Lernen im Religionsunterricht - Was der RU leisten kann und wie er seine Ziele erreicht

Lernen im Religionsunterricht - Was der RU leisten kann und wie er seine Ziele erreicht

von: Friedrich Schweitzer

utb, 2024

ISBN: 9783846360880 , 314 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 24,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Lernen im Religionsunterricht - Was der RU leisten kann und wie er seine Ziele erreicht


 

2Problemwahrnehmungen und aktuelle Herausforderungen

2.1Reli – nur eine Erholungsstunde?

Fragt man die Schüler:innen, wie sie den Religionsunterricht wahrnehmen, so scheint vielfach die Einschätzung vorzuherrschen, dass dieses Fach für sie vor allem eine Art Erholungsstunde darstellt. Zu diesem Ergebnis führt jedenfalls eine zusammenfassende Auswertung von Befragungen von Schüler:innen in verschiedenen Bundesländern aus den letzten zwanzig Jahren (Schwarz, 2019). Für die Kinder und Jugendlichen scheint dies nicht unbedingt ein Problem zu sein – schließlich erleben sie die Schule vielfach als „stressig“, was nicht zuletzt mit Leistungsanforderungen und Schulnoten zusammenhängen dürfte. Wenn es in manchen Fächern anders zugeht – vielleicht in Kunst und Sport oder eben Religion –, dann ist ihnen dies durchaus willkommen. Für die Religionslehrkräfte hingegen kann diese Wahrnehmung recht enttäuschend sein. Bietet ihr Unterricht wirklich nicht mehr als willkommene Erholung?

Auch in Öffentlichkeit und Politik kann die Wahrnehmung von „Reli als Erholungsstunde“ das Fach nicht stärken. In den knappen Zeitrastern der Schule sind Erholungsstunden nicht vorgesehen – dafür gebe es schließlich die Pausen! Vor allem erscheint es nicht verantwortbar, dafür erhebliche finanzielle Ressourcen in Gestalt kostspieliger Deputate für Lehrkräfte einzusetzen.

Gewiss: Weder bei den Schüler:innen noch in Politik und Öffentlichkeit ist dies die einzige Wahrnehmung. Die weiterreichende Bedeutung des Religionsunterrichts für die Klärung existenzieller Fragen, für die Persönlichkeitsentwicklung sowie die Wertebildung ist vielfach ebenfalls bewusst und anerkannt. Dennoch sollte der offenbar weithin vorherrschende Eindruck von „Reli als Erholungsstunde“ zu denken geben. Wird die Frage, was in diesem Fach denn eigentlich zu lernen sei (und auch tatsächlich gelernt wird!), in der religionspädagogischen Theorie und Praxis genügend ernst genommen? Oder werden Antworten darauf vielleicht noch immer als eher selbstverständlich vorausgesetzt und nicht wirklich geklärt?

Der Klärungsbedarf erwächst ebenso aus der Praxis. Wenn sich auch den Religionslehrkräften selbst, zumindest immer wieder einmal, die Frage stellt, was die Kinder oder Jugendlichen wohl aus ihrem Unterricht mitnehmen konnten, sind sie auf solche Antworten angewiesen. Anlass dafür kann eine besonders gut gelungene Unterrichtsstunde sein, nach der sich das beglückende Gefühl einstellt, dass heute zumindest einigen Schüler:innen wirklich etwas aufgegangen oder ein schwerer Groschen gefallen ist. Manchmal gibt es im Unterricht Momente, in denen Lernen spürbar oder sichtbar wird. In anderen Fällen aber scheint sich der Unterricht eher dahinzuschleppen und es bleibt schwer zu sagen, was jemand daraus vielleicht mitnehmen konnte oder nicht.

Aber ist die Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht diesem Fach überhaupt angemessen und richtig gestellt? Ist Lernen im Religionsunterricht wirklich so wichtig?

2.2Kein Lernfach, aber geforderte Rechenschaft

Vielfach wird das Lernen in der religionspädagogischen Literatur eher nebenbei behandelt. Auf jeden Fall scheint es nicht die erste Frage zu sein, die sich hier stellt. Zwar gibt es durchaus Veröffentlichungen, die sich auf „religiöses Lernen“ beziehen (vgl. bes. Kießling, 2003; Porzelt, 2009), aber dabei geht es eher um Grundsatzfragen wie die, was im Blick auf Religion überhaupt gelernt werden kann. Damit steht vor allem die Lehrbarkeit von Religion zur Debatte und weniger das Lernen im Religionsunterricht, auch wenn sich beides überschneidet. Solche Grundsatzfragen sind für den Religionsunterricht bedeutsam, aber eine Auskunft zum alltäglichen Religionsunterricht ergibt sich daraus noch nicht. Vielmehr brechen sogleich Rückfragen auf: Geht es in Schule und Religionsunterricht tatsächlich um „religiöses Lernen“? Ist es nicht angemessener, hier zurückhaltender von einem Lernen in Bezug auf Religion oder im Horizont von Religion zu sprechen? Wäre der Alltag von Unterricht nicht mit allen weiterreichenden Erwartungen religiöser Art bloß hoffnungslos überfordert?

