Am Arsch vorbei geht auch ein Weg - Jetzt erst recht - Entspannt bleiben trotz Vollspackos und anderer Widrigkeiten. Die Fortsetzung des Weltbestsellers.

Am Arsch vorbei geht auch ein Weg - Jetzt erst recht - Entspannt bleiben trotz Vollspackos und anderer Widrigkeiten. Die Fortsetzung des Weltbestsellers.

von: Alexandra Reinwarth

mvg Verlag, 2020

ISBN: 9783961215751 , 192 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 12,99 EUR

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Am Arsch vorbei geht auch ein Weg - Jetzt erst recht - Entspannt bleiben trotz Vollspackos und anderer Widrigkeiten. Die Fortsetzung des Weltbestsellers.


 

1. DAS LEBEN GENIESSEN


Das ist ja eines der Dinge, die man echt hinkriegen muss. Wenn Sie Ihr Leben nicht genießen, haben Sie auf ganzer Linie versagt. Zusammen mit der Aufforderung, das Leben zu genießen, heißt es auch noch obendrein, man solle dies »einfach« tun. Einfach das Leben genießen! – das klingt so wunderbar und so kinderleicht, nur ein total verkrampfter Depp kann das nicht. Der Depp bin ich.

Während die ganze Welt anscheinend permanent strahlend am öffentlichen Leben teilnimmt und dort unfassbar schöne Erfahrungen macht, erhole ich mich immer noch vom Grillabend von letzter Woche und mache schon wieder »nichts« dieses Wochenende.

»Was macht ihr am Wochenende?«

»Nichts.«

Das ist ein häufiger Dialog. Ich mache gerne nichts, habe aber im Angesicht der vielen ungenutzten Möglichkeiten, »etwas« zu machen, schon ein schlechtes Gewissen, wenn ich das Stadtmagazin aufschlage und dort sehe, was ich wieder alles nicht machen werde. Dazu brauche ich aber nicht mal das Stadtmagazin, es gibt ja Leute, die sind so eine Art wandelnder Veranstaltungskalender. Jana ist so eine. Egal, wann ich mit ihr spreche, erzählt sie von anstehenden Vernissagen, Konzerten, Kabarettveranstaltungen und Lesungen, oder sie erzählt vom letzten Straßenfest, dem prämierten Kinofilm, den sie letzte Woche gesehen hat oder dem Mittelaltermarkt. Der war auch klasse. Jana kennt das neue schicke Restaurant, von dem man schon so viel gehört hat, die wieder eröffnete Dachterrassen-Bar, sie war auf dem Event von Dings und auf der Messe Bums, und jetzt ist ja bald das Festival Doppelbums, ich käme doch mit?

Seit das Kind da ist, hat sich das schlechte Gewissen nochmal potenziert, denn jetzt versaue ich dem auch noch das Leben. So fühlt es sich zumindest an, wenn ich nach einem langen Wochenende nur mit dem Kopf schüttle, während die befreundete Mutter fragt, ob wir am Wochenende auch auf dem li-la-lustigen Flohmarkt oder bei der Aufführung des Marionettentheaters Wilde Maus waren. Nicht? Und was ist mit dem Workshop für Kinder, den das naturwissenschaftliche Museum angeboten hat? Wo Kinder mit kleinen Holzwerkzeugen »mit allen Sinnen« erfahren dürfen, wie man nach Silbererz schürft? Auch da waren wir nicht. Wir waren im Park.

Das erste Mal, dass ich seit langem völlig unbeschwert »nichts« getan habe, ohne diese diffuse Idee im Hinterkopf, eigentlich müsste ich gerade irgendwas genießen, war, als wir wegen Corona alle eingesperrt waren und sämtliche Veranstaltungen, Konzerte und Mittelalter- sowie Flohmärkte abgesagt waren: Da machten nämlich alle nichts. Das war ein bisschen befreiend – aber das kann man ja niemandem sagen, so etwas. Während es um mich herum ächzte und stöhnte, wie elend es sei, dass X abgesagt ist, Y nicht stattfindet und wer weiß, wann man je wieder Z-en könnte, nickte ich verständnisvoll. Dann machte ich mir noch einen Kaffee und genoss weiter klammheimlich diese eigenartige Ruhe.

Es ist ja nicht so, dass ich es nicht versucht hätte.

Ich war in meinem Leben auf mehreren Festivals, komplett mit Übernachtung im Zelt, Vollrausch und wildem Rumgeknutsche mit völlig Unbekannten. Ich weiß aber auch noch, wie das Festivalgelände roch, der eigene Atem am nächsten Morgen, von den sanitären Einrichtungen in Form von DIXI-Klos und deren unmittelbarer Umgebung ganz zu schweigen. Ich weiß auch, dass an Schlafen nicht zu denken war, wegen des harten Untergrunds, des dünnen Schlafsacks und des Unbekannten, und dass ich am nächsten Morgen meine Seele für eine Dusche und einen Kaffee verkauft hätte – und dann mussten wir noch eine Nacht bleiben! Auf Konzerten habe ich bedingt Spaß, weil man sich immer entscheiden muss zwischen Bier trinken und sich permanent durch eine Menschenmenge zum Klo wühlen, sich zurück wühlen mit dreitausend Mal »Entschuldigung …« sagen – oder kein Bier trinken und sich in der angeheiterten Menge herumschieben lassen, und alle drei Minuten drängt einen jemand mit »Entschuldigung …« zur Seite. Das ist alles so anstrengend. Ich verstehe inzwischen den Reiz von bestuhlten Konzerten! Auch das kann man nicht laut sagen – kein richtig geiles Selfie von wilden, verschwitzten, glücklichen Menschen, die sich umarmen und gemeinsam euphorisch in die Kamera grölen, ist auf einem bestuhlten Konzert entstanden.

