Das Gold von Amirbar - Roman. Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll

von: Álvaro Mutis

Unionsverlag, 2019

ISBN: 9783293310674 , 160 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

Mac OSX,Windows PC für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 8,99 EUR

eBook anfordern eBook anfordern

Mehr zum Inhalt

Das Gold von Amirbar - Roman. Die Abenteuer und Irrfahrten des Gaviero Maqroll


 

Wie es den Gaviero in ein schmutziges, auf dem unpersönlichsten, düstersten Abschnitt des La Brea Boulevard verlorenes Motel verschlagen haben mochte, war das Erste, was ich mich auf dem Weg fragte. Ich befand mich in Los Angeles auf Geschäftsreise und verbrachte den Tag zum großen Teil in den Burbank-Studios. Eines Abends, als ich an der Rezeption des Hotels ›Chateau-Marmont‹, wo ich immer abstieg, wenn ich geschäftlich dort war, meine Post abholte, händigte man mir auf einem fettverschmierten Blatt ohne Briefkopf eine knappe Nachricht aus: »Ich bin in der Brea 1644. Kommen Sie so schnell wie möglich. Ich brauche Sie. Maqroll.« Er hatte mit ziemlich zittriger Schrift unterzeichnet, die ich zunächst nicht wiedererkannte. Ich brachte einige Papiere auf mein Zimmer und verließ das Hotel sogleich wieder, um meinen Freund zu besuchen. Es war nicht seine Art, so dringliche Botschaften zu schicken, und sein krakeliger Namenszug ließ auf einen mehr als prekären Gesundheitszustand schließen. Die erwähnte Hausnummer gehörte einem schäbigen Motel mit enger Autoeinfahrt, die zu einer Reihe von Apartments mit grell zitronengelben Nummern führte. Vor den Zimmern mit beleuchteten Fenstern standen drei oder vier Wagen. Der Gaviero hatte vergessen, mir seine Nummer mitzuteilen, oder wollte vielleicht, dass ich zuerst mit dem Pförtner spräche, der in ein enges Kabäuschen zu Beginn der Zimmerreihe gepfercht war. Ich klopfte an die Scheibe, worauf mir ein massiger, ungekämmter Mann in braunem T-Shirt und Bermudas aufmachte, die ihm unter einem gewaltigen Bierbauch die Taille einschnürten. Er sprach ein rudimentäres Englisch, und zwar mit ausgeprägt arabischem Akzent. Von der Stirnmitte zog sich eine tiefe Narbe über die Nase bis zur Kinnwurzel. Ich nannte den Namen meines Freundes, doch statt mir die Nummer von dessen Zimmer zu geben, ließ er mich in den kleinen, übel riechenden Raum treten, der sein Büro sein musste. Ohne sich auch nur vorzustellen, kam er gleich zur Sache: »Ich habe auf Sie gewartet. Ihr Freund sagte mir, Sie kennen sich schon seit vielen Jahren. Auch ich kenne ihn seit Langem und habe ihm mehrere Gefälligkeiten zu verdanken. Aber der Besitzer dieses Motels ist ein Jude, der Argumente weder gelten lässt noch versteht. Unser Mann schuldet schon seit drei Wochen die Miete, und heute Abend kommt Michaelis einziehen. Es wäre gut, wenn Sie mir das entsprechende Geld geben könnten. In seinem Zustand möchte ich den Gaviero nicht auf die Straße schicken. Es sind insgesamt fünfundneunzig Dollar.«

Er sprach eher beunruhigt als schroff. Offensichtlich befand er sich in einer Zwickmühle. Ich gab ihm das Geld, und als er mir die Quittung ausstellte, kam seine Frau herein, eine ebenfalls große Person, die einmal sehr schön gewesen sein musste, der die außerordentliche Magerkeit und das verhärmte Gesicht aber ein geisterhaftes Aussehen gaben. Auch sie sprach mit stark nahöstlichem Akzent. Sie begrüßte mich verschwommen lächelnd und sagte in einem Französisch, das etwas flüssiger und verständlicher war als das Englisch des Pförtners, sie freue sich sehr über mein Kommen. Mein Freund benötige dringend Hilfe und Gesellschaft. Ich verabschiedete mich von ihnen und ging zum angegebenen Zimmer, das, wie sich zeigte, gleich neben der Pförtnerloge lag, aber aus irgendeinem seltsamen Grund die Nummer 9 trug.

