Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2019

von: Studienverlag

Studienverlag, 2019

ISBN: 9783706560153 , 192 Seiten

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Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2019


 

Abb. 1: Hans Schäufelein, Beweinung Christi, Ausschnitt aus einem Entwurf für ein Glasfenster mit der Beweinung Christi und einem Stifterpaar (Heinrich Zehentner und Caritas Hofstetter), 1507, Tusche auf Papier, Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna, Arezzo, Inv.-Nr. 109.
Foto: Francesco Bini, Wikimedia Commons, licensed by CC BY-SA 3.0, url: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 (Zugriff: 26.9.2019).

EINE NEU ENTDECKTE ZEICHNUNG VON HANS SCHÄUFELEIN


Der Entwurf für ein Stifterfenster des Froners Heinrich Zehentner in Schwaz1


Uwe Gast


ABSTRACT


It is a well-known fact that the German painter and designer Hans Schäufelein went to Tyrol for some two years after his stay in Nuremberg at the workshop of Albrecht Dürer (c. 1503–1507). The small oeuvre of Schäufelein in Tyrol can be expanded by a further work, a really unexpected finding. It is a design for a stained glass window that was planned by the so-called Froner Heinrich Zehentner and his wife, Caritas Hofstetter, for the Church of Our Lady in Schwaz. The drawing of Hans Schäufelein, originated from his journey from Nuremberg to Meran in 1507, derives from the collection of Mario Salmi and is now kept in the Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna in Arezzo. Although only preserved as a sketchy design, the projected Düreresque window should be without doubt an outstanding part of the church furniture made by several artists from Swabia, Bavaria and even Franconia. Concerning the patron Heinrich Zehentner and his personal environment, there were a lot of connections to Nuremberg. Therefore it seems possible that Schäufelein started his journey to Tyrol with good prospects of concrete orders.

ZUSAMMENFASSUNG


Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass der Maler und Grafiker Hans Schäufelein sich nach seiner Zeit in der Werkstatt von Albrecht Dürer (ca. 1503–1507) für etwa zwei Jahre in Tirol aufgehalten hat. Dort ist er mit einem kleinen OEuvre zu fassen, dem sich als überraschender Fund ein weiteres Werk hinzufügen lässt. Es handelt sich um den Entwurf für ein Glasfenster, das der Froner Heinrich Zehentner und seine Frau Caritas Hofstetter für die Filialkirche Unserer Lieben Frau in Schwaz geplant hatten. Das 1507 datierte Blatt, das heute im Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna von Arezzo aufbewahrt wird, ist auf Schäufeleins Reise von Nürnberg nach Meran entstanden. Zwar ist es nur der flüchtige Entwurf eines von Dürer geprägten Künstlers, doch sollte das projektierte Werk in der reichen, von Künstlern aus dem ganzen süddeutschen Raum geschaffenen Ausstattung der Kirche ohne jeden Zweifel einen ganz eigenen Akzent setzen. Aus dem Umfeld, in dem der Stifter Heinrich Zehentner sich bewegt hat, führen vielerlei Spuren nach Nürnberg, sodass Hans Schäufelein seine Reise nach Tirol möglicherweise mit der konkreten Aussicht auf Aufträge angetreten hat.

Abb. 2: Hans Schäufelein, Entwurf für ein Glasfenster mit der Beweinung Christi und einem Stifterpaar (Heinrich Zehentner und Caritas Hofstetter), 1507, Tusche auf Papier, Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna, Arezzo, Inv.-Nr. 109. Foto: Francesco Bini, Wikimedia Commons, licensed by CC BY-SA 3.0, url: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 (Zugriff: 26.9.2019).

Es ist nicht wirklich zu erwarten, in einem kleinen italienischen Museum auf die Zeichnung eines deutschen Malers der frühen Neuzeit zu treffen. Im Global Village des 21. Jahrhunderts ist ein solcher Fund aber leicht möglich. Dank der vielen Bilder, die im Netz zu einzelnen Sammlungen, Künstlerinnen und Künstlern oder Bildgegenständen und -themen publiziert sind und laufend publiziert werden, sind Trouvaillen im Grunde fast an der Tagesordnung. Eine offenbar die Pfarrkirche von Schwaz in Tirol betreffende Entdeckung – die Zeichnung eines Fensters, die in Arezzo im Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna aufbewahrt wird – soll im Folgenden vorgestellt und diskutiert werden.

Das Blatt – eine in Teilen aquarellierte Tuschzeichnung auf Papier mit den Maßen 13 x 28 cm (Abb. 1, 2) – stammt aus der Sammlung des Kunsthistorikers Mario Salmi (1889–1980). Es wurde zusammen mit einigen weiteren Werken im November 2010 von dessen Tochter, Lina Magnanelli Salmi, dem Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna in Arezzo geschenkt und 2012, vermutlich aufgrund von Notizen Salmis, als eine „Veduta“ des Nürnberger Malers Michael Wolgemut publiziert.2 Indes, man braucht kein Spezialist für Kunst um 1500 in Nürnberg zu sein, um diese Zuschreibung als Irrtum zu erkennen. Das Blatt stammt vielmehr von der Hand eines Künstlers, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Umkreis von Albrecht Dürer tätig gewesen sein muss, und offensichtlich war dies, wie noch zu diskutieren sein wird, Hans Schäufelein (1480/1485–1538/1540). Darüber hinaus enthält die Darstellung so detaillierte Informationen, dass sie, genauer als bisher, als Entwurf zu einem Stifterfenster für einen Sakralbau in Schwaz in Tirol identifiziert werden kann. Welche Bedeutung kommt diesem Blatt zu? Was verrät es über die Vita des Künstlers, über das Repräsentationsbedürfnis des Stifterpaares, über den Bergbauort Schwaz selbst, an dem eine Vielzahl von Kunstwerken unterschiedlicher Herkunft versammelt war?

