Die letzte Fahrt des Tramp Steamer - Roman. Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll

von: Álvaro Mutis

Unionsverlag, 2019

ISBN: 9783293308176 , 128 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Die letzte Fahrt des Tramp Steamer - Roman. Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll


 

Oft rechnet das Leben in einer Weise mit einem ab, über die man besser nicht einfach hinweggeht. Solche Abrechnungen sind wie Bilanzen, die es uns anbietet, damit wir uns nicht zu sehr in der Welt der Träume und der Fantasie verlieren und wieder zur warmen, täglichen Abfolge der Zeit zurückfinden, wo sich in Wirklichkeit unser Schicksal abspielt. Diese Lektion wurde mir etwas mehr als ein Jahr nach meinem Besuch in Finnland und meiner dortigen Begegnung erteilt, einer Begegnung, die zu einem immer wiederkehrenden Stoff meiner Albträume wurde. Ich weilte als Presseberater einer Kommission von Torontoer Technikern in Costa Rica, die eine Studie für den Bau einer Pipeline von einem Hafen, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere, ins Landesinnere erstellten. Freunde, die ich auf einer stürmischen, sich zwischen Alkohol und mehr als zweifelhaften Nachtklubs abspielenden Konferenz kennen gelernt hatte, hatten mich in San José zu einer Jacht-Kreuzfahrt durch die Nicoya-Bucht bei Punta Arenas eingeladen. Ich nahm an, erfreut, dem albernen Geplauder meiner Arbeitskollegen und den nicht enden wollenden Erinnerungen an ihre Heldentaten im Golf zu entkommen, etwas, was mir sogleich Brechreiz verursacht. Einer der Gastgeber, namens Marco, mit dem ich in der vorangegangenen Nacht nicht wenige Theorien über den Alkohol und seine Folgen in verschiedenen Verhaltensbereichen geteilt hatte, holte mich mit seinem Auto ab. In etwas über einer Stunde wären wir in Punta Arenas. Der Besitzer der Jacht erwarte uns dort mit seiner Frau, die auch an der Spazierfahrt teilnehmen werde. Etwas in Marcos Worten zeigte mir, dass er diesbezüglich mehr wusste, es aber für sich behielt, vielleicht um mir eine Überraschung zu bereiten. Ich beherrschte meine Neugier, und mit Erinnerungen an unsere klägliche Irrfahrt in der Nacht zuvor verbrachten wir den Rest der Fahrt. Als wir in Punta Arenas ankamen, sah ich mich wieder dem Wasser des Pazifik gegenüber, das immer grau ist und immer bereit, seine Stimmung zu wechseln, in Valparaiso ebenso wie in Vancouver. Es war sehr heiß und feucht, was meine Nerven entspannte, sodass ich mich jetzt darauf einrichten konnte, den Ausflug aufs Meer zu genießen, über den ich mir sehr richtige Vorstellungen gemacht hatte, wie sich später herausstellen sollte. Das Haus des Jachtbesitzers sah recht baufällig und doch gemütlich aus, wie es an den Küsten unserer Länder auf Schritt und Tritt zu finden ist. Das heterogene Mobiliar war offensichtlich aus Restbeständen von Häusern der Familie in San José zusammengetragen worden. Der Eisschrank war vollgestopft mit Bier, mehreren Dosen Kaviar und diesen unvermeidlichen, in ein Bananenblatt gewickelten Maispasteten, die sich Tamales nennen und eine ebenso unerschöpfliche wie ungenießbare Vielfalt von Maispasten umschließen und im Innern weiß Gott was für einen gefährlichen Zusatz bergen, der von Gürteltierfleisch bis zu