit Sklavenfahrten befasste Tochterunternehmung »Romberg & Consors« hatte ihren Sitz in Gent. 1783 gründete Romberg mit den Brüsseler Bankiers Gebrüder Walckiers und seinem Mitarbeiter Georg Christoph Babst eine Sklavenhandelsfirma in Bordeaux – einem der wichtigsten Häfen für den transatlantischen Handel zwischen Europa, Afrika und Amerika.

Dem Historiker Klaus Weber zufolge waren in Bordeaux mindestens fünf weitere Kaufleute deutscher Herkunft im Sklavenhandel aktiv – keiner von ihnen war dort jedoch so stark in das Menschengeschäft involviert wie Romberg: Binnen kürzester Zeit stieg sein Tochterunternehmen zum wichtigsten Sklaventransporteur des Hafens auf. Bis 1791 stachen mindestens zwölf Sklavenschiffe in See, mit ihrer etwa in Angola und Guinea erworbenen menschlichen Fracht steuerten sie unter anderem Kuba und die französische Plantagenkolonie Saint-Domingue (heute Haiti) an.

Um die eigenen europäischen Firmen mit günstigen Rohstoffen zu versorgen, knüpfte »Romberg, Babst & Cie.« direkte Kontakte zu den Indigo- und Baumwollproduzenten auf den karibischen Inseln; gleichzeitig schloss die Firma Verträge mit den dort ansässigen Plantagen und stellte rund 20 von ihnen unter ihre direkte Verwaltung. 1787 gründete das Unternehmen sogar eine eigene Filiale in Saint-Marc (Saint-Domingue).

Laut Ressels Recherchen begrüßte die Öffentlichkeit in den Österreichischen Niederlanden den intensiven Kolonial- und Sklavenhandel unter flämischer oder kaiserlicher Flagge: Im Land litt man, so der Historiker, noch immer darunter, dass die Ostender Kompanie 1730 auf Druck der rivalisierenden Seemächte England und Niederlande aufgelöst worden war – nun zeigten sie mit Romberg erneut auf den Weltmeeren Flagge.

Besonders der österreichische...