Julia Platin Band 10

Julia Platin Band 10

von: Rebecca Winters, Chantelle Shaw, Diana Hamilton

CORA Verlag, 2020

ISBN: 9783733715298 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 5,99 EUR

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Julia Platin Band 10


 

1. KAPITEL

Finster betrachtete Sebastian Garcia die Fassade des über vierhundert Jahre alten Herrenhauses Troone Manor, und seine grauen Augen blitzten zugleich wütend und entschlossen. Eher würde er sich das Herz aus der Brust reißen, als dass er Irina Dysart das ausgedehnte Anwesen in die Hände fallen ließ, schwor er sich leidenschaftlich.

Zum ersten Mal sah er ohne Freude dem Besuch in dem schönen alten Haus entgegen, das ihm von seiner Kindheit an wie ein zweites Zuhause war.

Kalter Märzwind zauste ihm das schwarze Haar und erinnerte ihn daran, dass hier in England der Frühling noch nicht so weit gediehen war wie in Südspanien, wo er und seine Mutter lebten.

Sebastian nahm den Koffer vom Rücksitz seiner silbergrauen Limousine, dann ging er über die kreisförmige Auffahrt zur Eingangstür, wo die Haushälterin Madge Partridge ihn bereits lächelnd erwartete.

„Alles unter Kontrolle?“, erkundigte Sebastian sich kurz angebunden.

Madge verging das Lächeln, und sie wich bestürzt einen Schritt zurück.

Sebastian tadelte sich, weil er die Beherrschung verloren hatte, und rang sich ein Lächeln ab. Madge war keine seiner Angestellten – die er mit dem Hochziehen einer Braue zum Parieren veranlassen konnte –, sondern seine Freundin seit Kindertagen. Außerdem führte sie nur gewissenhaft aus, was sein Onkel Marcus Troone ihr aufgetragen hatte: das Haus für dessen zukünftige Frau herzurichten.

Marcus hatte ihn gebeten, in Troone Manor nach dem Rechten zu sehen, und er hatte widerstrebend zugestimmt. Wie sollte er seinem Onkel rechtzeitig klarmachen, wie Irina wirklich war? Dieses Problem machte ihn gereizt, aber er durfte seine schlechte Laune nicht an Madge auslassen.

„Tut mir leid, Madge, dass ich so schroff war“, entschuldigte Sebastian sich und zuckte die breiten Schultern. „Ich war die ganze Nacht mit dem Auto unterwegs und bin wahrscheinlich deshalb nicht in besonders guter Stimmung. Sei mir bitte nicht böse!“

„Natürlich bin ich das nicht.“ Madge legte ihm kurz die raue Hand auf die Wange und tadelte ihn liebevoll: „Und nimm ja kein Flugzeug nach London, und lass dich auch nicht von einem der Firmenchauffeure hierher bringen. Tu es bloß nicht, Sebastian.“

Amüsiert und zugleich liebevoll sah sie ihn an, als er an ihr vorbei in die große Halle mit den schweren Deckenbalken ging, wo im Kamin ein Feuer flackerte.

„Ich erinnere mich, wie du mit sechs Jahren zum ersten Mal ohne deine Eltern hier warst … Lieber Himmel, ist das tatsächlich schon dreiundzwanzig Jahre her? Jedenfalls bist du damals an einem Morgen aus dem Fenster und übers Spalier nach unten geklettert, statt die Treppe zu benutzen, um zum Frühstück zu kommen. Den Weg hast du offensichtlich spannender gefunden.“

Sebastian erinnerte sich auch noch genau an den Zwischenfall – und an die Standpauke, die seine Tante Lucia ihm daraufhin gehalten hatte. Beim Gedanken an seine Tante wurde ihm schwer ums Herz. Sie war die jüngere Schwester seines Vaters gewesen und hatte dessen damaligen Geschäftspartner Marcus Troone geheiratet. Er, Sebastian, hatte jeden Sommer mehrere Wochen bei ihnen in Troone Manor verbracht und diese Zeit stets genossen.

Zu ihrem Kummer hatten Lucia und Marcus keine Kinder bekommen, und als Sebastian ungefähr acht Jahre alt war, erkrankte seine lebensfrohe, liebevolle Tante Lucia an multipler Sklerose. Als er sie im folgenden Sommer besuchte, saß sie bereits im Rollstuhl, beinah so hilflos wie ein Baby. Zwei Jahre später war sie dann endlich von ihrem Leiden erlöst worden.

Jetzt wollte Marcus nochmals heiraten – ausgerechnet dieses geldgierige Luder Irina Dysart!

„Ich wusste nicht genau, wann du ankommst, Sebastian. Mittagessen gibt es jedenfalls erst in einer Stunde“, riss ihn Madge aus den trüben Gedanken. „Möchtest du eine Tasse Kaffee, bevor du dich frisch machst?“

Schnell verdrängte er den Zorn auf Irina und bejahte die Frage. Er stellte seinen Koffer auf den abgetretenen Steinplatten der Eingangshalle ab und folgte Madge in die behagliche Küche.

Im ganzen Haus roch es durchdringend nach frischer Farbe, und Sebastian schauderte. Wenn Irina hier das Sagen haben würde, wäre es mit der Behaglichkeit vorbei, die seiner Meinung nach das Wesen eines englischen Landsitzes ausmachte. Stattdessen würde sich überall teurer, schicker und aufwendiger Schnickschnack breitmachen.

Natürlich missgönnte er seinem Onkel nicht das Glück einer zweiten Ehe. Marcus war immerhin in den vergangenen zwanzig Jahren weniger Ehemann als Krankenpfleger gewesen, aber dass er sich an eine habsüchtige Hexe band, die alles tun würde, nur um ein riesiges Vermögen in die Finger zu bekommen … Nein, das lasse ich nicht zu, schwor Sebastian sich nochmals.

