Lea und die Pferde - Das Traumpferd fürs Leben - Band 3

von: Christiane Gohl, Sarah Lark

Baumhaus, 2019

ISBN: 9783732578900 , 160 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Lea und die Pferde - Das Traumpferd fürs Leben - Band 3


 

Hecken voller Geister


Morgen, Joker!«
Ich hatte die Worte noch nicht ganz ausgesprochen, da antwortete mir auch schon ein ohrenbetäubendes Wiehern. Joker konnte mich von seiner Box aus nicht sehen, aber er erkannte mich wohl am Schritt. Jedenfalls warf er sofort die Trompete an, sobald ich die Stalltür öffnete. Joker war ein großes Pferd – ein riesiges Pferd, genauer gesagt – mit entsprechend dröhnender Stimme.

Mein Freund Thorsten, der in der Stallgasse vor den Boxen seinen Schimmel Mano putzte, hielt sich die Ohren zu.

»Müsst ihr euch zur Begrüßung anbrüllen?«, fragte er.

Thorsten war manchmal etwas eifersüchtig, wenn Joker und ich zu sehr auf Traumpaar machten. Ebenso wie Jokers eigentliche Besitzerin, Frau Müller-Westhoff. Aber ich machte mir da nichts vor: Jokers Begeisterung für mich entsprang einfach der Tatsache, dass ich ihn nicht ritt. Frau Müller-Westhoffs Riesenross war im wahrsten Sinne des Wortes mein Pflegepferd. Ich brachte Joker auf die Weide, putzte ihn über, wenn er sich da dreckig machte, und veranstaltete auch schon mal ein Badefest, wenn seine Reiter wie üblich vergaßen, ihn abzuspritzen. Für all das gab mir Frau Müller-Westhoff jede Woche zehn Euro, was mich ganz verlegen machte. Schließlich hätte ich mich auch umsonst um Joker gekümmert. Aber Frau Müller-Westhoff hatte ein chronisch schlechtes Gewissen, weil sie mich nicht reiten ließ – was wiederum damit zusammenhing, dass sie Joker für gemeingefährlich hielt. Ich vermisste da allerdings nicht viel. Reiten war nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung und eigentlich hatte ich mir auch gar nichts aus Pferden gemacht. Ich war nur im Schlepptau meiner Mutter in diese ganze Reitstallgeschichte hineingerutscht. Die hatte im letzten Jahr ganz plötzlich entdeckt, dass sie ohne Pferde nicht mehr leben konnte – vermutlich eine Form von Midlife-Crisis. Leider traute sie sich allein nicht in die Reitschule und so lotste sie mich mit List und Tücke in einen »Mutter-Tochter-Reitkurs«. Dabei hatten wir Thorsten und seinen Vater kennengelernt. Eine peinliche Situation, aber dann funkte es eben. Erst zwischen mir und Joker Riesenross und schließlich auch zwischen mir und Thorsten. Wobei mir beide am Anfang vor allem leidtaten. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Joker zum Beispiel war eine Sportskanone. Und seiner Besitzerin war so ziemlich jedes Mittel recht, um sein Talent zum Dressurpferd zu wecken. Er reagierte darauf mitunter etwas ungehalten, was ich ihm nicht verdenken konnte. Und wenn Joker die Geduld verlor, entledigte er sich auch schnell seiner Reiter. Frau Müller-Westhoff stellte ihr Pferd deshalb manchmal so dar, als bedeute ein Ritt auf ihm so etwas wie eine Mount-Everest-Besteigung ohne Sauerstoff. Dabei konnte Joker durchaus nett sein. Bei meinen bisherigen zwei Reitversuchen hatte er jedenfalls nie Anstalten zum Bocken oder Durchgehen gemacht. Aber dafür zog ich auch nicht an seinen Zügeln oder stach mit Sporen auf ihn ein. Joker war Friedensverhandlungen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Leider taugten seine Reiter nicht zu Diplomaten.

