#gemeckerfrei - Warum Erziehung nicht funktioniert und wie wir die Eltern sein können, die wir sein wollen

#gemeckerfrei - Warum Erziehung nicht funktioniert und wie wir die Eltern sein können, die wir sein wollen

von: Uli Bott, Bernd Bott

Verlag Herder GmbH, 2021

ISBN: 9783451824449 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 13,99 EUR

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#gemeckerfrei - Warum Erziehung nicht funktioniert und wie wir die Eltern sein können, die wir sein wollen


 

1. Wie wir die perfekten Eltern sein wollten und warum wir grandios gescheitert sind


Eltern werden ist nicht schwer


Als ich dreizehn Jahre alt war, fasste ich den Entschluss, dass ich die Welt für Kinder schöner machen wollte. Der Auslöser dafür war ein Artikel über Mutter Teresa und ihre Arbeit in Indien. Dieser Text hat etwas in mir zum Schwingen gebracht, etwas in mir berührt. Damals erlebte ich als Babysitterin und später in verschiedenen anderen Jobs, bei denen ich mit Kindern zu tun hatte, immer wieder, dass sie nicht gehört oder wahrgenommen wurden. Mir brach es das Herz zu sehen, wie diese kleinen Menschen reagierten, wenn sie kritisiert oder geschimpft wurden. Wie viel Schmerz durch dieses Verhalten entstand – sei es aus Unwissenheit oder weil man das eben so machte. Ich wollte, dass Kinder nicht wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden, nur weil sie kleiner sind.

Ich wünschte mir vielmehr, dass Kinder in dem Wissen und Gefühl aufwachsen dürfen, dass sie wundervoll sind, so wie sie sind. Dass sie nie vergessen, dass sie vom Leben selbst geliebt werden. Dass sie wissen, dass eine unzerstörbare Kraft in ihnen wohnt und dass sie hier in dieser Welt erwünscht sind.

Rückwirkend betrachtet, war das natürlich auch mein eigener Schmerz, der mich damals mit dreizehn angetrieben hat. Der Schmerz, als Kind nicht so gehört worden zu sein, wie ich es mir intuitiv gewünscht hätte. Gleichwohl weiß ich, dass auch meine Eltern, die ich von Herzen liebe, ihr Allerbestes gegeben haben.

Mein Wunsch, die Welt für Kinder schöner zu machen, führte zu diversen Tätigkeiten mit Kindern und deren Eltern während meines Studiums. Während dieser Zeit hörte ich immer wieder einen Satz, den alle kinderlosen Pädagogen kennen: Krieg erst mal selber Kinder! Und ja – ich konnte ihn nachvollziehen, auch wenn er mir nicht gefiel. Lustigerweise ist jedoch gerade dieser Satz zum Leitstern von Bernd und mir geworden, sodass wir heute nur über Themen sprechen, die wir selbst erlebt haben. Wir teilen in diesem Buch unsere Erfahrungen aus einundzwanzig Jahren Elternsein mit dir. Wie wir dieses Abenteuer erleben und es mit vier gemeinsamen Kindern meistern.

Dabei galt auch für Bernd und mich zunächst genau wie für alle Eltern: Wir werden Eltern und wir haben „no fucking idea”, wie die Nummer funktioniert. Wie gelingt es, dass unsere Kinder nicht nur körperlich wachsen? Wie werden sie selbstständig, wie funktioniert der Alltag, wie meistern sie selbst später ihr Leben? Was brauchen sie von uns? Und was sollten sie im besten Fall nie erleben? Wie schafft man das neben all den anderen „Baustellen” – Jobs, Finanzen, Beziehung, Gesundheit? Wie können wir dieses Leben erfüllt leben und dabei unsere Kinder bestmöglich unterstützen? Und all dies bitte so, dass jedes Kind sich in jeder Sekunde maximal geliebt fühlt – einfach weil es da ist.

