Eine wilde Woche

von: Kurz Christian

Himmelstürmer Verlag, 2018

ISBN: 9783863617240 , 220 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 11,99 EUR

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Eine wilde Woche


 

Mit steigender Ungeduld wartete Kai Decker vor dem Kino, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Immerhin hatte er den hübschen Volker, mit dem er bislang nur über eine Dating-App geschrieben hatte, noch gar nicht richtig von Angesicht zu Angesicht kennengelernt, weshalb er sich ihm gegenüber nicht gleich als ungeduldig und damit problematisch präsentieren wollte. Er bemühte sich deshalb, einen guten Eindruck zu machen. Alles, was er über den Hübschen wusste, war das, was sie sich gegenseitig geschrieben hatten, und anhand dessen machte sich in Kai eigentlich ein gutes Gefühl breit, dass er endlich, nach langer Zeit, wieder jemanden finden würde, mit dem es nicht gleich nach ein paar Tagen bereits vorbei wäre.

Der letzte, bei dem die Liebe länger gehalten hatte, war Benedikt gewesen, und der war zwar sehr lieb und extrem schlau, aber dennoch wollte Kai ungern zu ihm zurück. Ben war einfach eine ungestüme Naturgewalt, der mit seinem Verstand und seinem teilweise ungezügelten Verhalten nicht gerade dazu geeignet schien, dass man sich mit ihm an der Seite in der Öffentlichkeit präsentieren könnte. Kai hatte versucht es zu ignorieren, aber irgendwann war es ihm dann doch zu viel geworden, und er hatte sich von ihm getrennt. Nach Ben war dann Steffen gekommen, und der war ein ungehobelter Klotz gewesen, an den man besser keinen Gedanken verschwenden sollte. Auch Nico war ein Vollidiot, genauso wie Mike, Dirk und vor allem Thomas, weil letzterer sich nach einiger Zeit als verkappter Nazi herausstellte, und mit solchen Leuten wollte Kai einfach nichts zu tun haben. Dennoch dachte er mit einer gewissen Sehnsucht an die Zeit mit Thomas zurück, denn bevor er mitbekommen hatte, dass dieser sich ziemlich stark mit Hitler und dessen Ansichten identifizierte, war der große Schlanke eigentlich ein ganz süßer Fratz gewesen. Zwar nicht ganz so intelligent wie Ben, aber dennoch sehr schnell im Lösen von Rätselheftchen, aber eben leider auch in Fragen der aktuellen Politik, auch wenn diese Lösungen bei Thomas grundsätzlich immer nur mit Genozid zu tun hatten.

Er blickte sich vor dem Kino um, konnte den hübschen Volker allerdings noch nicht erspähen. Er hoffte sehr, dass die Gefühle, die bereits jetzt allein durch die Telefongespräche bestanden, nicht durch die tatsächliche Begegnung mit ihm ruiniert würden. Sie hatten zunächst längere Zeit gechattet und dann nach kurzer Zeit bereits ihre Telefonnummern ausgetauscht, und über zärtliche Worte und auch einige derbe Witze waren sie sich zumindest auf diese Weise bereits sehr schnell nahegekommen. Kai hatte sich bereits mehrmals zum Bild befriedigt, das Volker ihm geschickt hatte, und jedes Mal hoffte er, dass es noch viel, viel schöner werden würde, wenn sie sich endlich treffen konnten. Der Hübsche sah wirklich zum Anbeißen aus – ein süßes Lächeln, ein traumhafter Oberkörper, einfach ein Gott unter Menschen.

Die Bereitschaft zu einer Begegnung war zwar bei beiden durchaus von vornherein vorhanden gewesen, aber Volker musste viel in der Firma vom stadtbekannten Bonzen Thegwart arbeiten, weshalb es bislang nie klappte. Bei Thegwarts wollte die ganze Stadt arbeiten, also durfte man es sich dort nicht durch eine schleifende Arbeitsmoral verscherzen, wenn man es einmal geschafft hatte und dort angestellt war. Nun aber hatten sie sich zu einem Filmabend verabredet, und erstaunlicherweise schien sich der Termin mit Volkers Arbeitszeiten zu vereinbaren. Kai hatte ihm die Wahl gelassen zwischen einem aktuellen Hollywood-Blockbuster, einer deutschen Komödie oder einem alten Klassiker, der in einem Programmkino aufgeführt wurde. Zu seiner stillen Begeisterung hatte Volker sich für den Klassiker entschieden – ein Hinweis für Kai, dass ihre Geschmäcker wirklich zusammenpassten, denn auf den Blockbuster hatte er selber keine Lust, und deutsche Komödien waren für ihn immer zu harmlos, bißlos und allzu albern, ohne wirklich witzig zu sein, weswegen er gut darauf verzichten konnte.

