Der kleine Weihnachtsbuchladen am Meer - Roman

von: Julie Peters

Aufbau Verlag, 2019

ISBN: 9783841218209 , 288 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 7,99 EUR

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Der kleine Weihnachtsbuchladen am Meer - Roman


 

Kapitel 1


Frieke warf einen letzten Blick in den Badezimmerspiegel. Sie war zufrieden mit dem, was sie da sah. Okay, die Wangen wirkten irgendwie voller, aber da das aktuell auf ihren ganzen Körper zutraf – sogar die Zehen lagerten fröhlich Wasser ein, als wären sie im Wettbewerb mit den zu kleinen Stummelwürstchen angeschwollenen Fingern, – und es, wie ihre Hebamme Meike immer wieder versicherte, nur ein vorübergehendes Phänomen war, versuchte sie, sich damit zu arrangieren.

Soweit das eben möglich war, wenn man sich in ein teures, enges Kleid zwängte, weil man auf einer Hochzeit eingeladen war.

»Vor einer Woche hat es noch gepasst«, murmelte Frieke deprimiert. Ihre Hand ruhte auf dem Bauch, der offensichtlich schon wieder gewachsen war.

»Ist ja nicht mehr lang.« Bengt schob sich in das kleine Badezimmer und küsste ihren Nacken. Frieke hatte die dunklen Locken in mühsamer Kleinarbeit gebändigt und hochgesteckt. Als Krönung hatte sie eine alte, petrolfarbene Federbrosche mit Pailletten hineingesteckt und das Ganze mit so viel Haarspray fixiert, dass sich garantiert kein Härchen hervorwagen würde.

Bengt rümpfte die Nase. »Hast du gerade das Ozonloch über dem Südpol um drei Prozent vergrößert?«

Spielerisch versetzte sie ihm einen Klaps auf den Unterarm. »Manchmal bist du mit deinem Ökobewusstsein ein bisschen arg Achtziger!« Sie betrachtete ihn zärtlich. Sie konnte gar nicht glauben, dass dieser unglaublich attraktive Mann mit den Wuschelhaaren und dem gepflegten Dreitagebart wirklich zu ihr gehörte.

Bengt trug einen schlichten, grauen Anzug und eine rote Krawatte zu dem weißen Hemd. Der Anzug war schon etwas älter und zu weit geschnitten, wie es vor zehn Jahren nun mal Mode gewesen war. Auch bei der Krawatte hatte er nicht mit sich reden lassen. Friekes Vorschlag, er könnte doch eine Krawatte wählen, die zu ihrem Kleid passte, hatte er abgeschmettert. »Die geht noch«, hatte er behauptet. Und so richtig unpassend war sie nicht zu dem cremefarbenen Empirekleid mit Spitzenrock, der zum Glück bis zum Boden reichte. Dadurch wurde der Bauch zwar noch mehr betont, aber zugleich wurden die ziemlich unpassenden und leider auch sehr unstylischen Birkenstocks kaschiert, die sie anhatte, die Riemen bis auf das äußerste Loch geschnallt. In Schuhe mit Absätzen hätte sie heute definitiv nicht gepasst. Da hätte Bengt sie auch zur kleinen Inselkirche tragen können, und nein, das würde er nicht tun. War ja nicht so, als hätte sie ihn nicht danach gefragt.

»Ich habe extra eins genommen, das im Ökotest gut abgeschnitten hat«, verteidigte sie ihre Betonfrisur. »Und ich mache es ja nur dieses eine Mal. Ja?«

Bengt brummelte etwas vor sich hin. Er hielt seinen Kamm unter kaltes Wasser und begann, die gewohnt krausen Haare zu bändigen. Ja, wenn sie so kurze Haare hätte, dann hätte sie auch kein Problem, sich eine Frisur zu zaubern. Feuchter Kamm durch, zack, fertig.

Damit Bengt sich in Ruhe fertig machen konnte, verließ Frieke das Badezimmer. Im Flur standen die Birkenstocksandalen neben einem Paar flachen Ballerinas, die sie letzte Woche im Secondhandladen auf dem Festland gefunden hatte. Sie passten perfekt zu der petrolfarbenen Schleife über ihrer Babykugel und dem Kleid. Darüber würde sie ihren Mantel tragen, denn es war nach einem traumhaften Sommer und einem goldenen Herbst in den letzten Wochen empfindlich kalt und feucht geworden.

Manchmal fand sie es anstrengend, dass sie auf einer Insel lebte. Und ja, gelegentlich fand sie sogar Bengt anstrengend, der ein Leben mit möglichst wenig Müll und einem Augenmerk auf Nachhaltigkeit führen wollte. Er war in der Hinsicht ein Perfektionist. Frieke war alles Mögliche. Gut zwei Jahre an der Seite von Bengt hatten sie sicher in Bezug auf ihre eigene Ökobilanz zu einem besseren Menschen gemacht, wenn besser bedeutete, dass man weniger konsumierte, mehr über den Konsum nachdachte und vieles gebraucht kaufte und keine Flugreisen mehr unternahm. Aber es blieb für sie anstrengend, während Bengt scheinbar mühelos bei jeder Konsumentscheidung zielstrebig die für die Umwelt beste Möglichkeit herauspickte und dann auch umsetzte.

Tja. Es fiel ihr eben an einigen Tagen verdammt schwer, mit einem Umweltengel zusammen zu sein.

»Haben wir alles?« Bengt kam aus dem Badezimmer. Obwohl der Anzug etwas aus der Zeit gefallen schien, obwohl seine braunen Lederschuhe an den Spitzen etwas angestoßen waren und sein Gürtel nicht exakt den Braunton der Schuhe traf – er sah zum Anbeißen aus. Frieke würde dasselbe gern von sich behaupten. Aber sie war wohl eher ein Fall für die Walfänger, sonst biss hier keiner an.

