Architectural Innovation Design - Die visuelle Design-Methode, um Ihr Innovationssystem zu gestalten?

Architectural Innovation Design - Die visuelle Design-Methode, um Ihr Innovationssystem zu gestalten?

von: Christos Chantzaras

Schäffer-Poeschel Verlag, 2024

ISBN: 9783791061375 , 188 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 39,99 EUR

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Architectural Innovation Design - Die visuelle Design-Methode, um Ihr Innovationssystem zu gestalten?


 

2.2 (Mehrebenen-)Komplexität


Unternehmen sind eingebettet in eine komplexe Umwelt. Sie haben zunehmend mit komplexen, offenen oder verzwickten Problemen (»wicked problems«, Rittel/Webber 1973, S. 160) zu tun, die sie zu lösen versuchen oder zu deren Lösung sie beauftragt werden. Und sie müssen einen komplexen Prozess von der Idee bis zur Umsetzung bewältigen, insbesondere wenn sich eine radikale, disruptive oder revolutionäre Innovation entwickelt oder entwickeln soll. Durch den bewussten Umgang mit dieser Komplexität entwickeln Organisationen bereits neue Handlungsmöglichkeiten.

Die Gefahr bei komplexen Konstellationen besteht oft in dem Versuch, die Komplexität zu ­reduzieren. Dann werden ggf. vereinfachte Schlüsse gezogen, die zu einer Nicht-Innovation führen können. Innovative Unternehmen begegnen Komplexität deshalb aktiv, sie begrüßen und ­umarmen sie. Komplexität ist ein Impuls zur Handlung und eine Chance, eine gegebene Situation zu verbessern.

Unternehmen begegnen dieser Komplexität auf einer Umwelt-, Problem- und Prozessebene.

2.2.1  Komplexität der Umwelt


Komplexität beschreibt eine Situation oder einen Zustand, in dem eine Vielzahl von miteinander verbundenen Teilen auf nicht-lineare und emergente Weise interagieren (Axelrod/Cohen 2000, S. 15 f.; Holland 2014, S. 3 ff.).

Im Fokus

Komplexität beinhaltet

  • eine Vielzahl von Elementen,

  • Konnektivität in interdependenten Beziehungen,

  • eine Dynamik im Verhalten dieser Elemente und Handlungen, die nicht vorhergesagt werden kann (Schoeneberg 2014, S. 14).

Unsicherheit wird als ein Element der Komplexität gesehen und beschreibt einen Zustand der wahrgenommenen oder anerkannten Unvollständigkeit von Informationen, der Vorhersagen über Handlungen und deren Folgen erschwert (ebd.). Mit Komplexität umzugehen bedeutet, mit Unsicherheit, Unvorhersehbarkeit, Nicht-Linearität, Selbstorganisation und Emergenz umzugehen. In diesem Kapitel beschränken wir uns allerdings auf Komplexität in Bezug auf sich ständig verändernde Themen, Kontexte, Entwicklungen und Interaktionen zwischen Menschen, die die Dynamik und Leistung von Unternehmensinitiativen beeinflussen und nicht ­mathematisch erfasst werden können (Schoeneberg 2014, S. 16 ff.).

Der Beitrag der Komplexitätswissenschaft

Zwar hilft die Komplexitätswissenschaft im Umgang mit dynamischen Umgebungen und Umweltkomplexitäten durch analytische Werkzeuge, numerische Simulationen, Prognose- und strategische Planungstechniken (Senge 2006, S. 71). Ihre Anwendbarkeit auf Innovationsprozesse ist jedoch eingeschränkt. Wird z. B. Komplexität von Produkten und Dienstleistungen in den Vordergrund gestellt, rückt das Erkennen von Zusammenhängen auf einer darüberliegenden Ebene in den Hintergrund. Aus Sicht des Wirtschaftswissenschaftlers Peter Senge wird dann Komplexität mit Komplexität begegnet (Senge 2006, S. 72). Der Organisationswissenschaftler Ralph Stacey findet in der Komplexitätswissenschaft ein Kontrollparadigma wieder (»paradigm of control«, Mowles 2018, S. 1249). Seiner Ansicht nach erweckt die Komplexitätswissenschaft den Eindruck, komplexe Prozesse für Organisationen und deren Führungsebene handhabbar zu machen und modellieren zu können. Allerdings werden menschliches Handeln, Kommunikation und Diskurs als elementare Quellen für Innovation nicht angemessen berücksichtigt. Der Wirtschaftswissenschaftler Kevin J. Dooley bemerkt hierzu:

»Without discourse, organizational systems would not exist, or at least they would not be very interesting. Discourse in the form of both conversation and text is the lifeblood of social systems […]. It is through discourse that organizational members coordinate their intentions, goals, and actions; but it is also through discourse that organizational members construct reality, define what is important and what is not, create ­alternatives, and create order amidst confusion, ambiguity, uncertainty, and ­equivocality […].«

Dooley (2004, S. 370)

Auf der Umweltebene finden sich Themen der Globalisierung und De-Globalisierung wieder, der Digitalisierung, der Zunahme, Verfügbarkeit und Nutzung von Daten, des technologischen Fortschritts und Einsatzes neuer Technologie, neuer Arbeitsweisen und sich ändernder oder neuer Bedürfnisse. Organisationen und Unternehmen versuchen, solche Entwicklungen zu lokalisieren und zu interpretieren (Mascia et al. 2015, S. 102), um reagieren oder aktiv handeln zu können.

