Segen voraus - Als Pfarrer auf hoher See

Segen voraus - Als Pfarrer auf hoher See

von: Christian Löhr

Verlag Herder GmbH, 2021

ISBN: 9783451822124 , 160 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

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Segen voraus - Als Pfarrer auf hoher See


 

 

 

 

 

1. Kapitel


Einmal um die ganze Welt oder Fernweh und die Sehnsucht nach Mehr


Mit Interesse höre ich von nicht wenigen Passagieren, dass sie mit diesem Schiff eine Weltreise machen, also einmal um die ganze Welt fahren. Das dauert ein halbes Jahr. Ich bin erstaunt, dass es nicht Wenige sind, die sich diesen Traum erfüllen. Heute sprach ich mit einer Frau länger darüber. Sie erzählte mir, dass es seit Jahrzehnten ihr Lebenstraum war und ist, auf einem Schiff einmal die ganze Welt zu umrunden. Lange habe sie darauf gespart, denn für den Reisepreis könnte man sich auch einen Neuwagen mittlerer Kategorie kaufen. Meine Gesprächspartnerin sowie die anderen Passagiere, die mir begeistert erzählen, dass sie von Hamburg bis Hamburg an Bord sind, sind durchweg keine extravaganten Leute. Wenn ich sie auf der Straße treffen würde, hielte ich sie für ganz normale Bürger. Offenbar steckt die Sehnsucht nach Weite, einmal die ganze Welt zu umrunden, ganz tief in vielen Menschen drin. Manche erfüllen sich diesen Traum einmal oder gar öfter im Leben mit einer solchen Weltreise.

Meine Gesprächspartnerin erzählt mir auch, dass ihr bewusst ist, dass sie auf dieser Reise einen sehr kurzen und eher oberflächlichen Kontakt mit vielen Ländern haben wird, die sie auf dieser Reise besuchen kann. Und trotzdem sei sie froh, weil es ihr nur mit dem Schiff möglich wäre, alle diese Länder einmal zu berühren und zumindest einen kleinen, ersten Eindruck von Land und Leuten zu gewinnen. Außerdem seien ihr die Flugreisen in die Länder zu lang, die sie auf dieser Reise recht bequem besuchen kann. Die Orte, die sie zu Hause oft nur mit dem Finger auf dem Globus berührt habe, würden für sie nun greifbar, und sie könne sich konkrete Vorstellungen von Ländern machen, die sie sonst im Leben nie betreten hätte.

Über diese Fernsehnsucht muss ich noch länger nachdenken. Menschen verlassen ihre gewohnte Umgebung, ihre Familien und Freunde, um ein halbes Jahr über die Weltmeere zu schippern und meist nur Hafenstädte oder nahe gelegene Orte zu besuchen. Nachdem ein Schiff sich mit der Geschwindigkeit eines Mofas, also etwa 35 Kilometer in der Stunde, fortbewegt, braucht man für eine solche Weltumrundung wirklich ziemlich lange und ist während vieler Tage nur auf See. Die Seetage sind im Vergleich zu Tagen mit Landgängen viel zahlreicher.

Mir zumindest wird es schnell lang(-weilig), wenn ich einige Tage nicht von Bord komme. Nach meinem Morgengottesdienst und manchen Gesprächen mit Passagieren hält der Tag an Bord für mich ja kaum weitere Aufgaben bereit. Das heißt, ich lese viel, nehme an Bordaktivitäten teil wie Boccia-Spiel auf dem obersten Deck und, das muss ich bekennen, hangle mich manchmal von Mahlzeit zu Mahlzeit. Ein solches Leben wollte ich nicht zu lange führen, vor allem aber kein halbes Jahr lang.

Was also treibt Menschen dazu, das freiwillig und mit großem finanziellen Aufwand zu tun? Ich kann darüber nur spekulieren. Weil das Publikum auf deutschen Kreuzfahrtschiffen eher gesetzt ist, das heißt viele bereits im Rentenalter sind, dürfte ein Grund darin liegen, dass manche einmal im Leben etwas tun möchten, wofür man im aktiven Arbeitsleben einfach keine Zeit hatte. Die ältere Generation hat oft viel Geld angespart, sodass die Ausgaben für die Reise keine unüberwindliche Hürde darstellen. Vielleicht haben auch die Medien das Ihre dazu beigetragen, nachdem in den letzten Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten, viele Reihen über Kreuzfahrtschiffe im Fernsehen liefen und das Fernweh nicht weniger Fernsehzuschauer geweckt haben dürften. Schließlich ist eine Kreuzfahrt eine recht bequeme Reiseform, denn das Hotelzimmer reist sozusagen mit. Man muss nur einmal auspacken und sieht trotzdem unterschiedlichste Städte und Destinationen. Außerdem ist an Bord für alles bestens gesorgt, was man sonst mühsam selbst organisieren müsste. Deshalb buchen die meisten Gäste hier an Bord auch alle Landausflüge, die ihnen vom Bordreisebüro angeboten werden. Diese sind dann auch wieder ein Rundum-sorglos-Paket, bei dem alles organisiert und abgedeckt ist. Die Kehrseite dieser Versorgung ist bei einigen Gästen ein rechtes Anspruchsdenken, denn sie erwarten, dass ihnen als zahlende Kunden alles immer und bestens zur Verfügung stehen muss. Wenn wir Künstler Ausflüge begleiten, erleben wir dieses Anspruchsdenken, wenn etwas nicht so abläuft wie geplant. Dann wird schnell geknurrt und kritisiert. Es wird von den Escorts auf den Ausflügen erwartet, für gute Stimmung zu sorgen und die Wünsche der Gäste auf die Goldwaage zu legen.

