Beiersdorf - Die Geschichte des Unternehmens hinter den Marken NIVEA, tesa, Hansaplast & Co.

von: Alfred Reckendrees

Verlag C.H.Beck, 2018

ISBN: 9783406725098 , 411 Seiten

Format: ePUB, PDF

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Preis: 22,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Beiersdorf - Die Geschichte des Unternehmens hinter den Marken NIVEA, tesa, Hansaplast & Co.


 

Einleitung


Beiersdorf ist ein besonderes Unternehmen. Es trägt dazu bei, dass Menschen sich morgens gut fühlen. Denn weltweit beginnen viele Millionen ihren Tag mit Pflegeprodukten von Beiersdorf. Die Marke NIVEA ist weltberühmt, doch so bekannt die Weltmarke auch ist, so unbekannt ist das Unternehmen, das sie seit weit über einhundert Jahren herstellt. Viele Konsumenten glauben, abhängig von dem Land, in dem sie groß geworden sind, NIVEA sei eine italienische, französische, amerikanische oder Schweizer Marke. Das ist ein Teil ihres Erfolgs. Beiersdorf führt außer NIVEA viele weitere Artikel, die ebenfalls Millionen von Menschen täglich benutzen. Oft sind nur die Markennamen geläufig. Das ist neben der Qualität und der Verfügbarkeit im Geschäft auch das Wichtigste, denn aus diesen Gründen entscheiden sich die Konsumenten weltweit und Tag für Tag neu für die Marken von Beiersdorf.

Die Anfänge des Unternehmens reichen in das Jahr 1882 zurück, als der Apotheker Paul Beiersdorf ein Verfahrenspatent für die Herstellung medizinisch wirksamer Pflaster erhielt und zunächst alleine deren Produktion und Vertrieb aufnahm. Oscar Troplowitz, der das kleine Hamburger Unternehmen mit einer Handvoll Mitarbeiter im Jahr 1890 von Paul Beiersdorf erwarb, führte die Pflasterherstellung fort. Vor allem brachte er jedoch neue Pflegeprodukte hervor und machte die Marken Leukoplast und Pebeco – um 1910 die meistverkaufte Zahncreme in den USA – weltbekannt. Auf ihn gehen auch NIVEA (1911) und Labello (1909) zurück. Troplowitz’ Orientierung auf Markenprodukte und Kosmetik bestimmt das Unternehmen bis heute, wobei sich Kosmetik auf die Haut- und Körperpflege beschränkt, „dekorative“ Kosmetik gab es bei Beiersdorf kaum. Neben Pflastern und Kosmetik ist, ausgehend von den selbstklebenden Pflastern und dem 1936 eingeführten Tesafilm, im Laufe der Zeit der Bereich Klebetechnik unter der Marke „tesa“ entstanden. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg waren über 500 Männer und Frauen an der Entwicklung und Herstellung der Produkte, ihrer Vermarktung und ihrem Vertrieb beteiligt. 1950 arbeiteten etwa 1.500 Menschen für Beiersdorf, und 1972 beschäftigte der Konzern mehr als 10.000 Männer und Frauen. Heute, im August 2018, sind überall in der Welt Beiersdorf-Produkte erhältlich, dafür sorgen rund 19.000 Konzernbeschäftigte, Tochterfirmen in 69 Staaten und Geschäftspartner auf der ganzen Welt. Die Beiersdorf-Aktie zählt zu dem Wertvollsten, das der deutsche Markt zu bieten hat.

In diesem Buch steht das Unternehmen Beiersdorf im Mittelpunkt. Es erzählt die eng mit den wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und den politischen Umbrüchen in der deutschen Geschichte verbundene Entwicklung von einer kleinen Hamburger Apotheke zu einem globalen Markenkonzern.

Nur wenige deutsche Konsumgüterhersteller haben eine Weltmarke wie NIVEA kreiert oder sich über eine so lange Zeit am Markt behauptet. Auch Beiersdorfs langfristiger Erfolg war nicht selbstverständlich. Im Gegenteil – die Existenz des Unternehmens war immer wieder bedroht. Während des Ersten Weltkriegs verlor Beiersdorf das Pebeco-Geschäft in den USA und damit fast die Hälfte seiner Einnahmen. Kurz darauf starb 1918 der Eigentümer und strategische Kopf des Unternehmens, Oscar Troplowitz. Nach seinem Tod wurde Beiersdorf unter der Leitung von Willy Jacobsohn (1922–1933) und mit Hilfe des Bankhauses Warburg als Aktiengesellschaft neu aufgebaut. Seither haben die Vorstände – vor allem die Vorstandsvorsitzenden – und zum Teil auch die Aufsichtsratsvorsitzenden und Großaktionäre der Beiersdorf AG die Weichen gestellt und oft schwierige, rückblickend weitsichtige und manchmal auch unglückliche Entscheidungen getroffen. 1933 zogen sich die ‚jüdische‘ Leitung des Unternehmens und das ‚jüdische‘ Bankhaus Warburg angesichts der nationalsozialistischen Diktatur zurück, um Beiersdorf zu erhalten. Jacobsohn führte noch bis 1938 aus den Niederlanden die Auslandsfirmen von Beiersdorf; in Deutschland navigierten Carl Claussen (Vorstandsvorsitzender 1933–1954) und Hans E. B. Kruse (Aufsichtsratsvorsitzender 1934–1967) das Unternehmen mit geschäftlichem Erfolg durch Nationalsozialismus und Krieg. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg verlor Beiersdorf zum zweiten Mal seine Markenrechte im Ausland und musste Schritt für Schritt das internationale Geschäft wieder aufbauen. Erst 1997, nach dem Erwerb der Rechte für Polen, verfügte Beiersdorf wieder weltweit über die Marke NIVEA.

