Es lebe die Weihnacht in all ihrer Pracht - Weihnachten mit Charles Dickens

von: Charles Dickens, Antje Erdmann-Degenhardt

Aufbau Verlag, 2019

ISBN: 9783841218353 , 160 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Es lebe die Weihnacht in all ihrer Pracht - Weihnachten mit Charles Dickens


 

Eine Winterreise des Pickwick-Klubs zur Manor Farm


Flink wie die Bienen, wenn auch nicht ganz so behende wie Elfen, versammelten sich die vier Pickwickier am Morgen des zweiundzwanzigsten Dezember in jenem Jahre des Heils, in dem diese ihre getreulich wiedergegebenen Abenteuer unternommen und vollbracht wurden. Weihnachten mit all seiner freimütigen und herzlichen Biederkeit stand vor der Tür, es war die Zeit der Gastlichkeit, Fröhlichkeit und Freigebigkeit; das alte Jahr machte sich gleich einem Philosophen der Antike bereit, all seine Freunde um sich zu vereinigen und unter den Lauten lärmender Festlichkeit und Schmauserei sacht und still von hinnen zu scheiden. Lustig und fröhlich war die Zeit, und lustig und fröhlich waren zumindest vier der unzähligen Herzen, die ihr Nahen erfreute.

Wahrlich nicht zu zählen sind die Herzen, für die Weihnachten eine kurze Spanne des Glücks und der Freude bringt. Wie viele Familien, deren Mitglieder auseinandergeflogen und weit und breit verstreut sind in den rastlosen Kämpfen des Lebens, werden dann wieder vereinigt und kommen wieder einmal zusammen in jenem glücklichen Zustand der Gemeinschaft und des gemeinsamen guten Willens, der eine Quelle so reiner und ungetrübter Wonne ist […]. Wie viele alte Erinnerungen und wie viele schlafende Zuneigungen weckt die Weihnachtszeit!

Wir schreiben diese Worte hier viele Meilen entfernt von dem Ort, wo wir uns Jahr für Jahr an diesem Tag trafen, ein heiterer und fröhlicher Kreis. Viele der Herzen, die damals so freudig pochten, schlagen nicht mehr; viele Gesichter, die damals so strahlend leuchteten, erglühen nicht mehr; die Hände, die wir faßten, sind kalt geworden; die Augen, die wir suchten, haben ihren Glanz im Grab verborgen, und dennoch, das alte Haus, die Stube, die fröhlichen Stimmen und lächelnden Gesichter, das Scherzen, das Lachen, die winzigsten und alltäglichsten Umstände, die mit jenen glücklichen Zusammenkünften verknüpft waren, all das drängt sich uns bei jeder Wiederkehr dieser Zeit auf, als wäre das letzte Beisammensein erst gestern gewesen! Glückliche, glückliche Weihnacht, der es gegeben ist, uns dem Wahn unserer Kindertage zurückzugewinnen […]!