Thorsten wiederum war alles andere als ein Sportler. Weder mit Gewalt noch mit Verständnis war bei ihm Talent zu erwecken – dafür hatte er andere Qualitäten. Thorsten war rundlich, unbeweglich und fiel mitunter schon im Schritt vom Pferd. Trotzdem wollte sein Vater unbedingt einen Springreiter aus ihm machen und kaufte ihm gleich nach dem ersten Reitkurs das Super-Springpferd Mariano. Zuerst sah das nach einer Katastrophenbeziehung aus, aber zu Thorstens Stärken gehörte seine diplomatische Begabung. Inzwischen hatte er sich mit »Mano« zusammengerauft und auch den Ehrgeiz seines Vaters in erträglichere Bahnen gelenkt: Thorsten und Mano betrieben neuerdings Westernriding. Thorsten hoffte, dass Mano dadurch ruhiger wurde, Thorstens Vater träumte von einer Verwandlung seines Sohnes in John Wayne.

»Was machst du denn so früh hier?«, fragte Thorsten mich jetzt, während ich Joker ein Begrüßungsleckerli ins Maul steckte. Vorher hatte ich Thorsten kurz ein Küsschen auf die Wange gedrückt – eine Reihenfolge, die streng einzuhalten war. Beide waren eifersüchtig, aber Joker vergab schneller. »Wolltet ihr nicht heute zu diesem Reitkurs?«

Ich nickte. Seit einiger Zeit verbrachten meine Mutter und ich unsere Wochenenden mit der Suche nach der idealen Reitschule. Wir hatten schnell festgestellt, dass es uns im Vereinsstall nicht gefiel. Mom war pferdeverrückt, aber nicht ehrgeizig, und auch ich machte mir nichts aus Turnierreiterei. Wir hatten zunächst den örtlichen Islandpferdeverein ausprobiert – aber der entpuppte sich als kaum pferdefreundlicher als der Reitstall. Am Ende entkamen wir mit knapper Not, bevor man meiner Mutter für viel Geld irgendeinen Supertölter andrehen konnte. Moms Pferdebegeisterung konnte jedoch auch diese Erfahrung nicht dämpfen. Nach wie vor wälzte sie Zeitschriften und vor ein paar Wochen hatte sie nun wieder ein neues Angebot aufgetan: »Reiten mit allen Sinnen – Erspüren Sie das Wesen des Pferdes«. Den Kurs gab ein Typ im Weserbergland und meine Mutter hatte uns für dieses Wochenende angemeldet. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen.

»Arme Lea«, bemerkte Thorsten dann auch und gab mir ein Trostküsschen. »Aber du hättest vorher nicht vorbeikommen müssen. Ich könnte Joker doch eben rauslassen. Soll ich ihn wieder reinholen, wenn wir zurück sind?«

Thorsten hatte jeden Samstagmorgen Reitstunde bei einem Westerntrainer in der Nähe. Sein Vater fuhr ihn und Mano hin. Thorsten musste also sowieso früh aufstehen und ließ Joker schon mal für mich auf die Weide, damit ich ausschlafen konnte. In der Woche vor der Schule zum Stall zu fahren, war schließlich stressig genug.

Heute schüttelte ich jedoch den Kopf. »Er muss zum Turnier«, erklärte ich Thorsten. »Deshalb bin ich auch hier. Jemand muss ihm Mut zusprechen.«

»Armer Joker«, sagte Thorsten. Aber dann grinste er. »Obwohl Mut vielleicht nicht das ist, was er braucht. Wenn er seine Tapferkeitsanfälle kriegt, buckelt er Lena einfach runter. Vielleicht wünschst du ihm eher … hm … Demut? Oder Langmut?«

Ich verzog das Gesicht, Joker auch. Er hatte eine unglaublich bewegliche Nase, ein bisschen wie ein Tapir oder Ameisenbär.

»Joker findet das nicht komisch«, übersetzte ich sein Mienenspiel.