»Das Geschenk!« Sie lief ins Wohnzimmer. Dort stand der Karton, den sie in eine alte Zeitung eingewickelt hatte. Bengt hatte es irgendwie geschafft, diese alte Ausgabe aufzutreiben, von dem Tag, an dem das Brautpaar sich das erste Mal geküsst hatte. Es hatte einige Nachfragen gekostet, und selbst jetzt war Frieke nicht sicher, ob das Datum stimmte. Nach über fünfzig Jahren konnte das Gedächtnis einen ja schon mal im Stich lassen.

Aber ihre Freundin Johanne, die zugleich auch eine gute Kundin in Friekes kleinem Inselbuchladen war, hatte sehr überzeugt geklungen, als sie den ersten Kuss auf einen Tag im Mai 1968 datierte. Und Frieke hatte das Datum an Bengt weitergegeben, der die Zeitung bestellte, die dann per Post geliefert wurde. Ob das jetzt so nachhaltig war? Hätte es da nicht auch die Zeitung von letzter Woche getan?

Lieber nicht darüber nachdenken oder gar diskutieren. Sie sollte sich vielmehr darüber freuen, dass Bengt in diesem Fall über seinen Schatten sprang.

In dem Paket steckte dann auch wieder etwas Gebrauchtes. Eine aus alten Porzellantellern zusammengesetzte Étagère. Die Teller hatten Goldrand, waren aus verschiedenen Service entnommen und doch sah das Ergebnis dieses Kunsthandwerks, das aus einer kleinen, ostwestfälischen Manufaktur stammte, einfach perfekt aus. Es passte auf jeden Fall zu Johanne und Oltmanns Kruse, die verschiedener kaum sein konnten.

»So eine übereilte Hochzeit hätte eher zu uns gepasst.« Bengt gab Frieke einen Kuss auf die Wange. Sie erstarrte mitten in der Bewegung, das Geschenk in den Händen.

Eine übereilte Hochzeit.

»Wie meinst du das?«, fragte sie wider besseres Wissen. Denn das Thema heiraten, so viel wusste sie inzwischen, war eben kein Thema für ihn. Zumindest hatte er das neulich so gesagt, als sie mit der Hochzeitseinladung nach Hause kam. Er freute sich für das Brautpaar, aber als sie durchblicken ließ, dass sie es auch schön fände, wenn sie beide heirateten, hatte er sie nur flüchtig auf den Mund geküsst und sagte: »Ach was. Wir haben es doch gut, so wie’s ist.«

Und Bengts nächste Worte bestätigten ihr, dass er übereilte Hochzeiten vielleicht bis zu einem gewissen Grad romantisch fand, aber doch nicht für sie beide!

»Du siehst wunderschön aus«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Thema abgehakt.

Dann klemmte er sich das Paket unter den Arm und verließ hastig das Haus.

Frieke schlüpfte in den Mantel, der sich leider nicht mehr zuknöpfen ließ. Musste sie eben frieren. Zum Glück waren die Wege kurz im Spiekerooger Inseldorf, und bis zur Kirche waren es gerade mal drei Minuten zu Fuß. Sie wickelte sich rasch noch einen dicken Schal um den Hals, den ihre Freundin Sonja gestrickt hatte. Dann trat sie hinaus in das stille Grau des Novembers und folgte Bengt.

Am Gartentörchen wartete er auf sie.

»Hey«, sagte er. »Ich habe das vorhin nicht so gemeint.«

»Was denn?« Sie bemühte sich um ein Lächeln.

»Das mit dem Heiraten.«

»Du hast doch gar nichts gesagt.«

Er musterte sie prüfend. Aber dann ließ er es auf sich beruhen, und sie ging auch nicht auf diese Steilvorlage ein. Sie wollte nicht streiten, und sie spürte, wie es tief in ihr grummelte und grollte.

Heute war dafür nicht der richtige Zeitpunkt. Heute ging es doch nur ums Brautpaar.

Bengt und sie waren seit gut zwei Jahren ein Paar, und in ihren Augen waren sie glücklich. Das Baby würde im Februar zur Welt kommen. Es war nicht geplant gewesen, aber sobald Frieke wusste, dass sie ein Kind erwartete, hatte sie sich uneingeschränkt darauf gefreut. Auch weil Bengt der Richtige war, um mit ihm eine Familie zu gründen. Was sich spätestens dann bestätigte, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Auch er freute sich vom ersten Augenblick an und riss sogleich den Nestbau an sich.

Aber heiraten? Das passte irgendwie nicht zu ihm, und Frieke war zu stolz, um ihn ständig daran zu erinnern, dass sie es ganz schön fände, nachdem sie länger darüber nachgedacht hatte. Nicht zwingend, aber schön, weil sie damit zeigten, dass sie zusammengehörten. Vielleicht, nein, ganz bestimmt war das sehr altmodisch.

Aber alle taten es! Sogar ihre Freundin Emma, die aktuell noch mit dem Vater ihrer Zwillingssöhne in Scheidung lebte, hatte Frieke in einem stillen Moment verraten, dass Raik und sie ernsthaft darüber nachdachten, ob sie heiraten sollten, wenn die Scheidung erst mal rechtskräftig war. Und die beiden waren doch erst seit dem Spätsommer ein Paar! Wie konnten sie sich schon jetzt so sicher sein?

Bengt beobachtete sie aufmerksam. Frieke hakte sich bei ihm unter. »Ach«, sagte sie leichthin. »So eine Pralinenhochzeit muss es ja nicht sein.«

Bevor Bengt darauf etwas erwidern konnte, beschleunigte sie ihre Schritte. Sie hatte Sonja entdeckt,...