Creative Company - Wie künstlerisch zu arbeiten Organisationen dabei hilft, über sich hinaus zu wachsen

von: Dirk Dobiéy, Thomas Köplin

Verlag Franz Vahlen, 2018

ISBN: 9783800654420 , 318 Seiten

Format: ePUB, PDF, Online Lesen

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 27,99 EUR

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Creative Company - Wie künstlerisch zu arbeiten Organisationen dabei hilft, über sich hinaus zu wachsen


 

2AUFBRUCH INS UNBEKANNTE


Bald ist es 20 Jahre her, dass wir zum ersten Mal darüber sprachen, wie künstlerisches Denken und Handeln übertragen auf andere Bereiche unsere Gesellschaft und besonders unsere Wirtschaft verändern könnten. Damals wie heute ging jeder Überlegung ein Gefühl voraus, dass man angesichts der herausfordernden Probleme, die Globalisierung, Deregulierung, zunehmende Dynamik und viele andere Entwicklungen mit sich bringen, Dinge besser machen müsse, als es bislang der Fall war. Unsere schlichte Hypothese lautete: Wenn man das Künstlerische in uns stärkt, macht uns das kreativer und innovativer. Vor allem aber wird unser Handeln dadurch bedeutsamer, es führt zu mehr Selbstwirksamkeit – und das wiederum wirkt sich positiv auf unsere Organisationen, unsere Gesellschaft und sagen wir es ruhig, auf unser aller Leben aus.

Natürlich wurde schnell klar, dass man diesen Überlegungen nicht nur Zustimmung entgegenbringen kann. Es ist nie leicht, Grenzen zu überwinden. Das Verhältnis von Kunst und Wirtschaft jedoch wird in besonderem Maß von Vorurteilen und Berührungsängsten geprägt. Auf Künstlerseite will man sich verständlicherweise vor Beanspruchung und Ökonomisierung schützen, mit der man sich bereits tagtäglich in Gestalt eines von massivem Konkurrenzdruck geprägten Kunst- und Kulturmarkts auseinandersetzen muss. Manchmal führt der Wunsch, die Freiheit der Kunst zu verteidigen, auch zu einem Fanatismus, der jeden Kontakt mit Fragen der Wirtschaft ablehnt. Auch die Perspektive der Wirtschaft auf die Kunst war damals (lange vor Design Thinking, Agile, New Work, Achtsamkeit und Corporate Happiness) ernüchternd. In den meisten Fällen fand man damals Manager, die sich vor Kunstwerken fotografieren ließen, Unternehmen, die Künstler zu Werbezwecken engagierten und ähnliches. Es gab (und gibt sicher immer noch) Unternehmen, in denen der Titel Künstler unter Ingenieuren alles andere als schmeichelhaft war. Wenn wir Beispiele einer echten Zusammenarbeit finden konnten, dann waren diese immer an das persönliche Engagement einiger Weniger gebunden und hatten über den Zeitraum ihres Wirkens hinaus kaum Bestand.

Irgendwann kamen wir nicht weiter und ließen alles auf sich beruhen. Doch wenn unser Scheitern für eines gut war, dann dafür, ein kleiner, aber beständiger Reiz zu sein, unsere Überlegungen in vielen Gesprächen wieder und wieder zu thematisieren. Dieses „Reifreden“ ist wahrscheinlich ein Grund dafür, dass es heute eine Organisation wie Age of Artists gibt, die gewissermaßen Heimat dieses Buches ist und sich als Unternehmen, offene Gemeinschaft und Netzwerk gleichermaßen versteht, das Gleichgesinnte mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen, Künstler, Manager, Psychologen, Designer, Architekten, Anthropologen, Ingenieure, Physiker, Ingenieure, Entwickler aus mehreren Ländern verbindet. Der eigentliche Auslöser, das Thema wieder aufzunehmen, war jedoch viel konkreter: Einige der Gründungsmitglieder 3von Age of Artists waren in ein großes Konzernprojekt involviert, das zweimal abgebrochen werden musste, um im dritten Anlauf dann schließlich erfolgreich zu sein. Wir fragten uns, warum es diesmal gelungen war, und fanden heraus, dass nicht nur Menschen mit betriebswirtschaftlicher oder technischer Ausbildung beteiligt waren, sondern auch Architekten, Designer, Sprachwissenschaftler, Psychologen und Anthropologen. Außerdem stellten wir fest, dass wir im Gegensatz zu früher weniger linear, dafür iterativ, manchmal spielerisch, man könnte auch sagen, künstlerisch vorgegangen waren, was das Ganze nicht nur befriedigender sondern letztendlich auch erfolgreicher gemacht hatte.

Und da war sie wieder: Die Idee, von Künstlern zu lernen, wie man Dinge auch außerhalb der Kunst besser machen kann. Mit einem Mal sahen wir überall Menschen, die einen Bezug zur Kunst hatten, sich künstlerisch betätigten und das bewusst oder unbewusst zu einem Vorteil im Umgang mit Komplexität und Dynamik entwickeln konnten. Manche von ihnen waren freier von Vorurteilen, neugieriger oder konnten sich besser in andere einfühlen. Sie waren kreativer als andere oder konnten besser mit Unsicherheit und Fehlern umgehen. So idealisiert das hier klingen mag, man sollte uns keinesfalls so verstehen, dass wir Künstler für bessere Menschen halten. Uns geht es weder um einzelne Kunstwerke noch den einzelnen Künstler, weil diese in ihrer Individualität nicht übertragbar sind und nur für sich wirken und stehen können. Allerdings – und das stellte den eigentlichen Durchbruch dar – sahen wir jetzt, dass sich, wenn man vom Individuellen abstrahiert, Elemente einer künstlerischen Haltung und künstlerischer Arbeitsweisen sehr wohl in andere Bereiche übertragen lassen – und das, ohne damit die Eigenständigkeit der Kunst in Gefahr zu bringen. Um das zu unterstreichen und nicht etwa den Eindruck und die Erwartung entstehen zu lassen, dass die Kunst Gegenstand dieses Buches ist, haben wir uns dafür entschieden, das Aussehen dieses Buch (auch wenn es naheliegend gewesen wäre) nicht mit Hilfe von Künstlern auszuweiten und aufzuwerten, sondern es stattdessen nüchtern zu halten.

