Der Vogel war's!

Der Vogel war's!

von: Kiki Lion

tolino media, 2023

ISBN: 9783754688137 , 169 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 1,49 EUR

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Der Vogel war's!


 

Kapitel 1


 

Leah Page beobachtet alles und jeden, doch ausgerechnet diesmal hat sie nichts bemerkt …

 

Kaum war Leah erwacht, da fing das Geschnatter schon an. Ihre weiß-blaue Wellensittich-Dame Peachy war völlig aufgebracht und flog einmal quer durch den Raum. Dabei gab sie ein Geschrei von sich, das locker für einen gesamten Schwarm gereicht hätte.

»Ist ja gut, ist ja gut!«, murrte Leah, die sonst immer pünktlich aufwachte und ihrem kleinen Vogel den geliebten Hirsekolben brachte. Doch diesmal hatte sie sich ein paar Extraminuten gegönnt, was offenbar ein Fehler war, denn Peachy wollte keine weitere Sekunde mehr warten.

Sie flatterte einmal haarscharf über Leahs Kopf hinweg, der noch immer tief in die Kissen versunken war, sodass nur ihre graue Lockenpracht aus der Bettdecke hervorlugte.

In einem aufgebrachten Kreischen flog Peachy von der Schlafzimmertür zum gegenüberliegenden Fenster, landete dort auf der Holzfensterbank und trippelte unruhig mit den Füßchen hin und her.

Leah seufzte und gab sich geschlagen. »Na schön«, sagte sie genervt und drehte sich im Bett herum. Am liebsten hätte sie noch ein paar Minuten länger gedöst, aber ihr Vogel war einfach zu entschlossen.

Normalerweise war Peachy friedlich und liebte die gemütlichen Stunden mit ihrer Besitzerin. Doch seit ihr Partner Mr Welli, ein weiß-grünes Exemplar, vor einigen Wochen in einem unaufmerksamen Moment durch die Terrassentür verschwunden war, kam sie offenbar nur schwer zur Ruhe.

Leah bedauerte den Vorfall sehr und hatte gemeinsam mit ihren Freundinnen halb Old Alley Town abgesucht und überall Plakate aufgehängt, doch vom kleinen Piepmatz war keine Spur.

Einen Ersatz zu finden, brachte sie allerdings nicht übers Herz, da sie immer noch die Hoffnung hatte, Mr Welli würde eines Tages zurück nach Hause kommen. Sie vermisste ihn schrecklich und Peachy sowieso, denn Wellensittiche waren nun mal nicht dazu bestimmt, ein einsames Dasein zu fristen.

Sie seufzte bei dem Gedanken an Mr Welli. Doch zum Trübsalblasen blieb keine Zeit, denn schon wieder wurde sie vom Vogel umkreist.

Vielleicht lag Peachys Unruhe auch daran, dass Leah normalerweise pünktlich in aller Herrgottsfrühe aufwachte und den Tag begann, lange, bevor es viele ihrer Mitmenschen taten. Und das, obwohl sie mit ihren siebzig Jahren seit einer ganzen Weile keiner Arbeit mehr nachging oder andere Verpflichtungen hatte, die das frühe Aufstehen erfordert hätten. Sie machte es einfach gerne, denn sie liebte es, jede Person um sich herum genau im Blick zu behalten und das funktionierte eben am besten, wenn sie schon vor allen anderen wach war.

Peachy schnatterte und riss Leah abermals aus ihren Gedanken. Ihr Wellensittich flog den kurzen Weg von der Fensterbank zum Nachttisch und ging dort auf und ab. Sie pochte ihren Schnabel leicht an Leahs Brillenetui und konnte es wohl nicht mehr abwarten, ihren geliebten Snack entgegenzunehmen.

Leah lächelte, erhob sich und griff nach dem Etui, um ihre Brille aufzusetzen. Peachy kommentierte das, indem sie sich einmal aufplusterte und dann schüttelte.

»Du kannst den Hirsekolben wohl kaum erwarten, was?«, fragte sie, während sie in die Pantoffeln schlüpfte.

Peachy flatterte los, wobei ihr Gesang wieder sanftere Züge annahm. Leah entlockte es ein Grinsen, der Vogel hielt sie wahrlich auf Trab.

Sie stand langsam auf und spürte jede Faser ihres Körpers. Es zog mehr als sonst, was sicherlich nur daran lag, dass sie gestern einen etwas ausgelasseneren Filmabend mit ihren Freundinnen Betty und Ruth hatte. Die drei verabredeten sich regelmäßig und sahen sich all die alten Krimiklassiker an, aber auch neuere Filme über das Verbrechen interessierten sie sehr. Schließlich gab es heutzutage viel mehr Möglichkeiten, allein die Technik war beeindruckend, selbst wenn Leah hiervon weitaus weniger verstand, als ihr lieb war.

Und weil sie schon wieder zu lange brauchte, zumindest für Peachys Geschmack, kam der Wellensittich erneut ins Zimmer geflogen. Sie setzte sich auf Leahs Schulter und zwitscherte ihr ins Ohr.

Sie strich der Vogeldame vorsichtig übers Köpfchen, woraufhin sich diese an ihre Wange schmiegte. Solch kleine Momente genoss Leah am allermeisten, denn sie machten es ihr erträglich, alleine zu leben. Und als sie gemeinsam den Raum verließen, war der Groll gegen das Vögelchen schon wieder vergessen.

 

***

 

Während Leahs Rechner im Wohnzimmer hochfuhr, ein altes Ding, das sie von ihrer Tochter geschenkt bekommen hatte und für sie vollkommen ausreichte, schnitt sie in der Küche einen kleinen Pfirsich auf.

