Strukturbezogene Psychotherapie (SP) - Leitfaden zur psychodynamischen Therapie struktureller Störungen. Unter Mitarbeit von L. Hauten und J. Ehrenthal

Strukturbezogene Psychotherapie (SP) - Leitfaden zur psychodynamischen Therapie struktureller Störungen. Unter Mitarbeit von L. Hauten und J. Ehrenthal

von: Gerd Rudolf

Endeavour Media, 2020

ISBN: 9783608120653 , 270 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 51,99 EUR

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Strukturbezogene Psychotherapie (SP) - Leitfaden zur psychodynamischen Therapie struktureller Störungen. Unter Mitarbeit von L. Hauten und J. Ehrenthal


 

Geleitwort


Die in diesem Buch theoretisch begründete und ausführlich dargestellte strukturbezogene Psychotherapie erlaubt die psychodynamische Behandlung von seelisch kranken Patienten, die in der psychoanalytischen Literatur auch als Patienten mit »strukturellen«, »präödipalen« oder »frühen« Störungen beschrieben werden. Gerd Rudolf stellt nicht nur neue behandlungstechnische Möglichkeiten für diese Patienten vor – das Konzept der strukturbezogenen Psychotherapie geht weit darüber hinaus. Es handelt sich um eine psychodynamische theoretische Fundierung des gesamten Problembereichs der Ich-strukturellen Störungen, ihrer Diagnostik und der entsprechenden fokusorientierten strukturbezogenen Behandlung. Dieses Buch schafft somit alle Voraussetzungen, um eine Lücke in der psychoanalytischen Literatur zu schließen.

Gerd Rudolfs Therapieform gilt für eine Patientengruppe, die von der klassischen Technik der Psychoanalyse nur in eingeschränktem Maße profitieren kann. Es handelt sich um jene Patienten, die häufig wenig Einsicht in psychodynamische Zusammenhänge haben und oft als für die Psychoanalyse ungeeignet eingeschätzt werden. Wenn diese »schwierigen« Patienten in Behandlung genommen werden, besteht das Risiko der unregelmäßigen Teilnahme an den Therapiesitzungen und auch die Gefahr des Therapieabbruchs.

Erfahrene Therapeuten wissen, dass bei diesen Patienten nicht nur mit der Standardtechnik (hochfrequente Behandlung im Liegen, Arbeit mit Übertragung, Widerstand und Deutung) gearbeitet werden kann. Die Überprüfungen der Behandlungspraxis von schwerer gestörten Patienten zeigt, dass bei diesen Patienten ihrem Funktionsniveau entsprechende Techniken eingesetzt werden müssen, wenn Veränderungen erreicht werden sollen. In Wallersteins Studie über 42 psychoanalytische Langzeit-Behandlungen fanden sich in einem hohen Prozentsatz Ich-stützende und supportive Techniken bei solchen Patienten. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Therapeuten im Sinne der adaptiven Indikationsstellung in vielen Fällen »strukturbezogene« Techniken benutzen, um das Ich der Patienten zu stärken, um sie in die Lage zu versetzen, ihr Selbst und ihre Beziehungen zu regulieren.

Mit der Entwicklung einer psychoanalytischen Standardtechnik entbrannte auch die Frage, ob Patienten mit deutlichen Ich-Störungen, die entweder an einer Psychose, eine schweren Psychosomatose oder einer schweren Persönlichkeitsstörung leiden, mit dem klassischen Ansatz behandelt werden können. Die strengsten Verteidiger der »reinen« Psychoanalyse verwechselten die Standardtechnik mit der Idealtechnik. Eisslers Vorschlag zum Beispiel, in der Behandlung dieser Patientengruppen über eine bestimmte Zeitdauer Parameter wie etwa das Behandeln im Sitzen, zeitweise Einbeziehung von Angehörigen oder supportive Techniken zuzulassen, stellte einen Versuch dar, die Standardtechnik unter allen Umständen für diese Patienten aufrechtzuerhalten. Eissler wollte mit der Beschreibung dieser Parameter, die neben der Deutung als zentraler Behandlungsvariable Veränderungen beim Patienten ermöglichen sollten, im Grunde Abweichungen von der normativen »Modelltechnik« verhindern.

Da Patienten mit strukturellen Störungen ein erhebliches Problem in der Krankenversorgung darstellen, bestand und besteht der Druck, für diese Gruppe adäquate und effektive psychotherapeutische Verfahren zur Verfügung zu haben. In Deutschland dachte man offensichtlich, dass man diesem Bedarf in der psychotherapeutischen Versorgung mit der Differenzierung der analytischen Verfahren in den Psychotherapie-Richtlinien Rechnung tragen könne. Die analytische Psychotherapie verfolgt nach den Richtlinien in ihren Behandlungszielen Veränderungen in den Persönlichkeitsstrukturen. Gemeint ist damit das Bewusstmachen von inneren Konflikten, die bei den Patienten zu Wahrnehmungsverzerrungen und entsprechender neurotischer Abwehr führten. Über das therapeutische Durcharbeiten der Konflikte in der Übertragungssituation und die subjektiv wirksam werdenden neuen Erfahrungen entwickeln sich neue Repräsentanzen und damit neue Strukturen. Patienten, die bereits mit Strukturdefiziten in die Behandlung kommen, verfügen jedoch nicht über prägnante innere Konflikte. Sie haben auf ihrer inneren Bühne keine Strukturen zur Verfügung, die diese Konflikte bilden könnten.