Zum Zeitmanagement auf einer solchen Reise gehört auch, dass die Gäste an Bord die Angebote der Bordseelsorge stärker nutzen, als das gewöhnlich auf dem Festland in einer deutschen Pfarrei der Fall wäre. Es sind hier weit über 10 % der Passagiere, die zu den Gottesdiensten kommen. In deutschen Pfarreien liegt der derzeitige durchschnittliche Sonntagsgottesdienstbesuch bei etwa 10 % der Katholiken im Land. Viele Reisende, die hier an Bord zu den Gottesdiensten kommen, sind bei jedem Gottesdienst da. Andere kommen nur dann und wann, wenn das Bord-Tagesprogramm eine interessante Ausschreibung oder außergewöhnliche Gestaltungselemente für einen Gottesdienst ankündigt.

Bei diesem Gottesdienstangebot achte ich immer auf eine gute Mischung aus solistischer Musik, meist am Anfang und am Ende der Feier durch einen der Bordpianisten, eine biblische Lesung, die ich auslege, bekannte Lieder, die alle gut mitsingen können, und nach Möglichkeit auf eine eingängige Geschichte, mit der man einen Inhalt illustrieren kann.

Interessant ist auch, dass es hier an Bord stärkere Rückmeldungen nach dem Gottesdienst gibt, vielleicht, weil die Leute nicht schnell nach Hause müssen, sondern noch Zeit haben, auf den Bordpfarrer zuzugehen und ihm ein Feedback zu geben. Für mich ist es schön und bereichernd, wenn Reisende selbst Gestaltungsvorschläge für die Gottesdienste einbringen oder sich an den Gottesdiensten aktiv beteiligen als Lektoren oder Musiker.

Mit manchen Gästen bin ich auch nach Reiseende in Kontakt geblieben. Wir schreiben uns gelegentlich E-Mails und ich erhalte manchen Gruß aus der weiten Welt, wenn sie wieder einmal unterwegs sind. Wie schön, dass die Bordseelsorge Menschen miteinander verbinden kann. Ich habe auch einige ökumenische Freunde gefunden, also evangelische Christen, die meine Gottesdienst- und Gesprächsangebote an Bord genutzt haben. Es gibt ja auf jeder Reise nur einen Geistlichen. In der Regel wechseln sich von Reise zu Reise evangelische und katholische Geistliche als Bordpfarrer ab. Die Angebote beider Konfessionen sollen und müssen so sein, dass sich alle gleichermaßen davon angesprochen fühlen. Von daher sind die Gottesdienste werktags, auch wenn sie ein katholischer Geistlicher hält, in der Regel Wortgottesdienste ohne Eucharistiefeier. Auch liturgisch fühle ich mich immer völlig frei, Stimmungen und Gefühle der Menschen an Bord, Gedanken, die sie mitbringen, oder Erfahrungen, die sie auf dem Schiff oder bei Landgängen machen, im Gottesdienst ins Wort und mit Gottes Wort in einen Dialog zu bringen. Es ist etwas Wunderbares, Brücken zu schlagen von dem, was Menschen gerade bewegt, zu der Zusage Gottes: »Seht, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt« (Mt 28,20). Auf diesem Weg erfahren die Menschen, dass der Glaube etwas mit ihrem Leben zu tun hat, dass Gott nicht ganz fern ist, sondern ein Du an meiner Seite, einer, der sich für mich interessiert, der will, dass mein Leben gelingt.

Oft, zu oft erfahren Menschen in unseren Breiten in Gottesdiensten viel zu wenig Resonanz für ihr eigenes Leben. Der geistliche Input bringt in ihnen nichts zum Schwingen, sondern verhallt stumpf, ungehört und wirkungslos. Gott will unser Inneres aber so berühren, dass es in Schwingung kommt und sich diese Schwingung wie bei einem Instrument ausbreitet, an Klang und Kraft gewinnt, anderes mit seiner Schwingung berührt und so Tiefenschichten des Menschen, seine Seele, erreicht.

Menschen fahren ja deshalb weg, weil sie etwas erleben wollen. Sie lassen das Einerlei ihres Alltags hinter sich, um etwas zu erfahren, um sich auffüllen zu lassen mit Erfahrungen, von denen sie lange zehren und den Alltag überstehen können. Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen bilden da keine Ausnahme. Sie sind unternehmungslustig, sie wollen neue Ufer gewinnen, Dinge sehen, die sie sonst nicht zu Gesicht bekommen, Fernen erreichen, die lange unerreichbar schienen. Diese Sehnsucht nach Erlebnis, nach Überstieg, nach Neuem, nach Tiefe will an Bord nicht nur das Reiseprogramm stillen: Die Reedereien leisten sich den Luxus, auch Geistliche mitzunehmen, die die Erfahrungen der Passagiere tiefer führen und die Menschen begleiten sollen, diesen Erfahrungen nachzuspüren. Darin habe ich an Bord immer meine große, schöne, herausfordernde, beglückende Aufgabe gesehen.

Oft ruft Jesus seine Jünger in den Evangelien auf: »Fahrt hinaus!« Er selbst zieht mit seinen Jüngern und seiner Gefolgschaft als Wanderprediger durch Israel und Palästina und lehrt und trainiert sie. Es ist für die Anhänger Jesu zu allen Zeiten gefährlich, sitzen zu bleiben, sich einzurichten, sesshaft und behäbig zu werden, den Aufbruch nicht mehr zu wagen, zu meinen, alles bereits zu kennen und zu wissen. Zum Glauben an Jesus gehört das...