wildem Puter reichen kann. Wir trugen alles zur Jacht, die so imposant war, dass sie den Patios des Hauses die Sonne nahm. Auf ein Zeichen des Besitzers stiegen wir das Leiterchen hoch, von dem uns ein riesenhafter, lächelnder Schwarzer, dessen knappe Bemerkungen auf eine hellwache Intelligenz und einen unerschütterlichen Humor hindeuteten, an Deck hinunterhalf. Unter dem Kommando des Besitzers, der sich von dem Schwarzen beraten ließ, wurden die Motoren angeworfen. Plötzlich lenkten die Rufe einer Frau – »Ich komm ja schon! Ich komm ja schon! Wartet doch auf mich, zum Teufel!« – unsere Blicke zum Haus zurück. Von dort rannte eine Frau in einem der knappsten Bikinis, an die ich mich erinnern kann, auf uns zu. Groß gewachsen, die Schultern leicht ausladend und lange, bewegliche Beine mit kräftigen Schenkeln. Das Gesicht war von dieser konventionellen, aber untadeligen Schönheit, die dank einem gut aufgetragenen Make-up und regelmäßigen Zügen zustande kommt, welche keine besondere Anmut brauchen. Je näher sie dem Boot kam, desto offenkundiger wurde die Vollkommenheit dieses fast aggressiv jugendlichen Körpers. Ihr lief ein sechs- oder siebenjähriger Junge hinterher. Mit gazellenhafter Elastizität sprangen sie auf die Jacht. Lächelnd, aber außer Atem grüßte sie und hieß ihren Sohn dasselbe tun. »Wenn ihr mich hier lasst, verhungert ihr, ihr Dummköpfe. Nur ich weiß, wo das Essen ist und in welcher Reihenfolge es aufgetragen wird.« Sie lachte vergnügt, während ihr Mann mit leichtem Stirnrunzeln so tat, als beschäftige er sich mit dem Armaturenbrett. Leise gab er dem Steuermann einen Befehl und ging dann ohne irgendeine Bemerkung aufs Vorderdeck. Dort setzte er sich steuerbords auf die Reling und begann mit einer Fünfundvierziger auf die Pelikane zu schießen, die über uns kreisten. Im Rhythmus der Schüsse, von denen keiner sein Ziel traf und die nur unsere Ohren betäubten und das Gespräch erschwerten, verschärfte sich die Spannung des Paars mit recht lästiger Deutlichkeit. »Macht euch keine Sorgen«, sagte sie und lächelte noch immer. »Wenn ihm die Munition ausgeht, wird er uns in Frieden lassen. Was möchtet ihr? Ein Bierchen gegen die Hitze oder lieber ein Schnäpschen?« Diese Diminutive im Mund der Costa-Ricanerinnen haben mich schon immer beunruhigt und in einen Zustand nachtwandlerischer Wachsamkeit versetzt, der eher zu einem völlig verwirrten Halbwüchsigen passt. Wir entschlossen uns, ihr bei der Zubereitung einiger Gin Tonics zu helfen. Sie ging von einem zum andern, um jedem sein Glas zu geben, und es war, als träte die ›golden dräuende Aphrodite‹, die Borges beschwört, auf uns zu, um uns zu segnen. Obwohl sich diese Schönheit in Reichweite unserer Sinne mit verächtlicher Natürlichkeit unter uns bewegte, fand das Gespräch endlich einen ungezwungenen, flüssigen Verlauf. Die Mutter schenkte dem Jungen, dem übel wurde, eine Aufmerksamkeit, die mir etwas übertrieben erschien. Es war, als versuchte sie damit die Schuld auszugleichen, die in der offensichtlichen Ehekrise ihr zukommen mochte. Als wir die Öffnung der Bucht erreichten, legten wir an einer kleinen Insel an, und dort wurde das Mittagessen serviert: eine denkwürdige Languste zu einem etwas weniger wunderbaren Rheinwein aus Napa Valley.

