Der Himmel so nah

Der Himmel so nah

von: Leanne Banks

CORA Verlag, 2022

ISBN: 9783751513562 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Der Himmel so nah


 

1. KAPITEL

Maddie starrte aus dem Fenster ihres Wagens. Überall der gleiche Anblick: stehende Autos. Sie befand sich inmitten eines Verkehrsstaus auf dem Highway 81.

So etwas passierte eigentlich nicht in Roanoke, Virginia. Die Bevölkerungsdichte war nicht hoch genug, um Verkehrsprobleme zu verursachen, vor allem nicht auf dem Highway. Laut Radiodurchsage sorgte ein Erdrutsch auf der mittleren Fahrbahn für Verspätungen von bis zu zwei Stunden.

Es wäre nicht so schlimm, wenn sie auf der rechten Fahrspur gestanden und auf die Standspur hätte ausweichen können, um ihr Ziel zu erreichen. Doch sie befand sich in der mittleren Spur. Dabei hatte sie es nicht einmal eilig, zu ihrem Job im Reisebüro zu kommen. Sie hatte den Tag freigenommen. Ein wichtiges Rendezvous hatte sie auch nicht. Sie hatte seit fast neun Monaten keines mehr gehabt.

Ihr Problem war das rhythmische Zusammenziehen ihrer Unterleibsmuskeln. Noch war es eher ein Unbehagen als ein Schmerz, und es tauchte etwa alle fünf Minuten auf. Maddie versuchte sich einzureden, dass es von selbst wieder aufhören würde, aber insgeheim befürchtete sie, es könnte sich doch um Wehen handeln. Und das mitten im einzigen Verkehrsstau in der Geschichte Roanokes, Virginia. Im Regen. Ohne Handy.

Ihr Magen knurrte, und sie wünschte sich zum x-ten Mal, sie hätte ein paar Kekse mitgenommen. Sie spürte ein erneutes Zusammenziehen in ihrem Unterleib; diesmal erforderte es Atemtechnik, um damit fertig zu werden. Maddie stellte sich die Insel Maui vor – weiße Strände, ein wunderbares türkisblaues Meer, Palmen, Regenbogen. Wäre sie jetzt auf Maui, würde sie an einem Mai Thai nippen. Gütiger Himmel, irgendetwas Alkoholisches könnte sie jetzt wirklich gebrauchen.

Ein Anflug von Panik überkam sie. Sie wollte ihr Baby nicht auf dem Highway bekommen. Sie stellte die Scheibenwischer an und hielt verzweifelt nach einem Streifenwagen Ausschau. In diesem Moment wäre sie froh gewesen, einen Polizisten zu sehen. Unglücklicherweise war keiner da.

Verzweiflung überkam sie. Vielleicht sollte sie aussteigen und laufen. Aber hatte die Leiterin ihres Geburtsvorbereitungskurses ihr nicht beigebracht, dass Laufen die Wehen beschleunigte? Und was, wenn sie nicht so weit kam, eine Fahrgelegenheit ins Krankenhaus zu finden?

Als sie sich suchend umschaute, entdeckte sie einen Pick-up mit einem Motorrad auf der Ladefläche, das mit einer Plastikplane bedeckt war. Maddie kam eine verrückte Idee. Aber war diese Idee tatsächlich verrückter, als ihr Baby ohne Hilfe im Wagen zur Welt zu bringen?

Ihrem Instinkt folgend, stieg sie aus ihrem grünen Cabrio und lief an zwei Wagen vorbei bis zum Seitenfenster des Pick-ups. Sie klopfte an die beschlagene Scheibe. Der Mann auf dem Fahrersitz drehte den Kopf und schaute sie an. Maddie lächelte. Er nicht. Sie seufzte und bedeutete ihm, das Fenster herunterzukurbeln.

„Ja?“, fragte er mit einer Stimme, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Aus seinem Autoradio kam ein Heavy-Metal-Song, und anscheinend saß jemand auf dem Beifahrersitz. Aber sie war nicht ganz sicher.

