Südafrika - Staat der Gewalt - Roman nach wahren Erlebnissen

von: Rolf Stöver

Verlag DeBehr, 2019

ISBN: 9783957536129 , 170 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 4,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Südafrika - Staat der Gewalt - Roman nach wahren Erlebnissen


 

 

Teil 1

 

In einem kleinen, aber konservativen Vorort von Johannesburg lebte schon seit einer Generation die deutsche Familie Köhler mit zwei Töchtern und einem Sohn, der bereits im heiratsfähigen Alter war, während die Töchter mit allen negativen Seiten der Pubertät die Nerven der Eltern strapazierten.

   Vater Walter Köhler war einst mit seiner damals noch jungen Frau Ilse nach Südafrika ausgewandert. Seitdem arbeitete er als Bergbauingenieur in der Goldminenindustrie. Wie viele eingefleischte Rassisten machten sie keinen Hehl daraus, dass die Rassentrennung Teil ihrer neuen Heimat war, und daher verschwendete man auch keinen Gedanken daran, ob die Politik dieses Regimes moralisch seine Berechtigung hatte. Die Männer schufteten unter Tage, und die Frauen arbeiteten in den Haushalten der weißen Herrschaften. Dabei waren sie meist für lange Zeit von ihren Männern getrennt.

   Die weißen „Südafrikaner“ lebten mit allem Komfort, den man sich denken konnte, die schwarzen Maids nahmen den Hausfrauen jede Art von Hausarbeit ab, und die Gartenboys sorgten für einen gepflegten Garten, der der üppigen Vegetation, die in Südafrika vorherrschte, gerecht wurde.

   Obwohl die Köhler-Töchter ihre Eltern oft bis zur Weißglut trieben, war für diese im Land der Apartheid alles in Ordnung, jedenfalls was die Lebensqualität der weißen Bevölkerung betraf. Bis die langjährige Hausangestellte schwanger wurde und eine neue auf der Wunschliste der Mutter Ilse stand. Das kostete nur einen Anruf, denn Mädchen und Frauen standen Schlange für einen Job in einem Haushalt, es gab ja sonst keine.

   So stand ein paar Tage später ein schüchternes Mädchen an der Haustür der Köhlers und bewarb sich, mit der Mütze in der Hand, um den Job. Ilse gefiel das Mädchen, es hatte eine offene und ehrliche Art, sie vereinbarten eine Probezeit von einem Monat. Die junge Frau trat ihren Job sofort an.

   Die junge Frau hatte Talent, den umfangreichen Haushalt der Familie Köhler rationell zu führen, sie hatte aber noch etwas, nämlich die Gabe, die beiden aufsässigen Töchter zu bändigen. Mutter Ilse und Vater Walter waren sprachlos, die Töchter waren plötzlich friedlich und umgänglich, hatte sich die Pubertät in Luft aufgelöst?

   Sohn Heinz ging schon seinen eigenen Weg, er wollte nicht wie sein Vater in den Bergbau, er strebte eher eine Karriere bei der South African Airways an. Allerdings gab es da ein Problem: Er machte keinen Hehl daraus, dass er nicht konform ging mit dem rassistischen Regime, um es gelinde auszudrücken. Man sagte ihm unmissverständlich, dass er seine Gesinnung ändern müsse. Es war für Heinz ein Konflikt, mit dem er im Moment nicht fertig wurde. Der neuen Maid war er bisher unbewusst aus dem Weg gegangen, nicht weil er sie nicht mochte, er hatte nur keine Lust, sich mit ihr zu beschäftigen. Aber inzwischen sprach er sie wenigstens schon mal mit Namen an, sie hieß Johanna. Und Johanna nahm ihn zur Kenntnis, sie bemerkte, dass Heinz nicht war wie die anderen weißen Jungen seines Alters, er war scheinbar kein Rassist.

   Als Heinz ihr eines Morgens zuschaute, wie sie Wäsche aufhängte, fiel ihm plötzlich auf, dass Johanna eigentlich eine schwarze Schönheit war. Er stellte sich vor, wie sie wohl aussehen würde ohne diese hässliche Uniform, die Hausangestellte trugen. Und Heinz, der längst zu einem gutaussehenden jungen Mann herangewachsen war, brauchte seine Fantasie nicht sonderlich anzustrengen, um sich Johanna nackt vorzustellen …

   Johanna merkte sehr wohl, dass sie beobachtet wurde, aber sie ließ sich nichts anmerken. Dass plötzlich die obersten Knöpfe ihrer Uniform sich wie von Zauberhand öffneten, war natürlich purer Zufall. Johanna mäßigte ihren Gedankengang, als Vater Walter im Garten auftauchte.

Sie durfte sich nicht mit Heinz beschäftigen - er war weiß, und sie war schwarz -, müßig, sich mit dem Gedanken zu befassen, was ohnehin verboten war. Sie verschwand mit dem leeren Wäschekorb schnell im Haus, aber sie hatte das Funkeln in den Augen des Sohnes gesehen.

   Jedes Mal, wenn sie im Garten war, um die Wäsche aufzuhängen, hoffte sie, dass Heinz ihr zusah. Und er tat ihr den Gefallen, im Gegensatz zu ihr war Heinz anders, er pfiff auf die Apartheid, er war der Meinung, dass die Rassisten ihm den Buckel runterrutschen konnten. Vor Leuten, die jährlich Hitlers Geburtstag feierten und Hitlers „Mein Kampf“ auf dem Nachttisch liegen hatten, hatte er keinen Respekt, fühlte nur Abscheu ihnen gegenüber. Heinz glaubte insgeheim, dass der Tag nicht mehr weit sein konnte, wo er Johanna ganz nah sein würde, sehr nah, und er wusste auch, dass er mit Johanna auf die Straße gehen würde, er würde mit ihr in die besten Restaurants einkehren, sogar ins Kino würde er sie einladen. Noch nie in seinem jungen Leben war er so fest entschlossen wie jetzt, ja, genau das würde er tun...

