Zwei im silbernen Mondlicht

Zwei im silbernen Mondlicht

von: Penny Jordan

CORA Verlag, 2022

ISBN: 9783751513555 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Zwei im silbernen Mondlicht


 

1. KAPITEL

Lily hob den Kopf und schaute über die Kamera hinweg auf die Szene, die sich ihr bot.

Überall spärlich bekleidete Models, sowohl männliche als auch weibliche – die jungen Frauen mit überschlanken langen Gliedmaßen, die Männer mit perfekt trainierten Körpern. Manche posierten, andere unterhielten sich, wieder andere hörten über Kopfhörer Musik aus ihren iPods. Flinke Finger schrieben SMS, Wasser wurde mit dem Strohhalm getrunken, um das perfekt aufgetragene Make-up nicht zu ruinieren. Visagisten und Coiffeure düsten herum, besserten hier aus, legten da Make-up nach. Laute Musik füllte den Raum.

Mit anderen Worten – es war das typische Chaos eines Unterwäsche-Fotoshootings für einen Versandhauskatalog.

„Ist das fehlende männliche Model endlich da?“, fragte Lily. Eine Coiffeurin schüttelte den Kopf. „Dann müssen wir einen von den anderen Jungs noch einmal einsetzen. Das Studio steht uns nur heute zur Verfügung.“

„Ich könnte dem Blonden die Haare dunkler sprayen“, schlug die Coiffeurin vor und griff blitzschnell nach einer vollen Kleiderstange, die umzukippen drohte, als eines der Models sich daran vorbeischob.

Lily seufzte leise. In dieser Welt war sie aufgewachsen – und hatte ihr den Rücken gekehrt. Sie verabscheute alles, was diese Welt repräsentierte. Hätte sie die Wahl, wäre das kleine Studio, in dem der typische Geruch von Schweiß, Make-up, Zigaretten und wahrscheinlich auch illegalen Substanzen in der Luft hing, der letzte Ort, an dem man sie finden würde.

Die meisten der jungen Leute hier würden wahrscheinlich bald die Schattenseiten des Modelns kennenlernen und ihre Hoffnungen auf eine große Karriere schnell begraben müssen. Ein Shooting wie dieses war die unterste Stufe des Business’ und Lichtjahre entfernt von der Glitzerwelt der Topmodels auf den Titelseiten der Hochglanzmagazine.

Lily hatte das Shooting gar nicht übernehmen wollen. Sie war schließlich aus einem ganz anderen Grund nach Mailand gekommen. Aber sie hatte eben auch noch nie Nein sagen können, wenn ihr Halbbruder sie um Hilfe bat – und er nutzte das weidlich aus.

Ricks Mutter, die zweite Ehefrau ihres Vaters, war immer herzlich und liebevoll zu ihr gewesen, und Lily fühlte sich verpflichtet, sich dankbar dafür zu erweisen.

Sie hatte alles versucht, um Rick davon abzubringen, in die Fußstapfen des Vaters zu treten, der bis zu seinem Tod ein weltberühmter Modefotograf gewesen war. Ohne Erfolg. Rick war absolut entschlossen, diesen Berufsweg einzuschlagen.

Sie ging zu einem hübschen jungen Model mit großen grauen Augen und korrigierte die Pose des Mädchens, dann kehrte sie hinter ihre Kamera zurück … nur, um frustriert festzustellen, dass sie erst einen Schatten im Bildausschnitt und dann einen Anzug vor der Linse sah. Das letzte männliche Model war wohl aufgetaucht.

„Sie sind zu spät. Und Sie stehen vor meiner Kamera“, sagte sie entnervt, ohne aufzusehen.

Es war die jähe Stille im Raum, die sie alarmierte. Lily hob den Kopf – und begegnete dem kalten Blick eines großen, dunkelhaarigen und breitschultrigen Mannes in einem teuren Maßanzug. Seine ganze Haltung strahlte Feindseligkeit aus. Wer immer dieser Mann war … er war mit Sicherheit nicht das fehlende Model.

Dieser Mann war … die Verkörperung maskuliner Perfektion und Anziehungskraft. Mutter Natur erschuf solche Männer, um den Fortbestand der menschlichen Spezies zu garantieren. Lilys Überzeugung nach hielt man sich von solchen Männern am besten fern. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass Schönheit und gutes Aussehen oft skrupellos für eigennützige Zwecke eingesetzt und missbraucht wurden. Deshalb spielte sie ihr eigenes Aussehen auch immer herunter.

„Ja bitte?“ Sie achtete darauf, kühl und streng zu klingen. Doch statt zu erklären, wer er war und weshalb er gekommen war, musterte er sie nur kalt von Kopf bis Fuß.

Neben ihm wirkten die jungen männlichen Models wie das, was sie trotz ihrer perfekten Körper in Wirklichkeit waren – Jungen. Dieser Mann sah extrem gut aus. Eine Aura von männlichem Stolz und sinnlicher Macht umgab ihn. Seine grimmige Miene ließ allerdings erkennen, dass es keine guten Nachrichten waren, die ihn herführten – für wen auch immer. Ihretwegen konnte er nicht hier sein, dessen war Lily sicher.

Und warum schrillten dann sämtliche Alarmglocken in ihr?

Weil sie Kind ihrer Eltern war, deshalb. Auf irgendeiner Ebene musste sie wohl empfänglich für diese überwältigende männliche Ausstrahlung sein, so wie ihre Mutter es gewesen war. Aber sie war nicht ihre Mutter. Anders als sie war es nicht Lilys Sache, sich mit ihrem Aussehen irgendwelche Vorteile zu verschaffen.

