Die wilde Schönheit und der Wikinger

Die wilde Schönheit und der Wikinger

von: Joanna Fulford

CORA Verlag, 2020

ISBN: 9783733749507 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,49 EUR

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Die wilde Schönheit und der Wikinger


 

1. KAPITEL

Dichte Nebelschwaden zogen über die dunklen Wasser des Fjords, während zwischen den Bäumen, die den Küstenstreifen säumten, allmählich der Morgendunst emporstieg. Die frühen Sonnenstrahlen tauchten die Gipfel der Bergkette in rotgoldenes Licht. Unter anderen Umständen hätte Lara diesen morgendlichen Frieden wohl genossen, in diesem Moment hatten allerdings ganz andere Gedanken von ihr Besitz ergriffen. Ihr Körper tat jede Bewegung ganz von selbst und genauso, wie ihr Bruder Alrik es sie gelehrt hatte. Um nicht aus der Übung zu kommen, stand sie jeden Morgen sehr früh auf und trainierte so lange, bis sich das Schwert in ihrer Hand genauso natürlich anfühlte wie die Spindel, die sie täglich bediente.

In der Halle war bestimmt noch niemand wach. Auch lag die Küste weit genug von den Behausungen entfernt, als dass man sie so einfach hätte entdecken können. Wenn ihr Vater wüsste, was sie die ganzen letzten Monate getan hatte, sein Unbehagen wäre grenzenlos. Lara verzog ihr Gesicht. Die Spannungen zwischen ihnen waren schon schlimm genug. Seit ihrem letzten Streit vor einer Woche hatten sie kaum mehr ein Wort miteinander gewechselt …

„Du bist jetzt achtzehn Jahre alt. Schon bald wird man dich alte Jungfer rufen. Wie kommt es, dass du trotzdem jeden Freier verschreckst und vom Hofe jagst?“

„Ängstliche Männer waren noch nie besonders reizvoll.“

„Nicht in diesem Ton, junge Dame“, hatte Jarl Ottar sie ermahnt. „Du wärst tatsächlich gut beraten, dein Verhalten zu kultivieren und ein wenig weiblichen Charme an den Tag zu legen.“

„Bin ich denn so gar nicht charmant, Vater?“

„Ich habe schon Wölfinnen gesehen, die von sanfterer Natur waren. Kein Mann will einen scharfzüngigen und kratzbürstigen Drachen zur Frau.“

„Wenn das so ist, dann steht es diesen Weichlingen frei, sich eine entsprechende Braut zu wählen.“

„Es ist die Aufgabe einer Frau, pflichtbewusst und demütig zu sein.“ Empörung war in Laras Augen aufgeblitzt. „So demütig, wie Asa es war, Vater?“

Der Blick ihres Vaters hatte sich verfinstert. „Deine Schwester hat getan, was man von ihr verlangte. Sie wusste, was gut für ihre Familie ist.“

„Versuche nicht, dich hinter der Familie zu verstecken. Asa wurde in diese Ehe hineingezwungen, weil es deinen politischen Zwecken dienlich war.“

„Diese Verbindung war nötig, um einer jahrelangen Fehde ein Ende zu bereiten.“

„Ebenso gut hättest du sie den Wölfen zum Fraß vorwerfen können. Mich wirst du für deine Pläne nicht missbrauchen.“

Und dann war Lara davongestürzt. Sie stellte sich jetzt vor, dass es ihr ehemaliger Schwager sei, in dessen Eingeweiden sie soeben die Klinge ihres Schwertes versenkte. Wie gern hätte sie ihm wahrhaftig gegenübergestanden, doch er war unerreichbar. Natürlich war sie klug genug zu wissen, dass sie jeden Kampf gegen ihn verlieren würde, und er sie mit leichter Hand umbrächte, wenn es zu einem Wiedersehen von Angesicht zu Angesicht käme. Doch auch wenn sie nicht die Stärke oder die Geschicklichkeit eines echten Kriegers besaß, verlieh ihr das Wissen um die Grundlagen der Selbstverteidigung mehr Sicherheit. So fühlte sie sich befähigt, jeden weiteren Freier in die Flucht zu schlagen.

„Ich werde stark sein, Asa“, sprach Lara zu sich. „Ich schwöre es.“

Voller Bedauern steckte sie das Schwert seitlich in den prachtvoll bestickten Gürtel ihres Gewandes, bevor sie ihren Umhang aufhob. Sie musste zurück, bevor die anderen merkten, dass sie verschwunden war. Trotz einer gewissen Widerspenstigkeit war es nicht ihr Ansinnen, die täglichen Pflichten zu vernachlässigen, die ihr zufielen. Die ihr übertragenen Aufgaben erfüllte sie stets tadellos. Sie schmunzelte. Männer, die wohlgenährt waren und es bequem hatten, beschwerten sich weniger als jene, denen es an irgendetwas fehlte. In jedem Fall war es gut, eine Beschäftigung zu haben, schließlich hatte sie Untätigkeit noch nie leiden können.