Auch eine grundsätzliche Abwehr der Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht („kein Lernfach!“) führt aber nicht weiter. Denn ein Schulfach, in dem es nichts zu lernen gibt, kann es kaum geben. Das würde dem Sinn der Schule als einer staatlichen Pflichtveranstaltung zutiefst widersprechen und würde vor allem auch nicht der Tatsache gerecht, dass die Schüler:innen im Rahmen der Schulpflicht an diesem Unterricht teilnehmen müssen. Daran ändert die Wahlmöglichkeit zwischen Religion und Ethik kaum etwas. Denn auch dann geht es um einen Pflichtunterricht, und diese Pflicht lässt sich kaum anders rechtfertigen als damit, dass in der Schule etwas Wichtiges gelernt wird. Das gilt für alle Fächer gleichermaßen, wenn auch nicht in gleicher Weise. Lernen ist nicht immer gleich Lernen, sondern hängt von Fächern und Gegenständen ab. Aber auch im Kollegium oder bei der Schulleitung ließe sich kaum auf Zustimmung zu einem Fach hoffen, in dem es – ausdrücklich – nichts zu lernen gibt.

Dennoch bleibt es für die Identität des Religionsunterrichts wichtig, dass er tatsächlich kein „Lernfach“ sein soll. Mit diesem Anspruch verbindet sich aber nicht einfach die Auffassung, dass es hier tatsächlich „nichts“ zu lernen gebe. Vielmehr soll im Religionsunterricht durchaus etwas erreicht werden, sowohl in der Sicht der Religionslehrkräfte als auch der wissenschaftlichen Religionspädagogik (vgl. zur Sicht der Lehrkräfte Lehner-Hartman, 2014). Wie bei allen Fächern geht es auch hier um Kenntnisse und Fähigkeiten beispielsweise des Verstehens und Urteilens, die deshalb in diesem Buch genauer beschrieben werden.

Auch im Religionsunterricht soll also etwas gelernt werden, aber eben in einem anderen Sinne als beispielsweise im Bereich der Naturwissenschaften oder der Fremdsprachen –, ohne dass diesen Fächern unterstellt werden könnte, dass sie „bloße Lernfächer“ wären. Wenn dies zutrifft, braucht der Religionsunterricht allerdings auch ein ausweisbares Lernverständnis, das seinen Zielen gerecht wird und das dennoch im Horizont des mit der Schule verbundenen Verständnisses von Lernen plausibilisiert werden kann.

Wenn es dabei auch im Religionsunterricht nicht einfach um „religiöses Lernen“ gehen kann, so müssen andere Bestimmungen für das religionsunterrichtliche Lernverständnis gefunden werden. Am nächsten liegt dafür der Bezug auf religiöse Bildung und damit auf eine bestimmte Sachthematik, also auf das Thema Religion im weitesten Sinne. In der Begrifflichkeit der heutigen Bildungsdiskussion stellt Religion eine eigene Inhaltsdomäne dar und müssen Bestimmungen zum Lernen im Religionsunterricht aus der Eigenart dieser Domäne erwachsen – im Sinne einer Inhalts- oder Domänenspezifität des Lernens. Es muss beschrieben werden, was es bei dieser Domäne zu lernen gibt, welche inhaltlichen Anforderungen sich bei der Erschließung dieser Domäne ergeben und welche Kenntnisse und Fähigkeiten dafür erforderlich sind. Der Begriff der religiösen Bildung macht zugleich bewusst, dass diese Erschließung reflektiert und kritisch sein muss (vgl. Schweitzer, 2014b). Lernen im Religionsunterricht ist daher so zu bestimmen, dass dieses Lernen auf den Erwerb oder die Ausbildung der für eine reflexive und kritische Erschließung von Religion erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zielt. Dabei handelt es sich allerdings noch um eine lediglich formale Bestimmung, die erst dadurch weiter an Aussagekraft gewinnen kann, dass diese Kenntnisse und Fähigkeiten inhaltlich ausgewiesen und im Einzelnen beschrieben werden.

Für den Religionsunterricht wird darüber hinaus häufig darauf hingewiesen, dass dieser Unterricht nicht einfach von einer bestimmten Thematik oder von Inhalten lebt, sondern immer auch von einer besonderen Beziehungsqualität, die in diesem Unterricht erfahren werden kann (vgl. Boschki, 2003). Mit dem Hinweis auf diese Qualität kann dabei Unterschiedliches gemeint sein. An erster Stelle wird zumeist an die Beziehung zwischen den Religionslehrkräften und den Schüler:innen sowie an die Beziehungen zwischen den Schüler:innen in der Lerngruppe gedacht. Erwartet wird dann von der Religionslehrkraft, dass sie in besonderem Maße Zuwendung und Offenheit zeigt sowie ein persönliches Interesse an den Schüler:innen, das spürbar über die formale und institutionell vorgegebene Lehrer:innen- und Schüler:innenrolle hinausreicht. Mitunter schwingen dabei sogar seelsorgerliche Aspekte mit, vor allem aber die Wahrnehmung, dass es bei Religion immer auch um eine sehr persönliche Thematik geht und dass diese im Unterricht zumindest ein Stück weit – soweit es die Schule zulässt – erfahrbar sein sollte.

Damit ist zugleich ein zweiter Aspekt von Beziehungsqualität...