In der Tür steckte kein Schlüssel. Nachdem ich angeklopft hatte, befahl eine dumpfe Stimme: »Kommen Sie herein, es ist nicht abgeschlossen.«

Da lag Maqroll der Gaviero auf einem Bett mit verblichenen rosa Laken, auf denen große dunkle Schweißflecken zu sehen waren. Er zitterte heftig. In seinen geweiteten glänzenden Augen lag ein verzweifelter Ausdruck von Todesnähe. Der mehrwöchige grau melierte Borstenbart trug das Seine dazu bei, ihn unendlich hilflos aussehen zu lassen. Die Zimmereinrichtung mit verblassten Reproduktionen weiblicher Akte und dem unvermeidlichen Spiegel gegenüber dem Bett, über einem mit staubigen, ebenfalls rosa Rüschen geschmückten Toilettentisch, gab dem Gaviero an diesem Ort etwas Rührendes und zugleich Groteskes. Mit einer Handbewegung hieß er mich auf dem einzigen Stuhl mit Armlehne Platz nehmen, der mit schmierigem, geblümtem Kretonne undefinierbarer Farbe bezogen war. Ich rückte ihn zum Kopfende des Bettes und setzte mich in der Hoffnung, der Fieberanfall, der eine klare Artikulation unmöglich machte, würde etwas nachlassen. Vom Nachttisch nahm er ein Fläschchen mit Tabletten und schob sich zwei davon in den Mund. Er schluckte sie mit etwas Wasser, das er sich äußerst mühevoll aus einem Krug vom selben Tisch einschenkte. Seine Hände zitterten so sehr, dass sich die Hälfte des Wassers über die Laken ergoss. Ich machte Anstalten, ihm zu helfen, aber mit dem Anflug eines Lächelns winkte er ab. Als er zu sprechen versuchte, klapperten seine Zähne. Schweigend warteten wir ein Weile, bis das Medikament zu wirken begann. Es verstrich eine Viertelstunde oder mehr, und allmählich verebbte das Zittern. Als er sprechen konnte, klang seine Stimme sicherer.

»Das ist ein sehr starkes Mittel, das mich fast noch mehr betäubt als das Fieber«, erklärte er. »Deshalb nehme ich es nicht so oft, wie ich eigentlich sollte. Ich komme von Vancouver und wollte vor der Weiterreise in den Süden ein paar Tage hier bleiben, um Josip aufzusuchen und ihn zu überreden, dass er mich bei einer Unternehmung begleitet, die ich in Peru vorhabe.«

