Dr. Herzensbrecher kehrt zurück

Dr. Herzensbrecher kehrt zurück

von: Joanna Neil

CORA Verlag, 2021

ISBN: 9783751505895 , 130 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Dr. Herzensbrecher kehrt zurück


 

1. KAPITEL

„Könnten Sie bitte herkommen und sich diesen Jungen mal anschauen, Katie?“ In Colin McKenzies Stimme schwang ein besorgter Unterton mit.

Katie blickte auf und fragte sich, was den sonst so entspannten und gelassenen Sergeant derart beunruhigte.

„Natürlich.“ Sie war gerade dabei, die medizinischen Vorräte der Polizeistation durchzugehen, um zu prüfen, ob sie etwas nachbestellen musste, hielt jetzt jedoch inne und drehte sich um. „Was ist los?“

Zwei Abende pro Woche tat sie Dienst auf der Polizeiwache, einmal früh und einmal spät. Das passte gut in ihren Dienstplan als Kinderärztin in der Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses. Denn im Allgemeinen passierte in dieser Gegend nicht allzu viel.

Da es sich um eine recht kleine schottische Inselgemeinde handelte, war Kriminalität kein großes Problem. Katies Aufgabe als Polizeiärztin beschränkte sich normalerweise auf die Behandlung kleinerer Wunden oder die Beurteilung des Zustandes von Jugendlichen, die zu viel getrunken hatten.

„Es geht um den Jungen von John McGregor.“ Colin verzog das Gesicht. Er war groß, hatte dunkles, leicht ergrautes Haar und breite Schultern. „Er ist verletzt. Wir haben ihn bei einem Überfall auf das alte Backhaus aufgegriffen. Lizzie hat dort im Büro immer ein bisschen Kleingeld, das eine Teenager-Gang nach Einbruch der Dunkelheit klauen wollte. Der Junge war der Wachposten.“

„Finn als Wachposten?“ Katie erschrak. Sie kannte Finn McGregor schon sein ganzes Leben. Inzwischen war er ein lang aufgeschossener Sechzehnjähriger und hatte es eigentlich immer geschafft, größeren Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Bisher war er mit ein oder zwei Ermahnungen wegen unbefugten Betretens oder Ruhestörung davongekommen. Die meisten seiner Vergehen entstammten wohl einfach jugendlichem Übereifer. Er hatte sich doch wohl nicht den einheimischen Rowdys angeschlossen?

„Wie schlimm ist es denn? Ich meine, warum hat er sich verletzt?“ Sie folgte Colin aus ihrem Sprechzimmer und begleitete ihn zum Warteraum.

„Er wurde von einem Hund gebissen, zum Glück keinem von unseren.“ Unbehaglich fuhr der Sergeant fort: „Es war eine schwierige Situation. Der Junge war verletzt, aber wir mussten ihn mit einer Wache so lange im Polizeiwagen festhalten, bis wir den Rest der Gang stellen konnten. Sie sind in alle Himmelsrichtungen weggelaufen, und es dauerte eine Weile, bis wir sie gekriegt haben. Jedenfalls dachten wir zuerst, dass wir den Jungen zur Notaufnahme schicken sollten. Aber das hätte noch länger gedauert, und da Sie ja heute hier Dienst haben …“

Katie nickte. „Mal sehen, was ich tun kann.“

Finn saß auf einer Bank auf der anderen Seite des Raumes. Sein Gesicht war kalkweiß, Blut tropfte durch seine Finger und über die Wange, während er mehrere Papiertücher an sein Ohr gedrückt hielt. Seine grauen Augen wirkten leer durch seinen Schockzustand, und er zitterte. Katies erster Impuls war es, ihn in die Arme zu nehmen.

Schließlich war er der kleine Halbbruder von Ross, den sie hatte aufwachsen sehen, seit er ein kleines Baby war. Jetzt wirkte er allein und verloren, und egal, was er getan hatte, sie spürte das dringende Bedürfnis, ihn zu beschützen.

Daher ging sie zu ihm und legte ihm liebevoll den Arm um die Schultern. „Komm, wir gehen in mein Sprechzimmer, Finn. Dann machen wir dich ein bisschen sauber, und ich schau mir die Sache mal genauer an.“

„Ach, Katie, du bist es.“ Erleichtert sah er sie an. „Ich hab nichts Falsches getan, Katie. Ehrlich.“ Seine Stimme fing an zu beben, und Tränen schossen ihm in die Augen. „Ich wollte nicht … Ich war bloß … Und dann kam plötzlich dieser Hund auf mich zu … Er hat mich gebissen und einfach nicht wieder losgelassen.“ Finn brach ab und presste den Mund zusammen, um seine Beherrschung nicht zu verlieren.

„Du kannst mir alles erzählen, während ich mir die Wunde ansehe“, meinte Katie sanft. „Eins nach dem andern. Du hast einen schlimmen Schock erlebt und musst dich jetzt erst mal wieder beruhigen.“

Sie führte ihn in ihr Zimmer, wo er sich auf die Untersuchungsliege setzte, und sagte dann: „Okay, jetzt nehmen wir erst mal die Papiertücher ab, damit ich sehen kann, was passiert ist. Du weißt also nicht, woher der Hund kam?“

„Nein, auf einmal war er da und starrte mich an.“ Finn ließ sich von ihr die blutdurchtränkten Tücher abnehmen. Seine Hände zitterten. „Ich stand oben auf einer Mauer und hab in den Hof hinter dem Backhaus geschaut. Da fingen die Polizisten an, mich anzuschreien. Sie sind hinter mir her, und ich bin runtergesprungen.“ Er schluckte, und mit erstickter Stimme fuhr er fort: „Der Hund hat mich angeknurrt, und ich blieb erst stocksteif stehen. Dann bin ich weggelaufen, und er hat mich angegriffen.“

