Wenn das Gehirn seinen Verstand verliert - Wie es gelingen kann, Demenz vorzubeugen

Wenn das Gehirn seinen Verstand verliert - Wie es gelingen kann, Demenz vorzubeugen

von: Dr. med. Michael Spitzbart

Scorpio Verlag, 2021

ISBN: 9783958033382 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 14,99 EUR

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Wenn das Gehirn seinen Verstand verliert - Wie es gelingen kann, Demenz vorzubeugen


 

Kapitel 2: Was wir tun können, um uns vor Demenz zu schützen


Noch bis zum Ende des letzten Jahrhunderts glaubte man, dass unser Gehirn kurz nach der Geburt fertig sei und dann nur noch altere. Dass uns praktisch – je älter wir würden – immer weniger Hardware fürs Denken, Fühlen und Handeln zur Verfügung stünde. Ein Trugschluss aus zweierlei Gründen:

Grund eins: Würden in unserer Denkzentrale tatsächlich pro Tag zehntausend Nervenzellen absterben, wie lange Zeit angenommen, ist das kein Indiz für den natürlichen Verfall des Gehirns. Denn gehen wir davon aus, dass es mit 100 Milliarden Nervenzellen ausgestattet ist, wären das für einen 70-Jährigen 1,3 Prozent, rechnet Manfred Spitzer in seinem Buch »Wie wir denken lernen« vor.1 Zehntausend Nervenzellen pro Tag weniger würden einem 70-Jährigen nichts anhaben. Und: »Wir wissen aus der Theorie der neuronalen Netzwerke, dass schon sehr viel kaputt sein muss – rund siebzig bis achtzig Prozent –, damit ein solches Netzwerk merkbar schlechter funktioniert. Das kommt nur bei schwerer Pathologie vor, aber nicht beim normalen Altern«, so Spitzer.

Grund zwei: In unserem Gehirn wachsen ständig neue Nervenzellen nach. Vor allem im Riechhirn und im wichtigen Zwischenspeicher, dem Hippocampus. Es ist das Kurzzeitgedächtnis, in dem erst einmal alle Informationen landen, bevor sie langfristig abgespeichert werden. Stress und negative Gedanken setzen diesem Zentrum zu. Gleichzeitig bilden sich dort immer wieder auch neue Nervenzellen. Sie sind dazu da, Wissen aufzunehmen und zu speichern. Auch im Alter. Daher ist es – selbst wenn wir in späteren Jahren etwas länger für das Denken brauchen – entscheidend, dass wir es tun! Dass wir unser Oberstübchen herausfordern. Das Gehirn ist ein »Problemlöseorgan«, es braucht Abwechslung, Neues, Ungewöhnliches. Diesen Wissensdurst gilt es zu stillen, weil er gleichzeitig ein hervorragender Anti-Demenz-Schutz ist. Auch wenn viele denken, das Alter sei zum Ausruhen da. Doch: Wer sich zu sehr zurücklehnt und es sich zu gemütlich macht, wird nicht nur geistig, sondern auch körperlich träge und pusht seine eigene Hinfälligkeit. Schließlich sind wir qua unseres steinzeitlichen Programms auf Aktivität ausgerichtet. Auf geistige, körperliche und soziale Aktivität. Diese drei Parameter sind die stärksten Mittel, um Demenz bis ins hohe Alter die Stirn zu bieten.

Gleichzeitig bestehen zwischen diesen Parametern Wechselbeziehungen. So haben zum Beispiel Bewegung und Sport Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit. Das bestätigen Studien – bei Ratten, aber auch beim Menschen. Im Tierversuch konnte sogar nachgewiesen werden, dass Bewegung zur Bildung von Nervenzellen führt. Ein Akrobatik-Training ließ die Synapsen stärker sprießen, als wenn die Tiere nur einfache Bewegungen machten oder träge waren. Körperliche Aktivität hat aber auch noch einen weiteren positiven Aspekt: Sie hebt die Laune und stärkt das Selbstbild.2 Und: Egal ob auf der grünen Wiese, in der Halle oder im Fitnessstudio, man ist meist mit anderen zusammen – diese soziale Komponente sei nicht zu unterschätzen, betonen Experten. Schließlich sind wir soziale Wesen, und als solche wollen wir uns eingebunden, als Teil der Gemeinschaft fühlen und von ihr akzeptiert werden.

Wer allerdings im Laufe der Zeit immer gemütlicher und träger wird, gilt schnell als Auslaufmodell – aus der Perspektive der anderen und seiner eigenen. Auch das Selbstbild leidet, und die Leistungsfähigkeit unseres Zentralrechners wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen: Muss er sich nicht mehr ausreichend mit komplexen Lerninhalten und Fragestellungen, sondern nur mehr mit Netflix & Co. auseinandersetzen, nimmt sein Potenzial ab – Neuronen und neuronale Vernetzungen werden nicht mehr neu gebildet. Wie wichtig das aber ist und wie sehr geistige, körperliche und soziale Aktivität als Schutz vor Demenz dienen können, verdeutlicht auch die viel zitierte Nonnenstudie.

