Die Kunst des Loslassens - Von der Meisterschaft in der Pferdebegegnung

von: Tanja von Salzen-Märkert

epubli, 2019

ISBN: 9783750260825 , 223 Seiten

4. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 12,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Die Kunst des Loslassens - Von der Meisterschaft in der Pferdebegegnung


 

Vorwort


Fast alle Pferdehalter, die ich kenne, wünschen sich früher oder später ein losgelassenes, sich selbst tragen könnendes, gesundes Pferd, das sich am liebsten freudig unseren Aufgaben und Bedürfnissen stellt und frei und lebendig, motiviert und kooperativ ohne großen Widerstand mitmacht. Dabei soll es uns wie magisch unsere Ziele von den Lippen ablesen, damit wir Halter ausschließlich unseren Willens in Form von Wünschen äußern müssen. Wir hoffen darauf, durch Freundlichkeit die Resultate förmlich geschenkt zu bekommen, frei von Druck, Gewalt und Zwang. Doch den wenigsten Menschen ist bewusst, was das für ein großes Ziel ist. Und für viele ist es eine scheinbar unlösbare Aufgabe, dass ein versammeltes Pferd einen versammelten Halter beziehungsweise Reiter benötigt, um so sehr bei sich selbst zu sein, dass eine innere Versammlung außen sichtbar werden kann. Diese Form von Magie bedarf eines geklärten, reflektierten und mit sich im Reinen seienden Menschen.

Ein Mensch, der diese Perfektion von einem Pferd verlangt, muss in der Lage sein, sich selbst zu annähernd hundert Prozent innerlich und äußerlich zu sammeln und seine eigene Mitte zu besetzen, um sich voller Überzeugung selbst zu beseelen und selbst-sicher auftreten zu können. Nur dann, wenn wir unsere Mitte gefunden haben und sie im Sturm von Eindrücken und Einflüssen erfolgreich zu halten in der Lage sind, sind wir die Vorbilder, die solch ein Pferd als Leitfigur braucht. Damit es zu voller Entfaltung kommen kann, benötigt es Sicherheit und Geborgenheit von einem „Herdenmitglied“, das wir an dieser Stelle ersetzen müssen. Wir sind der Schlüssel, um das Pferd während seiner Entwicklung gewissermaßen zu tragen und ihm durch unsere innere Souveränität den Weg in seine volle Größe zu ebnen. Um ein Pferd sich frei entwickeln zu lassen, müssen wir ein gewisses Maß an Freiheit spüren und diese Freiheit nächstenliebend ermöglichen können, ohne das Pferd einzuschränken, klein zu machen, zu dominieren oder auf andere Weise in unser vielleicht hier und dort enges Denk- und Gefühlsmuster zu drängen. Wir müssen körperlich, seelisch und geistig fit werden. Denn unsere Blockaden und Einschränkungen werden von einem Lebewesen wie einem Pferd, das sich wie in der Natur an der Gruppenenergie orientiert, um dabei sein zu dürfen und nicht als „andersartig“ verstoßen zu werden, sofort kopiert. Schmälerungen auf der einen Seite der Seils werden so zu Schmälerungen auf der anderen Seite des Seils. Pferde passen sich an. Das ist ihre Kernkompetenz und sicher ein Grund, weshalb Pferde uns so sympathisch sind.

Wer einem Pferd Halt geben möchte, braucht vor allem selbst Halt. Wer einem Pferd Sicherheit vermitteln möchte, sollte sich selbst seiner Sache, seiner Persönlichkeit und der aktiven Situation sicher sein. Wer möchte, dass sein Pferd seine eigene Identität zeigen und sie bewahren kann, muss dies zuvor für sich als Mensch erarbeitet und gemeistert haben. Selbst Pferde, die von einer Art ganzheitlichem Meister ausgebildet wurden, können in den Händen eines Menschen, der dies nicht umzusetzen vermag, nur noch so viel von dem Gelernten abrufen und in die Tat umsetzen, wie dieser Mensch eben Antworten auf entsprechende Fragen hat und Fragen auf schon gegebene Antworten neu formulieren kann.

Um das Ziel zu erreichen, ein vollkommenes, authentisches und klar strukturiertes Pferd zu haben und es als ein solches zu erhalten, sind wir demnach immens gefordert, an uns selbst zu arbeiten. Für die einen ist es ein Fluch, für die anderen ein Segen. Denn in der Arbeit an uns selbst sind wir nicht nur gefordert, uns mit unseren geliebten Vorzügen und Kompetenzen zu beschäftigen, wir werden vor allem mit unseren, zum Teil schwergewichtigen unliebsamen Seiten konfrontiert, denn gerade mit denen gehen unsere Pferde schnell in Resonanz. Diese sind dazu noch ineinander eingebettet und miteinander verflochten, und die Tragweite dessen, wie weit Verstrickungen in uns selbst unseren Körper, Geist und unsere Seele beeinflussen, muss uns bewusst werden, wenn wir uns selbst meistern wollen.

Vieles von dem, was wir nicht wollen, hat eine starke, fast unterirdische Kraft in unserem Unterbewusstsein eingenommen und ist in unserer Körpersprache sichtbar. Dort finden wir neben dem, was wir genetisch mitbringen in diese Welt, Prägungen, Erziehung, Muster und Glaubenssätze, die automatisch für uns einspringen, wenn wir durch sie bereits einmal Erfolg oder Erleichterung erlangt haben, oder sie als Überlebensstrategie notwendig waren. Wichtig ist es zu verstehen, dass alles, aber auch wirklich alles, was wir in unserem Unterbewusstsein finden, zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben für uns dienlich und somit gut war. Es ist nicht nötig, sich zu verurteilen, sich klein zu machen oder sich unwert zu fühlen, nur weil wir Anteilen von uns begegnen, die noch mit Dunkelheit besetzt oder in die Tiefen des Unterbewusstseins verdrängt wurden, um sie erst gar nicht wahrnehmen zu müssen.