Maddie sah den Mann an und biss sich auf die Lippe. Obwohl er saß, wirkte er groß und furchteinflößend und hart wie Stahl. Seine Augen waren von einem kühlen Grau, sein Gesicht markant. Maddies langjährige Freundin Jenna Jean hielt ihr stets vor, sie urteile vorschnell über Leute. Aber dieser Mann sah eindeutig nicht freundlich aus. Er wirkte nicht so, als hätte er besonders viel Sinn für Humor. Unter anderen Umständen hätte sie sich einfach wieder umgedreht und wäre zu ihrem Wagen zurückgegangen. Doch was sie außer einem Sinn für Humor jetzt ganz dringend brauchte, war das Motorrad dieses Mannes.

„Ich, äh …“ Wieder zogen sich ihre Unterleibsmuskeln zusammen, und sie hob die Hand. „Einen Moment, bitte“, flüsterte sie und konzentrierte sich auf den Türgriff. Einatmen. Ausatmen.

Der Mann wirkte alarmiert. „Was um alles in der Welt …“

Mit Mühe richtete sie sich wieder auf, nachdem es überstanden war. „Funktioniert das Motorrad, das Sie auf der Ladefläche haben?“

„Ja, aber …“

„Ich weiß, das klingt etwas ungewöhnlich“, erklärte sie rasch, um ihre Bitte vor der nächsten Kontraktion hervorzubringen. „Aber meine Wehen haben eingesetzt, und ich muss ins Krankenhaus, bevor …“ Ein Schwall Wasser schoss ihre Beine hinunter. Maddie starrte auf ihre nassen Tennisschuhe. „O verdammt!“

„Wie?“

„Die Fruchtblase ist geplatzt“, sagte sie und erwiderte seinen vorsichtigen Blick. Vielleicht war er doch menschlich. Wenn er nicht so finster dreinschaute, war er beinahe attraktiv. Sie betrachtete ihn genauer. Beim zweiten Hinschauen wirkte er zwar immer noch ein wenig grimmig, aber auch verantwortungsbewusst, dachte sie hoffnungsvoll. Die Stärke, die er ausstrahlte, fand sie anziehend. Und seinen breiten Schultern nach zu urteilen, hatte er wahrscheinlich einen umwerfenden Körper. In einer anderen Situation hätte sie glatt … Maddie sah auf ihren melonenrunden Bauch und verwarf den Gedanken. „Könnte ich mir Ihr Motorrad leihen?“

Das Radio wurde leiser gestellt. „Dad, wer ist denn da draußen?“ Die jüngere männliche Stimme verstummte abrupt. „Eine schwangere Frau“, stellte der Junge nüchtern fest.

Sein Vater sprang aus dem Wagen. „Habe ich Sie richtig verstanden? Sie wollen, dass ich Sie auf einem Motorrad ins Krankenhaus fahre?“

Sie nickte und legte schützend die Hand auf ihren Bauch. „Ich fürchte, mir bleibt keine andere Wahl. Ich will das Baby jedenfalls nicht auf dem Highway 81 bekommen.“ Da er nicht gleich antwortete, stieg erneut Panik in ihr auf. Was, wenn er ihr nicht half? Sie verflocht ihre Finger. „Hören Sie, ich habe nicht viel Geld, aber was ich habe, können Sie bekommen.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich bin Reisekauffrau. Vielleicht könnte ich eine Gratisreise für Sie organisieren. Oder ich könnte kochen.“ Ihre Verzweiflung wuchs. „Ich koche Ihnen ein Jahr lang einmal pro Woche Essen, wenn Sie mir nur …“

Ein weiterer Krampf folgte, und diesmal krümmte sie sich vor Schmerzen. Mittendrin hörte sie irgendwelche knappen Anweisungen. Als der Schmerz allmählich nachließ, war das Motorrad abgeladen und der Sohn auf den Fahrersitz des Pick-ups gerutscht. Maddie kämpfte gegen die Tränen der Erleichterung an und lächelte dem Jungen zu, der sie mit großen Augen beobachtete.