Die Augen öffnende »Nonnenstudie«


Wie der Name schon sagt, standen Ordensschwestern im Mittelpunkt dieser amerikanischen Studie. Der Epidemiologe David Snowdon startete sie im Jahr 1986 und untersuchte 678 katholische Nonnen der »School Sisters of Notre Dame« im Alter zwischen 75 und 106 Jahren. Snowdon und sein Team werteten das biografische Material der Nonnen aus und führten regelmäßig Tests durch, um die geistige Leistungsfähigkeit der Ordensschwestern zu testen. Außerdem konnten die Wissenschaftler nach ihrem Tod postmortal ihre Gehirne untersuchen und fanden Beeindruckendes heraus: Ein Drittel der Teilnehmerinnen dieser Studie wiesen zu Lebzeiten keinerlei Anzeichen einer gehirnorganischen Erkrankung auf. Doch als die Epidemiologen der University of Kentucky ihre Gehirne untersuchten, waren diese mit Plaque übersät.

Eines der »schlimmsten Alzheimer-Gehirne, die wir je gesehen hatten«, schrieb Studienautor David Snowdon, hatte die 85-jährige Schwester Bernadette. Demnach wäre es für die hochbetagte Schwester eigentlich unmöglich gewesen, bis zu ihrem Lebensende geistig anspruchsvolle Tätigkeiten auszuüben: Die Gewebeproben ihres Gehirns deuteten auf eine schwer demente Frau hin – ohne Gedächtnis, ohne Orientierung und beinahe sprachlos. Sie war, ebenso wie die anderen 85 Prozent der Studienteilnehmerinnen, Lehrerin und ging bis zu ihrem Tod einer Vollbeschäftigung nach. Das heißt, sie war geistig, aber auch körperlich gefordert. Das machten die Wissenschaftler für das Ergebnis der Studie verantwortlich. Außerdem würden sich soziale Faktoren wie die Gemeinschaft und ein geregelter Tagesablauf positiv auf Demenz auswirken, ebenso wie eine starke Gläubigkeit, Beten, kein Nikotinkonsum und wenig Alkohol, schlussfolgerten die Forscher.

Natürlich gibt es noch weitere Faktoren, um demenziellen Erkrankungen vorzubeugen. Auch die Pharmaindustrie bringt immer wieder Anti-Dementia auf den Markt, in der Hoffnung auf ein Multimilliarden-Business. Doch konnten die zunächst angepriesenen Medikamente nicht signifikant besser abschneiden als ein Placebo. Jahrelang hatte man vermutet, dass Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn die alleinige Ursache für Alzheimer wären. Stattdessen erhöhen – wie wir im vorhergehenden Kapitel gesehen haben – nicht nur die dadurch ausgelösten Plaques die Gefahr, an einer Demenz zu erkranken, sondern auch Schlaganfälle und verstopfte Blutbahnen. Allerdings können all diese Risikofaktoren mit einem entsprechenden Lebensstil eingedämmt werden. Denn vaskulären Schädigungen, die häufig auf das Konto von Diabetes, Bluthochdruck, Dickleibigkeit und Depression gehen, lässt sich – ebenso wie den Neuronenkillern Plaque und Tau – mit kognitiver, körperlicher und sozialer Aktivität vorbeugen. Aber auch mit Anti-Stress-Mitteln, einer bestimmten Einstellung zum Leben und vor allem mit der richtigen Ernährung. Da noch kein Mittel gegen Demenz-Erkrankungen gefunden wurde, ist die Prävention der beste Weg, der geistigen Minderleistung gegenüberzutreten. Und das frühzeitig. Also schon im mittleren Lebensalter mit Gegenmaßnahmen zu beginnen, um so einer Minderversorgung Ihres Denkorgans und seinem schleichenden Abbau vorzubeugen. Hier nun die wichtigsten Erkenntnisse zur Ernährung:

Brain-Food: Die richtige Ernährung


Im Jahr 2018 veröffentlichten Medizin-Wissenschaftler der Universität Oxford eine Langzeitstudie, in der die Qualität der Ernährung und deren Auswirkung auf den Hippocampus untersucht worden waren. Und zwar von 459 Teilnehmern, die im Schnitt 49 Jahre alt waren. Um nach 13 Jahren Aufschluss über den Zusammenhang von Ernährungsgewohnheiten und der Größe des Hippocampus zu geben, scannten die Forscher die Gehirne der Teilnehmer mit einem MRT. Das Ergebnis: Wer sich langfristig gesund ernährte, dessen Gehirn-Zwischenspeicher wies ein größeres Gesamtvolumen auf. Der Zusammenhang war unabhängig von soziodemografischen Faktoren, Rauchgewohnheiten, depressiven Symptomen etc. Außerdem war der Effekt im linken Hippocampus ausgeprägter als im rechten. Günstig wirkte sich somit eine gesunde Ernährungsweise aus, die reich an Gemüse (und weniger an Obst) ist, an Nüssen, Hülsenfrüchten, Omega-3-Fettsäuren und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Die auf verarbeitete Nahrungsmittel weitgehend verzichtet, auf Transfette, natriumreiche Produkte und auf zuckerhaltige Lebensmittel. Signifikant ist außerdem ein weitgehender Verzicht auf Alkohol.3

Andere Forschergruppen, die den Einfluss der Ernährung auf andere Gehirnstrukturen untersuchten, kamen zu dem Ergebnis, dass eine gesündere Ernährung Hand in Hand mit einer dickeren Gehirnrinde ging und für eine geringere Belastung bzw. eine besser erhaltene Mikrostruktur der weißen Hirnsubstanz sorgte.4 Umgekehrt zeigte eine im britischen Medizin-Journal »BMC Medicine« 2015 veröffentlichte Studie, dass ungesunde Ernährung mit einem geringeren Umfang des Hippocampus korrelliert. Die Rede ist dabei von einer Ernährung, die reich an gesättigten Fetten und raffiniertem Zucker ist. Sie würde sich...