„Geht es Sir Marcus mittlerweile besser?“, erkundigte Madge sich, während sie den Kaffee einschenkte. „Es hat mich schockiert, aber nicht überrascht, als er kurz vor Weihnachten zusammengebrochen ist. Seit Lady Troones Tod hat er bis zur totalen Erschöpfung gearbeitet.“

„Ja, es geht ihm viel besser.“ Sebastian setzte sich in den Sessel neben dem großen alten Herd und ließ sich eine Tasse mit starkem schwarzen Kaffee reichen. „Dank des milden Klimas bei uns in Jerez und der Fürsorge meiner Mutter ist er wieder fit.“

„Das muss er ja sein, wenn er sich verlobt hat“, bemerkte Madge ungewohnt anzüglich.

Es klang außerdem fragend und zugleich besorgt, was Sebastian jedoch ignorierte. Er wollte der treuen Seele nicht noch mehr Sorgen bereiten, indem er ihr von seinen Bedenken bezüglich Irina berichtete. Mit der fertig zu werden war sein Problem, und er wusste, wie er damit umzugehen hatte – auch wenn es ihm nicht behagte.

„Sind die Handwerker fertig?“ Bewusst wechselte er das Thema.

„Ja, seit gestern.“ Madge setzte sich an den Tisch und gab einige Löffel Zucker in ihre Tasse. „Sir Marcus wollte lediglich, dass alles frisch gestrichen wird. Seine zukünftige Frau hat bestimmt ganz eigene Vorstellungen, wie das Haus eingerichtet werden soll.“

Sebastian ahnte auch schon wie: elegant, auffallend und völlig seelenlos. Rasch verdrängte er die Vorstellung und fragte: „Was ist mit den Hausmädchen?“

„Da sich nur zwei junge Frauen auf die Annonce hin gemeldet haben, hatte ich keine große Wahl. Die eine ist Sharon Hodges aus dem Dorf. Vielleicht hast du sie schon mal gesehen. Sie ist ein korpulentes, vorlautes Ding. Da ich ihre Familie kenne – lauter Nichtsnutze und Tagediebe –, habe ich darauf bestanden, dass sie die nächsten sechs Wochen hier im Haus wohnt. So kann ich sie morgens aus dem Bett und an die Arbeit scheuchen.“ Madge verzog missbilligend das Gesicht. „Das andere Mädchen kommt aus Wolverhampton. Ein zierliches Geschöpf, das aussieht, als könnte ein Windstoß es umpusten! Ich habe darauf hingewiesen, dass es sich um ziemlich schwere körperliche Arbeit handelt, aber falls das die junge Frau beunruhigt hat, so hat sie es nicht zu erkennen gegeben. Sie hat überhaupt nicht viel gesagt, nur dass ihre Mutter vor einigen Monaten gestorben sei und sie vorübergehend einen Job suche, bis sie wisse, was sie mit sich anfangen wolle. Sie heißt Rosie Lambert, wird übermorgen zwanzig Jahre alt und errötet, sobald man sie anredet.“ Madge seufzte. „Na ja, Bettler dürfen nicht wählerisch sein, wie es so schön heißt. Die beiden jungen Frauen sind gestern hier eingezogen und haben angefangen, die Schlafzimmer zu reinigen. Dass sie zufriedenstellend arbeiten werden, wage ich zu bezweifeln.“

„Überlass das Problem nur mir.“ Sebastian lächelte sie beruhigend an. „Ich weiß, wie man Angestellte zu Bestleistungen anspornt. Du hast genug anderes zu tun.“

Er hatte auch noch anderes zu tun, als die Anweisungen seines Onkels auszuführen: Er musste ihm möglichst schonend Irina Dysarts wahren Charakter vor Augen führen.

„Das Haus ist jahrelang vernachlässigt worden“, hatte Marcus zugegeben, nachdem er Sebastian gebeten hatte, auf Troone Manor nach dem Rechten zu sehen. „Ich weiß, dass ich regelmäßig eine Reinigungsfirma hätte engagieren sollen, aber Lucia war vehement dagegen. Sie ertrug es nicht, wenn Fremde ihre Sachen berührten. Würdest du dich darum kümmern, dass das Haus tipptopp in Ordnung ist, wenn ich Irina nach Troone Manor bringe? Madge habe ich bereits angewiesen, vorübergehend einige Hausmädchen einzustellen.“ Marcus hatte glücklich gelächelt und dann hinzugefügt: „Ais Nächstes wird Irina ein Kindermädchen engagieren wollen.“

Irina hat also sofort die schwache Stelle ihres Opfers erkannt, dachte Sebastian zynisch. Er kannte sich, im Gegensatz zu seinem Onkel, mit intriganten, raffgierigen Frauen bestens aus.

„Kopf hoch, Madge, es wird schon alles klappen“, ermunterte Sebastian nun die Haushälterin und stand auf, um nach oben in das Zimmer zu gehen, in dem er immer wohnte, wenn er zu Besuch war.

Rosie Lambert erhob sich von den Knien und strich sich eine lange blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, wobei ihr etwas Putzwasser auf die Wangen tropfte, die bereits tränenfeucht waren. Ungeschickt trocknete sie sich das Gesicht am Ärmel der riesigen braunen Kittelschürze ab, die Madge Partridge ihr gegeben hatte.

Ich wünschte, ich wäre nicht hierhergekommen, dachte Rosie. Hätte sie doch nie den Brief gefunden, in dem stand, wer ihr Vater war, und hätte sie an jenem schicksalhaften Morgen bloß nicht auf ihre frühere Arbeitgeberin und gute Freundin Jean gehört.

Es war ein Montagmorgen gewesen, und in Jean und...