Rotzverdammi! - Roman aus dem Land, wo die Misthaufen qualmen ...

von: Reiner Hänsch

Fuego, 2012

ISBN: 9783862870523 , 350 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 6,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Rotzverdammi! - Roman aus dem Land, wo die Misthaufen qualmen ...


 

1

Onkel Willi

„Rotzverdammi!

Dat hat ja chrad nomma chut chechangen.

Wat biss du mir doch ’n dösigen Tuppes, du!

So ’n Heiopei wie du hat mir chrade noch chefehlt.

Dat chibb’s doch char nich’.

Ochottochottochott!“

Das haben Sie nicht verstanden?

Das kann eigentlich kein Mensch verstehen.

Ich aber kenne diese Sprache noch aus einem anderen Leben,

ganz weit weg und ganz, ganz lange her,

als ich selbst noch ein ganz anderer Mensch war.

Tja, so was hört man nur, wenn man sich ganz weit rauswagt. Wie weit bin ich eigentlich schon? Ich stehe mit meinem Wagen mitten auf einer kleinen Dorfstraße. Ganz idyllisch so weit. Rechts und links jeweils ein malerisches, bäuerliches Gehöft mit wuchtigen Sockeln aus grauem Felsgestein, darüber Fachwerk, schwarz-weiß, und dahinter kitschig schöne, hügelige Weiden, Wälder und Äcker. Und direkt vor mir, mitten auf der Straße, zappelt, zetert und flucht ein kleines, runzeliges, grünes Männchen, das dieses vollkommene Bild sehr eigenwillig belebt und dem dieses abenteuerliche Wörtergewusel soeben aus seinem knallroten, furchigen Gesicht gepoltert ist. Nach oben hin wird dieses Gesicht abgerundet durch eine rustikale, grüne, sagen wir mal, agrarwirtschaftliche Kappe mit Schirm. Sozusagen eine Agro-Kappe, denn der kleine, alte Mann ist wütend. Mit seinen dazu farblich fein abgestimmten grünen Gummistiefeln stampft er in seiner Wut mehrfach heftig auf den welligen Asphalt der geflickten Straße und ich sehe ihm an, dass er gleich platzt.

Er ist wütend auf mich.

Jetzt stiefelt er direkt auf mich und mein Auto zu, eine Art Dreizack bedrohlich in der Hand schwingend. Ein riesiger brauner Höllenhund begleitet ihn laut bellend. Ich schließe schnell das Wagenfenster, drücke die Türknöpfe herunter und der alte Mann funkelt mich jetzt durch das hoffentlich sichere Fensterglas sehr, sehr böse an. Weder er noch der Bluthund haben eigentlich einen Grund, so böse zu sein, denn ich habe schließlich meinen Wagen gerade noch rechtzeitig vor den blöden … was sind das da? … Hühnern mit quietschenden Reifen zum Stehen gebracht. So viel Aufregung kann weder ich noch mein Auto vertragen. Wir sind beide Oldtimer.

Ich verrate es Ihnen gerne, ich bin neunundvierzig. Sie erfahren es ja doch. Dieses Jahr ist es aber dann so weit und der unangenehme Fünfzigste droht. Allerdings noch von Weitem, denn jetzt ist erst März und ich habe im Dezember Geburtstag. Kleine Galgenfrist also noch.

Und ich sehe auch, wie ich selbst meine – und deshalb müssen Sie mir auch nicht glauben –, noch ganz ordentlich aus. Immer ein wenig im Kampf mit ein paar überflüssigerweise an der Hüfte angesiedelten Pfunden. Na, und die Haare – immer noch recht lang, aber schon ganz schön grau – weichen unaufhaltsam und unbeirrbar zurück. Der Hinterkopf hat sogar schon eine unverschämte, kreisrunde, kahle Stelle und über der Stirn hat auch nur ein trauriges Büschel überlebt mit ein paar dünnen Haaren, die sich ängstlich aneinander klammern. Aber sonst bin ich ganz zufrieden. Für einen Fast-Fuffziger geht’s noch. So, dann wissen Sie das.

