Kein Ring, kein Kuss - Erinnerungen an Israel

von: Mark Hollberg

BookRix, 2022

ISBN: 9783736880825 , 371 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Kein Ring, kein Kuss - Erinnerungen an Israel


 

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Die Kibbuzleitung war sehr daran interessiert, dass wir Helfer auch Land und Leute außerhalb unserer landwirtschaftlichen Siedlung kennenlernten. Vielleicht wollten sie auch nur wenigstens einen Tag im Monat ihre Ruhe haben und schickten uns irgendwohin, wofür in regelmäßigen Abständen Ausflüge mit dem Bus organisiert wurden. Ein englischsprechender Kibbuznik mit viel Geduld wurde uns als Fremdenführer zur Seite gestellt und auf ging es zum Toten Meer. Und auf dieser Fahrt trat Daliah in mein Leben, das bislang aus Plastikprofilen, landwirtschaftlichen Produkten und Hühnern bestand. Daliah war eine Neueinwanderin aus dem Iran, hatte gerade ihren sprachlichen Einbürgerungskurs bei uns im Kibbuz absolviert und war noch unentschlossen bezüglich ihrer Zukunft in Israel. Viele Kibbuzim verfügen über einen sogenannten Ulpan, einen Crashkurs in Hebräisch für Neueinwanderer. Dieser Hebräischkurs ist eine Mischung aus Lernen und Arbeiten und dauert meistens ein halbes Jahr, schließlich Hebräisch die Amtssprache Israels und jeder Neueinwanderer sollte Hebräisch in Wort und Schrift beherrschen. Ungefähr 20 bis 30 Neueinwanderer aus dem Iran, aus Russland, aus den USA oder Argentinien sitzen den ganzen Vormittag in einem Klassenzimmer und lernen gemeinsam ihre neue Sprache. Anschließend wird auf dem Feld oder in der Küche gearbeitet und danach müssen noch Hausaufgaben erledigt werden. Ein Ulpan ist wahrlich kein Honigschlecken, sondern ziemlich anstrengend.

 
Wer etwas darüber lesen möchte, woher die Israelis eigentlich kommen, liest hier weiter. Alle anderen überspringen diesen Teil:

 
Israel ist ein noch junger Staat. Er wurde am 14. Mai 1948 gegründet. Israel liegt direkt am Mittelmeer und grenzt an die Staaten Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten. Die Amtssprache ist hebräisch. Hebräisch wird wie arabisch von rechts nach links gelesen und geschrieben. Aber woher kommen die Israelis? Heute sind die meisten Israelis in Israel geboren. Das war aber nicht immer so. Israel hat ca. 8 Mio. Einwohner. Seine Hauptstadt ist Jerusalem mit 769.000 Einwohnern. Das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum ist Tel Aviv mit 404.000 Einwohnern. Die drittgrößte Stadt ist Haifa mit 268.000 Einwohnern. In Israel lebt ein buntes Völkergemisch aus mehr als 100 Ländern. Sowohl der blonde Nachkomme deutscher Einwanderer als auch der eher dunkle Äthiopier sind Israelis. Zur Zeit der Staatsgründung waren die wenigsten Israelis im Lande geboren. Sie nennt man Sabra oder Sabre. Wörtlich übersetzt »Kaktusfeige« oder »Distel«.

 In Wellen (Alija) kamen die jüdischen Einwanderer aus allen Ländern der Welt. Es herrschte eine babylonische Sprachvielfalt in Israel, vormals Palästina, wobei sich erst nach und nach Hebräisch als allgemeine Landessprache durchgesetzt hat. Die erste Einwanderungswelle fand von 1883 bis 1903 statt. Die Einwanderer kamen hauptsächlich aus Osteuropa, Russland und Jemen. Die zweite Alija von 1903 bis 1914 brachte Einwanderer aus Polen und aus Russland. 1919 bis 1923 fand die dritte Einwanderungswelle statt und brachte neue zukünftige Israelis aus Russland und Rumänien. Man bedenke, dass es noch gar keinen israelischen Staat gab und Palästina von 1920 bis 1948 unter britischer Verwaltung stand. Die Briten nannten die jüdischen Neueinwanderer »Palestinians« und erlaubten nur eine begrenzte Zuwanderung. 1924 bis 1931 kamen mit der vierten Einwanderungswelle hauptsächlich Polen und Russen nach Palästina. Die fünfte Welle fand von 1930 bis 1939 statt. Auslöser dieser Einwanderungswelle war die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland und brachte hauptsächlich deutsche und polnische Juden nach Palästina.

 Nach der Staatsgründung Israels im Jahr 1948 war die Einwanderung von Juden sehr einfach. Jeder Jude, egal aus welchem Winkel der Welt er kam, hatte ein verbrieftes Recht, sich in Israel anzusiedeln.

 In den Jahren 1948 bis 1951 kamen ungefähr 700.000 Neueinwanderer aus dem Irak, aus Ägypten, Jemen, Rumänien sowie aus Polen. 1955 bis 1957 wanderten 100.000 Juden aus Tunesien, Libyen, Marokko und Algerien ein. 100.000 Einwanderer kamen 1969 bis 1975 aus der damaligen UDSSR. 1984 und 1985 kamen etwa 10.000 äthiopische Juden nach Israel. 600.000 neue israelische Staatsbürger kamen 1989 bis 1995 aus der ehemaligen Sowjetunion ins Land.

