Kolonie 85 - Der Aufbruch

von: Peter R. Krüger, Pia Fauerbach

In Farbe und Bunt Verlag, 2018

ISBN: 9783959360951 , 300 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 8,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Kolonie 85 - Der Aufbruch


 

Kapitel 1


 

›Die Geschichte lehrt uns, dass Irrtümer immer wieder geschehen und manchmal sogar ganz beabsichtigt verbreitet werden. Heute kann man sich kaum noch vorstellen, dass die Menschen einst tatsächlich glaubten, die Welt sei eine Scheibe und würde man über ihren Rand segeln, wäre der Sturz in einen ewigen Abgrund die Strafe dafür.

Auch gab es einst Theorien, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums wäre und die Sterne und Planeten wie an einer Käseglocke herabhingen.

Die Wissenschaft konnte vieles von dem, was uns als Wahrheit dargeboten wurde, aufklären und widerlegen. Nicht jedoch ohne ein gewisses Maß an Risiko. Lange Zeit wurde sie als Ketzerei verurteilt. Die Inquisition verfolgte die sogenannten Ketzer und Häretiker, ließ sie verurteilen und verbrennen.

Natürlich steckte hinter all dem auch die Angst, an Macht zu verlieren. Wer würde noch darauf hören, dass die Welt eine Scheibe ist, wenn das Gegenteil schon lange bewiesen wurde?

Und doch steckte noch mehr dahinter, als selbst die weisesten Menschen seinerzeit vermuteten. Ein Geheimnis sollte verborgen werden, dessen Offenbarung möglicherweise die gesamte Welt-ordnung ins Wanken hätte bringen können.

Doch die Fragen existierten bereits, nur traute sich niemand, sie laut zu stellen.

War es möglich, die Erde zu verlassen, um andere Planeten zu besuchen? Gab es vielleicht sogar Leben da draußen?

Unsere Generation tat, was vorher nicht möglich war. Wir flogen zu den Sternen, um Antworten zu erhalten. Unser Sonnensystem war mittlerweile erkundet, der Mars besiedelt. Aus den Nationalstaaten wurden Unionen, aus den Unionen erwuchsen Kontinentalregierungen und die Feinde der Wissenschaft verloren im Laufe der letzten Jahrhunderte an Macht.

Der erste interstellare bemannte Raumflug sollte der Menschheit endlich Antworten auf die Fragen bringen, die so lange unbeantwortet blieben.

Der Wissensdurst berücksichtigt jedoch selten die Tatsache, dass diese Art von Aufklärung oftmals neue Fragen aufwerfen und das Leben meist noch komplizierter machen. Wenn dann die Ergebnisse nicht so ausfallen, wie man es sich erhofft hatte, kann Unwissenheit durchaus ein Segen sein.‹

 

Die Wiege der Menschheit

Michael Barnetti

 

 

Fünf Jahre war das erste interstellare Raumschiff der Erde unterwegs, um das nächstgelegene Sternensystem, Alpha Centauri, zu erforschen. Es trug den Namen ›Voyager‹, in Anlehnung an die ersten Raumkapseln aus dem zwanzigsten Jahrhundert der Erde, die den Weltraum erforschen sollten. Diese ›Voyager‹ startete im Jahre 2233 von der Orbitalstation ›Babel‹, welche in einer nahen Umlaufbahn zum Planeten Mars positioniert war.

Die vierköpfige Besatzung wurde aus Gründen der Versorgung und Lebenserhaltung in Kältestasis versetzt, während ein Hochleistungscomputer die Reise überwachte. Die Stasiskammern bewirkten, dass die Besatzung während der langen Reise kaum Vorräte verbrauchte. Die wenigen Nährstoffe, welche die Körper in diesem Zustand benötigten, um ihre Lebensfunktionen aufrecht zu erhalten, wurden ihnen durch ein ausgeklügeltes System in der Recyclematrix der Kammern zugeführt. Der Alterungsprozess war über die Jahre durch die spezielle Technologie dieser Kälteschlafkammern kaum messbar.

Der Computer musste während der Reise lediglich eine Kurskorrektur aufgrund gravimetrischer Störungen, die durch Sonnenwinde verursacht wurden, vornehmen.

Das gesamte Schiff glich einem Geisterschiff. Kein Leben an Bord, nur vereinzelt blinkten Dioden in der Dunkelheit, die durch ihr grünes Leuchten anzeigten, dass sämtliche Prozesse des Bordcomputers einwandfrei funktionierten, einschließlich der Kontrolle der Kälteschlafkammern.

Nur kurze Zeit bevor die ›Voyager‹ das Sternensystem Alpha Centauri erreichte, schaltete der Bordcomputer die Kälteschlafkammern um, damit die Mannschaft aufwachte. Der Prozess dauerte mehrere Tage, denn die Vitalfunktionen der Körper mussten auf die Umgebung eines natürlichen Ablaufs umgestellt werden.

Der Computer öffnete die Kammer von Captain Alexandra Scott. Sie war die Erste, deren Vitalfunktionen den Normwerten entsprachen.

Captain Scott leitete als einziges militärisches Crewmitglied zusammen mit Michael Barnetti, die Mission der ›Voyager‹. Während Barnetti das zivile Kommando besaß, war es Captain Scotts Aufgabe, im Falle militärischer Entscheidungen das Kommando zu übernehmen. Des Weiteren wurden ihre Kenntnisse in den Bereichen der Informatik und der Linguistik als äußerst nützlich für diese Mission eingestuft.

Noch bevor sie ihre Augen öffnete, wurde vom Bordcomputer ein gedämpftes Licht eingeschaltet, das den runden Kammerraum erleuchtete.