Aber wir sind so hingerissen und in Anspruch genommen von den vortrefflichen Eigenschaften der heiligen Weihnacht, daß wir Mr. Pickwick und seine Freunde draußen in der Kälte auf den Außenplätzen der Muggleton-Postkutsche warten lassen, die sie soeben erreicht haben, gut eingemummt in Überzieher, Tücher und Schals. Die Mantelsäcke und Reisetaschen sind verstaut, und Mr. Weller und der Schirrmeister quälen sich damit ab, in den vorderen Kutschkasten einen gewaltigen Dorsch zu zwängen, der etliche Nummern zu groß für ihn ist – aber schmuck verpackt in einem langen braunen Korb, mit einer Lage Stroh darüber, und der bis zum Schluß gelassen wurde, damit er sicher auf dem halben Dutzend Fäßchen mit echten einheimischen Austern ruhen könne, und all das gehört Mr. Pickwick und ist ordentlich und wie es sich gehört auf dem Boden des Behältnisses untergebracht worden. Die Aufmerksamkeit, die Mr. Pickwicks Gesicht zeigt, ist überaus gespannt, als Mr. Weller und der Schirrmeister den Dorsch in den Kutschkasten zu quetschen versuchen, erst Kopf voraus, dann Schwanz voraus, dann Rücken nach oben, dann Bauch nach oben, dann von der Seite, dann der Länge nach, lauter Kunstgriffe, denen sich der unbeugsame Dorsch hartnäckig widersetzt, bis ihm der Schirrmeister aus reinem Zufall einen Hieb genau in der Mitte des Korbes gibt, worauf er jäh in dem Kasten verschwindet, und mit ihm verschwinden Kopf und Schultern des Schirrmeisters selbst, der nicht mit einer so plötzlichen Aufgabe des passiven Widerstands gerechnet hat und zum nicht unterdrückbaren Vergnügen aller Gepäckträger und Umstehenden eine höchst unerwartete Erschütterung erleidet. Darüber lächelt Mr. Pickwick in vortrefflicher Laune, holt aus seiner Westentasche einen Schilling und bittet den Schirrmeister, nachdem sich dieser aus dem Kasten gezogen hat, mit einem Glas Kognakgrog auf sein Wohl zu trinken, worüber nun auch der Schirrmeister lächelt, und die Herren Snodgrass, Winkle und Tupman lächeln zur Gesellschaft mit. Der Schirrmeister und Mr. Weller verschwinden für fünf Minuten, höchstwahrscheinlich um den heißen Kognakgrog zu genehmigen, denn sie riechen sehr stark danach, als sie wieder erscheinen; der Kutscher steigt auf den Bock, Mr. Weller springt hinten auf, die Pickwickier ziehen sich die Mäntel um die Beine und die Schals über die Nase, die Gehilfen nehmen die Pferdedecken ab, der Kutscher ruft ein munteres »Alles klar!«, und ab geht die Post.

Sie sind durch die Straßen gerumpelt und über die Steine gerüttelt und haben schließlich das weite, offene Land erreicht. Die Räder streifen fast nur den harten, gefrorenen Boden, und die Pferde, die nach einem scharfen Peitschenknall in kurzen, leichten Galopp fallen, sausen die Straße entlang, als wäre die Last hinter ihnen, Kutsche, Passagiere, Dorsch, Austernfäßchen und alles, nur eine Feder an ihren Hufen. Sie sind eine sanfte Neigung hinuntergefahren und kommen auf eine Ebene, die so fest und trocken ist wie ein solider Marmorblock von zwei Meilen Länge. Wieder ein Peitschenknall, und schneller jagen sie weiter in gestrecktem Galopp, wobei die Pferde die Köpfe aufwerfen und mit dem Geschirr klirren, als erheitere sie die Geschwindigkeit der Bewegung, während der Kutscher, Peitsche und Zügel in der einen Hand, mit der anderen den Hut abnimmt, ihn auf die Knie legt, sein Schnupftuch hervorzieht und sich die Stirn wischt, teils, weil das so seine Gewohnheit ist, und teils, weil man ja den Passagieren gut und gern mal zeigen kann, wie gelassen man ist und eine wie leichte Sache es ist, vierspännig zu fahren, wenn man soviel Übung darin besitzt wie er. Nachdem er dies ganz gemächlich getan hat (andernfalls würde es die Wirkung wesentlich beeinträchtigen), steckt er sein Schnupftuch wieder ein, setzt seinen Hut auf, zupft die Handschuhe zurecht, winkelt die Ellbogen, läßt abermals die Peitsche knallen, und weiter eilen sie, noch fröhlicher als zuvor.

