Kenne alle, will nur eine

von: Susan Mallery

MIRA Taschenbuch, 2019

ISBN: 9783955769826 , 304 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Kenne alle, will nur eine


 

1. KAPITEL


Bis zu jenem Donnerstag um Viertel vor sieben konnte sich Reid Buchanan seiner Beliebtheit in der Damenwelt mehr als sicher sein.

Er war einer von denen, die kleine Zettel von den Mädchen zugesteckt bekamen, als er sich dieser Ehre selbst noch gar nicht bewusst war. In Reids zweitem Jahr auf der Highschool zeigte sich dann aber auch bei ihm die große Kraft der Hormone – und das nicht ohne Folgen. Während der Frühjahrsferien verführte ihn Misty O’Connell aus der Oberstufe. Es passierte an einem verregneten Nachmittag bei ihr zu Hause, während auf MTV „The Real World“ lief.

Seitdem war Reid verrückt nach Frauen und die Frauen verrückt nach ihm. Bis zu diesem Morgen, als er die Zeitung aufschlug und ihm sein Bild ins Auge sprang. Und gleich danach der dazugehörige Artikel mit dem Titel: „Berühmt? Und wie! Reich? Garantiert! Gut im Bett? Fehlanzeige!“

Reid verschluckte sich fast an seinem Kaffee. Er sprang auf und starrte die Zeitung an, rieb sich die Augen und las die Überschrift ein zweites Mal.

„Gut im Bett? Fehlanzeige!“ Fehlanzeige?

„Die hat sie wohl nicht mehr alle!“ Er las den Namen der Journalistin: Vielleicht hatte er vor Kurzem mit ihr Schluss gemacht und das war ihre billige Retourkutsche? Sie stellte ihn in der Öffentlichkeit bloß. Und warum? Weil er gut im Bett war. Besser als gut.

Er brachte jede Frau zum Äußersten. Die Frauen hinterließen in schöner Regelmäßigkeit tiefe Kratzspuren auf seinem Rücken – die Narben konnte er allen zeigen. Wenn er in einer anderen Stadt unterwegs war, verfolgten ihn die Frauen bis in sein Hotelzimmer und flehten ihn an, mit ihnen zu schlafen. Und hier in Seattle belagerten sie sein Haus und versprachen ihm, alles für ihn zu tun, wenn er nur noch einmal mit ihnen ins Bett ginge.

Nein, er war nicht bloß gut im Bett. Er war ein Sexgott!

Und jetzt war er bis aufs Blut blamiert – wegen dieses dämlichen Artikels, in dem die Autorin von einem Abend mit ihm berichtete. Ihre Unterhaltung beschrieb sie als „beinah charmant“. Er habe „halbwegs witzige“ Anekdoten aus seiner Vergangenheit zum Besten gegeben, und sie hätten ein paar Stunden im Bett verbracht, die „so lala“ waren. Sie krönte ihren Beitrag mit ironischen Spitzen wie „das ist natürlich nur meine individuelle Meinung“ oder „bitte verklag mich nicht gleich, vielleicht liegt es ja auch an mir“.

Außerdem behauptete sie, er ließe regelmäßig seine Teilnahme an Benefizveranstaltungen platzen, was ebenfalls nicht stimmte. An solchen Events nahm er grundsätzlich nicht teil. Sein Prinzip lautete: kein persönliches Engagement, auch nicht für wohltätige Zwecke.

Der Name der Reporterin sagte ihm allerdings gar nichts. Er versuchte sich zu erinnern, aber es war zwecklos. Also schnappte er sich sein Laptop und gab die Website der Zeitung ein. Auf der „Über uns“-Seite fand er ein Bild von ihr.

Sie war eine Durchschnittsfrau mit brünetten Haaren. Langsam dämmerte es ihm. Ja, er hatte mit ihr geschlafen. Aber die Tatsache, dass er sich nicht daran erinnern konnte, bedeutete nicht, dass es schlecht gewesen war.

Und dann fiel ihm ein, dass er während der Play-offs mit ihr ausgegangen war, als sein ehemaliges Team um die Teilnahme an der World Series kämpfte. Es war sein erstes Jahr als Exprofi, und er war wieder zurück in Seattle. Er war enttäuscht und sauer gewesen, weil er nicht mehr dabei war, und vermutlich war er auch betrunken.

„Wahrscheinlich habe ich eher an Baseball gedacht als an sie“, murmelte Reid und las den Artikel ein zweites Mal.

Ein Gefühl der Verlegenheit machte sich in ihm breit. Hätte es nicht gereicht, wenn die blöde Kuh ihn in ihrem Freundeskreis als miesen Typen dargestellt hätte? Musste sie ihn gleich öffentlich blamieren? Wie sollte er sich dagegen wehren? Etwa vor Gericht? Selbst wenn, wie konnte man so einen Fall gewinnen? Sollte er womöglich sämtliche Frauen aufmarschieren lassen, die schon nach einem Kuss zu allem bereit gewesen waren?

Irgendwie gefiel ihm diese Idee, aber ihm war klar, dass das alles nichts brachte. Er war ein berühmter Exbaseball-profi, und die Leute sahen es nun mal gern, wenn Helden stürzten.

Aber auch seine Freunde und seine Familie würden den Artikel lesen. Alle, die er in Seattle kannte, würden den Artikel lesen. Er konnte sich schon vorstellen, was passieren würde, wenn er nachher in die „Downtown Sports Bar“ zur Arbeit gehen würde.

Wenigstens hat sie sich auf die Lokalausgabe beschränkt, dachte er. So musste er sich zum Glück nicht auch noch die dummen Kommentare seiner Exbaseballkollegen anhören.

