Wer zähmt Dr. Hunter?

Wer zähmt Dr. Hunter?

von: Carol Marinelli

CORA Verlag, 2021

ISBN: 9783751505918 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Wer zähmt Dr. Hunter?


 

1. KAPITEL

„Ich habe sie eingestellt. Warum sollte ich nicht nett zu ihr sein?“

„Du weißt, was ich meine, Leo.“ Ethan wandte sich ab.

Obwohl er sich über seinen Bruder ärgerte und trotz der immer präsenten Rivalität zwischen ihnen, konnte Leo kaum mit ansehen, wie Ethan unter Schmerzen versuchte, aus dem Zimmer zu marschieren.

Er hatte keine Ahnung, wie schwer Ethans Beine verletzt waren. Der sprach nie darüber, und alles was Leo wusste, hatte er aus anderen Quellen erfahren. Die Erinnerung an den Moment, als er in der Zeitung las, dass sein Bruder sich im Krankenhaus von einer Kriegsverletzung erhole, setzte ihm immer noch zu.

So viel dazu, dass sie Brüder waren.

Ethan hatte bisher kein Wort über seine Zeit in Afghanistan verloren, und Leo wünschte, er würde darüber reden, sich helfen lassen.

Doch sie hatten einander nie wirklich nahegestanden.

Dafür hatte ihr Vater schon vor langer Zeit gesorgt.

„Dir würde kein Zacken aus der Krone brechen, wenn du Gehhilfen benutzt, Ethan.“

„Wenn ich eine zweite Meinung brauche, wende ich mich an jemanden, der …“ Sein jüngerer Bruder ließ das Ende des Satzes bedeutungsvoll ungesagt. Es war auch nicht nötig. Leo wusste genau, dass Ethan seine Arbeit verachtete.

„Denk, was du willst“, sagte er, als Ethan sich zu ihm umdrehte. „Aber eins solltest du wissen: Wenn meine Patienten diese Klinik verlassen, fühlen sie sich deutlich besser als vorher. Außerdem möchte ich dich daran erinnern, dass meine Arbeit und mein Ruf den Namen Hunter aus dem Dreck gezogen haben – während du damit beschäftigt warst, Soldat zu spielen …“ Kaum waren die Worte ausgesprochen, bereute er sie zutiefst. Nicht nur in Leos Augen war Ethan ein Held. „Entschuldige, das war unter der Gürtellinie.“

„Stimmt, genau wie der Granatsplitter.“

Leo schwieg kurz. „Wenn du mich schon wegen der Schönheitschirurgie schräg ansehen musst, vergiss bitte nicht den karitativen Aspekt, den ich mit meiner Arbeit erst ermögliche“, betonte er dann. „Ohne das Geld, das in die Hunter Clinic fließt, wäre die günstige Behandlung im Lighthouse Hospital und im Princess Catherine’s nicht möglich, und du würdest hier nicht arbeiten.“

„Ist mir klar.“ Das klang schroff.

„Und auch wenn du all das hier verabscheust …“ Leo blickte bedeutungsvoll zu der schweren Kristallkaraffe, die auf dem Walnussholztischchen stand. „… so hast du anscheinend nichts gegen ein bisschen Extravaganz, wenn du dich bei dem hundertjährigen Malt bedienst.“ Er trat an den Tisch und hob die Flasche hoch. „Ich muss beim nächsten Mal den Glasstopfen fester aufsetzen“, meinte er mit wohldosiertem Sarkasmus. „Das Zeug verflüchtigt sich in Lichtgeschwindigkeit.“

Ethan schwieg.

„Hast du kein Zuhause, Ethan? Du siehst aus, als wärst du gestern Abend wieder einmal hier versackt.“

Sein Bruder trug dieselben Sachen wie gestern, während Leo selbst tadellos gekleidet und frisiert war, obwohl die Nacht für ihn kurz gewesen war. Erst die Promi-Veranstaltung, an der er teilgenommen hatte, dann ein paar heiße Stunden mit einer attraktiven Blondine in seinem Bett. Trotzdem war Leo bei Sonnenaufgang aufgestanden, hatte seinen täglichen Jogginglauf hinter sich gebracht, geduscht, sich angezogen und war zur Arbeit gefahren.

„Ich habe bis spätabends gearbeitet.“ Ethans Standardantwort zu diesem Thema, seit er in der Hunter Clinic angefangen hatte.

Leo spürte, wie seine Anspannung wuchs. Ethan mochte ein Held sein, aber die körperlichen Wunden waren nicht die einzigen, dessen war Leo sich sicher. Und auf keinen Fall würde er es zulassen, dass sich die Geschichte wiederholte. Noch heute war die Erinnerung wie ein scharf gestochenes Bild: Ihr Vater James, wie er sturzbetrunken eine Szene machte – vor den Augen von Klienten.

Natürlich hatte man ihn nach Hause geschickt, doch anstatt seinen Rausch auszuschlafen, trank er weiter, erlitt einen Kreislaufkollaps und starb. Das hohe Ansehen, das der Name Hunter damals genossen hatte, fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Es hatte Leo viel Zeit, Mühe und Energie gekostet, es wiederaufzubauen.

Er hatte zu viel geopfert, um diesen Erfolg aufs Spiel zu setzen.

„Wenn du jemals …“, begann er, aber Ethan unterbrach ihn.

„Das wird nicht passieren.“

„Sicher?“ Leo führte einen dekadenten Lebensstil, doch seine blauen Augen waren klar wie der Ozean. Anders als die braunen, blutunterlaufenen Augen seines Bruders, der tatsächlich aussah, als hätte er die Nacht auf dem Sofa verbracht. Auch wenn es ein teures Designerstück war. „Ich werde dich nicht in Schutz nehmen.“

„Hast deine Lektion gelernt, was?“

Wenige Worte, die einen Haufen Fragen zusammenfassten. Warum hast du alles unter den Teppich gekehrt? Warum hast du ihn nicht zur Rede gestellt? Wie konntest du zusehen, wie er immer mehr außer Kontrolle geriet?

