Hüttenkatz - Frau Merkel und das mörderische Klassentreffen

von: Kaspar Panizza

Gmeiner-Verlag, 2019

ISBN: 9783839261569 , 250 Seiten

5. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Hüttenkatz - Frau Merkel und das mörderische Klassentreffen


 

Freitag


Kommissar Steinböck war alles andere als zufrieden, als er endlich in seinem Käfer saß. Warum zur Hölle hatte er Peter Obstler nur nachgegeben? Natürlich konnte so ein Klassentreffen ganz witzig sein, aber hätte nicht ein Abend im Hofbräuhaus genügt? Nein, es musste ja unbedingt ein Wochenende auf einer Berghütte sein. Allein der Gedanke, Ferdel Bruchmayer wiederzutreffen, verursachte ihm schweres Bauchgrummeln. Wenigstens war die Katze versorgt. Oder doch nicht? Mein Gott, dieses Viech trieb ihn noch in den Wahnsinn.

Er schaltete den Motor ab, was von zwei mittelstarken Fehlzündungen begleitet wurde, stieg aus und kontrollierte nochmal den Rückraum des alten Käfers. Rum ums Auto, Kontrolle von der Beifahrerseite und schon hatte die Katze die offene Fahrertür genutzt und sich hinter Steinböcks Sitz im Fußraum versteckt.

Eine halbe Stunde später erreichte er Giesing. Der Kommissar hatte sich mit Obstler in der Säbener Straße verabredet, am Parkplatz vor dem Vereinsheim des FC Bayern München. Er entdeckte ihn auf einer Steinbrüstung hockend, umgeben von einer Rauchwolke, die typisch für seine übelriechenden Zigarren war. Wie üblich trug er seine verwaschene Lederjacke. Peter Obstler, früherer Klassenkamerad des Kommissars und heute sein direkter Draht zur Münchner Unterwelt, war es gewesen, der ihm bei seinen letzten Fällen des Öfteren entscheidende Tipps gegeben hatte. Als er Steinböck bemerkte, fuhr er sich durch die kurzen Haare, drückte den Stumpen auf der Betonbalustrade aus und legte ihn in eine Blechdose, die er in seiner Jackentasche verstaute. Er griff nach seinem Rucksack und öffnete die Beifahrertür.

»Servus Steinböck, du, mir ham fei no koa Winterzeit.«

»Ich weiß, ich bin a bisserl spät dran. Schmeiß dei Taschen auf den Rücksitz und dann geht’s los.«

Peter Obstler tat wie ihm geheißen, musterte kurz die Katze, die ihn mit ihren bernsteinfarbenen Augen vom Fußraum her anstarrte.

»Sei einfach nur still«, schien sie zu sagen. Obstler zuckte mit den Schultern und zwängte sich auf den Beifahrersitz.

»Die alte Kisten fährt also immer noch!«, stellte er respektvoll fest.

»Sicher«, brummte Steinböck. »Der läuft wie a Glöckerl, wart’s nur ab, bis mir auf der A 95 sind.«

Auf der Garmischer Autobahn ließ Steinböck es dann krachen. Die Tachonadel des Käfers zitterte sich wirklich bis auf 120 Stundenkilometer hoch und Obstler, dem das Ganze ein bisschen unheimlich war, stellte ehrfürchtig fest: »Respekt, Steinböck, du und dein Käfer.«

Der Kommissar ging wieder vom Gas und die Geschwindigkeit pendelte sich bei ungefähr 100 ein. »Hättest nicht gedacht, dass der noch so abgeht. Aber jetzt mal was anderes. Warum findet das Treffen ausgerechnet auf einer Berghütten statt?«

»Wegen der Hanni, du weißt schon, die immer so a bisserl durchgeknallt war. Sie hat einen Berggasthof gepachtet. Normalerweise schließt sie Ende Oktober. Wir sind heuer die letzten Gäste und haben die ganze Hütte für uns allein. Außerdem sind wir eingeladen.«

Die restliche Fahrt über mutmaßten die beiden, wie viele von den Klassenkameraden wohl kommen würden. Schließlich handelten sie alle ab, an die sie sich erinnerten. Elf Ehemalige, einschließlich ihnen selbst, bekamen sie zusammen. Irgendwo kurz vor Garmisch übernahm dann Obstler die Führung und lotste Steinböck eine steile Bergstraße hinauf. Der Käfer nahm die Steigung langsam, aber ohne zu murren.

»Du weißt schon, dass VW dieses Auto bloß gebaut hat, damit wir Deutschen über den Brenner kommen. Gardasee, Jesolo, la Dolce Vita und so«, rief Obstler aufgeregt. Er hatte sich nach vorn gebeugt und wippte dabei mit dem Oberkörper so, als ob der Käfer dadurch schneller werden würde. »Da vorne ist schon die Seilbahn.«

500 Meter weiter bog Steinböck auf einen großen Platz ein. Er parkte seinen Wagen neben einer dicken Mercedes-Limousine, auf deren Fahrertür »Privatklinik Dr. Böhmermann« stand.

»Da schau her, der Martin ist auch schon da«, witzelte Steinböck.

»Warum verschandelt der des edle Gefährt mit dem Aufkleber?«, überlegte Obstler.

»Klinikfahrzeug, kann er wahrscheinlich voll von der Steuer absetzen.«

Die beiden Männer stiegen aus.

»Ich schau mal, wann die nächste Gondel geht«, brummte Obstler und zündete den alten Stumpen wieder an, den er aus seiner Blechdose hervorgekramt hatte.