Lily verdrängte den Schauer, der sie überfallen wollte. Nein, die Fehler ihrer Mutter würde sie nie wiederholen. Sie war hier, um einen Job zu erledigen, nicht, um über ihre persönlichen Probleme nachzudenken.

Sie holte tief Luft. „Nun?“ Würde er endlich etwas sagen, um die angespannte Atmosphäre, die seit seiner Ankunft im Raum herrschte, zu lockern?

„Sind Sie hier verantwortlich?“

Seine Stimme war leiser, als sie erwartet hatte, dennoch schwang Selbstbewusstsein darin mit – und unüberhörbarer Zorn. Offensichtlich war er hier, um sich über etwas zu beschweren, und da sie für ihren Halbbruder eingesprungen war, blieb ihr wohl nichts anderes, als sich ihm zu stellen. „Ja.“

„Dann möchte ich mit Ihnen reden. Unter vier Augen.“

In die erstarrte Szene im Raum kam wieder Bewegung. Lily wollte schon erwidern, dass er unmöglich etwas mit ihr zu besprechen haben konnte, schon gar nicht unter vier Augen. Aber sie hatte einen leisen Verdacht, dass Rick vielleicht etwas angestellt haben könnte, um den Ärger des Mannes zu provozieren. „Nun gut. Sie werden sich kurzfassen müssen. Wie Sie sehen, stecke ich mitten in der Arbeit.“

Die Verachtung in seinem Blick ließ sie zurückweichen, und nur zögernd ging sie durch die Tür, die er für sie offen hielt. Waren es gute Manieren? Oder wollte er nur sichergehen, dass sein Opfer ihm nicht entkam?

Das Studio lag in einem alten Gebäude, die Tür war solide genug, um die neugierigen Fragen, die jetzt mit Sicherheit durch das Studio schwirrten, nicht bis auf den Treppenabsatz dringen zu lassen. Lily hielt sich so nah wie möglich bei der Tür auf, während der Mann direkt vor der Treppe stand und ihr damit den Weg nach draußen versperrte.

„Nennen Sie mich altmodisch und meinetwegen auch sexistisch, aber die Vorstellung, dass eine Frau junges Fleisch für Profit vermarktet, scheint mir noch abstoßender, als wenn ein Mann es tut. Sie sind eine solche Frau. Eine Frau, die von der Eitelkeit und Naivität anderer lebt und jungen Menschen wertlose Träume und falsche Hoffnungen verkauft.“

Fassungslos starrte Lily den Mann an. Sie war schockiert, dass er eine solche Anschuldigung vorbrachte. Einen Augenblick lang vermutete sie, einem Verrückten gegenüberzustehen, doch sie spürte, dass er durchaus alle Sinne beisammenhatte.

Es war eine typische Geste der Unsicherheit, als sie sich mit den Fingern durchs Haar fuhr. „Ich weiß nicht, worum es geht, aber ich denke, Sie sind einem Irrtum aufgesessen.“

„Sie arbeiten als Fotografin in einer Sparte, die jungen Menschen vorgaukelt, man könne ein glamouröses Model werden, obwohl Sie genau wissen, dass dieser Wunsch sie höchstwahrscheinlich zerstören wird.“

„Das stimmt nicht“, verteidigte sie sich, doch ihre Stimme zitterte leicht. Sprach dieser Mann nicht genau das aus, was sie selbst dachte?

Sie wollte es ihm gerade erklären, da fuhr er unerbittlich fort: „Schämen Sie sich nicht? Verspüren Sie nicht die geringsten Schuldgefühle deswegen?“

Schuldgefühle. Das Wort löste eine Lawine von düsteren Erinnerungen aus. Jähe Panik stieg in Lily auf … sie musste weg von diesem Mann. In ihrer Fantasie malte sie sich aus, wie sie wegrannte, sich in einem stillen Eckchen zusammenrollte und so klein machte, bis niemand sie mehr sehen konnte. Bis niemand sie mehr anfassen konnte. In der Realität jedoch war sie hier auf dem schmalen Treppenabsatz mit ihm gefangen.

„Die Welt, in die Sie meinen Neffen Pietro ziehen wollen, wird von Skrupellosigkeit und Korruption beherrscht, von jenen, die Schönheit und junges Fleisch für eigene Bedürfnisse missbrauchen.“

Sein Neffe? Mit jeder Silbe durchstach er den dünnen Schutzschild, den sie um ihre Emotionen errichtet hatte, und brachte ihr eine neue Wunde bei.

„Ich weiß nicht, wie viele Menschen Ihnen bereits zum Opfer gefallen sind, aber ich kann Ihnen versichern, dass mein Neffe nicht dazugehören wird. Zum Glück hat er genug Verstand besessen, seiner Familie zu erzählen, mit welchen Versprechungen von Ruhm und Reichtum man an ihn herangetreten ist.“

Lilys Puls raste, ihr Mund war wie ausgetrocknet. Diesen Aspekt der Arbeit hatte sie selbst immer gehasst. Sie hatte mit ansehen müssen, wie viele junge Models durch die Hölle gegangen waren, gewissenlos verleitet und verführt.

„Hier haben Sie Ihr Geld zurück.“ Er warf ihr ein Bündel Geldscheine vor die Füße. „Blutgeld … Auf der Party, zu der Sie Pietro nach dem Fotoshooting eingeladen haben, wie vielen skrupellosen Geschäftemachern wollten Sie ihn da vorstellen? So vielen wie möglich, nicht wahr? Denn darum geht es doch in diesem Business.“

Rick hatte den jungen Mann also eingeladen, ihn zu einer Party zu begleiten? Ihr Halbbruder war ein geselliger Typ, es war durchaus üblich für ihn, dass er nach dem Shooting noch...