Was wir uns erarbeiten dürfen, ist ausschließlich ein neuer Umgang mit allem, was uns ausmacht, damit wir geklärter und friedvoller, frei von beschränkenden und manipulativen Mustern und Vorschriften ins Jetzt kommen können. Das Geschenk, das durch die Entwicklung unseres Selbsts entsteht, ist die Selbstbestimmung, der wohl schönste Aspekt von Freiheit. Denn je bewusster wir uns um uns und unsere Anteile, ihre Chemie, ihre Dynamik wissen, um so mehr können wir aktiv entscheiden, wann wir welche Strategie zum Wohle aller Beteiligten einsetzen und nutzen können. Wer sich traut, weiter zu lesen, kann daher in ein großes Aufräumen kommen. Sich innerlich berühren zu lassen, kann Emotionen wecken, die ganz tief in uns schlummern. Es kann eine Bewusstwerdung nach sich ziehen, die sich auf das gesamte Leben und all seine Teile auszuwirken vermag, wenn wir das innere Aufräumen zuerst angehen – und dann geschehen lassen. Das Leben selbst unterstützt diejenigen, die nach Licht im Dunkeln suchen und bringt teilweise ungeahnte Schätze aus den Kammern hervor. Was der Sache dienlich ist, ist eine selbstliebende, klare Absicht. Die gilt es als erstes zu formulieren. Denn Energie folgt immer der Aufmerksamkeit, und die ist gekennzeichnet von unserer Absicht. Ich bin mir absolut sicher: Wer beabsichtigt, für sein Pferd ein noch besseres Gegenüber zu werden, ein echter Partner, dem wird es gelingen.

Als ich an einem Spätsommertag mit vierzehn Jahren meine damals siebenjährige Traberstute wütend über die Weide jagte, weil sie sich mal wieder nicht einfangen ließ und vor Energie nur so strotzte, war ich zornig und verzweifelt.

Ich wollte nicht nur mit ihr ausreiten, ich musste es. Vollkommen überflutet von den Eindrücken des Tages war der Galopp auf Peggy das, was mir tagtäglich half, wieder Luft zu kriegen, meinen Geist zu beruhigen und zu einer Art Besinnung zu kommen. Nichts und niemand konnte mich so gut zu mir selbst zurückbringen, wie Peggy. Peggy und ihre Geschwindigkeit.

Peggy kam zwei Jahre zuvor von der Trabrennbahn und wurde verkauft, weil sie zu wenig zu zügeln war und sich anfangs auf überhaupt keine Kompromisse einließ.

Genau wie ich.

Waren wir erst einmal in Gang, jede für sich oder beide zusammen, gab es scheinbar nichts, was uns aufhalten konnte. Doch an diesem Tag ärgerte sie mich. Mit hoch erhobenem Kopf und ebenso empor gestrecktem Schweif galoppierte sie wie mit Sprungfedern unter den Hufen über die große Wiese und ließ mich ihr nachrennen. Ich hatte keine Chance. Ich versuchte einen Moment, ihr zumindest mit meinem Fokus und meinem Ehrgeiz auf den Fersen zu bleiben, doch es half nichts, ich konnte nicht im Geringsten mithalten und an ein Einfangen war überhaupt nicht zu denken. Wenn Peggy nicht wollte, dann war das auf dieser großen Wiese schlicht ergreifend unmöglich, sie einzufangen. Meine Wut und meine Verzweiflung darüber, wie ich damit umgehen sollte, steigerten sich noch, als sie in großen Runden um mich herum im Kreis galoppierte und wie beflügelt niemals wieder anzuhalten schien. Herausfordernd schaute sie mich an und stieß einen vor Lautstärke dröhnenden, übermächtigen Freudenschnauber aus. Sie war fröhlich, übermütig, sich ihrer Überlegenheit bewusst und hatte Freude daran, sich in bester Form und Laune zu präsentieren. Ich dagegen fühlte mich klein und unbeschreiblich unfähig. Ich raffte meine ganze gestaute Wut zusammen, nahm den Strick des Halfters in die andere Hand und dachte mir, ich würde ihr nun einfach den Weg abschneiden, um sie zu bremsen und ihr zumindest ihren Spaß zu verderben. Wenn ich keinen Spaß haben konnte, dann sollte sie mir nicht so deutlich vor Augen führen, dass sie ihn hatte, jederzeit haben konnte und dazu auch gar niemanden brauchte. Sie war vollkommen unabhängig. Ich nicht. Ich brauchte sie. Also war ich in der Konstellation die zweite im Bunde. Sie war die Chefin, sie war erhaben. So schien es zumindest.

Geschickt begann ich, mich immer dorthin zu orientieren, wo entlang sie in einigen Sekunden triumphierend rennen würde. Ich nannte das damals Wahrscheinlichkeitsrechnung. Und darin war ich nicht nur in der Schule sehr gut. Wenn sie irgendwo entlang lief, wandte ich mich komplett von ihr ab, um mich an den Punkt an den Zaun auszurichten und verdeutlichte meine Präsenz mit dem Seil Richtung Zaun. Mit dem Seil schwingend versperrte ich ihr dort den Durchgang. „Hier kommst Du nicht entlang, das ist mein Pfad,“ hatte ich dabei nicht nur im Kopf, sondern spürte es voller Überzeugung in jeder Zelle. Peggy war ebenso gut in dieser Art Wahrscheinlichkeitsrechnung. Sie sah, was ich tat, und sie reagierte unmittelbar...