Alpengold 291 - Selbstlose Liebe

von: Hanni Birkmoser

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2019

ISBN: 9783732576999 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Alpengold 291 - Selbstlose Liebe


 

Selbstlose Liebe

Wie Karin einen geächteten Mann aus seiner Einsamkeit erlöste

Von Hanni Birkmoser

Erst vor ein paar Wochen hat Karin Hasler ihre erste Stelle als Lehrerin in dem einsam gelegenen Bergdorf angetreten. Viel gesehen hat sie noch nicht von ihrer neuen Heimat, und so unternimmt sie an diesem Nachmittag spontan einen Spaziergang. Vor einem Marterl am Waldrand bleibt sie stehen. Wind und Wetter haben die Inschrift fast unleserlich gemacht, deutlich zu erkennen ist jedoch das Bild eines Mannes in mittlerem Alter.

Karin fühlt sich seltsam berührt von dem Porträt des Toten und tritt näher an das Marterl heran. Nach einer Weile gelingt es ihr, die Inschrift zu entziffern: »Heinrich Lechner, Bauer in Niederndorf, fand hier einen gewaltsamen Tod. Der Herr sei seiner armen Seele gnädig.«

Ein Schauer jagt der jungen Frau über den Rücken, als sie plötzlich das Gefühl hat, nicht mehr allein im Wald zu sein. Ängstlich dreht sie sich um – und blickt in ein Männergesicht, das mit dem auf dem Foto fast identisch ist …

Die schlanke junge Frau, deren dunkles Haar in der Abendsonne kupfern schimmerte, blieb aufatmend am Wegrand stehen und sah hinunter in das Dorf, dessen Mittelpunkt ein kleiner Teich bildete. Gleich hinter dem Teich, versteckt hinter hohen Buchen, stand die Schule von Niederndorf, seit einer guten Woche ihre neue Heimat.

Hier oben am Waldrand war es friedlich, und man spürte nichts von dem Aufruhr, der unten im Dorf herrschte, weil der alte Lehrer von einer Lehrerin abgelöst worden war. Noch dazu einer jungen, der man überall mit Misstrauen begegnete.

Karin Hasler dachte zurück an den ersten Schultag, den sie so schnell nicht vergessen würde. Die Bäuerinnen hatten ihre Kinder höchstpersönlich zur Schule gebracht, um sich die unwillkommene Person anzusehen. Wenn schon eine Frau, dann hatten sie sicher eine ältere Person mit strengem grauem Haarknoten und dicker Brille erwartet.

Aber sie, vierundzwanzig Jahre alt, modern gekleidet und noch dazu aus München, das war den ehrbaren Bäuerinnen von Niederndorf ein Dorn im Auge. Die Reiterbäuerin hatte das ausgesprochen, was die anderen gedacht hatten.

»Wir wollen eine Lehrerin für unsere Kinder und keine Modepuppe.«

Karin ärgerte sich heute noch darüber, dass ihr bei diesen Worten das Blut in den Kopf gestiegen war. Sie hatte sich eine heftige Antwort verkniffen und den Frauen die Tür vor der Nase zugemacht.

Die Kinder, die sie zunächst mit offenen Mündern angestarrt hatten, waren von Tag zu Tag zutraulicher geworden und hatten ihre anfängliche Schüchternheit schnell verloren.

Jetzt, nach einer Woche, war Karin sich sicher, dass sie die Herzen der Schüler gewonnen hatte, aber sie hörte noch aus so manchen Reden heraus, dass deren Eltern sie noch größtenteils ablehnten.

So war Karin Hasler ziemlich einsam in dem kleinen Gebirgsdorf. Wäre nicht der alte Lehrer Kimpfler gewesen, wäre diese erste Zeit recht schlimm für sie geworden. Dabei war es schon ein Kindheitstraum von ihr gewesen, einmal in einem kleinen Gebirgsdorf Kinder zu unterrichten.

Ihre Eltern hatten sich anfangs ihrem Berufswunsch entgegengestellt, aber schließlich erkennen müssen, dass es ihr wirklich ernst damit war. Nur ungern hatten sie ihre einzige Tochter gehen lassen, aber mit dem kleinen Auto, das ihr Vater ihr zur bestandenen Prüfung geschenkt hatte, war die Entfernung leicht zu bewältigen.

Walter Kimpfler war seit vierzig Jahren Lehrer in Niederndorf gewesen, und er hatte sich heimlich darüber amüsiert, dass er eine junge weibliche Nachfolgerin bekommen hatte.

Die hübsche dunkelhaarige junge Frau hatte ihm auf Anhieb gefallen. Und nicht nur ihm, sondern auch so mancher ehrbare Bauer hatte bei ihrem Anblick große Augen bekommen. Was auch ein Grund war, dass Karin von den meisten Frauen abgelehnt wurde.

Nach seiner Pensionierung blieb Walter Kimpfler im Schulhaus wohnen, in der Mansarde unter dem Dach, in die er einst als junger Mann eingezogen war. Die neue Lehrerin hatte ein Apartment im ersten Stock bekommen, und er hatte sie gleich zu Anfang recht oft zu sich eingeladen und ihr Mut gemacht.

»In der Stadt ist eine Lehrerin etwas Alltägliches«, hatte er gemeint, »und es wird höchste Zeit, dass man auf dem Lande etwas fortschrittlicher wird. Ich freue mich jedenfalls, dass Sie da sind. Und ich möcht Ihnen helfen, wo ich kann.«

Der alte Lehrer hatte ihr auch so manches über die Kinder und ihre Elternhäuser erzählt, sodass ihr die einzelnen Schüler schon bald recht vertraut geworden waren.

