Riefenstahl - Eine deutsche Karriere. Biographie

Riefenstahl - Eine deutsche Karriere. Biographie

von: Jürgen Trimborn

Aufbau Verlag, 2018

ISBN: 9783841215079 , 600 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 3,99 EUR

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Riefenstahl - Eine deutsche Karriere. Biographie


 

Annäherung an einen Mythos


Leni Riefenstahl, mit verzücktem Gesichtsausdruck exaltierte Bewegungen ausführend – die Tänzerin. Leni Riefenstahl, barfuß und unerschrocken eine steile Gebirgswand hinaufkletternd – der Bergfilmstar. Leni Riefenstahl, die selbstbewusst einem Heer von Kameramännern Anweisungen gibt – die Regisseurin. Leni Riefenstahl bei Dreharbeiten, lachend neben Adolf Hitler – die Karrieristin. Leni Riefenstahl, wild gestikulierend bei einem Gerichtsprozess in der Nachkriegszeit – die Angeklagte. Leni Riefenstahl mit einer Fotokamera an der Seite eines hochgewachsenen Nuba-Kriegers – die Fotografin. Leni Riefenstahl, die als älteste Tiefseetaucherin der Welt dem Indischen Ozean entsteigt – die Ikone. Leni Riefenstahl, hochbetagt, bei der Eröffnung einer ihr gewidmeten Retrospektive in Rom, Tokio oder Potsdam – der Mythos.

Viele, sehr disparate Bilder drängen sich auf, wenn man sich das Leben Leni Riefenstahls vergegenwärtigt. Zu verschieden sind die Rollen, die sie in ihrem langen Leben gespielt hat. Zu widersprüchlich die Bilder, die entstanden sind, seit die Tänzerin, Schauspielerin, Regisseurin und Fotografin im Rampenlicht steht.

Den einen gilt Leni Riefenstahl als geniale Filmschaffende, den anderen als Künstlerin, die sich durch ihre Arbeiten für Hitler auf einen Pakt mit dem Bösen eingelassen hat. In ihren letzten Lebensjahren wurde sie zunehmend als Ikone ihrer eigenen Altersvitalität wahrgenommen, der man schon aus Respekt vor ihrem hohen Alter die von ihr und ihren Apologeten lange geforderte Absolution erteilen müsse. Als sie für ihren 100. Geburtstag im August 2002 die Präsentation eines neuen Filmes ankündigte und damit die längste Regiekarriere der Filmgeschichte vorweisen konnte, geriet sie erneut in die Schlagzeilen. Keine andere Filmregisseurin hat jemals so viel Beachtung gefunden und zugleich so viel Kritik auf sich gezogen wie diese Frau, deren Popularität international nach wie vor ungebrochen ist.

Wer war Leni Riefenstahl? Je länger ich mich mit dieser Frage auseinandersetzte, desto stärker wurde mir bewusst, dass Riefenstahl selbst am wenigsten dazu beitragen kann, das Rätsel um ihre Person zu lösen. Mit ihrer geschönten, korrigierten Version der eigenen Lebensgeschichte, an der sie seit 1945 konsequent festhält, hat sie vielmehr den Grundstein für dieses Rätsel gelegt. Mittels Schutzbehauptungen und Unterlassungsklagen hat sie alles daran gesetzt, ihre Sicht der Dinge als die einzig gültige zu zementieren. Auch wenn ihr dies nicht gänzlich gelungen ist, auch wenn immer wieder Kritiker und Zweifler auf den Plan traten, die versuchten, Riefenstahl mit der Wahrheit zu konfrontieren, auch wenn längst Dokumente vorgelegt wurden, die ihre Version widerlegen, spielt das von der Künstlerin festgeschriebene Bild ihres Lebens und ihrer Karriere auch heute noch eine nicht unwesentliche Rolle, wenn es darum geht, über Riefenstahls Platz in der Geschichte zu diskutieren. Längst ist die selbstkonstruierte, von allen unangenehmen Implikationen bereinigte Vergangenheit, die sie seit Jahrzehnten immer und immer wieder erzählt, zu ihrer Realität geworden. Sogar Riefenstahl-Kritiker behandeln heute viele der von ihr selbst geschaffenen Mythen und Legenden als Tatsachen.

Aber nicht nur das Selbstbild Riefenstahls, auch viele unabhängig von ihren Aussagen kursierende Gerüchte und Spekulationen, die die emotionalisierte Diskussion um ihr Werk und ihr Leben prägen, verstellen den Zugang zu ihr. Die Tatsache, dass nur die wenigsten ihre Arbeiten aus der Zeit des Dritten Reichs aus eigener Anschauung kennen und sich so selbst ein Urteil darüber bilden können, macht das Sprechen über Riefenstahl noch immer schwierig.

Deshalb scheiden sich an Riefenstahl, der letzten Überlebenden aus dem engen Umkreis Hitlers, bis heute die Geister. Eine sachliche, vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit ihr war bisher kaum möglich, dominierten doch stets die stark vorurteilsbeladenen Argumente den Streit um die »Filmemacherin des Führers« und die »Macht ihrer Bilder«. Einig ist man sich nur darüber, dass sie als umstrittenste Regisseurin der Filmgeschichte anzusehen ist, aber auch eine der wichtigsten Filmkünstlerinnen des 20. Jahrhunderts war. Zwar ist man noch nicht zu einer abschließenden Meinung gekommen, dennoch beginnt man zunehmend, sich jenseits der einst so schnell gefällten Urteile mit dem Leben Riefenstahls zu beschäftigen. Den Menschen hinter diesem Wust von Vorurteilen, Anekdoten und Gerüchten zu entdecken wird zunehmend als reizvoll empfunden.