Steinböck reckte seine knapp 1,90 Meter und sog tief die Luft ein. Mit Anfang 50 waren längere Fahrten in seinem geliebten Käfer anstrengend für die Gelenke. Sein Hemd und die Jeans klebten ihm unangenehm auf der Haut. Er rieb sich seinen Dreitagebart, und der warme Wind strich durch sein spärliches Haupthaar, während er sich die umliegenden Gipfel ansah. Trotz allem ein schöner Anblick, gestand er sich ein. Dazu musste man wissen, dass der Kommissar alles andere, aber kein Freund der Berge war. Für ihn waren sie nichts weiter als ein überflüssiges Hindernis auf dem Weg zum Gardasee.

Inzwischen war Obstler zurückgekommen, im Schlepptau eine hübsche dunkelhaarige Frau, die Steinböck bekannt vorkam. Sie war zierlich, schlank und trug einen Rucksack auf dem Rücken, der mindestens halb so groß war wie sie selbst.

»Servus Steinböck«, sagte sie und lächelte dabei schnippisch. »Kennst mich noch? Ich bin’s, die Bärbel.«

Er war froh, dass er während der Fahrt mit Peter Obstler noch mal die gesamte Klasse durchgegangen und damit an all die Namen erinnert worden war, die er ansonsten vergessen hatte.

»Ja klar, die Bärbel Kleine.«

»Macke«, antwortete sie.

Steinböck zog fragend die Brauen hoch.

»Bärbel Kleine-Macke«, sagte sie lächelnd.

»Du solltest dich scheiden lassen«, antwortete Steinböck grinsend.

»Hab ich schon. Aber wegen der Kinder hab ich den Namen behalten.«

»Wie viel hast du denn?«

»Drei, einer ist aus dem Haus, aber die zwei Kleinen sind pubertierende Zwillinge und die halten mich ganz schön auf Trab.«

»Dann bist du ja im Training«, unterbrach Obstler die beiden. »Heute geht keine Gondel mehr, wegen Wartungsarbeiten. Die waren schon seit Tagen angekündigt. Jetzt weiß ich auch, warum wir unbedingt bis 12 Uhr da sein sollten«, brummte er und schaute Steinböck vorwurfsvoll an.

»Was soll des heißen?«, fragte dieser misstrauisch.

»Wir müssen laufen«, feixte Bärbel Kleine-Macke.

»Ihr spinnt wohl. Ich schlepp doch mein Koffer ned auf den Berg ’nauf.«

»Halb so wild. Einen Kilometer weiter gibt es einen Versorgungslift. Der führt bis zur Hütten. Mit dem können wir unser Gepäck raufschicken«, sagte Obstler.

Bevor Steinböck protestieren konnte, hatte sich die Bärbel bei ihm eingehängt.

»Nimmst mich mit in deinem Volksporsche?«

Steinböcks Laune drohte auf den Nullpunkt zu sinken, dann sah er ihr Lächeln und ihm fiel ein, wie er mit ihr damals auf dem Klassenfest unten im Bootshaus rumgeknutscht hatte. Er griff nach ihrem Rucksack und verstaute ihn im vorderen Kofferraum. Kleine-Macke hatte sich inzwischen auf die Rückbank gesetzt. Bei Obstler dauerte es etwas länger, bis die Gurtschnalle endlich im Schloss einrastete. Er deutete mit den Finger nach vorn.

»Die kleine Straße da runter. Sind bloß fünf Minuten.«

»Mei, ist die Katz süß«, tönte es vom Rücksitz. »Die geht bestimmt auch gern in die Berg.«

Steinböck umklammerte das Lenkrad so fest, dass an beiden Händen die Knöchel weiß hervortraten.

»Ich steck die Saukatz in einen Sack und dann schmeiß ich sie in einen Bergbach«, zischte er unhörbar für die anderen.

»Na, na, na, denk dran, Gewalt ist auch keine Lösung«, antwortete die Katze trocken.

*

Es war wohl die Kälte, die den Mann wieder zu Bewusstsein brachte. Obwohl das Wasser des Mittelmeeres mehr als 20 Grad hatte und er einen Neoprenanzug trug, kühlte sein Körper mehr und mehr aus. Hätte ihn das Schicksal nicht zufällig gegen einen Styroporbrocken getrieben, den er sich mithilfe der Sicherungsleine an den Körper gebunden hatte, wäre er sicherlich schon längst ertrunken. Das erste Mal, dass er sich nicht über herumtreibenden Müll ärgerte.

Sein Blick glitt über die unendlichen Wellen. Die Sonne würde wohl in wenigen Minuten im Meer versinken. Oh, wie verdammt kitschig. Er wollte seinen letzten Sonnenuntergang bewusst erleben. Angestrengt paddelte er auf der Stelle, gegen den Auftrieb des Styropors, das ihn immer wieder auf den Rücken drehen wollte. Er starrte auf die glitzernde Oberfläche und den glutroten Ball. Der Schmerz in seinen Augen wurde unerträglich und schließlich gewannen seine körpereigenen Instinkte. Die Lider klappten nach unten, der Schmerz ließ nach und gleichzeitig überkam ihn eine wohltuende Ohnmacht.

*

Der Materiallift entpuppte sich als eine anderthalb auf zwei Meter große Holzkiste. Die Wände waren etwa 60 Zentimeter hoch. Schnell hatten sie ihr Gepäck darin verstaut. Als er sah, wie sich der Lift unter wildem Schaukeln und Ruckeln in Bewegung setzte, war Steinböck froh, seine Überlegung, sich trotz des Verbotsschildes für Personen dazuzusetzen, verworfen zu haben. Zumindest war es ein sonniger Herbsttag und auch der geteerte Weg zur Hütte schien den Aufstieg erträglich zu machen. Die Sonne blieb, aber der Weg ging bereits nach der nächsten Kurve in einen steinigen Pfad über. Eigentlich musste er nur dem Gestank von Obstlers Zigarre folgen, der ihm und Bärbel...