Mein Leben bei den Trollen - Eine Südtirol-Satire

von: Hellmut von Cube

Edition Raetia, 2018

ISBN: 9788872836866 , 212 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 9,99 EUR

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Mein Leben bei den Trollen - Eine Südtirol-Satire


 

Mein Lieber,

Wacholder und Heckenrosen wuchern nicht mehr, aber Lilly hält mich doch recht in Atem und auch etwas an der Kandare. Sie erkundigte sich nämlich sanft nach den Fortschritten der Arbeit, die ich hierher mitgenommen habe, ohne sich dann mit meinen vagen Hinweisen auf grundsätzliche Klärung, nicht meßbare Gedankenarbeit und dergleichen zufriedenzugeben. Als ich die Seitenzahl nannte, meinte sie, es seien leider nur Fortschrittchen, verglichen jedenfalls mit der Gangart, die ich auf dem Gebiet der Trollenkunde einschlüge, und ob ich unter diesen Umständen nicht auch glaube, daß man da für einen gewissen Ausgleich sorgen müsse. Natürlich hat sie recht, wenigstens, was das Materielle angeht, andererseits kennt sie eben die Trolle noch nicht. Sie wird ihnen genauso zum Opfer fallen wie ich, und von diesem Augenblick an habe ich wieder freie Hand, denn offen gesagt halte ich eine genaue Erforschung und Beschreibung der Trolle für wesentlich verdienstvoller als diesen verflixten literarischen Balance-Akt, auf den ich mich wieder einmal eingelassen habe. Haben Sie also bitte Geduld, wenn ich mit meinen Berichten weiterhin etwas summarisch oder liederlich verfahre!

Um gleich nachzuholen, was Sie möglicherweise beschäftigt: Der große Koffer kam inzwischen wohlbehalten hier herauf, wenngleich erst am Abend des folgenden Tages. Allerdings hatte ich ihn Lilly bei unserem ersten Nachmittagsspaziergang von oben her gezeigt, um sie zu beruhigen – vom Höhenweg aus, der zum Pfliglhof hinüberführt. Man sah ihn recht gut auch ohne Glas. Friedlich stand er am Abzweig im Gras, ein gewichtiger Beweis für die Ehrlichkeit der Trolle und natürlich auch der Wanderzitherspieler. Nur war die Regenhaut auf einer Seite losgegangen und blähte sich hell im Wind.

Mit der Ehrlichkeit der Trolle übrigens hat es insofern eine merkwürdige Bewandtnis, als sie in bestimmten Bezirken, ich möchte nicht sagen ausfällt, sondern geradezu verboten ist. Diebstahl zum Beispiel kommt unter richtigen Trollen kaum jemals vor. Man kann hier nicht nur Koffer in der Landschaft, sondern überhaupt alles überall liegen oder stehen lassen. Brieftaschen auf der Hausbank, Ringe am Brunnen, Uhren bei einer Schafhütte, Bonbons in der Küche – ganz gleich. Sollte etwa die Uhr fort sein, können Sie darauf schwören, daß eine Bergdohle sie weggetragen oder ein Schaf sie beim Weiden in die nächste Bodenspalte geschoben hat. Ich möchte nicht wissen, wieviele Rosenkränze Karoline betet, wenn sie Virgil wieder einmal etwas Tabak stibitzt hat. Jedenfalls mehr, als der Beichtvater ihr zumißt, obwohl es sich in diesem Fall nur um einen Mundraub en famille handelt. Die Trolle zeigen sich da von archaischer Strenge und Lauterkeit, sowohl die Religion wie die Jurisdiktion müssen ihnen, was die praktische Auslegung des siebten Gebotes betrifft, ziemlich lax vorkommen. Am liebsten würden sie, glaube ich, jeden Griff nach fremdem Eigentum mit einem Sturz über die Grüne Wand bestrafen oder zumindest mit der säuberlichen Abtrennung einer Hand.

Sie verstehen, mein Lieber, es herrscht hier ganz im Grunde noch der natürliche Notstand jener Zeiten, in denen der Verlust eines Faustkeils oder einer Knochenahle oder einer geräucherten Bärentatze den sicheren Tod bedeuten konnte. Aber eben das wirkt sich, von heute aus beurteilt, auf anderen Gebieten gegenteilig aus, beispielsweise auf dem des Handels. Treiben zwei Trolle miteinander Handel, so ist es ihr höchster Ehrgeiz, sich gegenseitig zu übervorteilen. Ehrlichkeit gilt – mit gewissen, bei den einzelnen Handelsgeschäften genau festgelegten Einschränkungen – als Dummheit, Dummheit beim anderen voraussetzen hinwiederum als Beleidigung. Solch ein Geschäft gleicht einem Kampf unter Catchern oder einem Kartenspiel, bei dem das Mogeln Pflicht wäre. Ach, welche Trollenfreude, welcher Trollenstolz, wenn man dem anderen eine zuwidere Kuh angedreht hat oder einen Ochsen, der mehr frißt, als er ansetzt! Noch schöner wäre es allerdings ohne Geld, sagen wir: Schaf gegen Ziege oder Stier gegen Dieselmotor, damit jeder die gleichen Betrugschancen hätte – zweifellos ein Erbe aus der Epoche des Tauschhandels. Virgil ist berühmt und gefürchtet wegen seiner diesbezüglichen Künste – und ich bin schon sehr gespannt, wie der große Schafhandel ausgehen wird. Es wird sich nämlich in nächster Zeit ein Mann aus dem Partenzertal einfinden, der gleich fünfzig oder hundert Stück erwerben will, weil er durch Unwetter und Muren viele Tiere eingebüßt hat.