Da klingelte das Telefon. Er nahm ab.

„Hallo?“

„Ist da Reid Buchanan? Hallo. Ich bin Producerin bei ‚Access Hollywood‘ und wollte fragen, ob Sie ein kurzes Statement zu dem Artikel von heute Morgen abgeben wollen. Der, in dem Sie ...“

„Danke, ich weiß schon“, fauchte Reid.

„Gut.“ Die junge Frau am anderen Ende der Leitung kicherte. „Würden Sie uns für ein Interview zur Verfügung stehen? Ich kann noch heute Morgen ein Team vorbeischicken. Sie wollen doch sicher dazu Stellung nehmen?“

Fluchend legte Reid auf. Access Hollywood? Das ging wirklich schnell.

Das Telefon klingelte wieder. Er zog den Stecker raus. Am liebsten hätte er das Ding an die Wand geworfen!

Jetzt klingelte sein Handy. Reid zögerte einen Moment, bevor er das Gespräch annahm. Er kannte die Nummer auf dem Display, ein Freund aus Atlanta. Diesen Anruf konnte er bedenkenlos annehmen.

„Hey, Tommy. Alles klar?“

„Reid, alter Junge. Was hört man denn da? Dieser Artikel ist ja ein echter Hammer! Und um es mal so zu sagen: eindeutig zu viele Details, oder?“

Würde Lori Johnston an Wiedergeburt glauben, wäre sie der Überzeugung, dass sie in einem ihrer früheren Leben ein General oder ein anderer Taktikexperte gewesen war. Denn eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen war es, Dinge, die nichts miteinander zu tun hatten, zusammenzuwürfeln und daraufhin perfekte Problemlösungen zu präsentieren, die niemand erwartet hatte.

An diesem Morgen beschäftigte sie sich zum Beispiel mit einem Krankenbett, das einen Tag später als versprochen geliefert wurde, und einem Catering-Service, bei dem jede einzelne Vorspeise falsch war. In ihrer freien Zeit würde sie ihre neue Patientin abholen und sicher nach Hause bringen müssen, vorausgesetzt, der Krankentransport verspätete sich nicht. Was bei anderen Menschen zu lauten Flüchen und wüsten Verwünschungen führte, sorgte bei Lori für einen Energieschub. Sie würde auch diese Herausforderung erfolgreich meistern.

Endlich hatte der Mann von der Spedition das Krankenhausbett aufgebaut. Sie schritt zur Inspektion und untersuchte die Matratze auf mögliche Unebenheiten. Was für einen gesunden Menschen nicht mehr als ein Ärgernis war, konnte bei jemandem mit einer gebrochenen Hüfte für gravierende gesundheitliche Schäden sorgen.

Die Matratze hielt ihrer sorgfältigen Überprüfung stand. Als Nächstes waren die Bedienelemente an der Reihe.

„Wenn ich das Kopfteil aufstelle, quietscht es“, bemängelte sie. „Können Sie das abstellen?“

Der Mann sah sie verärgert an, aber das war ihr egal. Es war schon schlimm genug, eine bequeme Lage zu finden, wenn man Schmerzen hatte. Da musste nicht auch noch ein lästiges Quietschen dazukommen.

Danach untersuchte sie das Nachttischchen, das mit Rädern versehen und in Ordnung war. Auch am Rollstuhl und an der Gehhilfe gab es nichts auszusetzen.

Während sich der Arbeiter mit der quietschenden Kopfstütze befasste, eilte Lori in die Küche. Dort bereitete das Catering-Team die Mahlzeiten vor.

„Das Chili?“, fragte eine Frau in weißer Uniform.

„Geht nicht.“ Lori deutete auf eine Liste, die sie am Kühlschrank befestigt hatte. „Die Frau ist über siebzig. Sie hat einen Herzinfarkt und eine schwere Hüft-OP hinter sich, und sie nimmt Medikamente. Sie soll schmackhaftes, aber kein scharfes Essen bekommen, das ihr eventuell auf den Magen schlägt. Wir wollen ja ganz sicher nicht, dass sie ihren Appetit verliert, im Gegenteil. Gesunde, aber appetitliche Gerichte sind gefragt. Kein Chili, kein Sushi, nichts Ausgefallenes.“

Das Ganze hatte ich auch schon mal am Telefon gesagt, dachte Lori leicht gereizt.

Aber wenn dieses ganze Hin und Her hinter ihr lag, würde sie bei „Dilettante Chocolates“ vorbeifahren und sich eine Belohnung gönnen. Schokolade versüßte ihr immer den Tag, und die Vorfreude darauf machte es schon jetzt leichter.

„Sie könnten es mit Prügel versuchen. Dann würden sie vielleicht auf Sie hören.“

Diese Stimme! Lori musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer in der Küchentür stand. Sie waren sich schon einmal begegnet, bei ihrem Vorstellungsgespräch. In diesen zwanzig Minuten hatte sie lernen müssen, dass man sich sehr wohl sexuell zu jemandem hingezogen fühlen konnte, den man ansonsten verabscheute. Das Gespräch hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt – und der Klang seiner Stimme auch. Einen Moment lang dachte sie daran, sich diese Erinnerung operativ entfernen zu lassen. Wie nannte man das noch? Lo-botomie oder so ähnlich.

Sie musste sich zusammenreißen. Diese dunklen, wissenden Augen, sein beinah zu hübsches Gesicht und seine krumme Haltung, gegen die er eigentlich etwas tun sollte -und trotzdem war sie kurz davor, dahinzuschmelzen wie eine Zwölfjährige auf einem Popkonzert.

Reid Buchanan verkörperte alles, was sie an einem Mann abstoßend fand. Er hatte es...