In dieser ersten Erkenntnis ist bereits der Schlüssel zu einer zweiten enthalten: Das, was man aus individueller Verhaltensweise abstrahiert, lässt sich auch nur auf den einzelnen Menschen übertragen. Jede Veränderung muss also vom Individuum, von der Änderung seiner Haltung und seiner Arbeitsweise ausgehen. Dabei ist es unerheblich, welchen Gegenstand seine Arbeit hat, ob er singt, dichtet, malt oder ob er Software entwickelt, Patienten behandelt, Menschen ausbildet oder einem Handwerk nachgeht. Wenn aber künstlerisches Gestalten auch abseits der Kunst möglich ist – und das ist die dritte wichtige Einsicht – dann kann das Ergebnis auch ein Produkt, eine wissenschaftliche Erkenntnis und selbst so etwas Weitgehendes wie eine soziale Reform sein.

Die Feststellung, dass sich Elemente der künstlerischen Haltung und künstlerischer Arbeitsweisen auf Menschen übertragen lassen, die sich außerhalb 4der Kunst bewegen, war befreiend für uns und half ganz entscheidend dabei, die richtigen Forschungsfragen zu stellen. Eine anfangs kleine Gruppe fing an, sich regelmäßig zu treffen, zu diskutieren und erste Texte zu verfassen. Einer dieser frühen Texte wurde überraschend von einem europaweiten Kulturmanagement-Netzwerk publiziert. Das wiederum führte dazu, dass sich unser Kreis vergrößerte. Wir konnten auf neue Quellen und Forschungsergebnisse zugreifen, lernten neue Menschen und beispielhafte Organisationen kennen, erhielten neue Impulse und letztendlich spornte uns das öffentliche Interesse auch zu mehr an. Wir intensivierten unsere Nachforschungen, die auch die Grundlage für dieses Buch bilden. Was unsere Erkenntnisse lebensnah und anwendbar macht, ist, dass wir bis heute weit über 100 Gespräche mit Künstlern aller Genres, aber auch mit Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen und mit zahlreichen Wirtschaftsvertretern geführt haben, denen Sie auch in diesem Buch begegnen werden.

Das Wirtschaftsmagazin Brand eins hat dem, was wir tun, einen Artikel gewidmet, den es für uns sehr schmeichelhaft mit „Der Da-Vinci-Code“ betitelte. Doch ist es tatsächlich ein Code, den es zu entschlüsseln gilt? Natürlich nicht. Vielmehr geht es um eine Reihe von Beobachtungen, die jeder von uns machen und nutzen kann, wenn er denn will. Der Spiegel bezeichnete uns in einem Sonderheft zum Thema Kreativität ebenso wohlwollend als „Kulturrevolutionäre“. Und auch das trifft es natürlich nicht. Wir arbeiten nicht auf eine Neuordnung der Dinge hin, sondern empfehlen eher die Besinnung auf eine Haltung und Fähigkeiten, wie sie in jedem von uns angelegt und bei Künstlern manchmal nur etwas unverstellter zu finden sind. Dass wir diese in vielen Fällen erst entdecken und freilegen müssen, hat etwas mit der Einseitigkeit unserer wirtschaftlich geprägten, auf Effizienz und Wachstum ausgerichteten Gesellschaft und ihrer Bevorzugung analytisch-rationalen Vorgehens zu tun. Dieser Einseitigkeit, man könnte auch sagen, dieser Spezialisierung haben wir vieles zu verdanken. Sie stellt uns aber auch vor große Herausforderungen, denen man, wie wir zeigen werden, besser begegnen kann, wenn man ihr das Künstlerische stärker als bisher komplementär zur Seite stellt.

Creative Company steht für uns in diesem Zusammenhang sowohl für das sich ständig erneuernde Unternehmen als auch für das gemeinschaftliche Gestalten in guter Gesellschaft (Good Company).

5BLÜTE DER PRAXIS


„Die Theorie ist nicht die Wurzel, sondern die Blüte der Praxis“, befindet der österreichische Lyriker Ernst Freiherr von Feuchtersleben und stellt damit handstreichartig die gängige Definition auf den Kopf, dass sich eine Theorie aus dem Denken entwickeln und dann durch Beobachtungen prüfen lassen muss. Und gerade dann, wenn es wie in unserem Fall darum gehen soll, der menschlichen Gestaltungskraft ein Modell oder etwas in der Art einer Kreativitätstheorie zu widmen, kommt einem von Feuchterslebens Umkehrung doch sehr passend vor: Das Bild entwickelt sich aus der Beobachtung künstlerisch handelnder Menschen, die Theorie entspringt ihren Erfahrungen. Sie beschreibt Zusammenhänge, die ein großes, beziehungsreiches Ganzes ergeben. Sie ist keine Methode, kein Rezeptbuch, das man abarbeiten kann, um dadurch kreativer zu werden. Sie ist vielmehr ein Mittel, das Menschen helfen kann, ihr eigenes Bild, ihre eigene Theorie aus persönlichen Erfahrungen entstehen zu lassen. Sie ist vielschichtig, manchmal bis zur Unüberschaubarkeit. Deswegen auch folgen wir gern der Empfehlung einiger Testleser, die...