Pandoras Walk - Kurzgeschichten aus den Jahren 2012 -2020

von: Andrea Mink

BookRix, 2019

ISBN: 9783743888210 , 133 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,99 EUR

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Pandoras Walk - Kurzgeschichten aus den Jahren 2012 -2020


 

Vorname: Andrea - Kapitel 2


 

 

Aber von Ferne beobachtete der blauäugige, rassenreine Opa das Kind, und freute sich  irgendwie, und wenn ihn das auch fast umbrachte, über jeden Fortschritt, über jeden bestandenen Schultest. Irgendwie war das  Kind der Schande doch von  "deutschem, gutem Blute", oder was er sich da wirres wieder dachte.

 

 

Doch vielleicht sah er auch mit seiner verzerrten Sicht der Dinge, das das kleine, vom afrikanischen Esel gefallene,  Negerküsschen, - etwas böse konnte er es nur so nennen -, klug, ja richtig aufgeweckt  war. Von seinem arisch-germanischen Stammbaum stammte es doch trotzdem ab! Schade, das es so rabenschwarz war... - Was konnte er dagegen tun? Viel hatte er im Krieg und auch danach gehört, von der Mystik und Magie des Nationalen... Konnte er, wenn auch von Ferne, das treue, gute Arische auch in dem Negerlein erwecken?  Gerade in das braune, weiche Babyfleisch den Geist des ehrenvollen übermenschlichen Deutschen erwecken? Das Kind war gar zu schwarz, was tun?

 

Den Führergeist erwecken! Ein wahrer Kraftakt für einen echten aufrechten Deutschen. Was für eine gute Idee er doch hatte! Hitlers Geist im Körper eines NegerSchornsteinfeger-Mädchens zu transferieren, das war ab sofort seine heilige Pflicht und wahre, völkische Mission! Das Schwärzchen sollte seine Rache für die bittere Niederlage Deutschlands zu spüren bekommen! Für die ewige Besetzung des deutschen Reiches sollte es als Fanal dastehen! Mit alter schwarze-brauner Magie und Manipulation, wie es in "Mein Kampf", seinem allerheiligsten Besitz, stand. Nur damit konnte er die Schmach und Schande von der Familie auslöschen. Da war er sich ganz sicher. Unauffällig lebte, das nun komplett wahnsinnig gewordene Opili  sein Leben weiter und schmiedete seinen glühendheißen, wie in der  Hölle in der Hitler schon lange wohnt, geisteskranken Rachefeldzug für die Zukunft.

 

Das Kind entwickelte sich prächtig. Isabella hieß es  zwar nicht wie das Taxi, in dem es fast geboren worden wäre. Einem Wagen der Firma Borgward, - so schöne Limousinen gibt es heute garnicht mehr. Nein, der Vorname hatte sich der uneheliche, ungeliebte Großvater ausbedungen, sollte mit "A" anfangen.  Die junge Mutter fand die Idee trotzdem toll! Ein Jugendbuch hatte sie gelesen. "So ist Andrea", war ein quasi Jugendbuch-Bestseller zu der Zeit. Es war also abgemacht. Das Mädchen wurde auf den Namen Andrea getauft, auch wenn der katholische Priester etwas von "Zefix! Unehelich und a no schwoarz." knurrte. 

 

Viele Andreas wurden in den Sechzigern geboren. Alle ihre Mütter hatten das Buch über das selbstständige Mädchen, das Sekretärin werden wollte, gelesen. Ihr erster Schritt in Richtung Emanzipation. Ungewöhnlich für diese Zeit! Mädchen sollten bloß schnell unter die Haube kommen, ein Beruf war da zweitrangig. So war es nun einmal, und wer an den Regeln rüttelte, hatte es verdammt schwer.

 

Das Mädchen Andrea wuchs bei ihrer Oma und Mutter auf. Zu Hause und in der Schule war sie aufmerksam und brav. Sogar in der Pubertät munkte sie fast nicht auf. Nach der Mittleren Reife machte sie an einer beruflichen Schule ihr Allgemeines Abitur, und studierte an der Universität das Grundschullehramt in den Fächern Deutsch und Handarbeit. Unter den Studenten war sie eine Einzelgängerin, als Referendarin und auch später als Lehrerin. Sie passte anscheinend irgendwie nirgends hin, war eine Exotin, die alleine blieb. Sie war deswegen traurig, aber das Lehren der Kinder in der Schule tröstete sie darüber hinweg.

 

Andrea war eine erwachsene Frau geworden. Mittelgroß, etwas mollig, schwarz, modern. Kurz  hintereinander mußte sie den frühen Tod der Mutter, die ihr lebenlang ledig geblieben war, - sie hatte einen Autounfall -, und den darauffolgenden Tod der Großmutter, die das frühe Sterben der Tochter nicht verwand und an gebrochenem Herzen starb,  verkraften. Diese Zeit war für sie nicht leicht. Fast wäre auch sie an der Trauer umgekommen. 

 

Doch die Jahre vergingen mit der Arbeit an der Grundschule. Sie hatte die Kleinen, "die Zwergerln", wie sie sie heute noch nennt, gern. Denen Deutsch und Handarbeit zu lehren, gab ihr Halt und Freude in dem recht einsamen Dasein. Sie war isoliert. Warum, das war ihr nicht bewußt. Vielleicht lag es an ihrer Schüchternheit? Und der Trauerzeit?