Captain Scott blinzelte. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an das gedämpfte Licht gewöhnten. Ein leises Zischen verriet ihr, dass die benachbarte Kapsel, in der Michael Barnetti ruhte, sich ebenfalls öffnete. Die Kammern von Leandra Thuis und Arthur Jones waren noch nicht soweit.

Alexandra versuchte, sich langsam zu bewegen, jedoch scheiterte dieser Versuch kläglich. Noch nie war ihr so übel gewesen. Schlimmer war aber, dass sie kein Gefühl in den Beinen besaß. Sie zwang sich einige Male ruhig durchzuatmen, ihrem Körper mehr Zeit zugeben und vor allem nicht in Panik zu geraten. Die Ärzte hatten die Crew darauf eingeschworen, dass auch eine noch so hochentwickelte Kälteschlafkammer den Muskelabbau nicht gänzlich verhindern konnte. Ebenfalls brauchte ihr Kreislauf Zeit, sich an die neuen Begebenheiten zu gewöhnen.

Langsam kehrten ihre Lebensgeister zurück. Sie konnte ihre Gliedmaßen bewegen und auch den Kopf soweit drehen, um zu Barnettis Kammer zu schauen, der mit ähnlichen Problemen kämpfte. Eine widerspenstige Haarsträhne fiel ihr dabei ins Gesicht, doch sie hatte noch nicht die Kraft, sich darum zu kümmern. Als Scott versuchte, eine Faust zu ballen, bemerkte sie, dass ihre Fingernägel sich in die Handinnenfläche bohrten. Das würde sie schnell ändern müssen. Ein weiterer Punkt, in welchem die Kammern eine mangelnde Funktion aufwiesen, sie hielten das Wachstum von Haaren und Nägeln nur in begrenztem Maße zurück.

Sie atmete nochmals tief durch und wagte einen erneuten Versuch. Und diesmal gelang es. Mehr schlecht als recht wankte sie zur Computerkonsole, um die Funktionen der anderen Kammern zu überprüfen.

Nach den Anzeigen zu urteilen, würden Jones und Thuis noch einige Zeit benötigen. Solange würde sie warten, ehe sie den Gravitationsstabilisator betätigte. Ein Grund, warum es ihr nun so schnell gelang, aus der Kammer aufzustehen, war die niedrige Schwerkraft. Momentan betrug sie nur ein Drittel der Erdgravitation, das würde auch ihren Mitreisenden das Erwachen vereinfachen. Nachdem sie wegen ihrer viel zu langen Fingernägel einige Tasten verfehlte, brauchte sie länger, um weitere Anzeigen zu überprüfen. Barnetti hatte diese Zeit genutzt und wankte nun mit unsicheren Schritten auf sie und die Computerkonsole zu.

 

/////

 

»Und Captain, sind wir da, wo wir hinwollten?«, fragte er ohne Umschweife, in einem gemäßigten Tonfall, wobei er versuchte, seine braunen Haare mit den Fingern nach hinten zu streichen. Waschen, kämmen und eine Rasur, das waren die Dinge, die Michael Barnetti erledigt haben wollte, ehe die Mission richtig startete.

»Ja, laut Anzeige werden wir das Sternensystem in zweiundvierzig Stunden erreichen«, antwortete sie dem zivilen Missionscommader pflichtschuldig und fixierte ihn mit ihren tiefgrünen Augen. »Innerhalb der nächsten drei Stunden werden auch Thuis und Jones aus der Stasis erwacht sein.« Insgeheim wurmte es sie noch immer, dass die Mission von Zivilisten geleitet wurde und sie alleine das Militär repräsentierte.

»In Ordnung, dann haben wir ja noch Zeit«, sagte Mike, während er sich genüsslich streckte, um die Steifheit aus den Knochen zu vertreiben. Obwohl er stets nur das Mindestmaß an Sport trieb, zu dem ihn die World Space Administration auf der Erde angehalten hatte, bemerkte er mit einer gewissen Zufriedenheit, dass sich sein Körper während des Kälteschlafs ganz gut gehalten hat. »Wie lange haben wir eigentlich geschlafen?«

»Genau vier Jahre, elf Monate, neunzehn Tage, elf Stunden und fünfundvierzig Minuten«, gab sie nüchtern zur Antwort.

»Wie, Captain, keine Sekundenangabe?« Er versuchte, sie, mit einem Lächeln im Gesicht, zu necken und etwas aus der Reserve zu locken.

»Und dreiunddreißig Sekunden.«

Damit war für beide klar, absolut nichts hatte sich an ihrem beiderseitigen Verhältnis geändert.

»In Ihnen steckt einfach zu viel Militär und zu wenig Humor«, meinte er schließlich mit einem eher ernüchterten Unterton und versuchte abermals, seine Haare nach hinten zu kämmen. Er musste sich eingestehen, dass er sie durchaus attraktiv fand. Vor allem, wenn sie, wie jetzt, ihr langes rotbraunes Haar nicht streng zurückgeflochten hatte, sondern offen trug. Aber ihre egozentrische Art und ihr oft arrogantes Verhalten halfen ihm nicht dabei, sie mehr zu mögen als einen Fahrkartenkontrolleur. Im Laufe ihres Trainings auf der Erde und dem Mars einigten sie sich zwar darauf, sich gegenseitig mit ihren Spitznamen anzureden, aber das funktionierte nur mäßig. Besonders Alexandra ›Alia‹ Scott hatte offensichtlich Schwierigkeiten damit, ihre militärische Haltung fallen zu lassen und lockerer zu werden. Wie er später erfuhr, hatte sie dieses Zugeständnis im Trainingslager nur deshalb gemacht, weil die Verantwortlichen des Programms Schwierigkeiten in der Sozialkompetenz der Gruppe sahen und man...