Sinnlicher Skandal im Palazzo

von: Jane Porter

CORA Verlag, 2018

ISBN: 9783733710330 , 144 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 2,49 EUR

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Sinnlicher Skandal im Palazzo


 

1. KAPITEL

Rachel Bern stand zitternd vor dem imposanten Portal des Palazzo Marcello. Der Wind zerrte an ihrem Mantel und ihrem Pferdeschwanz.

Der Himmel war wolkenverhangen, und das Meer flutete die Straßen Venedigs. Die stürmische Witterung erinnerte Rachel ein wenig an das Wetter in Seattle. Sie war Regen gewohnt. Und sie zitterte nicht vor Kälte, sondern vor Nervosität.

Das hier konnte komplett schiefgehen. Gut möglich, dass sie ihre und Michaels Situation mit dieser Aktion noch verschlechterte, aber sie wusste einfach nicht mehr weiter. Wenn es ihr so nicht gelänge, Giovanni Marcellos Aufmerksamkeit zu gewinnen, dann würde es ihr nie gelingen. Alle anderen Wege der Kontaktaufnahme hatte sie bereits versucht, doch es war nie etwas zurückgekommen. Sie ging ein großes Risiko ein. Aber was blieb ihr anderes übrig?

Der italienische Geschäftsmann und Milliardär Giovanni Marcello lebte sehr zurückgezogen. Er war weder per E-Mail noch telefonisch direkt erreichbar. Als Rachel endlich bis zu seinem Vorzimmer durchgedrungen war, hatte man ihr dort keine verbindliche Zusage gemacht, ihr Anliegen an den Chef der Holdinggesellschaft Marcello S.p. A. weiterzuleiten. Also stand sie nun vor seinem Familiensitz, dem Palazzo Marcello in Venedig. Durch harte Arbeit und unternehmerisches Geschick hatte die Handwerkerfamilie es im Laufe der Jahrhunderte zu Ansehen und Wohlstand gebracht. Vor vierzig Jahren hatten die Marcellos damit begonnen, ihr Tätigkeitsfeld auf das Bau- und Immobilienwesen auszuweiten. Aber erst Giovanni Marcello begann, weltweit zu investieren. Unter seiner Ägide hatte sich das Familienvermögen vervierfacht, und der Name Marcello war zu einem der einflussreichsten Italiens geworden.

Der 38-jährige Giovanni stand dem in Rom ansässigen Unternehmen noch immer vor, doch Rachels Nachforschungen hatten ergeben, dass er seltener Gast im Firmensitz war und es vorzog, von Venedig aus zu arbeiten. Was der Grund dafür war, dass sie vor seiner Tür stand, erschöpft von der Reise und mit einem sechs Monate alten Baby im Arm. Er durfte sie nicht länger ignorieren. Sie würde nicht länger zulassen, dass er tat, als gäbe es sie und vor allem Michael nicht.

Mit bangem Herzen und Tränen in den Augen sah sie den Säugling an, der endlich eingeschlafen war, und bat ihn stumm um Verzeihung für das, was zu tun sie beabsichtigte. „Es ist nur zu deinem Besten“, flüsterte sie und drückte den Kleinen fester an sich. „Und ich bleibe in deiner Nähe, das verspreche ich!“

Obwohl es schlief, wand sich das Baby wie im Protest. Rachel lächelte traurig und lockerte ihren Griff. Sie hatte kein Auge zugetan, seit sie Seattle verlassen hatten. Genau genommen bekam sie seit Monaten kaum Schlaf – seitdem sie den Kleinen rund um die Uhr betreute. Mit einem halben Jahr sollte er eigentlich besser schlafen, aber vielleicht spürte er ihre Verunsicherung. Oder er vermisste seine Mutter.

Wieder zog sich Rachels Herz schmerzhaft zusammen. Wenn sie sich nach Michaels Geburt doch nur mehr um Juliet gekümmert hätte. Wenn sie nur verstanden hätte, wie verzweifelt Juliet gewesen war.

Aber Rachel konnte das Rad nicht zurückdrehen, und darum stand sie nun hier, um Michael der Familie seines Vaters zu übergeben. Natürlich nicht für immer, nur für ein paar Minuten. Nur, um auf ihn aufmerksam zu machen. Sie brauchten Hilfe. Sie war pleite und stand kurz davor, ihren Job zu verlieren. Das war nicht in Ordnung. Nicht, wenn die Familie seines Vaters helfen konnte und sollte.

Also klopfte sie nachdrücklich an die Tür. Anschließend drückte sie – für den Fall, dass man ihr Klopfen nicht gehört hatte – noch zusätzlich auf die Klingel und fragte sich, ob diese überhaupt funktionierte.

Durch den starken Wind, das Rauschen des Wassers und das Stimmengewirr der Touristen konnte sie nicht hören, ob sich im Palazzo jemand rührte. Sie wusste, dass sie beobachtet wurde, wenn auch nicht von innerhalb des Gebäudes aus, dann zumindest von den ringsum postierten Fotografen. Einer stand am anderen Ufer des Kanals, ein weiterer auf dem Balkon eines benachbarten Gebäudes und ein dritter in einer festgemachten Gondel. Rachel war froh, die Kameras zu sehen. Immerhin war sie diejenige gewesen, die den Medien den Tipp gegeben hatte, dass heute etwas Wichtiges passieren würde – und dass es mit einem Marcello-Baby zu tun hatte.

