Die Nacht, als das Feuer kam - Dresden 1945

von: Sinclair McKay

Goldmann, 2020

ISBN: 9783641252694 , 560 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 19,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Die Nacht, als das Feuer kam - Dresden 1945


 

Vorwort

Dresden damals –
die Stadt im Spiegel der Zeit


An der Schlossmauer, im Schatten der Kathedrale, kann es gelegentlich passieren, dass das winterliche Zwielicht für einen atemberaubenden Moment sorgt. Wenn man sich umblickt, wird es einem vielleicht nur für einen flüchtigen Augenblick so vorkommen, als wäre man vollkommen allein. Und hier auf diesem dreieckigen Geläuf aus Kopfsteinpflaster und reicher Steinmetzkunst – dem Schlossplatz, der von dem großen Torbogen überragt wird, der zum Schlosshof führt, und der Kirchturmspitze, die sich hoch und scharf gegenüber dem violetten Himmel abzeichnet – kann sich die Zeit ihrer Fesseln entledigen.

Wenn Sie sich ein bisschen in Kunstgeschichte auskennen, finden Sie sich vielleicht ins frühe 19. Jahrhundert zurückversetzt, eine Figur, die in einem Gemälde Casper David Friedrichs eingefroren scheint; der Maler der Romantik lebte in Dresden und tauchte Kirchen und Kathedralen auf seinen Bildern in zitronenfarbenes Sonnenlicht. Vielleicht gehen Sie auch noch ein Stück weiter in der Zeit zurück und lustwandeln in einer eleganten Landschaft Bellottos, der sich ebenfalls von der architektonischen Eleganz angezogen fühlte – weitläufige Marktplätze, wunderschön proportionierte Häuser und öffentliche Prachtbauten prägten das Bild der Stadt in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Wenn Sie lang genug dort stehen, nehmen Sie auch die Musik wahr, die die damaligen Künstler gehört haben müssen: die Glocken der Katholischen Hofkirche, deren Klang eine gewisse Dringlichkeit hat, wenn nicht gar fast schon nach Aufruhr klingt, sowie einen tieferen Nachhall, als würden sie grollen.

Und in dieser Beinahe-Nichtübereinstimmung kann es passieren, dass sich die jüngere, weitaus schrecklichere Vergangenheit ebenfalls einstellt, wie ein uneingeladener Gast; viele Menschen, die sich hier gerade aufhalten, können gar nicht anders, als sich das tiefe Brummen der Flugzeugmotoren über sich vorzustellen. Der Himmel erleuchtet von grünen und roten Leuchtraketen, gefolgt von lodernden Flammen in der ausgebrannten Kathedrale, die noch höher aufragen.

Solche Visionen beschränken sich nicht auf diesen einen Ort. Nur einige Meter von diesem Platz liegt die Brühlsche Terrasse, die die Elbe und ihre erstaunlich breiten Uferflächen überblickt. Heute wie damals erstreckt sich dieser Teil der Dresdner Befestigungsanlage entlang der Kunstakademie, die von einer glänzenden Glaskuppel gekrönt wird. Genau wie bei der Hofkirche mäandert jeder Spaziergang in zwei zeitlich verschiedenen Sphären – Sie sind gleichzeitig hier in der Gegenwart und bestaunen die Elbe, die sich durch das Tal schlängelt, und gleichzeitig sehen Sie im kalten, klaren Nachthimmel Hunderte Bomber, die von Westen auf die Stadt zuhalten. Sie stellen sich die verängstigte Bevölkerung vor, die der Hochofenhitze zu entrinnen sucht und instinktiv hinunter zum Fluss flüchtet. Das ist die makabre Wahrheit über Dresden: Jeder noch so schöne Augenblick trägt für den Bruchteil einer Sekunde auch immer das Bewusstsein von der schrecklich anmutenden Gewalt in sich. Alle Besucher dieser Stadt werden diesen kurzen Moment der Störung und Verwerfung gespürt haben; Unbehagen trifft es nicht, denn das Gefühl ist nicht gespenstischer Natur. Aber es gibt sie, die unbarmherzige Grausamkeit angesichts des Nebeneinanders von märchenhaft anmutender Architektur und dem Wissen, was sich hier ereignet hat. Und natürlich wurden hier Illusionen auf Illusionen errichtet: viele der märchenhaften Bauten, die wir heute bestaunen können, sind bei der Katastrophe zerstört worden.

Es ist beinahe unmöglich, sich die Stadt vorzustellen, die der Expressionist Conrad Felixmüller in den 1920er-Jahren mit so viel Esprit skizziert hat; über die Mauern und das Glas zu staunen, die Margot Hille, ein siebzehnjähriges Lehrmädchen in einer Brauerei im Westen der Stadt, auf ihrem Heimweg während des Krieges Mitte der 1940er-Jahre gesehen haben musste, oder die annehmliche Welt des Bürgertums, die Dr. Albert Fromme und die Isakowitzens sowie Georg und Marielein Erler zu Beginn des Jahrhunderts erlebt haben – die schicken Restaurants, das Opernhaus, die exquisiten Galerien. Es ist beinahe unmöglich, sich all diese Dinge vorzustellen, denn nur in einer einzigen Nacht, am 13. Februar 1945 und nur einige Wochen vor Kriegsende, überflogen siebenhundertsechsundneunzig Bomber diesen Platz und diese Stadt und öffneten – mit den Worten einer jungen Zeitzeugin – »die Pforten zur Hölle«. Dieser einen infernalischen Nacht fielen etwa fünfundzwanzigtausend Menschen zum Opfer.