   Johanna dagegen ging gedanklich nicht so weit, sie hatte zu viel Angst, und trotzdem träumte sie von Heinz jede Nacht, wenn sie allein im Servants’ Quarter in ihrem Bett lag, es wäre doch so schön ohne die gesetzlich verordnete Rassentrennung. In ihrem Homeland Soweto hatte sie mal eine verbotene Zeitschrift aus Amerika gesehen, in der Weiße und Schwarze ganz selbstverständlich zusammen verkehrten, sogar heiraten durften. War das die Freiheit, nach der sie sich alle sehnten, obwohl sie nicht einmal wussten, wie Freiheit sich überhaupt anfühlt? Sie stieß auf einen Artikel mit der Überschrift „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Johanna wusste nicht, was Würde ist … Woher sollten die Schwarzen in Südafrika das auch wissen?

   Nelson Mandela, der Freiheitskämpfer, saß in Cape Town auf Robben Island bis zu seiner Freilassung 1994 ganze 27 Jahre in Haft. Er wusste, was Würde ist, und er hatte einen Traum, ähnlich wie Martin Luther King …

   Auch Johanna hatte einen Traum, sie träumte davon, Heinz anfassen zu dürfen, ihn zu fühlen. Und Heinz erging es ebenso, nur hatte er keine Ängste wie Johanna, er pfiff auf die Rassentrennung, weil er glaubte, dass kein Mensch ihm verbieten könnte, eine Frau zu lieben, sie zu spüren und zu fühlen. Seine Eltern, die er liebte, würden nicht verstehen, wenn er ihnen gestände, dass er mit der schwarzen Johanna in Gedanken ein Verhältnis hatte, noch war es Wunschdenken, aber das würde sich bald ändern. Gefühle lassen sich nicht einsperren, glaubte Heinz.

   Es war wohl Schicksal, als Vater Walter seinen Sohn zu dem Servants’ Quarter schickte, um dort eine kleine, aber fällige Reparatur vorzunehmen. Dann geschah, was geschehen musste, Heinz stand wie aus dem Nichts einer nackten Johanna gegenüber, überwältigt von ihrer natürlichen Schönheit, blieb er wie erstarrt stehen. „Komm rein“, sagte Johanna wie selbstverständlich … Heinz verbrachte die Nacht im Servants’ Quarter.

   Am nächsten Morgen saß Heinz mit seinen Eltern und seinen Schwestern am Frühstückstisch, er hatte das Gefühl, über Nacht erwachsen geworden zu sein, und er wusste sogleich, dass er zum Kämpfen verurteilt war, aber er fühlte sich stark und entschlossen genug, die Herausforderung anzunehmen.

   Nach dem Frühstück bat er seinen Vater in den Garten, er suchte das Gespräch mit ihm, allein in dem Glauben, dass er ihn wahrscheinlich auf die Straße setzen würde, doch dem war nicht so. Sein Vater hatte bemerkt, was sich hinter seinem Rücken abspielte, auch war ihm die Schönheit der Johanna nicht entgangen. „Mein Junge“, sagte er, „verbieten hat keinen Sinn, aber du wirst einen schweren Weg gehen müssen, du wirst viele Feinde haben - aber auch Freunde. Die Tür hier steht dir immer offen, auch wenn ich deine Gesinnung nicht teile.“ Damit war für Heinz der Schritt getan, vor dem er sich gefürchtet hatte, die Loslösung - in Frieden allerdings - von seinem Elternhaus.

   Und wieder sah er Johanna, als sie nackt vor ihm stand, so natürlich, in ihrer Kultur war Nacktheit etwas ganz Natürliches und alles andere galt als verwerflich. Das Verwerfliche war erst in der Kultur der Weißen entstanden.

   Johanna, die ihren freien Tag hatte, setzte sich zu ihm. „Danke“, sagte sie. „Und jetzt machen wir einen Spaziergang, du und ich, sofort.“ Heinz wollte nicht glauben, was er gerade gehört hatte, Johanna hatte all ihren Mut zusammengenommen und wagte den ersten Schritt in ihre Zukunft. Gemeinsam verließen sie das elterliche Haus.

   Johanna trug nicht die Uniform einer Hausangestellten, sondern normale, zivile Kleidung, und Heinz unterstrich ihr Vorhaben noch, indem er wagemutig Johanna bei der Hand nahm. So spazierten sie durch das Einkaufszentrum ihres Vorortes. Natürlich drehten sich Leute nach dem seltsamen Paar um, wohl in dem Glauben, dass es sich um ein Paar aus Amerika handeln musste. So nahm niemand wirklich Anstoß, weil ja auch nicht sein konnte, was nicht sein darf. Dass Spaziergänger ihrer Verwunderung Ausdruck verliehen, wiederholte sich ein paar Mal mit dem gleichen Ergebnis.

   Bis Nachbarn dahinterkamen, dass im Hause Köhler gegen die Rassengesetze verstoßen wurde. Mutter Köhler kam nun in Bedrängnis, weil sie den ganzen Tag zu Hause und den verbalen Angriffen ständig ausgesetzt war. Noch hatte niemand Anzeige erstattet, aber um dem zuvorzukommen, kündigte sie Johanna fristlos.

   Heinz hatte vorgesorgt, es war ja auch vorhersehbar, dass sie auf...