Der grüne Kerl scheint sich jetzt angemessene Beachtung meinerseits zu wünschen. Und der Hund, wirklich ein Gigantoköter, wohl so eine Art Dogge, muss sich sogar etwas bücken, um blöd zu mir ins Auto glotzen zu können. Dabei hechelt er an die Scheibe und sabbert unappetitlich auf die Gummidichtung. Nein, nein. Ich werde auf keinen Fall diese Scheibe wieder öffnen, grüner Mann, brauner Hund. Ich sehe euch gar nicht. Ich werde einfach nur abwarten, bis diese … Hühner endlich ihre gackernde Prozession beendet haben und dann werde ich Vollgas geben. Und weg bin ich. Ha!

Aber das Männlein mit seinem Hund ist natürlich nur sehr schwer zu ignorieren. Das können Sie sich denken. Sie rücken beide jetzt noch näher an die Scheibe heran, so dass sie schon ein wenig beschlägt, besonders durch das hechelnde Ungetüm, und es nützt überhaupt nichts, dass ich stur nach vorne zu diesen Hühnern blicke und sehnsüchtig auf den Ausgang ihrer chaotischen Pilgerreise warte. Das rote Gesicht mit der grünen Kappe und der sabbernde Höllenhund verschwinden einfach nicht. Dann klopft der wütende Mann auch noch mit seinem Dreizack mehrmals an die Scheibe. Gleich wird er mir auch noch den Lack zerkratzen!

Und das geht nun wirklich nicht. Jetzt reicht’s mir aber! Jetzt gibt’s Krieg. Das ist ein wertvoller Oldtimer, grüner Mann! 356er Porsche, Baujahr ’62. Eine Kostbarkeit! Ein Vermögen wert. Nimm bloß die Zinken weg!

Ich kurble also, jetzt natürlich ebenfalls sehr wütend und daher alle nötigen Vorsichtsregeln außer Acht lassend, die Scheibe wieder herunter und tatsächlich stellt der Grüne mangels Möglichkeiten sogleich das unverschämte Klopfen ein. Der Hund hat sich dabei ein wenig erschreckt und zuckt fast ängstlich zurück. Wie niedlich.

Umgehend versucht der grüne Mann jetzt natürlich wieder, seine sprachlichen Möglichkeiten ins Spiel zu bringen, um auf diese Weise eine Art Kontakt zu mir herzustellen. Vielleicht ist diese „Sprache“ ja auch ein noch ganz neuartiges Kommunikationsmodell in der ersten Testphase, denken Sie vielleicht. Und ich bin rein zufällig in diesen Test hineingeraten.

„Da hätt’ste mir bald die Hühna plattchefahren, du dusseligen Stadtfuzzi.“

Der Hund bellt jetzt wieder in sicherem Abstand.

„Halt die Skhnauze, Sskhutzmann!“, knurrt ihn der Alte an und der braune Hund stellt augenblicklich sein Gebell ein, legt sich schwer beleidigt mitten auf die Straße, mit dem Kopf zwischen seinen riesigen Vorderpranken, und schielt hinter schweren Augenlidern zum Agro-Mann hoch. Vielleicht hat der Grüne heute einen besonders schlechten Tag. Ich weiß es nicht. Der Hund weiß das sicher besser.

Der Grüne drängt jetzt seinen schwartigen, kleinen Schädel ins Innere meines Autos und lehnt sich breit in die Fensteröffnung. Das runzelige Männchen hat so was Dunkles, Braunes, noch nicht ganz Festes am grünen Jackenarm, das mich und meinen schönen Wagen ernsthaft bedroht. Ich weiche reflexartig zurück, weil die Masse auch nicht ganz geruchsfrei scheint, um es vorsichtig auszudrücken. Ach, warum eigentlich so vorsichtig? Ich bin mir ziemlich sicher, dass es stinkende Landtierscheiße ist. Kuh. Schwein. Huhn. Hund. Außerdem verbreitet sie sich unaufhaltsam über die gesamte Fensteröffnung.