Auch andere Ereignisse werfen schon ihr Licht oder ihren Schatten voraus, es scheint mir bald lebendiger zu werden auf dem Hof, was ich gar nicht begrüße. Wahrscheinlich aus Eifersucht, denn ich habe das Empfinden, meine Trolle gehören nur mir und allenfalls noch Lilly, wenn sie sich ihrer würdig erweist. Außerdem fürchte ich Schlimmes für die Arbeit, das heißt für die Behaglichkeit. Die Base Walpurga unternimmt das Äußerste, um ihren Kindertroß zu verstärken, weil ihr sonst das Gras stehen oder das Heu liegen bleibt. Virgil, von ähnlichen Sorgen geplagt, hat bereits an alle möglichen Verwandten und Freunde telefoniert und geschrieben – und zu allem hin mehren sich jetzt die Fremden.

Erst gestern, als ich mit Lilly im Wald hinter dem Bichl nach den jetzt zeitigen Goldröhrlingen schaute, stießen wir auf eine ganze Kolonne, die auf den Tökkenhof hinauf wollte, aber von dem oberen Steig im wörtlichsten Sinn auf den Holzweg gekommen war. Eine seltsame Gesellschaft übrigens: Zwei Dutzend Frauen, alle in gutwilliger Wanderkleidung, dazu ein paar Männer, die in dieser Lage nur als rekrutierte Ehehälften gelten konnten, und an der Spitze etwas wie ein illegaler Pastor, mit Prophetenkopf, Schillerkragen und durchgeknöpfter grauer Jacke. Er fragte mich in reinstem Schwäbisch, ob es hier zum Tökkenhof gehe, worauf ich ihm sehr höflich und sehr gewissenhaft den Weg zum Pfliglhof beschrieb.

Am Abend erwähnte ich Virgil gegenüber die Begegnung, und er gab mir sofort Auskunft, obwohl er beinahe zwei Wochen nicht mehr in Kapruzz drunten war. Ja, ja, das seien die Protestanten im Gasthof Tschirgall. Er persönlich habe ja nichts gegen andere Religionen, nein, das soll ich ja nicht glauben, aber diese da seien doch nicht zum Beneiden. Den ganzen Tag müßten sie singen, und dann bekämen sie nicht einmal etwas Rechtes zum Essen, weil ihr Pfarrer nichts von Fleisch halte. Immerzu Polenta und nicht einmal Wein dazu, sondern nur so ein schmek- kendes Wasser. Das täte nicht gut. Aber dem Tschirgallwirt geschähe es ganz recht. Er habe hier angefangen mit den Omnibusgästen, um seinen klotzigen Neubau bezahlen zu können, und das wäre doch vorauszusehen gewesen. „Lois“, habe ich ihm gesagt, „ich kann nur im Kopf rechnen, aber daß du an denen nichts verdienst, das kann dir jeder Depp sagen. Die kommen halb verhungert mit einem Handkofferl an und lassen dir nichts zurück als Dreck in den Stuben!“

Recht hat er, der Virgil, obwohl ein Handkoffer keine Schande ist, und es sich augenscheinlich nicht um Protestanten handelt, sondern um die Jünger irgendeiner Sekte, wie sie noch in Schwaben und in Amerika gedeihen. Lilly und ich jedenfalls trösteten uns an den Goldröhrlingen. Ich weiß, Sie sind kein Pilzkenner – also: Goldröhrlinge sind Verwandte vom Steinpilz, nur schlanker und weicher, mit Hüten in Märchengoldorange, wachsen ausschließlich unter Lärchen und schmecken wie Waldbutter. Für uns, mein Lieber, aber keinesfalls für die Trolle. Diese sind in ihrer Mehrzahl den Schwammelen, wie sie sagen, abhold und essen – wenn überhaupt – nur Steinpilze und Pfifferlinge, aber auch die höchstens in der Suppe und mit langen Zähnen. Da beide Arten die Tausendfünfhundertmetergrenze selten überschreiten, sind die Voll- und Erztrolle selbst einer solchen Strapaze enthoben.

Immerhin, einige von ihnen sehen die Pilze nicht nur als giftige Ausgeburten des Bodens oder triste Suppeneinlage an, und zwar offenbar solche Erztrolle, die sich genealogisch bis zu irgendeinem Stammeszauberer oder einer Zauberin zurückverfolgen ließen. Hier oben zum Beispiel, das können Sie sich vorstellen, die kräuterbesessene, heilkundige Walpurga und Josua, der Wetterprophet, Salbenfreund, Warzenvertreiber und Zeichendeuter. Er war es denn auch, der eine Bresche in das allgemeine Entsetzen schlug, als Lilly abends am Herd die Goldröhrlinge putzte und in die heiße Butter schnitt. Die anderen wollten erst gar nicht glauben, daß es uns ernst mit dieser Mahlzeit sei, dann bekundeten sie Angst und Abscheu. Die Seele der guten Agnes trippelte aufgeregt herum wie eine Gluckhenne, deren Entenkinder sich fröhlich in den Dorfteich wagen, das sah man ihren Augen an – Virgil verschwor sich, ein solches Zeug niemals hinunterzuschlucken, aber daneben verriet er auch eine gewisse Unruhe, so, als überlegte er sich schon, wen er zum Telefon hinunterjagen solle und wie der Leichentransport zu bewältigen sei. Offener war Karoline, die berichtete, wie qualvoll sie seinerzeit auf der Schrimser Hütte einen Touristen nach dem Genuß von selbstgesammelten Schwammelen habe sterben...