Sie wollte soeben aufbrechen, als sie plötzlich ein Schiff sah, das die Küste entlangsegelte. Obwohl es die elegante Form und den prachtvoll geschnitzten Bug eines Kriegsschiffes hatte, war es doch kleiner als die meisten der Drachenschiffe, die sie kannte. Die Mannschaft bestand gerade einmal aus schätzungsweise zwanzig Männern. Der Wind blies so schwach, dass die Männer das Schiff mit der Kraft der Ruder vorantreiben mussten. Die hölzernen Blätter tauchten im immer gleichen Rhythmus scharf in die See ein und wieder empor, gerade so, dass sie kaum das Wasser aufwirbelten. In stiller Bewunderung beobachtete Lara eine Mannschaft, die wie ein einziger Organismus zu funktionieren schien. Sie schaute von den Ruderern hinüber zu der Gestalt am Steuerrad – ein Krieger im Kettenhemd. Stirnrunzelnd sah sie etwas genauer hin. Jeder Mann an Bord trug ein solches Hemd. Ihre Neugierde war nun vollends geweckt. Selbst unter normalen Bedingungen war es kräftezehrend, ein solches Schiff zu rudern. Das Tragen von Kettenhemden machte die Arbeit bestimmt zehnmal härter. Alles sprach dafür, dass man das Schiff entweder angegriffen hatte, dass die Mannschaft erwartete, angegriffen zu werden, oder aber, dass sie selbst einen Angriff plante.

Sie ließ ihren Blick über den gesamten Fjord wandern, doch es war kein anderes Schiff auszumachen. Wenn man das Schiff verfolgte, so war dies zumindest nicht offensichtlich. Das musste zwar nicht bedeuten, dass jene Männer vorhatten, das Gehöft von Laras Familie anzugreifen, es war allerdings auch längst kein Grund zur Beruhigung. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Und genau aus diesem Grund wurde das Anlegen eines Schiffes stets überwacht. Niemals würde ihr Vater ein leichtfertiges Risiko eingehen.

Nur wenig später vernahm sie das Horn des Wachmannes, der die Ankunft des Schiffes verkündete. Doch Lara wollte sich selbst ein Bild machen. Rasch lief sie den Pfad entlang, der die Landspitze hinabführte. Doch statt an der Gabelung rechts abzubiegen, hielt sie sich links und eilte direkt auf die Küste zu. Der Weg führte sie über einen kleinen Hügel durch einen kleinen Birkenhain, bis sie schließlich am Wasser angelangt war. Vom Rande des Wäldchens aus hatte sie einen guten Blick auf das Geschehen, und gleichzeitig bot es ausreichend Schutz vor Entdeckung.

Im selben Moment, als sie ihr Ziel erreicht hatte, näherte sich das Schiff dem Küstenstreifen. Dort wartete bereits ein halbes Dutzend bewaffneter Männer auf seine Ankunft. Ein zweites Signal des Wachmannes ertönte, das von den Ankömmlingen sofort erwidert wurde. Offenbar war es die Antwort, auf die man gewartet hatte, und die Absichten waren tatsächlich friedlich, denn sogleich ließ man das Schiff anlegen und lud die Mannschaft ein, an Land zu kommen.

Zwei Männer sprangen über die Reling auf den hölzernen Pier und befestigten das Schiff mit Seilen und Tauen, während die anderen den Landgang vorbereiteten. Obwohl Lara recht weit entfernt stand, konnte sie sehen, dass sie ihr erster Eindruck nicht getäuscht hatte: Dieses Schiff war ein Kriegsschiff und seine Mannschaft bis an die Zähne bewaffnet. Bei ihrem Anführer schien es sich um den Mann zu handeln, den sie zuvor am Steuerrad gesehen hatte. Im Moment wandte er ihr zwar den Rücken zu, doch konnte sie erkennen, dass er eine Vielzahl an Anweisungen gab, denen ohne Widerspruch Folge geleistet wurde. Dieser Mann stach aus der Gruppe der anderen hervor. Er war größer als die anderen, doch hatte er wie sie die starke athletische Gestalt eines Kriegers. Mehr noch, er bewegte sich mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen und diese ausgeführt zu wissen – ein Mann von hohem Stand wahrscheinlich.

Der Gedanke amüsierte Lara. Die meisten Männer seiner Herkunft gingen wie selbstverständlich davon aus, dass man ihnen mit augenblicklichem Gehorsam begegnete. Dieser Glaube war dieser Spezies von Mann genauso eingepflanzt wie die ihr angeborene Arroganz. Gerade als Lara das Geschehen weiter beobachten wollte, wandte sich der große Krieger um. Mit einem Mal blickte sie in ein gepflegtes rasiertes Gesicht mit klaren markanten Zügen, das von kräftigem blondem Haar umrahmt war. Er war … besonders. Das musste sie zugeben. Und allem Anschein nach war er sich dessen auch bewusst. Als hätte er gespürt, dass man ihn beobachtete, ließ er den Blick rasch über den Küstenstreifen hoch zu den Bäumen schweifen. Er hatte sie entdeckt. Doch nur wenig später trat auf sein ernstes Gesicht ein Ausdruck von unverhohlener Belustigung. Lara blickte an sich hinunter und stellte fest, dass ihr Schwert deutlich zu sehen war. Sie hatte vergessen, ihren Umhang anzulegen. Ihr Ärger über sich selbst war grenzenlos. So etwas durfte einfach nicht passieren. Noch schlimmer, ihre Nachlässigkeit diente dem Fremden zur Belustigung und ihr selbst zur Demütigung. Dennoch: Wenn er glaubte, dass ihr kleiner Fauxpas sie aus der Bahn werfen würde, dann hatte er sich getäuscht. Sie reckte ihr Kinn und hielt seinem Blick für eine ganze Weile stand. Dann, ganz ohne Hast, machte sie kehrt und ging davon.

Finn rührte sich nicht vom Fleck. Er sah ihr nach, bis sich ihre Gestalt hinter den Bäumen verloren hatte. Ihre Gegenwart hatte ihn ebenso überrascht wie gefesselt. Ihm war, als wäre ihm ein Waldgeist erschienen, eine Fee, die neugierig seine Ankunft begutachtete. Ihr volles braunes Haar und ihr moosgrünes Gewand hatten diesen Eindruck vollkommen gemacht. Diese Fee war von schöner Gestalt, ihr Betragen...