Am Anfang meines Interesses für Leni Riefenstahl stand zweifellos die Faszination für ein außergewöhnliches Leben, das Interesse an ihren Filmen, aber auch an der Frau, die diese geschaffen hat. Die Gerüchte, der Klatsch um sie machten sie noch interessanter. Noch bevor ich ihre nur schwer zugänglichen Filme sah, las ich ihre Memoiren. Was mich anfangs für sie einnahm, war, wie unumwunden sie ihre einstige Begeisterung für Hitler zugab, eine Seltenheit für Deutsche dieser Generation. Dass dies nur Teil eines weitverzweigten Erklärungsmodells war, mit dem sie die wahren Tatsachen ihrer Biographie verschleierte, konnte ich damals allenfalls ahnen. Je mehr ich mich mit dem Leben und der Karriere Riefenstahls auseinandersetzte, desto zahlreicher wurden die Fragen, die ich an die Schöpferin von Triumph des Willens und Olympia hatte.

Über Jahre besorgte ich mir möglichst alles, was über Leni Riefenstahl und ihre Filme veröffentlicht worden war. Bücher, Artikel, Aufsätze, Ausstellungskataloge aus aller Welt. Je mehr ich las, desto klarer wurde mir, wie wenig man tatsächlich über den Menschen Leni Riefenstahl weiß. Zwei Fragen waren es, die mich insbesondere fesselten und die in mir das Bedürfnis wachsen ließen, mich tiefergehend mit Leni Riefenstahl zu beschäftigen. Was ist wahr an der Lebensgeschichte, die sie erzählt, wie vielfältig sind die Korrekturen, die sie vorgenommen hat, um ein bestimmtes Bild von sich zu zeichnen? Und: Warum gestaltet sich das Verhältnis der Deutschen zu Leni Riefenstahl auch so viele Jahrzehnte nach Kriegsende noch so höchst problematisch?

Bald schon wurde mir bewusst, dass es in der Diskussion über Riefenstahl nach 1945 viel stärker um deutsche Befindlichkeiten, um das Hadern mit einer lange Zeit verdrängten, nicht aufgearbeiteten Vergangenheit ging als darum, einen neuen, objektiven Zugang zu ihrer Person zu finden.

Über Jahrzehnte, so schien es mir, beschränkte sich jede Auseinandersetzung mit Riefenstahl darauf, sie leichtfertig als Unperson zu brandmarken oder aber sie in völlig unreflektierter Weise als große Künstlerin, als geniale Regisseurin zu feiern, die mit normalmenschlichen Maßstäben nicht zu messen sei und deren Werk man mehr oder weniger entpolitisiert betrachten müsse. Beides hat indes wenig mit dem zu tun, wofür Riefenstahl wirklich stand, was ihr Leben und ihre Arbeit tatsächlich ausmachte. Gerade da im Windschatten der stark emotionalisierten Diskussion eine ernsthafte Annäherung an den Menschen Leni Riefenstahl ausgeblieben war, setzte ich es mir zum Ziel, jenseits aller Vorurteile, aber auch jenseits von Riefenstahls Selbstbild quasi »bei Null« anzufangen und mich so objektiv wie möglich diesem Leben zu nähern.

Wenn man beginnt, sich intensiv mit dem Leben eines Menschen auseinanderzusetzen, ist man – so dieser Mensch noch lebt – beinahe zwangsläufig versucht, Kontakt zum Objekt seines Forschens aufzunehmen. Man erhofft sich Auskünfte und Informationen, womöglich unveröffentlichte. Und nicht zuletzt hofft man darauf, durch den persönlichen Kontakt, im Gespräch und durch den Einblick in die Privatsphäre, jenseits der kursierenden Bilder einen Zugang zu der Person zu finden, über die man schreibt. Wenn in einem solchen Fall Kooperationsbereitschaft signalisiert wird, stellt dies den Schreibenden vor ein zentrales Problem. Denn zumeist ist diese Zusammenarbeit an bestimmte, teils akzeptable, teils aber auch weitreichende Bedingungen geknüpft. Zu groß ist die Versuchung für den Portraitierten, Einfluss auf die Darstellung des eigenen Lebens zu nehmen. Zu groß ist in einem solchen Fall andererseits aber auch die Versuchung für den Biographen, diese Einflussnahme zumindest in Grenzen zuzulassen, weil man sonst den persönlichen Zugang leicht wieder verliert.

Im Mai 1997, wenige Monate vor ihrem 95. Geburtstag, traf ich Leni Riefenstahl zu einem längeren Gespräch. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits sechs Jahre sehr intensiv mit ihrem Leben und Werk auseinandergesetzt und auch über meine Absicht, eine Biographie über sie zu schreiben, mit ihr korrespondiert. Ich wusste, dass Riefenstahl nur selten persönliche Interviews gewährte und Buchprojekte über sie bisher nie unterstützt hatte, und war deshalb überrascht, dass sie den Wunsch äußerte, mich kennenlernen zu wollen. Die Regisseurin empfing mich in ihrer Villa am Starnberger See, und ich erlebte eine ausgesprochen freundliche und ernsthaft interessierte Gesprächspartnerin, eine Frau, die auch in hohem Alter noch eine enorme Ausstrahlung besaß, voller Pläne steckte und voll mitreißender Begeisterungsfähigkeit von ihrer Arbeit zu berichten wusste, niemals jedoch, ohne ihre Legende, ihre Version der eigenen Vita aus den Augen zu verlieren. In den Stunden intensiver Gespräche gewann ich den Eindruck, dass Riefenstahl längst an ihren eigenen Mythos glaubte, nur in kurzen Momenten schien es so, dass sie die Widersprüche zwischen ihrem Leben und ihrer Lebensschilderung überhaupt noch spürte, ohne jedoch auf sie einzugehen. Wir sprachen...