Umweltkomplexität wiederum kann in gesellschaftliche, marktliche und technologische Komplexität unterscheiden werden (ebd.; Hauschildt et al. 2016, S. 45; Hidalgo/Albors 2008, S. 116 f.):

  • Gesellschaftliche Komplexität betrifft Werte, Vorschriften, politische Rahmenbedingungen sowie rechtliche und ökologische Aspekte, die von Organisationen Reaktionen und Anpassungen verlangen oder Handlungsmöglichkeiten bieten.

  • Marktkomplexität ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Komplexität der Kundenanforderungen und -bedürfnisse, durch eine wachsende Komplexität des Wettbewerbs durch bestehende und neue Unternehmen aus anderen Branchen sowie durch eine Komplexität alternativer Beschaffungs-, Verarbeitungs- und Produktionsmethoden (u. a. Schoeneberg 2014, S. 17).

  • Die technologische Komplexität erhöht sich durch den technologischen Wandel, durch neue Technologien, die die bereits vorhandenen ersetzen, durch die Konvergenz verschiedener Technologien, durch die Verfügbarkeit von Technologien und durch die »Raffinesse« (Hauschildt et al. 2016, S. 60) der Menschen in einer Organisation, neue Technologien zu erlernen und in Prozesse und Angebote zu integrieren (Schoeneberg 2014, S. 17).

Organisationen sind also mit Veränderungen in der Gesellschaft, den Märkten und den Technologien konfrontiert, beobachten, bewerten und erforschen diese. Hierfür ist ein Bewusstsein für diese Komplexität nötig, eine kontinuierliche Reflexion, Interpretation des Umfeldes und Entscheidung für eine Entwicklungsrichtung. Und dies meist mit der Erfordernis der Schnelligkeit und bei beschränkter Verfügbarkeit von Ressourcen.

Innerhalb ihres komplexen Umfelds müssen Organisationen richtungsweisende Entscheidungen für ihre Zukunft treffen, was zu einem weiteren Aspekt von Komplexität führt: der Ebene des zu lösenden Problems.

2.2.2 Komplexität der Herausforderungen: wicked problems


Innovationsprobleme können klar definiert sein, bearbeitet werden und dennoch nicht zu einem Erfolg für die Organisation führen. Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind: Ist das eigentliche Problem gelöst worden? Wurde zu Beginn des Innovationsprozesses nach tieferliegenden Herausforderungen gesucht? Handelt es sich um eine leisen Ahnung – einem slow hunch –, die zu einer revolutionären, radikalen oder disruptiven Neuerung führen kann, aber noch nicht vollständig erfasst ist?

Innovationsprobleme sind manchmal nicht eindeutig beschrieben. Sie sind in ihrem Beginn vage, unscharf oder fuzzy, gerade wenn verschiedene Einflüsse beleuchtet oder noch verdeckt liegende Herausforderungen adressiert werden wollen. Sie werden zum Teil komplexer, wenn der Grad an Information und Wissen, aber auch die Zahl der beteiligten Akteure (z. B. Mitarbeitende, Partner, Lieferanten, Kundinnen) wächst. Diskrepanzen, Widersprüche und Zielkonflikte werden sichtbar – zwischen den Personen, die am Prozess mitarbeiten, und zwischen der Idee und den Anforderungen, die für die Umsetzung erfüllt werden müssen.

Innovationsherausforderungen verändern sich auch im Laufe des Prozesses oder werden u. U. ersetzt. Sie können mehrdeutig sein und durch die Interpretationen von Einzelpersonen, einem Team oder einer Organisation eine neue Bedeutung und Entwicklungsrichtung erhalten. Wie ich ein Problem verstehe, es beschreibe, die damit verbundenen Bedürfnisse und Anforderungen formuliere, bestimmt die Qualität meiner Lösung – und auch den Erfolg. Herausforderungen von Innovationen gleichen in dieser Hinsicht Herausforderungen beim Entwurf und der Planung von komplexen Gebäuden, die einer Vielzahl von Stakeholder gerecht werden sollen. Sie können nicht nur unzureichend umschrieben und strukturiert sein, sie sind möglicherweise verzwickt bzw. wicked und zeichnen sich durch besondere Charakteristika aus.

Ein Problem überhaupt als wicked zu erkennen, hilft, ein gemeinsames Verständnis aller ­Akteure für die bestehenden Herausforderungen zu entwickeln. Und es hilft, geeignete Ansätze zu deren Lösung zu wählen, anzuwenden und zu unterstützen. Etablierte schrittweise Ansätze, stufenweise Problemlösungsprozesse und standardisierte Instrumente eignen sich dafür allerdings nur begrenzt.

Der Designwissenschaftler Horst Rittel und der Städteplaner Melvin Webber formulierten in den 1970er-Jahren die Charakteristika für Planungsaufgaben im Bereich der Stadt- und Gebäudeentwicklung. Inzwischen haben diese Merkmale aber auch für Managementaufgaben und Herausforderungen im Zusammenhang mit Organisationen an Bedeutung gewonnen.

Design-Hack für die Praxis

Was sollten Sie über »wicked problems« wissen und was bedeutet das für Ihr ­Handeln?

  • Verzwickte Probleme haben keine eindeutige Formulierung. Ihre Formulierung hängt von den...