Gefallene Ritter. Malteserorden und Vatikan. Der Machtkampf zwischen zwei der ältesten Institutionen der Welt

von: Constantin Magnis

HarperCollins, 2020

ISBN: 9783959678735 , 256 Seiten

Format: ePUB

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Gefallene Ritter. Malteserorden und Vatikan. Der Machtkampf zwischen zwei der ältesten Institutionen der Welt


 

Das Schiff

Um den Albtraum des Matthew Festing zu verstehen, muss man ein bisschen was von der spektakulären Historie und der ungewöhnlichen Struktur des Malteserordens mit all ihren Fallstricken wissen. Zumal dies nicht das erste Mal war, dass ein Ordensgroßmeister zwischen die Mühlräder höherer Mächte geraten ist.

Der Mann, der heute als Gründer des Ordens gilt, mutmaßlich ein Italiener namens Bruder Gerhard, führte im 11. Jahrhundert ein christliches Pilgerhospital im muslimisch besetzten Jerusalem. Das Hospital ist Johannes dem Täufer geweiht, die Gemeinschaft um Gerhard nennt sich deshalb Johanniter. Der erste, mörderische Kreuzzug erreicht Jerusalem 1099, das Hospital existiert da schon mehrere Jahrzehnte lang. Der Legende nach soll Gerhard den christlichen Belagerern Brot über die Stadtmauern geworfen haben und dafür von den muslimischen Verteidigern fast umgebracht worden sein.

Es gibt wenig Quellen über diesen Mann, der im Orden als Seliger verehrt wird. Aber etwas Ungewöhnliches, Anziehendes muss von ihm und seiner Gemeinschaft ausgegangen sein. Denn als Jerusalem schließlich erobert und eingenommen ist, schließen sich Hunderte Kreuzfahrer, darunter auch adelige Offiziere mit eigenem Gefolge, Männer, die angereist waren, um die christliche Weltherrschaft mit dem Schwert zu erkämpfen, stattdessen als Brüder den Johannitern an, um das Gegenteil zu tun, nämlich Arme und Kranke, Christen genauso wie Juden und Muslime zu pflegen und zu versorgen. Der Papst erklärt die Johanniter 1154 zum kirchlichen Orden.

Auf der Kleidung tragen die Brüder ein achtspitziges Kreuz, es symbolisiert die Seligpreisungen aus dem Evangelium und damit die Leiden, die der Orden in der Welt lindern will. Um für diese Aufgabe auch innerlich frei zu sein, versprechen die Brüder Armut, Keuschheit und Gehorsam und darüber hinaus ein Leben als »Diener und Sklaven unserer Herren Kranken«. Sowohl das achtspitzige Kreuz als auch das Versprechen, den Kranken zu dienen, gehören bis heute zum Orden.

Dahinter steht die biblisch begründete Idee, dass Dienst am Notleidenden immer auch ein Dienst an Jesus Christus ist, dass man Gott also gerade in der Linderung des Elends seiner Mitmenschen besonders nahekommen kann. Dieser Gedanke war damals nicht neu. Trotzdem existiert im frühen Hochmittelalter praktisch kein Sozialwesen, Krankenpflege und Armenfürsorge werden allenfalls von Klöstern betrieben. Die Radikalität und Hingabe, mit der die Brüder in Jerusalem ihren Auftrag leben, ist zu der Zeit revolutionär.

Mit wachsenden Spenden und Schenkungen aus Europa wird das Haus der Johanniter bald zu einer der bedeutendsten Institutionen im Heiligen Land. Zeitzeugen berichten, wie täglich bis zu zweitausend Kranke in den Marmorhallen des Hospitals versorgt werden. »Niemand kann glauben, wie … hingebungsvoll man sich bemüht, die Bedürftigen zu versorgen. Niemand, nicht einmal die mächtigsten Könige und Herrscher, könnten so viele Menschen erhalten, wie es dieses Haus jeden Tag tut«, schreibt der Kleriker Theodericus um 1170.i

Offenbar dienen die Brüder den Notleidenden tatsächlich, als wären es königliche Herrschaften. Bis zu tausend Arme werden täglich vor den Toren gespeist. Um ihre Kleider und Schuhe auszubessern, werden Brüder als Schneider und Schuster eingeteilt. Wird unter den Armen der Umgebung Hochzeit gefeiert, spenden die Brüder die eigenen Essensrationen. Im Hospital servieren sie den »Herren Kranken« Täubchen und Lämmer, Früchte oder Pasteten, und das alles auf Silberbesteck. Sie waschen die Kranken mit der Hand, stutzen ihnen die Bärte, schrubben ihnen die Füße, beten von morgens bis abends für sie und halten Nachtwache. Sind alle Betten belegt, geben die Brüder die eigenen frei und schlafen auf dem Boden. »Die Kranken aber, die aus Schwäche ihre Notdurft in ihren Betten überkommt, sollen die Sergenten trocknen und sanft säubern und unter sie weiße, weiche und saubere Betttücher legen, und … die Brüder selbst sollen dies gerne tun«, heißt es in der Hospitalordnung.ii

Das alles muss man nicht nur wissen, um die ursprüngliche, theoretisch bis heute gültige Idee der Malteser zu begreifen, nämlich selbst abzusteigen, von oben nach unten, um den Armen zu trösten, aufzurichten und zu würdigen. Erst vor diesem Hintergrund zeigt sich auch das immer wieder ausbrechende Ausmaß der Korruption dieser Idee im weiteren Verlauf der Geschichte bis in die Gegenwart hinein.