Das war nicht weiter schwierig, wenn man sein Geld mit Öffentlichkeitsarbeit und Marketing verdiente. Rachel arbeitete bei AeroDynamics, einem der größten Flugzeughersteller der Welt. Normalerweise setzte sie ihr Können ein, um neue, zahlungskräftige Kunden zu gewinnen – Scheichs, Magnaten, Sportgrößen und Stars –, indem sie die schnittigen, luxuriös ausgestatteten Jets im besten Licht dastehen ließ. Heute aber brauchte sie die Medien dafür, dass sie zu ihren Gunsten Druck ausübten. Die Bilder der Paparazzi würden die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Familie lenken, und das würde Giovanni Marcello sicher nicht gefallen. Seine Privatsphäre war ihm wichtig, weshalb er sicher alles unternehmen würde, um weiteres Aufsehen zu vermeiden. Und bis dahin musste sie dafür sorgen, dass alles in die richtige Richtung lief. Sie wollte die Marcellos nicht beschämen oder verärgern. Sie musste sie auf ihre – oder, besser gesagt, auf Michaels Seite ziehen. Gleichzeitig war ihr bewusst, dass sie mit ihrem Vorgehen auch das Gegenteil erreichen und die Familie sich noch mehr zurückziehen könnte.

Nein, das durfte sie gar nicht erst denken. Giovanni Marcello musste Michael als Familienmitglied anerkennen, und das würde er auch, sobald er sah, wie sehr sein Neffe seinem Bruder ähnelte.

Rachel wollte gerade ein zweites Mal klopfen, als geöffnet wurde. Ein hagerer, älterer Mann stand in der Tür. Der Raum hinter ihm sah riesig aus. Von der hohen Decke hing ein Kronleuchter.

Rachel blickte von dem prunkvollen Leuchter zurück zu dem Mann. Er trug einen schlichten dunklen Anzug, einen sehr einfachen Anzug. Rachel vermutete, dass er nicht zur Familie gehörte, sondern für die Marcellos arbeitete.

„Signor Marcello, per favore“, sagte sie ruhig und deutlich und hoffte inständig, dass er ihr Italienisch verstand. Sie hatte den Satz den ganzen Flug lang geübt, um ihn mit dem notwendigen Selbstbewusstsein auszusprechen.

„Il signor Marcello non è disponibile“, antwortete der Mann.

Rachel überlegte, was das wohl heißen mochte. Sie ahnte, dass es eine negative Antwort war. „È lui non a casa?“, radebrechte sie, nicht sicher, ob irgendetwas an diesem Satz richtig war. Ihr kleiner Sprachführer gab nicht allzu viel her.

„No. Addio.“

Das verstand sie. Nein und auf Wiedersehen.

Bevor der Mann die Tür schließen konnte, machte sie rasch einen Schritt vorwärts und hielt die Tür mit einem ihrer Füße auf.

„Der kleine Michael Marcello“, sagte sie auf Italienisch und sprach auf Englisch weiter, nachdem sie dem Mann das Kind in die Arme gedrückt hatte. „Bitte sagen Sie Signor Marcello, dass Michael nach dem Aufwachen sein Fläschchen braucht.“

Sie stellte die Windeltasche vor die Füße des Mannes. „Und seine Windel muss gewechselt werden. Wahrscheinlich, bevor er das Fläschchen bekommt“, fügte sie hinzu, bemüht, ruhig zu sprechen, was fast unmöglich war, weil ihr Herz raste und sie Michael am liebsten auf der Stelle wieder an sich genommen hätte. „In der Tasche ist alles, was er braucht. Falls es Fragen gibt – die Anschrift meines Hotels und meine Handynummer sind auch in der Tasche.“ Dann versagte ihre Stimme. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie wandte sich ab und ging eilig davon, bevor ihr die Tränen kamen.

Es ist zu Michaels Bestem, sagte sie sich und wischte sich die Tränen von den Wangen, als sie auf den Kanal zulief. Sei tapfer. Sei stark. Du tust das für ihn.

Das Baby würde nicht lange von ihr getrennt sein. Sie rechnete fest damit, dass Giovanni Marcello ihr folgen würde. Vielleicht nicht sofort, aber das Hotel war keine fünf Minuten per Wassertaxi entfernt.

Trotzdem fühlte sie sich ganz leer ohne Michael, und all ihre Instinkte bestürmten sie, zurückzugehen und direkt mit Giovanni zu reden. Doch wenn er nicht an die Tür kam? Wie sollte sie an ihn herankommen, um die notwendige Unterredung mit ihm zu führen?

Der hagere Alte rief mit dünner, spitzer Stimme etwas hinter ihr her. Rachel verstand nicht alles, aber ein Wort hörte sie deutlich heraus. Polizia. Drohte er ihr damit, die Polizei zu rufen? Überraschend wäre das nicht. Es wäre genau das, was sie tun würde, wenn irgendjemand ihr einen sechs Monate alten Säugling in die Hände drücken würde. Betäubt vor Sorge und Kummer konzentrierte sie sich auf ihr Wassertaxi. Der Fahrer sah sie an, und sie signalisierte ihm, dass sie aufbruchbereit war. Einen Moment später packte sie jemand mit festem Griff am Arm.

„Au“, rief Rachel. „Lassen Sie mich los!“

„Nicht wegrennen“, hörte sie eine tiefe Männerstimme auf Englisch mit sehr leichtem Akzent sagen.

Sie wandte sich um. Wegen der Strähnen, die aus ihrem Pferdeschwanz entkommen waren und ihr ins Gesicht wehten, sah sie kaum etwas. „Ich renne nicht weg“, erwiderte sie und versuchte, sich aus dem Griff des Mannes zu befreien. Doch es gelang ihr nicht. „Würden Sie bitte einen Schritt beiseitetreten?“

„Auf keinen Fall, Miss Bern.“

Nun wusste sie, wen sie vor sich hatte. Ein ehrfürchtiger Schauer lief ihr über den Rücken, als sie...