Peachy, die ihren Namen nicht von ungefähr hatte, schoss mit einem Mal in die Küchenzeile, und das, obwohl sie längst mit ihrem Hirsekolben versorgt war.

»Aber, hey, du hast doch gerade erst …«, setzte Leah an, da saß ihr Wellensittich bereits auf der Theke und stibitzte ihr ein kleines Stück, nur um kurz darauf das Weite zu suchen.

Leah schüttelte den Kopf, grinste aber. Peachy wusste einfach, wie sie ihr Frauchen um den Finger wickeln konnte.

Wenig später saß auch sie mit einer Stulle, die sie in kleine Stücke geschnitten hatte, und dem übrigen Pfirsich sowie einer Tasse Hagebuttentee vor dem Computer. Eigentlich aß sie immer in Ruhe und erst recht nicht vor dem Bildschirm, aber da sie so spät dran war, musste sie heute halt mal alles anders machen. Wenn schon Chaos, dann richtig.

Leah loggte sich ein und befolgte den Ablauf, den ihr Schwiegersohn ihr notiert hatte. Der Zettel hierfür lag unterhalb ihrer Schreibtischunterlage und obwohl sie schon seit vielen Monaten aktiv war, spähte sie immer wieder nach, weil sie doch den ein oder anderen Schritt vergessen hatte.

In wenigen Minuten hatte sie es geschafft und sich auf der Webseite eingeloggt – genauer gesagt auf ihrem Bücherblog, den sie – in Anlehnung an ihren Namen – Leah’s Pages, Leahs Seiten, genannt hatte.

Ja, sie mochte in ihrem Alter zwar ein echtes Unikat unter den Bücherbloggerinnen sein, aber das war ihr egal, denn sie liebte Bücher und sie liebte es, darüber zu schreiben. Also, warum nicht mit der Zeit gehen und einen Blog starten?

Dass viele das verrückt fanden und sie nicht verstanden, war ihr schnuppe, das war es ihr schon immer, denn Leah war seit jeher eine kleine Vorreiterin.

Selbst früher, als sie trotz Kind arbeiten ging und anfänglich in wilder Ehe lebte, beides etwas, das damals in ihren späten Zwanzigern eher ungewöhnlich war.

Heute war man, zumindest, was das anging, weiter, und Leah freute sich über diesen Fortschritt. Sie fand sowieso schon immer: Anders als andere zu sein ist gut, schließlich ist jeder Mensch einzigartig.

Leah durchforstete mit hämmerndem Herzen ihren Blog. Und da, endlich entdeckte sie ihn, ihren neuesten Eintrag über ihren zuletzt gelesenen Krimi mit dem Titel Der Apfel fällt dir auf den Kopf.

Und wenn man jetzt dachte, dass hinter einem solchen Buchtitel ja nur Schund verborgen sein konnte, dann lag man damit goldrichtig. Zumindest Leahs Ansicht nach, denn für sie war dieses Werk ein echter Reinfall.

Sie überflog noch mal ihr Fazit zu der Buchrezension:

 

»Ein Roman über Intrigen in der Verwandschaft, einen Apfel als Mordwaffe und eine Liebesgeschichte, die so was von an den Haaren herbeigezogen ist. Kurzum: Nichts für mich.«

 

Sie fand, wenn etwas nicht gut war, dann musste man das sagen dürfen. Es war wichtig, respektvoll zu bleiben, vor dem Werk und dem Autor, aber ja, sie ließ andere wissen, sollte ihr ein Buch missfallen. Und genau diese Ehrlichkeit war es wohl, die ihr eine kleine, zwar übersichtliche, doch dafür umso herzlichere Fangemeinde bescherte.

Leah war keine von den großen Bloggerinnen, die immer spektakulärere Aktionen mit den Verlagen planten, bei denen man nur noch staunen konnte, und das wollte sie auch gar nicht sein, das überließ sie gerne den jungen Leuten. Es ging ihr einfach nur um den Spaß und den Austausch mit den anderen. Ganz besonders mit einem speziellen Kandidaten.

Sie scrollte nach unten und bemerkte dabei gar nicht, wie Peachy ihr wieder ein kleines Pfirsichstückchen klaute, und damit unbemerkt wegflatterte. Viel zu gebannt starrte sie auf den Bildschirm und da, endlich, fand sie seinen Kommentar.

 

Booklover72: »Hallo, Leah’s Pages. Auch diesmal muss ich Ihnen leider sagen, dass Ihre Einschätzung zu diesem Buch bei Weitem nicht mit meiner Meinung übereinstimmt. Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, wenn Sie schreiben, dass die Liebesgeschichte – und ich zitiere Sie hierbei wörtlich – ›so was von an den Haaren herbeigezogen ist‹. Wie können Sie denn so etwas nur sagen? Haben Sie nicht gespürt, welch romantische Geste es war, dass der Mann die Frau umworben hat – ganz nach alter Schule? Für mich ist und bleibt es eine der Geschichten, die als Paradebeispiel dafür dienen, was die Symbiose zwischen Kriminalliteratur und Liebesroman betrifft. Meine Erwartungen von ›Der Apfel fällt dir auf den Kopf‹ wurden definitiv übertroffen. Nichtsdestotrotz freue ich mich, wie immer, auf Ihre nächste Buchbesprechung. Es grüßt Sie, Ihr Booklover72.«

 

Leah strahlte über ihr gesamtes Gesicht, wobei sich ihre beigerosa Haut jetzt vor allem an den Wangen deutlich rötlich färbte. Man konnte fast meinen, dass ihr die Botschaft der Nachricht nicht ganz klar war, so wie sie grinste, doch da irrte man sich. Sie verstand die Worte vollkommen – und sie liebte jedes einzelne von ihnen....