Er überlegte, sein Handy rauszuholen und Volker eine Nachricht zu schicken, hielt sich allerdings davon ab, weil er nicht als ungeduldig erscheinen wollte. Schließlich war nichts schlimmer, als wenn man sich gleich von vornherein als Klammeräffchen aufführte. Dennoch wollte er überprüfen, wie spät es war, denn er hatte keine Lust, erst in den Klassiker zu gehen, wenn der Film bereits angefangen hatte. Der Streifen fing um 22 Uhr 30 an, und auch wenn Kai erst um 21 Uhr 55 zum Kino gekommen war, so hatte er dennoch das Gefühl, bereits seit zwei Stunden zu warten, auch wenn das nur der Vorfreude und der damit verbundenen Ungeduld zuzuschreiben war. Nach längerem Zögern griff er dann doch in seine Hosentasche und holte das Handy heraus, als er in der Ferne jemanden näherkommen sah. Blitzschnell ließ er das Handy wieder in der Tasche verschwinden, nur um sodann zu bemerken, dass es sich um eine Frau handelte, die ihn erspähte und sodann einen Gesichtsausdruck bekam, der deutlich machte, dass sie hoffte, dass er sie nicht anbaggerte oder schlimmeres mit ihr vorhatte. Er drehte sich weg und holte das Handy wieder hervor – die Frau interessierte ihn nicht, kein Stückchen weit. Er hatte sich noch nie für Frauen interessiert. Das war einfach nicht seine Welt.

Er schaltete das Handy ein und blickte auf die Uhr. 22 Uhr 15. Er behielt das Handy bei sich, ließ die Hand ein wenig sinken und blickte sich wieder um. Hatte Volker ihn etwa versetzt, oder dachte der Hübsche, dass sie sich erst um 22 Uhr 30 treffen sollten und nicht, dass zu dieser Zeit der Film bereits anfing? Kai überlegte, wie er es ihm denn genau gesagt hatte – welche Zeitangabe hatte er ihm gegenüber gemacht? Er war sich sicher, dass er die richtige Uhrzeit genannt hatte, aber natürlich konnte er sich auch irren.

Plötzlich klingelte das Telefon. Er nahm das Gespräch sofort an und ging davon aus, dass es Volker sein musste. „Hey, was ist denn los? Findest du das Kino nicht?“, sagte er scherzhaft, aber dennoch mit hörbarer Vermutung, dass der Hübsche ihn versetzen wollte.

Für einige Sekunden war auf der anderen Seite der Verbindung nur ein Geräusch wie von rennenden Schuhen zu hören, die über Gras liefen. Dann erst erklang ein Flüstern. „Bist du da? Hörst du mich?“

Kai brauchte einige Sekunden, bevor er die Stimme erkannte. „Thomas?“, sagte er verwirrt.

Am anderen Ende trat für einige Sekunden Schweigen ein. „Kai?“, gab er schließlich ebenso perplex von sich. „Bist du das?“

„Ja. Bin ich. Was ist denn los?“, fragte er, als die Verbindung beendet wurde. Er blickte auf das Display und überlegte, ob er zurückrufen sollte, um sicherzustellen, dass auch alles in Ordnung wäre, aber er entschied sich dagegen. Sie waren nicht mehr zusammen, und wahrscheinlich hatte Thomas einfach nur zu viel getrunken, oder er brauchte Geld, oder er war mit seinen Nazi-Kumpels unterwegs und hatte die falsche Nummer gedrückt, die eigentlich gar nicht mehr in seinem Handy gespeichert sein sollte.

Kai behielt das Handy in der Hand und sah sich wieder um – wenn Volker nicht bald auftauchte, würde der Film ohne sie anfangen. Immerhin schien ausgeschlossen, dass sie keinen Platz mehr bekamen, weil nicht so viele Leute in einen Visconti-Film gingen. Er selber hatte den Film bei den ersten drei Malen eher als visualisierte Schlaftablette empfunden, aber Ben war damals ganz vernarrt in den Film gewesen und hatte ihn so oft laufen gelassen, bis sich auch bei Kai irgendwann die Ignoranz zu Toleranz und schließlich zu Akzeptanz wandelte. Und genau dann hatte Ben das Interesse an dem Film verloren und wollte ihn nie wiedersehen. So war das immer bei ihm – er sprang Hals über Kopf in eine Sache hinein und analysierte sie bis in die letzte Faser, und dann wollte er von einer Sekunde auf die andere nichts mehr damit zu tun haben. Das war auch einer der Gründe, warum Kai sich von ihm trennte – er wollte nicht ebenfalls so behandelt werden, und die Wahrscheinlichkeit, dass Ben eines Tages einfach so das Interesse an ihm verlieren und ihn aus seinem Leben rausschmeißen könnte, war ihm einfach viel zu groß, als dass er es riskieren wollte.

Er schüttelte leicht den Kopf und musste über sich selber lächeln – hier stand er nun vor dem Kino und wartete auf Volker, aber alles, woran er denken konnte, war Ben, so als wären alle, die seitdem in sein Leben getreten wären, nichts wert gewesen. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, klingelte sein Handy erneut. Er sah auf die Nummer – es war wieder Thomas. „Ich freue mich ja, dass du anrufst, aber ...“, fing er an, wurde aber sofort unterbrochen.

„Du musst mir helfen“, flüsterte sein Ex-Liebhaber. „Ich bin in Schwierigkeiten. Verdammt großen Schwierigkeiten. Ich ... ich ...“ Seine Stimme zitterte leicht. Die Worte schienen kurz davor, in ein ängstliches Glucksen umzuschwenken. „Bist du zuhause? Bist du bei dir?“

„Nein, ich ...“

„Verdammt ... verdammte Scheiße ...“

„Was ist denn los?“, wollte Kai wissen.

Schweigen, dann erklang das angespannte Atmen von Thomas. „In meiner Wohnung ... Du kennst das...