„Miss …“, begann der Mann verlegen.

„Maddie Palmer“, stellte sie sich vor und streckte ihm die Hand entgegen.

Seine große warme Hand umschloss ihre. „Joshua Blackwell“, erwiderte er mit vor Besorgnis angespannter Miene. „Schaffen Sie es bis zur Standspur?“

Sie nickte. „Ja, vielen Dank.“

Joshua folgte ihr. „Sparen Sie sich Ihr Dankeschön lieber, bis wir das Krankenhaus erreicht haben.“ Vorsichtig setzte er erst ihr einen Helm auf und dann sich selbst, bevor er auf das Motorrad stieg.

Maddie betrachtete das Motorrad skeptisch und stieg vorsichtig auf. Motorräder waren nicht für schwangere Frauen gebaut. Sie biss die Zähne zusammen und umklammerte seine Taille.

„Können Sie so sitzen?“

„Ja“, flüsterte sie und kämpfte mit einem neuen Krampf.

„Wie groß sind die Abstände zwischen den Wehen?“

Maddie wartete, bis der Schmerz abklang. „Unter vier Minuten.“

„Na fabelhaft“, murmelte er. „Also, halten Sie sich fest. Ich werde so schnell und ruhig wie möglich fahren. Wenn Sie spüren, dass eine neue Wehe kommt, drücken Sie mich, schreien Sie, treten Sie mich – nur lassen Sie es mich wissen.“

Ihre Meinung von Joshua stieg um zehn Punkte. Er war stark, er war praktisch und am wichtigsten: Er war da. „Einverstanden.“

Er nickte kurz und startete den Motor. „Na dann los!“

Sie schafften es in siebzehn Minuten und zweiunddreißig Sekunden bis zum Krankenhaus. Joshua zählte mit. Für Maddie musste es eine höllische Fahrt gewesen sein. Bei ihrer Ankunft war ihr Gesicht schmerzverzerrt. Sie fiel förmlich vom Motorrad. Die Mannschaft der Notaufnahme half ihr in einen Rollstuhl und fuhr sie hinauf in die Entbindungsstation. Sie riefen Joshua Anweisungen zu, ihnen zu folgen.

Er war nie der Typ gewesen, der blind irgendwelchen Anweisungen folgte, aber diesmal tat er es. Eine rothaarige schwangere Lady ins Krankenhaus zu fahren hatte seinen Adrenalinspiegel steigen lassen. Er wusch sich, zog sich einen sterilen Papieroverall an und wurde in den Kreißsaal geführt.

„Hallo“, sagte Maddie, und in ihrer Stimme klang Erleichterung mit, als er zur Tür hereinkam. „Sie meinten, mein Geburtshelfer schafft es nicht rechtzeitig.“

Er runzelte die Stirn. „Was ist mit Ihrem Mann?“

„Ich habe keinen.“ Sie wandte den Blick ab.

Joshua betrachtete sie lange. Ihr Gesicht wirkte selbst im Kontrast zum gelblichen Krankenhausnachthemd blass. Sie sah jung und ängstlich aus. Abgesehen von ihrem dicken Bauch war sie schmal und zart gebaut. Ein heftiger Beschützerinstinkt überkam ihn, und trotz der merkwürdigen Umstände musterte er sie weiter. Sie hatte volle Brüste und wohlgeformte Beine. Über ihre Hüften konnte er nichts sagen, da sie momentan verschwunden waren. Doch vermutete er, dass sie schlank waren. Außerdem hatte sie Sommersprossen auf der Nase.

Mit wachsamer Neugier in ihren braunen Augen beobachtete sie ihn. Die Art, wie sie das Kinn reckte, verriet ihm, dass sie eine Kämpfernatur war. Und irgendetwas an ihrem Mund signalisierte ihm, dass sie eine leidenschaftliche...