Entsetzt betrachtete Katie das Ergebnis der Attacke. Der Hund hatte Finns Ohr komplett durchgebissen, und auch am Hals des Jungen waren Bissspuren zu erkennen. Es sah schlimm aus. „Das muss genäht werden“, erklärte sie. „Aber zuerst muss ich die Wunde säubern.“

Colin McKenzie hielt sich im Hintergrund. Doch als sie Finn half, sich auf die Liege zu legen, meinte er vorsichtig: „Brauchen Sie mich hier noch, Doc? Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen einen Beamten reinschicken. Ansonsten würde ich mich jetzt um die Sache mit dem Hund kümmern. Außerdem muss ich die anderen Jungs vernehmen, den ganzen Papierkram erledigen und so weiter.“

„Nein, ich komme schon klar, Sergeant. Gehen Sie ruhig und tun Sie, was Sie tun müssen“, antwortete sie. „Allerdings sollte irgendjemand Finns Vater anrufen und ihm Bescheid sagen. Finn braucht einen Erwachsenen als Beistand.“

„Nicht meinen Dad“, sagte der Junge schnell. „Er ist sowieso auf Geschäftsreise, und Mum geht es nicht gut. Sie dürfen sie nicht aufregen. Sie hat seit einigen Wochen eine Virusinfektion.“

„Ja, das habe ich gehört.“ Katie überlegte. Finns Mutter hatte eine schwache Gesundheit und konnte ihrem harten, unnachgiebigen Ehemann kaum Paroli bieten. In Bezug auf ihren Sohn richtete sie sich ganz nach ihm. Daher war es vielleicht kein Wunder, dass Finn vom rechten Weg abgekommen war. Ähnlich wie sein Halbbruder vor vielen Jahren, nur aus anderen Gründen als bei Ross.

„Hör zu“, sagte sie aus einem plötzlichen Impuls heraus. „Egal, was passiert, Finn, ich kümmere mich um dich. Ich helfe dir bei dieser Sache und werde auch bei der Vernehmung dabei sein, wenn du willst.“ Sie sah Colin an, der nach kurzem Zögern nickte und hinausging.

„Danke, Katie.“ Finn biss sich auf die Lippen. Er wirkte noch immer etwas benommen, während sie ihre Utensilien vorbereitete, um die Wunde zu spülen.

„Als Erstes reinige ich die Wunde“, erklärte sie. „Alles in Ordnung mit dir?“

„Glaub schon.“ Er zog die Brauen zusammen. „Ich weiß nicht, was jetzt mit der Polizei noch kommt. Vom Polizeiwagen aus habe ich Ross angerufen, weil ich dachte, er kann mir vielleicht sagen, was ich tun soll.“

Katie warf ihm einen Blick zu. „Was hat er gesagt?“

„Nichts.“ Finn ließ die Schultern hängen. „Ich konnte ihm bloß eine Nachricht auf seiner Mailbox hinterlassen. Wahrscheinlich hat er gerade zu tun. Er arbeitet auf dem Festland, darum sehe ich ihn nur selten. Ich wollte einfach mit ihm reden.“

Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Ich weiß. Er scheint sich dort ganz gut eingelebt zu haben, oder?“ Die Niedergeschlagenheit des Jungen konnte sie gut verstehen. Er verehrte Ross. Obwohl ein Altersunterschied von fünfzehn oder sechzehn Jahren zwischen ihnen bestand, waren sie einander sehr verbunden. Doch es beunruhigte Katie, dass Finn seine Hoffnungen auf Ross setzte. Soviel sie wusste, arbeitete dieser in Glasgow. Aus einer solchen Entfernung konnte er vermutlich keine große Hilfe sein.

Sorgsam säuberte sie die Wunde. Danach injizierte sie ein lokales Betäubungsmittel an die entsprechende Stelle. Während sie wartete, bis es wirkte, wanderten ihre Gedanken zu Ross. Sie erinnerte sich an die Warnungen ihrer Eltern von früher. „Halte dich von Ross McGregor fern. Der macht nur Ärger“, hatte ihr Vater gesagt. „Er wird kein gutes Ende nehmen, pass mal auf.“

Doch ein Teil von ihr hatte Ross nie so gesehen. Es stimmte, er war der böse Junge im Dorf, der immer irgendwelchen Unsinn im Kopf hatte. Aber das Funkeln in seinen Augen und sein jungenhaftes Lächeln hatten trotz aller Warnungen ein Feuer in ihr entfacht und eine Sehnsucht nach all den Dingen ausgelöst, die sie nicht haben durfte.

Unruhig rutschte Finn auf der Liege hin und her, woraufhin Katie diese Gedanken abschüttelte und die Utensilien zum Nähen vorbereitete.

„Ich muss mehrere Stiche machen“, erklärte sie Finn. „Aber ich werde mir die allergrößte Mühe geben, damit du wieder genauso gut aussiehst wie vorher, sobald die Wunde verheilt ist.“

Mit einem weichen Blick in ihren grünen Augen lächelte sie den Jungen an. „Wenn ich fertig bin, hole ich dir einen Tee. Der wird dir guttun. Und dann spreche ich mit Sergeant McKenzie, dass er deine Vernehmung auf einen anderen Tag verschiebt.“

Finn schauderte. „Ich hab keine Ahnung, wie ich das meinem Dad beibringen soll. Er glaubt mir garantiert nicht, dass ich nichts Schlimmes getan hab.“

Katie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie hätte Finn einer solchen Tat nie für fähig gehalten. Aber ohne einen schwerwiegenden Verdacht hätte der Sergeant ihn sicher nicht mit auf die Wache gebracht.

„Na ja“, sagte da eine tiefe männliche...