 

So unterscheidet man die jüdischen Bevölkerungsgruppen:

 

  • Aschkenasim

  • Sephardim 

  • Misrachim

 


Die Aschkenasim stammen von Einwanderern aus Europa/Amerika und deren Nachkommen ab. Als Sephardim bezeichnet man die Gruppe, deren Vorfahren bis 1513 auf der Iberischen Halbinsel lebten und vertrieben wurden. Nach der Vertreibung siedelten sich die Sephardim im Osmanischen Reich und im Maghreb (Nordwest-Afrika) an. Die Misrachim stammen von Einwanderern aus dem Vorderen Orient und Nordafrika ab.

 Die verstorbene Sängerin Ofra Haza gehört zu den Misrachim. Ofra Hazas Eltern kamen aus dem Jemen. Sie selbst wurde in Tel Aviv geboren. Der erste Ministerpräsident Israels, Ben Gurion sowie Golda Meir zählen zu der Gruppe der Aschkenasim. Sie kamen aus Polen bzw. Russland. Esther Ofarim (erinnert sich noch jemand?) wurde 1941 in Safed/Galiläa geboren. Eine Sabra. Ebenso wie ihr damaliger Mann und Gesangspartner Abi Ofarim. Oder wie Daliah Lavi, Tochter einer Deutschen, geboren in Palästina. Esther und Abi Ofarim waren in den 60er Jahren sehr erfolgreich und Daliah Lavi war mit ihren auf Deutsch gesungenen Liedern in den 70er ganz oben in der Hitparade. Lotte Cohn, die weltbekannte israelische Architektin, wurde in Deutschland geboren und ist in Tel Aviv gestorben. Ephraim Kishon, der berühmte Humorist, wurde in Budapest geboren, seine Frau Sara Kishon im damaligen Palästina und Kishons erste Frau stammte aus Österreich.

 

Hier geht es regulär weiter: 

 


Unser Reiseleiter war ein aufgeweckter Israeli mit hervorragenden Englischkenntnissen, der ursprünglich aus dem Jemen stammte und Daliah unterstützte ihn. Die orientalischen Juden blicken auf eine lange Tradition und Kultur in ihren ehemaligen Heimatländern Jemen, Tunesien, Algerien oder dem Iran zurück. Praktisch seit Menschengedenken lebten sie dort in Eintracht mit ihren arabischen Nachbarn und wurden erst nach Staatsgründung Israels massiv von den Machthabern aus ihrer angestammten Heimat vertrieben.

Als ich Daliahs Namen das erste Mal hörte, fiel mir sofort die israelische Sängerin Daliah Lavi ein, die in den 70er Jahren auch in Deutschland mit ihrer rauchigen Stimme sehr erfolgreich war. Auch Daliah Lavi spricht wie viele andere Israelis ein gutes Deutsch, denn ihre Mutter war Deutsche. Meine Daliah allerdings sprach überhaupt kein Deutsch, sondern nur Persisch bzw. Farsi, Hebräisch und etwas Englisch. Daliah ließ ihren Blick über unsere internationale Reisegruppe schweifen und irgendwie trafen sich unsere Blicke. Vielleicht habe ich auch ihren Blick gesucht. Sie war ausgesprochen hübsch mit dunkelbraunen Augen und schwarzen Haaren, die sie stets und ständig mit einer Spange nach oben gesteckt hatte. Ein paar widerspenstige Haarsträhnen tanzten meistens aus der Reihe und ragten wie indianischer Federkopfschmuck nach oben. Ich war ganz sicher, dass ihr Blick viel länger auf mir ruhte, als auf den anderen. Ich musste ihr mit meinen dunkelblonden kurzen Haaren, der hellen Haut und den hellen Augen auch ziemlich exotisch vorkommen. So wie sie mir.

 Es kann aber auch nur ein Wunschgedanke gewesen sein. Eine Einbildung. Schließlich sahen die meisten Volontäre so aus wie ich. Junge Männer neigen oft zur Selbstüberschätzung und glauben, die Damenwelt liegt ihnen nur aufgrund ihres famosen Aussehens zu Füßen, was bei meinem Schweizer Freund Urs auch tatsächlich zutraf. Bei mir eher weniger. Aber manchmal liegt in Legenden doch ein Körnchen Wahrheit. Es kann auch sein, dass ich ihren prüfenden Blick aufgefangen und zu lange erwidert habe. Ich habe gelesen, dass ein direkter Blick in die Augen bei vielen Nomaden der Sahara schon als Heiratsantrag gedeutet wird und der Blickende streng bestraft wird, wenn er dann seinen Blickantrag nicht einlöst. Im Sand einbuddeln zählt noch zu den milden Strafen. Der vermeintliche Heiratsantrag, die folgende Hochzeit und das restliche Leben können unter Umständen eine härtere Strafe bedeuten als die anderen Optionen. Aber zurück zum Toten Meer.

Mit unserem vollbesetzten Bus rumpelten wir also los, passierten die nächstgelegene Kleinstadt Kiryat Ata, fuhren durch Haifa, staunten über die Hängenden Gärten des Bahai Zentrums und nahmen die Richtung nach Tel Aviv. Hinter Tel Aviv bog der Bus scharf links ab Richtung Jordanien. Israel ist nicht sehr groß und überall sieht man Hinweisschilder wie diese: Jordanien 500 Kilometer. Damaskus 1200 Kilometer. Wenn ein wagemutiger Pläneschmied ankündigt, er wolle am nächsten Tag ganz Israel erkunden, stellen die meisten automatisch die Frage: »Und was machen Sie am Nachmittag?« Diese zutreffende Bemerkung stammt von Ephraim Kishon und ist in seinem Buch »Der seekranke Walfisch« zu finden und jetzt auch hier. Ein Teil des Toten Meeres gehört zu Jordanien, die andere...