Das flüchtige Paradies - Deutsche Schriftsteller im Exil an der Côte d'Azur

von: Manfred Flügge

Aufbau Verlag, 2019

ISBN: 9783841217806 , 304 Seiten

Format: ePUB

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Das flüchtige Paradies - Deutsche Schriftsteller im Exil an der Côte d'Azur


 

Wintermärchen mit Palmen
Die Odyssee einer Heine-Statue


»Über die Zeitereignisse sage ich nichts; das ist Universalanarchie, Welt-Kuddelmuddel, sichtbar gewordener Gotteswahn.«

Heinrich Heine, 1848

»Wo wird einst des Wandermüden / Letzte Ruhestätte sein? / Unter Palmen in dem Süden? / Unter Linden an dem Rhein?«, fragte sich Heinrich Heine schon in einem frühen Gedicht. Und doch schien ihm die Antwort nicht so bedeutsam zu sein, Gottes Himmel umgebe ihn überall, jeder Ort auf der Welt würde von den Sternen beschienen. Das klingt gefasst, ja ergeben, aber es war doch nur die Ahnung, dass in seiner Nachgeschichte wie schon in seinem Leben von Ruhe und Ankommen keine Rede wäre.

Sanary-sur-Mer, um 1925.

Heine ist der Schutzpatron aller deutschen Künstler und Autoren, für die Frankreich bedeutsam wurde als geistige und ästhetische Inspiration wie als politische Zuflucht. Auf dem Pariser Friedhof Montmartre schaut sein melancholisch geneigtes Haupt von einer Stele auf seine Grabstätte herab. Ein dänischer Bildhauer hat dieses schöne Werk geschaffen, das auf die bange Frage des Dichters eine Antwort zu geben scheint. Aber eine andere Heine-Statue desselben Künstlers brachte eine wahre Odyssee hinter sich, die auf ihre Weise die deutschen Widersprüche, Sonderwege und Katastrophen spiegelt, auch die Vertreibung und die unmögliche Heimkehr der deutschen Künstler, die selbst in der Fremde den Traum von einem besseren Deutschland nicht aufgegeben hatten und der deutschen Sprache die Treue hielten.

Auch Statuen haben ihre Exilgeschichten, wie jene, die Kaiserin Elisabeth von Österreich (1837–1898; im Kreis der Ihren Sisi genannt, auf den Leinwänden der Welt aber Sissi) zu Ehren ihres Lieblingsdichters aufstellen ließ. Die einstige bayerische Prinzessin war eine rastlose Reisende; auch die Côte d’Azur hat sie mehrfach besucht, wo sie die Bucht von Villefranche und Cap Martin bei Menton besonders schätzte. Ihre letzte Ruhestätte würde die Kapuzinergruft in Wien sein, das wusste man von vornherein, ihren gewundenen Lebensweg und ihr tragisches Ende konnte niemand ahnen.

Die Kaiserin war nicht nur eine Spitzensportlerin (im Geländereiten), sie war auch eine Dichterin. Ihr Vorbild war Heinrich Heine, dem sie in ihren Versen nacheiferte, die sie kaum jemandem zeigte. Dass Heine immer wieder das Objekt von Hasskampagnen wurde, focht sie nicht an; auf die öffentliche Meinung gab sie ohnehin nichts. Und so engagierte sie sich, als im Jahre 1887 in Heines Geburtsstadt Düsseldorf ein Denkmalsstreit entbrannte. Der Genie- und Denkmalkult, der bald nach der Franzosenzeit in Mitteleuropa entstanden war, erreichte nach der Reichseinheit 1871 einen Höhepunkt. Wie es um dieses Reich bestellt war und welche düsteren Wolken hier schon aufzogen, wurde durch die Auseinandersetzung um Heine grausam deutlich.

Das 2011 restaurierte Heine-Denkmal im Parc Fréderic Mistral, Le Mourillon, Toulon. (Foto: Bernard Hannotin)

»Mein Ruhm schläft noch in den Marmorbrüchen von Carrara«, schrieb Heine schon 1826. Sein eigentliches Denkmal sei das stattliche Haus seines Verlegers Julius Campe in Hamburg, den der Erfolg seiner Gedichtbände reich gemacht habe. Campes Haus sollte zum Schauplatz in der Geschichte von Heines Bildnis werden.

In Düsseldorf bildete sich im Herbst 1887 ein Komitee für die Errichtung eines Heine-Denkmals, zu dessen 28 Mitgliedern auch der Bürgermeister Ernst Lindemann gehörte. Man wollte den Dichter der Liebesgedichte und Balladen ehren und alles Politische, vor allem die Preußen-Kritik, heraushalten. Der Dichter Paul Heyse warb für die Statue, indem er die Düsseldorfer bat, Heines menschliche Makel zu vergessen – eingedenk dessen, »was heute von ihm noch in deutscher Sangeslust und deutschem Sangesschmerz durch die Saiten unserer vaterländischen Harfen rauscht«. Nationalisten und Antisemiten konnte solche Entpolitisierung freilich nicht besänftigen.