Ich merke sogar, dass das Schönste an vielen Veranstaltungen, zu denen ich gehe, die Zufriedenheit ist, wenn ich wieder nach Hause komme: als hätte ich etwas absolviert, und nun kann ich endlich die Schuhe in die Ecke schmeißen und mich auf den Balkon setzen – ganz ohne schlechtes Gewissen. Auch Partys haben an Genuss deutlich eingebüßt: Ich weiß noch genau, dass Partys mal ganz toll waren, das ging beim ersten Schwofen in irgendeinem Reihenhaus-Hobbykeller los und war ein Riesenspaß! Auch wenn man irgendwann auf einer malvenfarbenen Kloumpüschelung eines elterlichen Badezimmers kniete und geräuschreich den Cointreau von sich gab.

Und als dann die ersten eine eigene Wohnung hatten! Das Wegrutschen der Möbel, die Badewannen voller Nudelsalat und die unzähligen Flaschen Wein, die alle mitbrachten – um immer zuerst alle Biervorräte wegzutrinken. Wen kümmerte schon diese oder jene Fensterscheibe, Edding-Kritzeleien an der Klowand oder eine Alkoholvergiftung? Bevor nicht die Polizei da war, war es keine Party.

Nicht, dass ich genau das wiederhaben will, aber ich erinnere mich klar und deutlich, dass ich das damals toll fand. Dann ist das Leben passiert, und plötzlich saß man auf einer Geburtstagsfeier bei Leuten, die man ewig nicht gesehen hatte, auf deren viel zu geraden Esszimmerstühlen bei einem »schönen Glas Rotwein«, und es wurden einem Zettel mit dem Namen einer berühmten Persönlichkeit auf die Stirn geklebt, die man durch Fragen erraten sollte. Und wenn es ganz wild wurde, kramte jemand aus seiner Playlist einen Hit von früher aus, und es wurde im Wohnzimmer etwas getanzt. In Socken und bei moderater Lautstärke, damit die Kinder oben nicht wach werden. Da war es fast eine Erleichterung, wenn man zum Rauchen auf den Balkon musste.

Das ist natürlich nicht immer so – es gibt auch Partys, die ganz großartig verlaufen. Wenige. Es gibt auch Mittelaltermärkte, die großartig verlaufen – mit Nutella-Crêpes und all den tollen Sachen, die es im Mittelalter so gab (WTF?). Und Lesungen. Und Vernissagen. Es gibt natürlich auch viele private Unternehmungen, die ich zum Teil sogar selbst anleiere. Ich freue mich, meiner alten Freundin Dagmar die Stadt zu zeigen, wenn sie zu Besuch kommt, ich verabrede mich zum Abendessen mit den Freundinnen, ich will zur Eröffnung des neuen Biergartens und mit dem Kind ins Wellenbad. Selbstverständlich auch endlich zu Suse und Klaus, die sich ein Bauernhaus eine Stunde außerhalb gekauft haben, zum Mittagessen mit der Ex-Kollegin, und die Idee von meinem Lieblingsnachbarn, ein Nachbarschaftsfest zu veranstalten, finde ich natürlich: toll! Finde ich wirklich! Und wann schlendere ich eigentlich mal wieder mit Jana durch die Geschäfte? Lauter Dinge, die ich gerne tue – wenn ich also das Leben genießen will, muss ich mehr von diesen Dingen tun. Und wenn ich an »das Leben genießen« dann noch den Vorsatz »aus vollen Zügen« dranhänge, dann muss ich aber richtig ranklotzen: dann sollte ich Trekkingtouren machen, versonnen auf Berggipfeln sitzen, vormittags raften, mittags mit Freunden grillen und abends romantisch mit dem Mann meiner Träume bei einem Kerzenschein-Dinner sitzen. Vielleicht noch zwischendurch mit einem Buch in der Hängematte liegen. Das ist ja kaum zu schaffen. Und das ist das Problem.

Wenn ich nach einem vollen Arbeitstag mit seinen blöden Mails, dem kaputten Drucker, dem Brief vom Finanzamt und all seinen Herrlichkeiten nach Hause komme, Essen für das Kind zubereite (»Iiiieeehh, was ist DAS denn?«), mich mit ihm in die Haare kriege (»Warum sind die Hausaufgaben nicht gemacht?«) und mir schon vor dem nächsten Tag graut, dann kann ich mich noch so lange bei Kerzenschein in eine Badewanne legen, das wird nichts mit dem Leben genießen. Das muss ich irgendwie am Wochenende hinkriegen! Also werden jede Menge Sachen geplant, auf die man schon am Samstag in der Früh nach dem Aufwachen keinen Bock hat. Das Leben zu genießen ist ganz schön anstrengend.

Es gibt eine sehr schöne alte Tierdokumentation (die beste), sie heißt Animals Are Beautiful People, zu deutsch auch Die lustige Welt der Tiere. Abgesehen davon, dass sich die Affen, Elefanten, Warzenschweine und Giraffen an vergorenen Früchten einen gehörigen Rausch anfressen und dann sehr menschlich herumtorkeln, und vielen anderen wunderbaren Aufnahmen, gibt es eine Szene, wegen der ich Ihnen diesen ganzen Tier-Schmonz erzähle: Hinter irgendeiner Düne in der Wüste entdecken ein Erdmännchen und eine Zebramanguste ein Ei. Zebramangusten, wenn Sie die nicht parat haben, sind so etwas wie...