Dargestellt ist die untere Partie eines Fensters, die durch senkrechte Pfosten in drei Bahnen und durch waagerechte Eisen in zwei Zeilen unterteilt ist. Die untere Zeile mit drei Scheiben von leicht hochrechteckigem Format ist vollständig sichtbar, die obere Zeile ist lediglich angedeutet. Die figürliche Komposition ist der Fensterarchitektur entsprechend dreiteilig aufgebaut. Über einem Sockelband mit durchlaufender Inschrift ist in der Mittelbahn Maria mit dem toten Christus zu sehen, in den Außenbahnen knien, von ihren Vollwappen begleitet, der Stifter und seine Frau. Sowohl Maria und Christus als auch Stifter und Stifterin werden überfangen von Baldachinen aus dichtem Ast- und Laubwerk, das, gleichsam rhythmisiert, in der Mitte üppiger als auf den Seiten gestaltet ist. Die Hauptäste deuten jeweils einen Kielbogen an, ohne dass sie sich in die nächste, verkürzte Zeile fortsetzen und dort zusammenfinden würden. Die breit gelagerten Bogen- und Astwerkfüllungen dieser oberen Zeile bilden stattdessen einen für sich stehenden friesartigen Abschluss. Letzteres deutet möglicherweise darauf hin, dass die gesamte Komposition – Sockelband mit Inschrift, Beweinung Christi, Stifter und Stifterin, Bekrönungen – zu einem nur partiell farbig verglasten Fenster gehören sollte.

Stifter beziehungsweise Auftraggeber und Ausführungsdatum dieses projektierten Fensters werden in der Sockelinschrift genannt: „Hainrich Zechentner dy zeit froner / Anno dom[in]i 1507 / Karitas Hofsteterin sein haw[sfraw]“. Zwischen den Worten „zeit“ und „froner“ wurde, wohl auf Wunsch des Stifters, noch die Formel „Ro[emisch] k[ö]n[iglicher] m[aje]s[tä]t“ nachgetragen, wie sie ähnlich in einer Rundscheibe von 1514 für denselben Auftraggeber erscheint (Abb. 3).3 Heinrich Zehentner – in dieser Schreibweise ist sein Name überwiegend überliefert – legte offenbar großen Wert darauf, dass er das Froneramt zu Schwaz, das heißt die Aufgabe des Einzuges des Bergzehnten, im Jahr 1501 vom Landesfürsten Maximilian I. verliehen bekommen hatte und sein Titel richtig genannt wurde.4 Zuvor war er seit Längerem als Verweser eingesetzt gewesen. Nach seiner Absetzung infolge des Bergarbeiteraufstandes 1525 schrieb er, ein alter Mann, an Erzherzog Ferdinand I., er habe das Froneramt 38 Jahre verwaltet.5 Sein Wappen stellt in Rot einen silbernen Schwan mit ausgebreiteten Flügeln dar, das Wappen seiner Frau Caritas Hofstetter eine doppelte, von zwei Sternen begleitete Lilie. Von Letzterer ist bekannt, dass sie im Jahr 1548 verstorben war.6

Abb. 3: Rundscheibe (Pasticcio) aus Schwaz mit der Inschrift „Hainrich Zehentmär Rö[misch] Kay[serlicher] M[ajestä]t Frener zv Schwacz 1514“, Augustiner-Chorherrenstift, Herzogenburg, Inv.-Nr. D 27. Foto: Corpus Vitrearum Österreich / Christina Wais-Wolf.

Heinrich Zehentner war also bereits viele Jahre in Schwaz ansässig und als Steuerbeamter eine angesehene Persönlichkeit, als er zusammen mit seiner Frau die in der Zeichnung dokumentierte Fensterstiftung plante. Ob sie überhaupt jemals ausgeführt wurde oder einfach nur verloren ist, bleibt ungewiss. Sie ist aber eine von drei projektierten und/oder realisierten Kunststiftungen, die heute noch mit seinem Namen verbunden werden können.7

Das Projekt fiel in eine Zeit fiebriger Bau- und Ausstattungstätigkeiten in Schwaz.8 Der Ort war infolge der Reaktivierung des Bergbaues um 1420/1430 bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts von einer Siedlung zu einem Wirtschafts- und Finanzplatz mit bis zu 20.000 Einwohnern angewachsen. Politisches, ökonomisches und religiöses Zentrum wurde der Ortsteil „Markt“, jenes Quartier südwestlich des Lahnbaches und östlich des Flusses Inn, in dem binnen weniger Jahrzehnte nicht nur das Gerichtshaus sowie Geschäfts- und Wohnhäuser verschiedener Gewerkenfamilien, sondern auch...