Karin drang tiefer in den Wald ein und freute sich über die Kühle.

Anfang September war es bereits, und trotzdem herrschte noch eine Hitze wie im Hochsommer. Sie liebte diese nachmittäglichen Spaziergänge, bevor sie sich am Abend in ihre winzige Wohnung zurückzog, um noch Hefte zu korrigieren und den Unterrichtsstoff für den nächsten Tag vorzubereiten.

Noch kannte sie die Namen der umliegenden Dörfer nicht, und auch die hohen, zum Teil schon schneebedeckten Gipfel waren ihr noch fremd. Vor einem Marterl blieb sie stehen. Wind und Wetter hatten die Inschrift fast unleserlich werden lassen, deutlich zu erkennen war jedoch das Bild eines Mannes in mittlerem Alter.

Zwei blaue Augen schauten ihr entgegen unter einem Schopf dunkler Haare. Der Mund lächelte nicht, und doch hatte das Gesicht etwas ungemein Anziehendes. Karin fühlte sich seltsam berührt von diesem Bild eines Mannes, der längst nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Sie trat näher an das Marterl heran und mühte sich damit ab, die unleserlich gewordenen Buchstaben zu entziffern.

Heinrich Lechner, Bauer in Niederndorf, fand hier einen gewaltsamen Tod. Der Herr sei seiner armen Seele gnädig.

Ein Schauer jagte dem Madl über den Rücken. Was war hier an dieser Stelle im Wald geschehen, dass dieser Mann den Tod gefunden hatte?

Wieder ging ihr Blick zu dem kleinen Bild, und sie nahm sich vor, den alten Lehrer nach diesem Heinrich Lechner zu fragen.

»Ich kann Ihnen beim Lesen helfen«, sagte plötzlich eine tiefe Männerstimme hinter ihr.

Karin hatte auf dem weichen Waldboden keine Schritte gehört und fuhr erschrocken herum. Ihre dunklen Augen starrten den Mann, der dicht vor ihr stand, zuerst erstaunt, dann fassungslos an. Dann wanderte ihr Blick zurück zu dem Bild am Marterl, und sie schüttelte entsetzt den Kopf. Dieser Mann war derselbe wie auf dem Bild!

Der Mann, Mitte oder Ende zwanzig, groß und mit breiten Schultern, lächelte spöttisch.

»Sie brauchen net zu erschrecken«, sagte er, »ich bin kein Geist und auch kein Gespenst. Dieser Mann dort auf dem Bild ist mein Vater, und ich sehe ihm anscheinend sehr ähnlich. Deswegen sind Sie doch so fassungslos, oder?«

In Karin Haslers Gesicht kehrte wieder Farbe zurück, sie brachte sogar ein Lächeln zustande.

»Ja, die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend, Herr Lechner. Es tut mir leid um Ihren Vater. Irgendetwas in seinem Gesicht hat mich berührt, deswegen hab ich hier verweilt. Wie ist es damals geschehen?«

Fast glaubte sie, jetzt Hass in seinem Blick zu sehen.

»Tote soll man ruhen lassen«, sagte er mit rauer Stimme, »daran sollten auch Sie sich halten. Gehen Sie weiter und vergessen Sie es.«

Der grobe Ton in seiner Stimme tat ihr weh. Vielleicht deswegen, weil er so gar nicht zu seinem offenen männlichen Gesicht passen wollte. Ein Gesicht, das ihr ausnehmend gut gefiel.

»Sie brauchen es mir nicht zu sagen«, entgegnete sie, »aber ich werde öfters hierherkommen. Oder ist es auch nicht erlaubt, dass man an dieser Stelle für Ihren Vater betet?«

Er schaute sie erstaunt an, und die Feindseligkeit wich aus seinem Blick.

»Die meisten Urlauber gehen achtlos daran vorbei«, meinte er, »und die Dörfler auch. Sie haben meinen Vater längst vergessen.«

»Ich bin nicht in Urlaub. Mein Name ist Karin Hasler. Ich bin …«

»Ich weiß, dass Sie die neue Lehrerin sind, auch wenn ich net allzu oft hinunter ins Dorf komme«, unterbrach er sie. »Willkommen in Niederndorf!«

Er streckte ihr spontan die Hand hin, die sie sofort ergriff.

»Ich hoffe, man trägt Ihnen net immer noch nach, dass Sie eine Frau sind und eine besonders reizvolle obendrein.« Seine blauen Augen blitzten. Karin freute sich über das Kompliment.

»Doch, das tut man schon noch. Aber ich hab es noch keinen Tag bereut, kein Mann zu sein. Und mein Beruf macht mir Spaß. Mit den Menschen in so einem kleinen Gebirgsdorf muss man Geduld haben. Sie sind allem Neuen gegenüber misstrauisch.«

»Hartherzig und bös sind sie«, stieß er hervor. »Sie können nicht verzeihen und nicht vergessen.«

Karin schaute ihn betroffen an.

»Und trotzdem leben Sie mit ihnen!«

Er zuckte mit den Schultern. »Es ist meine Heimat und die meiner Ahnen. Ich hab hier meinen Grund und Boden, die Menschen interessieren mich net.«

»Dann sind Sie einmal schwer enttäuscht worden?«

Er schaute sie eine Weile nachdenklich an,...