Ein paar kleine Häuser, zu beiden Seiten der Straße verstreut, kündigen die Einfahrt in eine Stadt oder ein Dorf an. Die munteren Töne von des Schirrmeisters Klapphorn schwingen in der klaren, kalten Luft und wecken den alten Herrn drinnen, der behutsam das Schiebefenster halb herunterläßt, sich auf Wache stellt gegen die Luft, einen kurzen Blick hinauswirft, sodann das Fenster behutsam wieder hochzieht und den anderen Insassen davon unterrichtet, daß sie gleich die Pferde wechseln würden, worauf auch der andere Insasse aufwacht und beschließt, sein nächstes Nickerchen bis nach dem Aufenthalt zu verschieben. Wieder ertönt mit lustigem Schall das Klapphorn und bringt des Häuslers Frau und Kinder auf die Beine, die zur Tür hinausschauen und der Kutsche nachsehen, bis sie um die Ecke biegt, worauf sie sich aufs neue um das flackernde Feuer kauern und noch ein Holzscheit auflegen, weil sie auf Vater warten, während Vater selbst, eine ganze Meile weiter, eben ein freundschaftliches Nicken mit dem Kutscher austauscht und sich dann umdreht und dem davonwirbelnden Gefährt eine geraume Weile nachstarrt.

Und nun spielt das Klapphorn eine flotte Weise, da die Kutsche durch die schlecht gepflasterten Straßen eines Landstädtchens rattert, und der Kutscher entfernt die Schnalle, die die Zügel zusammenhält, und macht sich bereit, in dem Augenblick, da sie halten, die Zügel hinunterzuwerfen. Mr. Pickwick taucht aus seinem Mantelkragen auf und blickt mit großer Neugier um sich; der Kutscher, der es bemerkt, nennt Mr. Pickwick den Namen der Stadt und erzählt ihm, gestern sei Markttag gewesen, beide Auskünfte gibt Mr. Pickwick in aller Ausführlichkeit an seine Mitreisenden weiter, worauf auch diese aus ihren Mantelkragen auftauchen und ebenfalls um sich blicken. Mr. Winkle, der an der äußersten Kante sitzt, ein Bein baumelt in der Luft, wird fast auf die Straße hinuntergeschleudert, als die Kutsche um die scharfe Ecke beim Laden des Käsehändlers schwenkt und auf den Marktplatz einbiegt, und ehe sich Mr. Snodgrass, der ihm am nächsten sitzt, von der Aufregung erholt hat, halten sie im Hof des Ausspanns, wo bereits frische Pferde unter warmen Decken warten. Der Kutscher wirft die Zügel hinunter und steigt ab, und die Passagiere der Außenplätze steigen ebenfalls ab, außer denen, die kein großes Zutrauen zu ihrer Geschicklichkeit haben, wieder hinaufzugelangen; die bleiben, wo sie sind, und stampfen mit den Füßen gegen die Kutsche, um warm zu werden – wobei sie mit sehnsüchtigen Augen und roten Nasen auf das helle Feuer in der Schankstube schauen und auf die Stechpalmenzweige mit ihren roten Beeren, die das Fenster schmücken.

Der Schirrmeister hingegen hat im Laden des Samenhändlers das Päckchen in braunem Papier abgeliefert, das er dem an einem Lederriemen über der Schulter hängenden kleinen Briefbeutel entnahm, und hat aufgepaßt, daß die Pferde sorgfältig angeschirrt wurden, und hat den Sattel aufs Pflaster geworfen, der auf dem Dach der Kutsche von London hergebracht wurde, und hat Hilfestellung geleistet bei der Verhandlung zwischen dem Kutscher und dem Stallknecht über die graue Stute, die sich letzten Dienstag das rechte Vorderbein verletzte, und er und Mr. Weller sitzen bereits hinten, und der Kutscher sitzt bereits vorn, und der alte Herr drinnen, der die ganze Zeit das Fenster volle zwei Zoll offengelassen hat, hat es wieder hochgezogen, und die Pferdedecken sind ab, und alle sind fahrbereit, mit Ausnahme der »zwei beleibten Herren«, nach denen sich der Kutscher mit einiger Ungeduld erkundigt. Darauf rufen der...