Vielleicht ist es vor allem die Einführung des Rittertums in den Orden, die den Weg bereitet für die vielen Aufsteiger, Profilneurotiker, Demagogen und manchmal auch Verbrecher, die den Orden seither als Steigbügel zur Selbstverherrlichung und Selbstbereicherung genutzt haben, um also genau andersherum, von unten nach oben, zu kommen.

»Der Christ rühmt sich, wenn er einen Ungläubigen tötet, weil Christus zu Ehren kommt«, hatte der Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux als theologisch irre Parole ausgegeben.iii Darauf beruft sich die Bewegung der Kreuzfahrer, und schließlich besetzt der Geist der Zeit auch den pflegenden Johanniterorden. Gerade erst waren die Kreuzfahrer Mönche geworden, nun werden aus den Mönchen wieder Kreuzritter. Schon ab der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts greift der Orden zum Schwert. Zunächst nur als bewaffnete Schutztruppe der Pilgerkarawanen im Heiligen Land, bald aber auch als kämpfendes Heer mit militärischen Stützpunkten im ganzen Land. Mit der neuen Selbstdefinition als Ritterorden ziehen die Johanniter nun vor allem junge abenteuerlustige Adelige an. Auch diesen Snob-Appeal wird der Orden bis heute nicht mehr loswerden.

Keine zweihundert Jahre nach Beginn der Kreuzzüge werden die Christen 1291 mitsamt dem Ritterorden wieder aus dem Heiligen Land vertrieben. Nach wochenlangen Rückzugsgefechten gegen das osmanische Heer flüchtet der amtierende Johanniter-Großmeister, ein Franzose namens Jean de Villiers, selbst schwer verletzt, mit den überlebenden Rittern nach Zypern.

Die folgende Sinnkrise des Ordens hält nicht lange an. 1310 nehmen die Ritter mit päpstlicher Erlaubnis die Insel Rhodos ein. Gleichzeitig löst der Papst den Templerorden auf, der ebenfalls aus Palästina flüchten musste und von dem es heißt, er zelebriere heidnische Kulte und Orgien. Die Gerüchte, weiß man heute, gehen auf eine Intrige des französischen Königs zurück. Trotzdem werden der Templer-Großmeister und dreiundfünfzig seiner Ritter in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und das Vermögen des damit vernichteten Ordens wird den Johannitern übertragen, deren Besitz sich so schlagartig mehr als verdoppelt. Als wohlhabende, souveräne Macht mit eigenem Herrschaftsgebiet baut der Orden Rhodos zu einer der wehrhaftesten Festungen der Christenheit aus.

Auch hier führt der Orden wieder ein Hospital, das Maßstäbe für die westliche Welt setzt. »Die Hospitalität nimmt den ersten Rang unter allen Werken der Frömmigkeit und Menschlichkeit ein«, behauptet die Ordensregel.iv In Wirklichkeit stecken die Johanniter aber bald einen erheblichen Teil ihrer Mittel in den Aufbau einer eigenen Kriegsflotte für den »Heidenkampf zur See«.

Das macht Sinn, denn die Türken bringen 1453 mit der Eroberung Konstantinopels das Byzantinische Reich zu Fall und stehen damit vor den Toren Europas. Im Mittelmeer stellen die Johanniter nun die vorderste Verteidigungslinie des »Westens«. Einen ersten osmanischen Angriff auf Rhodos wehren die Ritter 1480 noch erfolgreich ab. Doch 1522 greifen die Türken unter Sultan Süleyman dem Prächtigen, der kurz zuvor schon Belgrad eingenommen hat, ein zweites Mal an. Die Johanniter verteidigen ihre Insel fünf Monate lang gegen ein 140.000 Mann starkes Heer. An Neujahr 1523 kapitulieren die Ritter und verlassen Rhodos, im Gepäck immerhin all ihre Schätze, Reliquien und das Ordensarchiv. Wieder muss sich ein Großmeister, der Franzose Philippe de Villiers de l’Isle-Adam, als gedemütigter Nachlassverwalter engagieren.

»Nichts ging der Welt so glanzvoll verloren wie Rhodos«, erklärt Kaiser Karl V. und überträgt den Johannitern 1530 ersatzweise die Insel Malta als souveräne Landesherrschaft. Als symbolische Abgabe dafür schicken die Ritter dem Kaiser jährlich einen Falken.

Der tatsächliche Preis für das Wesen des Ordens ist freilich weitaus höher. Die Ritter, die sich fortan »Malteser« nennen, sind zu diesem Zeitpunkt längst Legenden in Europa, allerdings nicht mehr nur für ihre Hingabe in der Pflege, sondern vor allem auch für ihr Kriegsheldentum. Der Kaiser aus dem Haus Habsburg mit seinen Weltmachtambitionen braucht zur Bekämpfung der Osmanen und zur Sicherung der Seewege Legionäre auf dem Mittelmeer. Der Heiligkeit des Ordens dient das nicht.

Unter dem Vorwand des Glaubenskampfes betreiben die Malteser ein florierendes Raubrittertum auf dem Wasser. Erst jagen sie vor allem muslimische Piraten, bald gehen sie aber dazu über, osmanische Handelsschiffe zu überfallen und auszuplündern. Dabei erbeuten sie nicht nur Handelsware, Gold und Silber, sondern vor allem auch Rudersklaven für ihre wachsende Kriegsflotte.

Als selbst Angehörige des Sultanhofes oder Pilger nach Mekka und Medina nicht mehr sicher vor Überfällen und Entführungen durch die Malteser sind, reicht es dem alten Sultan. Süleyman der Prächtige, der die Ritter als junger Herrscher noch aus Rhodos vertrieben hatte, verschifft 1565 ein Heer von...