Wir hatten keine Ahnung. Und wir hatten auch keine Ahnung, dass wir keine Ahnung hatten. Wir hielten uns an Konzepten fest, taten viele Ideen als veraltet ab, klammerten uns andererseits an jeden Strohhalm, der uns sinnvoll erschien.

Wir wussten zum Beispiel nicht, dass es wichtig sein könnte, sich mit dem Gefühl, „keine Ahnung zu haben” auszusöhnen. Stattdessen versuchten wir lange Zeit, den Stein der Weisen zu finden. Den einen ultimativen Weg, der funktioniert. Sowohl für unsere eigenen als auch für alle anderen Kinder. Denn das war ja immer unser erklärtes Ziel: Die eigenen Erfahrungen irgendwann multiplizieren zu können, um die Welt für alle Kinder liebevoller zu gestalten.

Aber der Reihe nach:

Aufgrund der Bedeutsamkeit eigener Erfahrungen haben wir ganz bewusst sehr früh im Leben – mit Anfang zwanzig – selbst Kinder bekommen. Und es war meine absolute Erfüllung. Ich gab mir selbst das Versprechen, dass dieses Kind und alle weiteren meiner Kinder sich in jeder Sekunde geliebt fühlen sollten, dass sie so heil und rein wie möglich bleiben können sollten. Durch meine leicht esoterisch angehauchte Kindheit war so etwas wie die „Vollkommenheit der Seele” ein hohes Gut. Als Eltern hatten wir den Auftrag, dafür zu sorgen, dass dieses Gefühl von bedingungsloser Liebe aufrechterhalten bleibt. Irgendwie erschien mir alles so zerbrechlich. In der Folge bedeutete das Hausgeburt, Langzeitstillen, dann Bio-Kost, kein Zucker, kein Fleisch, kein Plastikspielzeug, keine Chemikalien, Tragetuch statt Kinderwagen, Familienbett, solange das Kind will, sofort reagieren, wenn das Kind einen Pups von sich gibt, keine Fremdbetreuung in den ersten drei Lebensjahren … Wir wollten jedwedes Unheil von unserem Kind fernhalten, damit es ja keinen Schaden davonträgt.

Unser erstes Kind war das Zentrum unseres Lebens, und es fühlte sich gut und richtig an, sich ihm hinzugeben. Bald kam das zweite Kind. Als die ältere Schwester so etwa zwei Jahre war, bekam unser Konstrukt erste Risse. Denn wie geht man damit um, wenn Kind zwei sich in Kind eins „verbeißt”? Wieso bekommt dieses so sehr von uns geliebte Kind ständig Wutausbrüche? Wir geben unseren Kindern doch alles – ist das etwa immer noch nicht genug? Wir verwandelten das Wohnzimmer in Spielelandschaften, lasen den Kindern jeden Wunsch von den Lippen ab und trotzdem brannte die Hütte, weil die Lieblingshose nicht gewaschen war, die Zahnbürste auf gar keinen Fall in den Mund durfte oder die Naht der Socke drückte.

Ich stand dermaßen unter Strom. Denn alles, was ich als Mama tat, stand ständig auf dem Prüfstand: Mache ich es auch richtig? Bin ich wirklich eine perfekte Mutter? Die perfekteste überhaupt? Pausenlos kreisten diese Fragen in meinem Kopf, mit denen ich mich – und alle anderen Mamas in meinem Dunstkreis gleich mit – bewertete. Permanent. Lange Zeit habe ich diese Stimme in meinem Kopf gar nicht bemerkt. Oder ich habe mir nichts dabei gedacht, dass sie da war. Es war eben normal, solche fixen Ansichten und Vorstellungen zu haben. Es war normal, solche Erwartungen an mich selbst zu haben. Und an alle anderen. Denn es galt ja, die Welt für alle Kinder schöner zu machen. Ich sortierte kleinste Verhaltensweisen in „richtig” und „falsch” und ging davon aus, dass wir Eltern nur bereit sein müssten, den Kindern alle Bedürfnisse zu erfüllen, dann würden sie sich auch geliebt fühlen. Und sich auch so verhalten. Ich glaubte zum Beispiel, dass Kinder, die sehr wütend wurden, zu viele unerfüllte Bedürfnisse hatten und sich nicht ausreichend geliebt fühlten … Aber unerfüllte Bedürfnisse? Das konnte bei uns nicht sein. Es war unmöglich. Wir gaben doch alles. Wirklich ALLES.