Mit der »tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie«, die außerhalb Deutschlands als »psychodynamische Psychotherapie« bekannt ist, sollten Patienten behandelt werden, bei denen keine strukturellen Veränderungen angestrebt werden. Bei einer Begrenzung des Behandlungsziels wird mit diesem Verfahren auf dem Hintergrund der unbewussten Konfliktdynamik am aktuellen Konflikt des Patienten gearbeitet, regressive Prozesse sollen eher vermieden werden. Der Therapeut beachtet, aber deutet nicht die Übertragungs-Gegenübertragungs-Dynamik. Gerade bei der Anwendung dieser zeitlich limitierten tiefenpsychologischen Verfahren über 1–2 Jahre stellte sich in den letzten Jahrzehnten aber heraus, dass nicht nur Patienten mit akuten Erkrankungen und Krisen in die Behandlung kommen, sondern viele Patienten mit chronischen und schweren Störungen, die strukturstabilisierende und strukturfördernde Technik benötigen. Wie diese Stabilisierung des Ichs erfolgen sollte, blieb in den Psychotherapie-Richtlinien unbestimmt. Die Methoden werden im Allgemeinen als »supportive, Ich-stützende Techniken« umschrieben.

Auch neuere Forschungsergebnisse führten zu dem Ergebnis, dass die Therapieform in beiden analytisch begründeten Verfahren bei Patienten mit strukturellen Störungen modifiziert werden muss. Die von Gerd Rudolf geleitete Praxisstudie psychoanalytischer Langzeitpsychotherapie bestätigte den klinischen Eindruck: Je ausgeprägter die strukturellen Probleme bei Patienten sind, umso schwieriger wird es, mit Hilfe der psychoanalytischen oder tiefenpsychologischen Standardtechniken Erfolge zu erzielen.

Dem Ehepaar Heigl blieb es vorbehalten, sich über die in Frage stehenden therapeutischen Grundeinstellungen und die Prinzipien des Intervenierens bei dieser Patientengruppe erstmals weiterführende Gedanken zu machen. Mit ihrer interaktionell-psychoanalytischen Technik konnten sie zeigen, dass der Therapeut sich in der Beziehung mit dem Patienten als Person deutlicher einbringen kann, damit der Patient neue und korrektive emotionale Erfahrungen in dieser geschützten Beziehung machen kann. Die aus der Emotionspsychologie kommenden Erkenntnisse über die unbewusste Steuerung der interaktiven Prozesse zwischen zwei Menschen führten dazu, dass das Ehepaar aktivere, »antwortende« Techniken der Therapeuten forderte, um die Entwicklung der basalen Persönlichkeitsstrukturen wie z. B. der Empathie beim Patienten zu stimulieren.

Um eine spezifischere Therapie für Patienten mit strukturellen Defiziten zu entwickeln, war noch ein weiterer Schritt erforderlich. Benötigt wurde eine zugleich differenzierte und umfassende Konzeption der psychischen Struktur, die eine Diagnostik der Funktionen erlaubt, damit auf der Basis der diagnostizierten Defizite spezifische therapeutische Ansätze formuliert werden können. Nicht dass es an Theorien zur psychischen Struktur gefehlt hätte. Seit Freuds Theorien zum psychischen Apparat, Anna Freuds Konzeptualisierung der Abwehrmechanismen, den Ich- und den Objektbeziehungstheorien wird über Struktur und Strukturebenen reflektiert und geschrieben. Die aus den unterschiedlichen Theorien abzuleitenden diagnostischen Erkenntnisse blieben jedoch sehr heterogen und wegen ihrer abstrakten metapsychologischen Formulierungen empirisch nicht überprüfbar.

Mit dem Manual der »Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik« liegt ein Entwurf vor, in dem die psychische Struktur als ein Satz von Funktionen beschrieben wird, mit dem das Selbst die Beziehung mit sich als dem Subjekt und mit der Umgebung (den Objekten) regelt. Diagnostik wird möglich, weil sich die strukturellen Muster im interaktionellen Handeln – auch mit dem Therapeuten in der analytischen Situation – manifestieren und beobachten lassen.

Gerd Rudolf hat als Leiter der Arbeitsgruppe »Struktur« im Arbeitskreis OPD stetig und maßgebend dazu beigetragen, diejenigen Funktionen zu beschreiben und zu operationalisieren, die für die seelischen Strukturen als Veränderungsprozesse mit langsamer Geschwindigkeit zentral sind. Die Arbeitsgruppe operationalisierte die Fähigkeit des Patienten zur...