Dresden wurde – nach und nach – wiederaufgebaut, und nicht ohne diverse Schwierigkeiten und Konflikte. Die minutiös ausgeführten Restaurationsarbeiten haben sich mit der einfühlsamen, modernen Landschaftsgestaltung verwoben, sodass sich dem Besucher das Neue an den wiederaufgebauten Gebäuden auf den Marktplätzen nicht sofort offenbart. Doch kurios bleibt, dass trotz der wundersamen Wiederauferstehung die Ruinen irgendwie präsent bleiben.

Im Falle der im 18. Jahrhundert errichteten Frauenkirche, die den Neumarkt überstrahlt, ist es geradezu augenscheinlich: Der Eindruck ist beabsichtigt, wie der blasse Sandstein des restaurierten Gotteshauses, das sich hoch in den Himmel erhebt, mit dem geschwärzten Original-Mauerwerk kontrastiert, der sich wie verkrüppelte Stümpfe abhebt – der klägliche Rest, der nach dem Überflug der Piloten des britischen Bombergeschwaders (sowie am Folgetag der 8. US-Luftwaffe) übrig blieb.

Die Stadt ist nun zu einer Art Totem für die Obszönität des Totalen Kriegs geworden: Wie Hiroshima und Nagasaki wird ihr Name mit totaler Vernichtung in Verbindung gebracht. Die Tatsache, dass die Stadt tief im Herzen von Nazideutschland lag und sich tatsächlich schon früh und enthusiastisch für die menschenverachtende Nazipolitik begeisterte, macht den Gordischen Knoten dieses außergewöhnlichen moralischen Dilemmas noch vertrackter.

Im Verlauf der Jahrzehnte wurde die Krassheit dieser Moral – und Unmoral – sowohl der Stadt als auch ihrer Zerstörung durch das Feuer diskutiert und analysiert, begleitet von Wut, Reue, Leid und Entsetzen in den unterschiedlichsten Abstufungen. Solche Auseinandersetzungen haben sich bis heute gehalten. In Dresden existiert das Vergangene in der Gegenwart, und man kann sich nur vorsichtig durch diese Schichten von Zeit und Erinnerung vorwagen.

Eine weitere Schwierigkeit bringt die jüngste Vergangenheit der Stadt mit sich: Nach dem Krieg war Dresden Teil der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die unter sowjetischer Kontrolle stand. Die Sowjets übernahmen im buchstäblichsten Sinne die Hoheitsgewalt über die Geschichte, und sie waren es auch, die neue Gebäude im Zentrum errichteten, die den Weg in die Zukunft weisen sollten. Im Zuge der europaweiten Feierlichkeiten rund um die Deutsche Wiedervereinigung im Jahre 1990 gab (und gibt) es viele Menschen, die den Zusammenbruch der DDR betrauerten.

Eine von Dresdens berühmtesten Persönlichkeiten ist der Intellektuelle Victor Klemperer, einer der wenigen jüdischen Einwohner, der noch in der Stadt verblieb, als die meisten schon in die Vernichtungslager deportiert waren. Er bemerkte nach dem Krieg, dass die Stadt einst ein »Schmuckkästchen« war und mit einer der Hauptgründe dafür, warum der Feuersturm so viel Aufmerksamkeit erregte. Denn gewiss haben andere deutsche Städte und Gemeinden proportional gesehen mehr gelitten; die Stadt Pforzheim wurde einige Wochen nach dem Angriff auf Dresden bombardiert und erlitt innerhalb nur weniger Minuten prozentual gesehen höhere Verluste im Vergleich zu den außergewöhnlich hohen, absoluten Opferzahlen in Dresden.

Und es gab weitere Feuerstürme: 1943 regneten auf die Häuser und Wohnungen Hamburgs, deren Dachstühle und Treppenhäuser aus Holz bestanden, tonnenweise Brandbomben herab; die Brände griffen um sich, Glas splitterte, Dächer stürzten ein. Und die Piloten im orange erleuchteten Himmel hatten mit Erstaunen dabei zugesehen, wie sich die Flammen über engen Gassen miteinander vereinigten und einen immer größeren Feuerkessel bildeten, der die Elemente durcheinanderwirbelte: Luft wurde abgesaugt und sengendheiße, tornadoartige Winde bahnten sich den Weg in den Nachthimmel. Und die Menschen, die nicht einfach verbrannt oder in der Hitze förmlich zu Tode gebacken wurden, erstickten stattdessen, die Lungen von jedem, immer vergeblicheren Atemzug verätzt.

Des Weiteren wären Köln, Frankfurt, Bremen, Mannheim, Lübeck zu nennen, die Aufzählung ist nicht vollständig; bei den meisten von ihnen, einmal abgesehen von dem schwer vorstellbaren tödlichen Blutzoll, sind die architektonischen Verluste zu beklagen: die Paläste, die Opernhäuser, die Kirchen, einst ideelles Symbol für die europäische Zivilisation.

Anders als viele andere Städte in Westdeutschland genoss Dresden, das nahe an der polnischen und tschechischen Grenze und etwa hundert Kilometer von Prag entfernt ist, international bereits einige Aufmerksamkeit. Die Stadt war sowohl für ihre außergewöhnlichen Kunstsammlungen, für ihre reiche sächsische Geschichte als auch für die einladende Naturlandschaft berühmt, die sich rings um ihre wunderschönen Barockkirchen, Kathedralen und Gässchen erstreckte. Damals wie heute schien Dresden einen Schritt weiter, so tief im Elbtal gelegen und umgeben von sanften Hügelketten, die sich in der Ferne zu malerischen, bewaldeten Bergen erhoben. Im frühen 19. Jahrhundert beschrieb der Philosoph Johann Gottfried Herder Dresden als das »deutsche Florenz«, wobei er bewundernswerte Parallelen zwischen den beiden Städten aus dem Hut zauberte; nach...