Die österreichische Kaiserin trat dem Komitee bei und war bereit, sich an den Kosten zu beteiligen. Sie schrieb Verse, in denen sie für den Plan warb, dem Dichter unsterblicher goldener Lieder den Dank »eines ganzen Volkes« abzustatten. Doch das Volk erwies sich als undankbar. Die Gegner lancierten wütende Pamphlete. Das Sündenregister des Dichters sei lang: Er habe alles Heilige verspottet, sei vaterlandslos gewesen, habe Napoleon verehrt und Frankreich geliebt, sei ein politischer Querulant und überhaupt ein viel zu sinnlicher Bursche gewesen. Und natürlich vergaß man nicht, dass er ein Jude war; Heine selbst hatte vom »nicht abzuwaschenden Juden« gesprochen. Wiener Hetzblätter schrieben, nur Juden und Judenknechte könnten sich für diesen schamlosen Menschen begeistern. Ein Artikel aus jenen Tagen nannte Heine den »Schmutzfink im deutschen Dichterwalde«. Heinrich von Treitschke bezeichnete seine Zeitgedichte als »blödsinniges Wutgeheul jüdischen Hasses«, Juden in andern Ländern hätten ihre Heimat nicht so mit Dreck beworfen (sie hatten wenig Grund dazu, und Wutgeheul machten doch nur Leute wie er, die nicht einsahen, dass die »National-Servilisten«, wie Heine sie genannt hätte, Deutschlands wirkliches Unglück waren). Aus Düsseldorf wandte man sich sogar an Fürst Bismarck in Berlin, der aber ließ wissen, er schätze den Dichter, man möge nicht vergessen, dass neben Goethe nur Heine als gleichrangiger Liederdichter genannt werden dürfe.

Albert Wolff schrieb im April 1888, Heine werde noch lange nach seinem Tod vom Hass der schwachköpfigen Reaktion verfolgt, die sich auf die Dummheit der Menschen stütze. Diesen Artikel druckte auch Le Figaro in Paris. Die Schriftsteller Émile Zola und Alphonse Daudet sprachen sich für das Denkmal aus, der Antisemit Édouard Drumont polemisierte gegen die Judenliebe mancher Herrscher (womit er Sisi meinte). In Deutschland war oft zu hören, ein Heine-Denkmal gehöre eher nach Frankreich.

Der Kunsthistoriker Franz Sandvoss nannte Heine einen »Pfahl in unserem Fleische«, er sei »der Prototyp des modernen entarteten Judentums«, eine Heine-Statue wäre eine »Schandsäule für das deutsche Volk«. Einer der Abonnenten der Zeitschrift Der Kunstwart, die diese Schmähschrift druckte, kündigte erbost: Friedrich Nietzsche. Für ihn war Heine wie nur wenige Deutsche ein europäisches Ereignis. »Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben. Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer gleich süßen und leidenschaftlichen Musik. Er besaß jene göttliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommene nicht zu denken vermag.« Das schrieb Nietzsche 1888 in Ecce Homo.

Im Juli 1888 stimmte der Stadtrat in Düsseldorf ab: 11 Stimmen für ein Heine-Denkmal, 11 dagegen. Zwar gehörte Bürgermeister Lindemann zu den Befürwortern, doch in der Sache änderte sich nichts. Das lag auch daran, dass der österreichischen Kaiserin die Entwürfe von Ernst Herter nicht gefielen. Er hatte einen Brunnen vorgeschlagen, dessen Mittelsäule von einer Loreley-Figur gekrönt wurde. Ein Abbild Heines war nur als Relief auf dem Säulenschaft vorgesehen, dafür spielten im Wasser drei nackte Nixen – als Verkörperung von Lyrik, Melancholie und Satire. Im Januar 1889 hieß es aus Wien, der Kaiser und die Kaiserin wollten nicht mehr in Zusammenhang mit dem Projekt genannt werden. Hatte sich Sisi der Staatsräson oder politischem Druck gebeugt? Sie hatte eigene Pläne, die sie in aller Stille verfolgte.

Der fruchtlose Streit in Düsseldorf dauerte noch einige Jahre. Schließlich zog sich der Bürgermeister aus dem Komitee zurück. Inzwischen plante man ein Denkmal für die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, was natürlich als Gegenaktion zu dem Heine-Plan gedacht war. Der sterbende Soldat mit Löwe, entworfen von Carl Hilgers aus Berlin, wurde zügig erstellt und ist noch heute zu sehen. Eine Zeitung in Wien resümierte: »Uns scheint, Heines Denkmal wird wie der ewige Jude ohne Ruhe und ohne Rast wandern müssen.« Die Antisemiten sorgten dafür, dass es so kam.

Der von Sisis Absage enttäuschte Herter warb weiterhin für seine Entwürfe. Interesse regte sich in Kreisen deutscher Auswanderer in New York. Schließlich gab der Gesangsverein Arion, beheimatet in der Bronx, damals ein Deutschen-Viertel, bei Herter den von ihm entworfenen Loreley-Brunnen in Auftrag. Am 8. Juli 1899 wurde die »Lorelei Fountain« an der Ecke Mott Avenue/161. Straße Ost eingeweiht. Viele deutsche Vereine waren mit ihren Fahnen aufmarschiert, heimatverbunden und patriotisch ehrte man den Dichter.

Aber auch in New York erlebte dessen Abbild keine stillen Tage. Der Frauenvereinigung der Christian Temperance Union missfielen die nackten Nymphen, die sehr bald beschädigt wurden, so dass man Polizisten mit der permanenten Bewachung beauftragen musste. Um 1960, als jene Ecke der Bronx zum Viertel für arme Latinos geworden und reichlich heruntergekommen war, hatte auch der inzwischen weiß übermalte Brunnen, oder was von ihm übrig war, schwer zu leiden. Zwischen 1997 und 1999 wurde er mit Spendengeldern restauriert und neu aufgestellt, fordert seither aber immer wieder die Graffiti-Aktivisten heraus.

Zurück zu Sisi. Ihr Eintreten für Heine trug der Kaiserin eine Hetzkampagne in der völkischen und nationalistischen Presse ein, nur die liberale Presse rühmte ihr Engagement. Als Antwort an die Gegner ihrer Initiative (darunter wohl auch ihr kaiserlicher Gemahl Franz Joseph) schrieb sie ein Gedicht, in dem sie ihre...