Wir diskutierten mit Kind 1 und Kind 2 und überforderten sie regelmäßig mit unserem Redeschwall. Wir wendeten jede Methode der „Kindererziehung” an, die ich irgendwo auftreiben konnte. Wir hinterfragten uns als Paar. Wir arbeiteten an uns und nahmen externe Hilfe an. Wir stellten uns ständig die Frage, wie wir so liebevoll mit unseren Kindern sein können, wie ich in mir fühlte, dass es möglich sein müsse.

Dann kam Kind 3 dazu. Mein persönlicher Kollaps. Denn auf einmal waren da mehr Kinder als Erwachsene. Auch wenn wir uns gemeinsam um die Kids kümmerten. Vier Hände reichten nicht mehr aus – ein Kind musste immer warten. Meine Angst, dass sich eines unserer Kinder zurückgesetzt fühlen könnte, wurde größer und größer. Und wie das mit Ängsten so ist, dauerte es auch nicht lange, bis das erste Kind sich tatsächlich auch so fühlte und immer „schwieriger” wurde.

Irgendwann waren wir am Rande der Erschöpfung angekommen: jahrelang Nächte mit unterbrochenem Schlaf, finanzielle Sorgen und die latente Angst zu versagen forderten ihren Tribut.

Es kam, wie es kommen musste: Die Anspannung wuchs und wuchs, und wir wurden lauter und lauter. Spätestens wenn nach dem ersten und zweiten auch noch das dritte Kind einen Wutausbruch hatte – am besten, während Kind 4 gestillt wurde –, war es um meine Gelassenheit geschehen. Am schlimmsten war das schlechte Gewissen, oft schon während des Meckerns, ganz bestimmt aber danach. Wie oft habe ich abends im Bett gelegen mit der Sorge, was ich womöglich alles kaputt gemacht haben könnte. Dass es mir nicht gelungen war, die Mama zu sein, die ich so gerne sein wollte. Dabei wollte ich doch nichts anderes, als mein Ideal von Elternschaft leben. Und wenn ich es schon mit meinen eigenen Kids nicht hinbekomme, wie sollte ich dann jemals etwas an andere Eltern weitergeben können?

Wie so viele Eltern, die wir mittlerweile begleitet haben, hatte ich lange Zeit immer das halb leere Glas vor Augen. Statt mich zu freuen, was alles gut geklappt hat oder welche kleinen und großen Herausforderungen wir wieder einmal bewältigt hatten, lag mein Fokus auf unseren vermeintlichen Fehlern. Dabei gab es natürlich auch viele, viele superschöne Momente. Das Zusammenleben mit vier wundervollen kleinen Menschen ist großartig und so bereichernd. Was haben wir alles zusammen gespielt, gebaut, erlebt. Stundenlanges Zuschauen an jeder Baustelle, jeden Kuhstall kannten wir von innen, jeder Regenwurm bekam einen Namen, das ganze Haus ein absolutes Kinderparadies. Kinderlachen den ganzen Tag, eine offene Tür für die vielen Freunde unserer Kinder und unzählige wundervolle Erlebnisse. Ja tatsächlich, auch damals hat vieles schon ganz hervorragend funktioniert. Und ich bin mir sicher, das ist bei dir ganz genau so, wenn du einmal die Fehlersuche einstellst und eine...