Bevor ich fragen konnte, wer Josip sei, fuhr der Gaviero fort: »Josip ist der Geschäftsführer dieses Motels. Wir haben zusammen mehrere Reisen auf dem Mittelmeer gemacht, ich habe Ihnen früher schon davon erzählt. Er wurde als Sohn georgischer Eltern im Irak geboren. Vom Söldner in Indochina bis zum Zuhälter in Marseille ist er so ziemlich alles gewesen. Er hat einen schwierigen, aber noblen Charakter und ist ein guter Freund. Vermutlich hat er Sie um das Geld angepumpt, das ich schuldig bin. Es ist ihm nichts anderes übrig geblieben. Aber er ist ein sehr vertrauenswürdiger Mensch, mit dem man sich bestens amüsieren kann. Bei einem Schluck Wein löst sich seine Zunge, und man kann stundenlang seinen Geschichten zuhören. Dann aber hat mich ein Fieberanfall erwischt, der mich nun schon seit anderthalb Monaten ans Bett fesselt. Ich habe immer das Mittel bei mir, um das Fieber unter Kontrolle zu bringen, aber diesmal war ich unvorsichtig, und da liege ich nun. Dieses Sumpffieber habe ich in Rangun aufgelesen, und zwar vor so langer Zeit, dass ich manchmal denke, das ist einem andern passiert. In Rangun bei einem Teakholzgeschäft, zusammen mit englischen Teilhabern, die betrügerischer waren als ein falscher Derwisch. Bei diesem ganzen Aufwand sprang kein Heller für mich raus. Dafür handelte ich mir dieses Fieber und einige bemerkenswerte erotische Theorien ein, bei einer Witwe, die ein unsicheres Weihrauchunternehmen für religiöse Zeremonien in Kuala Lumpur führte. Das werd ich Ihnen eines Tages erzählen – es lohnt sich. Ein Arzt in Belfast verschrieb mir diese Chinintabletten. Sie sind zwar wirkungsvoll, verursachen mir aber unerträgliche Kopfschmerzen und dauernde Übelkeit. Mit diesem Mittel habe ich dem Fieber immer ausweichen können, aber diesmal hat es das Spiel gewonnen.«

Ich sagte, vor allem andern müssten wir einen Arzt holen. Das Fieber hatte ihn so geschwächt, dass Organe wie das Herz oder die Leber angegriffen sein konnten. Er nahm den Vorschlag nicht sehr begeistert auf. Ärzte, meinte er, weckten sein Misstrauen und machten alles nur noch komplizierter. Ich beharrte jedoch darauf, am nächsten Tag einen mitzubringen. Brummend willigte er ein. Eine Weile plauderten wir noch über alte Erinnerungen und Leute, mit denen wir beide verkehrt hatten. Als ich ihm für seine dringendsten Ausgaben etwas Geld geben wollte, sagte er: »Nein, geben Sie mir nichts. Geben Sie es besser Halina, Josips Frau. Sie bringt mir das Essen und alles andere, was ich brauche. Wenn Sie es hier lassen, wird es mir nur gestohlen. Das ist ein einziges Kommen und Gehen von Huren und Schwulen, und da ich die Tür offen lassen muss, weil mir das Eingeschlossensein Angst macht, wenn mich das Fieber überfallt, spazieren sie einfach herein und lassen alles Mögliche mitgehen. So sind mir Kleider, Schuhe und Dokumente weggekommen. Den Pass und das Geld für die Schiffsüberfahrt nach Matarani hat das Pförtnerehepaar. Dort sind sie in Sicherheit. Ein paar Frauen, die kommen und bei mir bleiben, haben als Entgelt für ihre Dienste irgendetwas eingesteckt, und was mir noch bleibt, nehmen Schatten mit, die sich um mich drehen, wenn das Fieber kommt.«

Ich versuchte ihn mit den Worten zu beruhigen, von jetzt an würde ich schon dafür sorgen, dass man ihn nicht mehr beraube. Aber das Wichtigste war, die Diagnose eines Arztes zu haben, um zu erfahren, wie es um ihn stand und was zu unternehmen war, um ihn aus dieser Lage zu befreien. Er bedankte sich mit einem Lächeln, das trotz des neuerlichen Zitterns auf seinen Lippen herzlich sein sollte. Es war bereits nach Mitternacht, als ich ihn zurückließ, im Halbschlaf und auf schweißnassen Laken. In der Pförtnerloge aßen Josip und seine Frau zu Abend, und ich sagte ihnen, am nächsten Tag würde ich mit einem Arzt wiederkommen. Für alle Fälle gab ich ihnen die Telefonnummer des Hotels und ein paar Dollar für eventuelle Auslagen. Sie sagten mir, der Gaviero nehme sehr wenig zu sich und weigere sich, viele der Gerichte auch nur zu kosten, die die Frau für ihn koche. Wenn sie Maqroll erwähnten, schwang ein zärtlicher, ergebener Ton mit, noch offenkundiger bei der Frau, die mit einem unverständlichen Diminutiv von...