Thorsten nickte. »Er hat ja recht. Aber Mut ist trotzdem nicht das Richtige. Der schlägt zu schnell in Übermut um und dann wirft dein Riesenross Frau Müller-Westhoff ab …«

Frau Müller-Westhoff war für Joker keine ebenbürtige Gegnerin, was eigentlich für sie sprach. Eigentlich war sie nämlich ganz nett und hätte sicher nicht am Zügel gezerrt und Joker mit Sporen traktiert, wenn sie es besser gewusst hätte. Sie brachte auch nicht so viel Kraft und Energie dazu auf wie Jokers Bereiterin Lena, was wiederum kein Wunder war. Lena war Pferdewirt-Azubi und übte das Zügelziehen jeden Tag. Frau Müller-Westhoff dagegen pflegte meine Mutter als »Berufsgattin« zu bezeichnen. Sie verbrachte ihre Tage hauptsächlich mit Schönheitspflege – Joker war ihr »Ausgleichssport«. Möglicherweise wäre sie auch lieber durch den Wald geritten, als sich immer wieder in der Nahkampftechnik zu üben, den ihre Reitlehrerinnen als Dressur bezeichneten. Aber von der Vereinsreitlehrerin Frau Witt bis zu Jokers Vorbesitzerin, der berühmten Turnierreiterin Frau Beisendorf, erzählte ihr jeder, sie müsste ihr Pferd zu seinem Glück zwingen. Schon die Einführung von Jokers täglichem Weidegang hatte ziemliches Aufbegehren erfordert. Frau Müller-Westhoff hatte es regelrecht für ihn erkämpft und ich hoffte nun, dass Joker es ihr wenigstens mit einer kleinen Schleife vergelten würde. Wenn er dagegen Oberwasser kriegte und sie im Turnier abwarf, sperrte sie ihn womöglich wieder den ganzen Tag ein.

Ich kraulte ihn unter dem Stirnschopf und versuchte, ihm die Zusammenhänge zu erklären. Joker kaute derweil Heu und Leckerli und sabberte die Reste auf meine Hose. Ich seufzte. Meine Mutter wollte mich gleich hier abholen. Ich würde also verdreckt auf dem Reitkurs erscheinen. Egal: Ich konnte erzählen, Joker und ich hätten uns dem gegenseitigen Verständnis über den Geschmackssinn genähert.

Schon erklang draußen die Hupe unseres Kombis.

Diesmal kriegte erst Joker einen Schmatz auf die Nase, dann Thorsten.

»Macht’s gut, ihr drei«, verabschiedete ich mich und verschenkte den letzten Leckerbissen an Mano. »Viel Spaß im Wilden Westen! Und du schaffst das, Joker!«

Joker schickte mir ein trauriges Wiehern hinterher. Er hatte wohl gehofft, dass ich ihn auf die Weide brachte. Vielleicht war der frühmorgendliche Besuch doch keine so gute Idee gewesen. Im Gegenteil, im Moment sah er aus, als hätte ich ihn eher deprimiert …

Ich seufzte, als ich zu meiner Mom ins Auto stieg.

»Alles klar?«, erkundigte sie sich und lächelte mir zu.

Ich griff mir erst mal die Keksschachtel, die neben ihr auf dem Beifahrersitz gelegen hatte. Wenn wir früh aufstanden, hatten wir beide keinen Bock auf gesundes Frühstück, aber wir konnten uns die Zusatzkalorien auch problemlos leisten. In meiner ganzen Familie waren alle eher groß und schlank, meine Mom hatte früher sogar als Model gearbeitet. Für so eine Karriere sah ich bei mir allerdings schwarz. Ich hatte ein etwas zu rundes Allerweltsgesicht, ein paar Pickel und rotbraunes, unkämmbares Haar, das dazu neigte, in Büscheln hochzustehen. Eine Frisur ließ sich daraus kaum machen. Man konnte es lediglich auf witzig...