Beiersdorf blickt auf eine ereignisreiche Geschichte zurück. Sie wird in diesem Buch bis zum Beginn des Jahres 2004 erzählt. Kurz zuvor war die Tchibo-Holding (heute maxingvest, seit 1974 Großaktionär von Beiersdorf) durch die Übernahme eines Aktienpakets von der Allianz AG zum Mehrheitsaktionär bei Beiersdorf geworden. Das Geschäft beendete eine lange Periode der Unsicherheit, während der viele Beiersdorfer die Übernahme durch einen internationalen Konkurrenten befürchteten, nachdem die Allianz AG (seit 1938 Großaktionär) 2001 angekündigt hatte, sich von ihrer Beiersdorf-Beteiligung trennen zu wollen. Im Beiersdorf-Vorstand hatte niemand etwas gegen einen ausländischen Großaktionär einzuwenden, man wollte aber nicht erleben, dass die Marke NIVEA übernommen und die übrigen meistbietend verkauft würden.

Mit dieser spannenden Episode endet die Erzählung. Fragt man nach den Voraussetzungen und den Gründen für den langfristigen Erfolg von Beiersdorf, so fällt eine einfache Antwort darauf nicht leicht. Beiersdorf war in vier verschiedenen Geschäftsfeldern mit unterschiedlichen Konjunkturverläufen tätig: Kosmetik, Pflaster und Bandagen, Klebebänder und Klebetechnik für Haushalt und Industrie sowie Pharmazeutika (Beiersdorf produzierte etwa sechzig Jahre lang unter anderem Herz- und Erkältungsmittel). Aus diesem Grund dominierte bis zum Ende der achtziger Jahre die Vorstellung, dass die verschiedenen Sparten sich gegenseitig stützten und das Unternehmen stabilisierten. Sie halfen dabei, konjunkturelle Krisen und Strukturwandel in der Industrie besser zu überstehen. Doch Konjunkturlagen und äußere Faktoren machen eher auf Herausforderungen und Chancen aufmerksam, als dass sie Erfolg erklären könnten. Ich skizziere im Folgenden Ansatzpunkte für eine mögliche Erklärung und möchte die Leserinnen und Leser einladen, bei der Lektüre eigene Schlussfolgerungen zu ziehen.

Rückblickend erscheint es, als habe Beiersdorf zur richtigen Zeit die richtigen Produkte gehabt. Oscar Troplowitz hatte den Geist der Zeit erfasst, als er mit Leukoplast das erste selbstklebende Pflaster auf den Markt brachte, das man zu Hause vorrätig halten konnte. Es wurde für Verletzungen verwendet und fand vielfache Anwendung im Haushalt. Er brachte eine der ersten Zahnpasten in der Tube auf den Markt und entwickelte mit Pebeco eine zugkräftige Marke. Die Bedingungen für diese Produkte waren am Anfang des 20. Jahrhunderts gut: Die Einkommen vieler Angestellter waren inzwischen hoch genug, dass sie nicht mehr nur von der Hand in den Mund lebten und sich zunehmend auch Pflege- und Hygieneprodukte leisten konnten. Zudem wohnten immer mehr Menschen in den Städten, wo es Geschäfte gab und man sie mit Reklame erreichen konnte. Auch die NIVEA Creme war ein geniales Produkt; eine Hautcreme, die man in jeder Apotheke oder Drogerie kaufen konnte, die immer den gleichen Duft hatte, gab es vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht. Sie wurde bei damals noch recht hohen Preisen zunächst vom „gehobenen Publikum“ gekauft und vielleicht auch als Geschenk.

Als die Konkurrenz später zunahm, kannten viele Kunden die Beiersdorf-Produkte bereits und hatten positive Erfahrungen gemacht. Im Fall von NIVEA gelang Mitte der zwanziger Jahre das Meisterstück, sie als eine Creme für jeden Tag und für die ganze Familie zu positionieren. Damals wurde die bis heute charakteristische blaue Dose eingeführt. Vor allem erreichte man, dass NIVEA seither viele Menschen von Kindheit an begleitet.

Zudem betrieb Beiersdorf eine weitsichtige Preispolitik. Nimmt man die NIVEA Creme als Beispiel, so zielte man in Zeiten, in denen die verfügbaren Einkommen noch niedrig waren, zunächst auf Kunden der gehobenen Mittelschicht und verkaufte sie als Luxusartikel in winzigen Dosen und Tuben; entsprechend wurde die Marke beworben. Als die Einkommen stiegen, hob Beiersdorf nicht etwa die Preise an, um im Luxusbereich hohe Gewinnmargen zu erzielen. Man hielt stattdessen die Preise stabil und erhöhte den Werbeaufwand, weil die potentielle Kundschaft wuchs und das, was bislang für viele zu teuer war, zu einem bezahlbaren „Luxus“ und später zu einem Alltagsprodukt wurde, das man nicht missen wollte. Beiersdorf setzte auf Massenkonsum und wuchs zusammen mit dem Markt. Eine ähnliche Positionierung gelang im Ausland. In den zwanziger Jahren zählte Beiersdorf in vielen europäischen Ländern zu den ersten Unternehmen auf diesem Markt. Das Geschäft war zunächst nicht besonders groß, doch als in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, beispielsweise in Italien, die Kaufkraft stieg, war NIVEA als Qualitätsprodukt präsent, und...