Immer wenn wir ungestört waren, erzählte mir Marco, die Ehestehe kurz vor ihrer Auflösung. Der Jachtbesitzer, Erbanwärter eines riesigen Vermögens, arbeite den ganzen Tag als Sklave unter seinem Vater, einem unerbittlichen Asturier. Abends führe er sein Junggesellenleben weiter, als hätte er nie geheiratet. Seine Frau habe ihn mehrmals dabei ertappt, wie er mit dem Auto voller Nutten durch die Hauptstraße von San José fuhr, wenn sie nach Einbruch der Dunkelheit von ihren Eltern nach Hause zurückkehrte. Sowie er die Kugeln seiner Pistole verschossen hatte, unterhielt sich der junge Erbe auf der ganzen Fahrt mit dem Schwarzen und besprach mit ihm Angelegenheiten des Schiffsunterhalts. Manchmal geruhte er in einer eher gezwungenen Freundlichkeit, die kaum ein richtiges Gespräch aufkommen ließ, das Wort an uns zu richten. Unterdessen teilte sich seine Frau in die Betreuung ihres Sohnes und die Aufmerksamkeiten für jeden Einzelnen von uns, mit denen sie uns in spontaner, liebenswürdiger Herzlichkeit überhäufte, wie sie bei den Landsmänninnen ihres Standes weit verbreitet ist und noch offensichtlicher und ausgeprägter bei denen niedrigerer Klassen. »Man hat mir gesagt, Sie sind Schriftsteller«, wandte sie sich mit oberflächlicher Neugier an mich. »Was schreiben Sie denn? Romane oder Gedichte? Ich lese sehr gern, aber nur romantische Dinge. Ist das, was Sie schreiben, sehr romantisch?« Ich wusste nicht recht, was antworten. Die Spannung war groß. Ich entschloss mich für die Wahrheit. Es wäre idiotisch gewesen, zu denken, das Gespräch könnte irgendeine verheißungsvolle Zukunft haben. »Nein«, antwortete ich, »sowohl Gedichte wie Erzählungen geraten mir immer schwermütig.« – »Das finde ich aber seltsam, Sie sehen nicht sehr traurig aus und auch nicht so, als hätte Ihnen das Leben viele Schläge versetzt. Warum also traurige Dinge schreiben?« – »So kommen sie eben heraus« – ich versuchte, dieser Befragung ein Ende zu setzen, deren herausragendstes Merkmal nicht eben Intelligenz war –, »ich kanns auch nicht ändern.« Einen Moment lang versank sie in Nachdenken, und ein ganz leichter Schatten der Enttäuschung huschte ihr übers Gesicht. Keinen Moment dachte ich, sie meine es ernst. Ohne dass ich gerade von der Gruppe ausgeschlossen worden wäre, galt von diesem Augenblick an das schönste Lächeln natürlich nicht mehr mir.

Als die Dämmerung hereinbrach, kehrten wir nach Punta Arenas zurück. Ich musste an diesem Abend für eine Sitzung im Wirtschaftsministerium in San José sein. Die Sonne, der künstlich aromatisierte kalifornische Wein und Figur, Stimme und Bewegungen dieses Frauenkörpers in der Spätnachmittagshitze machten mich immer schläfriger, bis ich in einen Schlummer sank, der mich jedoch nicht richtig übermannte, da ich den Worten des Gesprächs lauschte, ohne tief in ihren Sinn einzudringen. Plötzlich trat eine unerklärliche Stille ein, und ich spürte, wie ein kühler, ungewöhnlicher Schatten alles überflutete. Der Motorenlärm prallte an einer Fläche in der Nähe ab und hörte sich auf eine neue Art schrill und irritierend an. Ich erwachte, und als ich die Augen aufmachte, sah ich, dass wir längs eines Schiffs kreuzten, das mit schwer arbeitenden Maschinen den Hafen verließ. Im ersten Augenblick erkannte ich es nicht – einfach weil ich es nie so nahe gesehen hatte. Es war der Tramp Steamer von Helsinki. Dieselben mit großen Rost- und Schmutzflecken übersäten Breitseiten, die Kabinen und die Kommandobrücke...