Langsam, vorsichtig und unter Abwägung aller Möglichkeiten zur friedlichen Deeskalierung des Konflikts drehe ich meinen Kopf jetzt mutig und entschlossen so in etwa in die Richtung des faltigen Gesichts und versuche, mich auf seine Kommunikationsebene einzustellen.

„Wat willze, Oppa?“

„De Hühna!“, durchzuckt es ihn da noch mal und er zeigt mit dem Dreizack aufgeregt in Richtung Straße, wo die gefiederte Prozession jetzt in totaler Auflösung zu sein scheint, ohne allerdings die Straße endlich frei zu geben.

Das braune Ungetüm bellt wieder und will aufstehen.

„Halt de Sskhnauze, Sskhutzmann! Platz!“

Wie heißt der Hund? Schutzmann?

Meine Güte! Und die ganze Aufregung wegen ein paar Hühnern! Phh. Wusste gar nicht, dass es so was überhaupt noch gibt. Solche Tiere hab ich doch bestimmt schon seit zwanzig Jahren nicht mehr in echt gesehen.

Hühner. Eier. Huhn süß-sauer mit Reis, Nummer 37. Na klar, der ganze große Zusammenhang ist auch mir plötzlich wieder präsent. Ich hatte es wohl bloß vergessen. Aber da laufen sie einfach so auf der Straße rum. Wilde Hühner! Ja, wo bin ich denn hier?

„Du biss donnich’ au’m Nürburchring, du Heiopei.“ Die kleine Pause hat dem Mann neue Kraft gegeben. „Du kanns' doch hier nich mit deine alte Karre mit Bleifuß durchbrettern und mir de Hennen umsensen. Bisse eingeknackt oder bisse einfach nur bekloppt?“

Mit „alte Karre“ meint er meinen wunderbaren, silbergrau lackierten und frisch polierten, historischen Porsche, dessen Schönheit momentan leider durch etwas Hühnerkacke am Fenster leidet. Ich hole tief Luft und versuche, mich zu sammeln, verliere dabei aber die dunkle, braune Gefahr an seinem Ärmel niemals aus den Augen. Aber ich komme nicht zu Wort.

„Solche Blindchänger wie dich habbich ja chefressen, woll ... und dann kommsse au noch aus’m feinen Düsseldorf wech, Gunge? Dat die alte Kiste sonne Tour überhaup’ noch mitmacht!“, knurrt er jetzt noch ärgerlicher und er wird immer lauter, weil er vielleicht meint, ich verstehe ihn nicht, weil ich ja auch noch nicht viel gesagt habe. Vielleicht denkt er aber auch, dass man in Düsseldorf eine ganz andere Sprache spricht. Und so ganz unrecht hat er damit ja nicht. Ja, ich komme aus Düsseldorf. Steht ja auf dem Nummernschild.

Schutzmann bellt wieder tief und donnernd, dass einem angst und bange werden kann.

Also gut, dann vielleicht etwas höflicher. Ich versuche es.

„Jetzt halten Sie aber mal die Luft an, Herr Landwirt! Ich muss jetzt weiter!“

„Getz werd ma nich frech hier, du Güngelsken! Sach mir ersma, woosse hinwillz mit deine rasende Blechkiste, Düsseldorfer!“, sagt er jetzt ganz listig.

Da will der mich einfach hier festhalten!

„Na?“ Jetzt wird der kleine Zappelphilipp langsam ungeduldig. „Wat is? Kommt wat?“

Ich räuspere mich kurz, überwinde mich noch ein wenig und entschließe mich zu einer Antwort. Ein Wort soll alles klären.

„Schwattmecke“, sage ich also zu ihm.

Und das ist wahrscheinlich das Letzte, was er von mir erwartet hat. Er reißt...