 

Im Jahr 2012 im Mai klingelte bei ihr Telefon. Sie war gerade zuhause und korrigierte die Aufsätze ihrer 3. Klasse. Der über achtzigjährige verschollene Großvater war dran. Mit schwacher, aber bestimmten Stimme erzählte er ihr von seinem Krebs. Im Endstadium. Unheilbar. Besuchen solle sie ihn. In Wiesbaden. Das wäre die Enkelin ihm schuldig.

 

Wie kam denn der dazu ihr Schuldgefühle einzureden und sie, die ihn noch nie gesehen hatte, - jedenfalls konnte sie sich nicht daran erinnern -, im Befehlston zu sich zu zitieren? - Wiesbaden? Da wollte sie nicht hin. Sie überlegte. Einem Sterbenden den letzten Wunsch zu verweigern, das wäre doch unmenschlich, - auch wenn es der eigene Naziopa ist -, oder? Sie war verunsichert und zögerte. Aber dann versprach sie den Besuch doch und fuhr  am nächsten Wochenende beklommen hin.

 

Das war schon eine Strecke München - Wiesbaden. Aber sie, das mußte sie  zu geben, war neugierig auf ihn geworden, diesem einzigen noch lebenden Verwandten. Wäre er nur keiner der Ewiggestrigen gewesen! Und ein Sterbender. Konnte sie das noch einmal durchstehen? Großmutter und Mutter, was hätten die wohl zu dieser Fahrt gesagt? - Aufgeregt, nervös, mit einer ganzen Palette von widersprechlichen Gefühlen, fuhr Andrea mit der Bundesbahn zum Todkranken. Fand mit Ach und Krach das Krankenhaus und sein Zimmer. Die Nummer hatte er ihr eingeschärft. - Die Vier-und-Zwanzig in der Onkologie! - Sie betrat, sich selbst verwünschend, den Raum und wurde von seiner blondgefärbten alten, hageren Frau mit verweinten Augen höflich begrüßt. Fast herzlich von dieser Unbekannten in die Arme genommen zu werden, war  peinlich.

 

Der Großvater, da war er. Bleich, schmal, gebrechlich, am Tropf, - wahrscheinlich Morphium drin -, so lag er ihm Krankenbett und lächelte sie an. Fast war er nicht mehr da. Es war ein sehr seltsames Gefühl das Andrea beschlich, als sie seinen Blick erwiderte. Er hob die eine Hand etwas und winkte sie zu sich. Es blieb ihr nichts anderes übrig und so nahm sie an seiner Seite Platz. Er sprach gerührt, mit seiner schwachen, brüchig gewordenen Stimme, das er sie heute um etwas äußerst wichtiges bitten müße.

 

Er hatte sie jahrzehntelang von weitem immer beobachtet. Stolz war er auf die Enkelin, denn  sie hatte sich, trotz Schwärze, zu einer prächtigen deutschen Frau entwickelt! Seine sudetendeutschen Erbanlagen waren doch für etwas gut gewesen! Und sogar der Führer, den er bald hoffte wiederzusehen, sollte sich doch ein wenig über seinen Erfolg freuen können!

 

Er tätschelte, etwas aus dem Konzept, gekommen ihre braunen Hände. Handarbeitslehrerin! Die Tugenden des nationalistischen deutschen Frauenbundes leuchteten in ihr in glorisosem Schein!  Er sah sie durchdringend an und still dachte er im von Morphium benebelten Hirn, wäre es jetzt möglich, das der ewige Geist des Führers sich auf seine Enkelin Andrea übertrug? Diese negroide, nicht mehr so junge Frau. War sie jetzt da, seine Rache? - Er drückte ihre Hände fester. So fest er nur konnte und blickte ihr erstaunt in die braunen Augen. - Insgeheim hatte er immernoch die Hoffnug auf das Reinkarnationswunder... Eine schwarze Reichsdeutsche wollte aus der all zu brav und naiv daher schauenden Handarbeitslehrerin machen. Naja, das mußte man heutzutage tolerieren, wenn man weiterkommen wollte. Der Zweck heiligt die Mittel, sowieso...

 

Immernoch neugierig, und auch entsetzt darauf wartend, was der Totkranke ihr  sagen würde, der seine Finger in ihre Hände krallte, das es schmerzte und sie beschwörend ansah und irgendetwas leise lallte; so ließ sie, die angeblich  auf alles Gefasste, die Rede vom Nazi-Opa über sich ergehen.

 

"Eine prächtige deutsche Frau", faselte er fanatisch, "die ihn womöglich in seiner rechtsnationalen Partei vertreten könnte, wenn er nicht mehr sei, auch wenn sie schwarz war. Ja, da konnte er nichts daran ändern.

 

Er, der Felsenfeste, ohne Wanken, ein echter überzeugter Nationalsozialist versuchete die Enkelin in sein Weltbild fest und fester einzuwickeln. Es mußte klappen! Hitlers Geist in dieser Mischlingsfrau? Konnte das gutgehen?  - Er schwieg sie an, dann sprach er leise und  gehetzter.  Sah sie mit irrem Blick an. Sein letzter Wunsch an sie? Konnte sie doch sein heiliges politisches Erbe-des-deutschnationalen-Römischen-Reiches tragen? Wenn er nicht mehr  war...? Seinen NPD-Kameraden hatte er von ihr erzählt... Die würden sich bald mit ihr in Kontakt setzen müssen. So stark war noch seine Macht und kameradschaftlich waren die alten Freunde auch. Unser seeliger Adolf! Wie liebten sie ihn alle!  "Das Erbe des Führers zu bewahren, sei auch...