Schon immer hatte Leo, der ältere von ihnen, versucht, heikle Situationen mit Esprit und Humor zu entschärfen – dem Vater sogar manchmal einen Drink eingeschenkt, um ihn umzuhauen, damit sie ihre Ruhe hatten.

Ethan hätte das lieber auf andere Weise erledigt. Mit den Fäusten.

„Es ist weder der richtige Zeitpunkt noch der Ort, um das zu diskutieren.“

„Das ist es nie.“ Ethan beschränkte sich auf das naheliegende Problem. „Aber im Moment ist mir viel wichtiger, dass du nett zu Lizzie bist.“

„Kann es kaum erwarten, sie kennenzulernen.“ Obwohl er das Gespräch lieber jetzt als später beenden wollte, konnte er sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. „Muss ja eine tolle Frau sein, wenn sie dein kaltes schwarzes Herz erobert hat.“

„Ich habe dich nur gebeten, sie gut zu behandeln. Lizzie ist nicht wie deine Flittchen.“

„Du scheinst was für sie übrig zu haben. Ist sie so gut im Bett?“

Hätte Ethan ihm dafür eine verpasst – wozu er nicht übel Lust hatte –, es wäre nicht nur wegen Lizzie gewesen. Unsichtbar und doch gegenwärtig befand sich Olivia mit ihnen in diesem Raum. Die Frau, die immer noch zwischen den beiden Brüdern stand. Es war, als hörte sie zu, hörte sie streiten wie damals, fast auf den Tag genau vor zehn Jahren.

„Bemitleidenswert, dass du Frauen nur danach beurteilst“, antwortete Ethan.

„Sehe ich aus, als müsste man Mitleid mit mir haben?“ Leo lächelte nachsichtig. „Ich verkrieche mich nicht wie ein Einsiedler. Ich gehe jeden Abend aus, ich lebe …“

„Wirklich?“ Ethan hatte genug. Warum bin ich überhaupt zurückgekommen? Schlimmer noch, warum setzte er Lizzie dieser vergifteten Atmosphäre aus? Unter der Oberfläche brodelte es, und es war nur eine Frage der Zeit, bis es zur Explosion kam. Er blickte Leo an, der so arrogant und selbstsicher dastand und dennoch, obwohl er es nie zugegeben hätte, voller Probleme steckte.

„Das ist kein Leben, Leo. Du existierst nur. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.“ Bevor Ethan endgültig das Zimmer verließ, warf er seinem Bruder noch über die Schulter zu: „Lass wenigstens ein Mal deine Hosen zu. Lizzie hat Besseres verdient.“

Krachend fiel die Tür ins Schloss. Leo starrte gedankenvoll auf das dunkle Edelholz. Sie hatten kaum die Stimmen erhoben, und die Wände der Klinik waren dick. Trotzdem musste die Spannung zwischen den Brüdern auch schon beim Personal spürbar sein. War es ein Fehler gewesen, Ethan zu fragen, ob er den karitativen Bereich der Hunter Clinic übernehmen wollte? Leo wusste es nicht. Ohne Zweifel war sein Bruder ein brillanter Chirurg, und seine Fähigkeiten wären von hohem Nutzen, aber konnten sie auf Dauer zusammenarbeiten? Nach allem, was passiert war?

„Leo …“ Gwens Stimme drang aus der Wechselsprechanlage. „Ich habe hier …“

„Schicken Sie sie rein“, unterbrach er sie und machte sich darauf gefasst, die heilige Lizzie kennenzulernen, die Frau, die seinem Bruder unter die Haut ging.

„Hallo, Leo.“

Beim Klang der leisen, sinnlichen Stimme fuhr er herum. Nein, es war nicht die neue Pflegedienstleiterin, die sein Büro betreten hatte, sondern jemand, von dem er sich längst verabschiedet hatte. Für immer. Abgesehen davon war Flora Franklin von einer Heiligen so weit entfernt wie die Erde von der Sonne!

Hinreißend schön, in einem langen eleganten Mantel und auf sexy High Heels stöckelte sie auf ihn zu. „Du hast nicht zurückgerufen“, schmollte sie.

„Weil es nichts mehr zu sagen gibt.“ Leo wiederholte sich nicht gern, und dies war das dritte Mal und damit ein Mal zu viel. „Es ist vorbei, das habe ich …“

„Das wird deine Meinung ändern“, unterbrach sie ihn, öffnete den Mantel und ließ ihn von den Schultern gleiten.

Darunter war sie nackt. Fast nackt. Die verführerischen roten Dessous zeigten viel Haut und überließen nichts der Fantasie. Flora hatte einen atemberaubenden Körper, welcher Mann wäre bei diesem Anblick nicht in Versuchung geraten?

Auch sein Körper war empfänglich für ihre Reize, doch für Leo war es endgültig vorbei. Nur daran konnte er denken, als Flora ihn mit Küssen überhäufte und mit ihren geschickten Händen zu Werk ging. Ja, Leo hatte eine tolle Zeit mit ihr gehabt, aber damit war schon lange Schluss. Er hatte versucht, sich behutsam von ihr zu trennen, aber nun musste er anscheinend deutlicher werden.

„Flora“, begann er kühl. „Du solltest jetzt wirklich …“ Er unterbrach sich, als jemand leise an die Tür klopfte. Im nächsten Moment betrat Lizzie Birch sein Zimmer, und Leo konnte nur noch an eins denken: Dass...