Meine Familie! Mein Leben!

Meine Familie! Mein Leben!

von: Hans Germscheid

epubli, 2018

ISBN: 9783746743264 , 231 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 3,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Meine Familie! Mein Leben!


 

Kapitel 1: Kindheit


Mein Leben beginnt am 26.07.1933 in einem kleinen Ort im Westerwald. Dieser Ort hatte vierundzwanzig Häuser und war drei Kilometer von Asbach entfernt. Mein Geburtshaus lag etwa 500 Meter abseits der Hauptstraße. Meine Eltern lebten von der Landwirtschaft, sie waren Selbstversorger. Ihr Haupteinkommen war die Milch, deswegen hatten wir fünf bis sechs Milchkühe. Neben Kühen hatten wir auch noch weitere Tiere, unter anderem Schweine und Hühner.

Mit unseren Nachbarn hatten wir an der Hauptstraße einen Hochstand gebaut. Das war ein Tisch, der so hoch war wie die Pferdewagen, die die Milch abholten. Diese Wagen waren komplett aus Holz gebaut. Sie wurden vom Stellmacher „Schreiner“ hergestellt. Er stellte auch andere Geräte für die Landwirtschaft her wie Egger und Holzpflüge.

In meiner Kindheit gab es noch keine Gummireifen, deswegen waren auch die Räder der Pferdewagen aus Holz. Die Räder wurden vom Schmied mit einem Eisen versehen. Der Stellmacher und der Schmied lebten beide in meinem Geburtsort.

Jeden Morgen musste die Milch in Kannen gefüllt und innerhalb einer gewissen Zeit auf den Hochstand gestellt werden. Unsere Milchkannen hatten die Nummer 460 und später 99. Die Kannennummern musste man wissen, wenn man Milchgeld von einem Landwirt ausgezahlt bekommen wollte. Das Milchgeld gab es einmal in Monat. Ein Landwirt, der schon ein Pferd hatte, holte jeden Morgen die Milch ab und brachte sie nach Neustadt-Wied, wo die Molkerei war. Am Nachmittag brachte er die leeren Kannen wieder und stellte sie zurück auf den Hochstand. Die Milchkannen waren nicht alle leer, denn ungefähr ein Drittel der Milch vom Morgen wurde als Molke zurückgeliefert. Diese wurde an die Schweine verfüttert. Schweine hatten wir immer, solange ich denken kann. Sie zu füttern war Aufgabe meiner Mutter. 1895 wurde meine Mutter geboren, ein Jahr später als mein Vater, der Jahrgang 1894 war. Mein Vater ist 89 Jahre alt geworden, meine Mutter 79. Wie haben sie sich kennengelernt?

In jungen Jahren hat mein Vater nicht nur Landwirtschaft betrieben, sondern ist nebenbei in Oberpleis arbeiten gegangen. Dort hin fuhr damals noch eine Kleinbahn. In Oberpleis goss mein Vater mit anderen Bauarbeitern Prellböcke aus Beton. Den Vorarbeiter habe er einmal gefragt, ob er nicht wisse, wo es kleine Schweinchen zu kaufen gäbe. Daraufhin sagte der Vorarbeiter: „Da muss ich mal meine Schwiegereltern fragen, die züchten Schweine.“ Später kam der Vorarbeiter wieder zu meinem Vater, um ihm zu sagen, dass seine Schwiegereltern tatsächlich kleine Schweinchen hätten und er sie sich ansehen könnte. Nicht nur die Schweinchen hat mein Vater angeschaut, sondern auch die Tochter des Bauern. Diese ist schließlich seine Frau und meine Mutter geworden. Sie hatte noch vier Brüder und eine Schwester und wohnte in einem Ort bei Buchholz im Westerwald.

Der älteste Bruder meiner Mutter, mein Onkel Wilhelm, war bei der Staatsbahn und hat sich vom Gleisbauarbeiter bis zum Zugführer hochgearbeitet. Er wohnte in Troisdorf. Als ich damals nach Troisdorf kam, habe ich ihn öfters besucht. Zu dieser Zeit war er schon im Ruhestand. Er hat mir viel von der Zeit erzählt, als meine Mutter noch nicht verheiratet war. Die Eltern meiner Mutter waren reich, da sie schon früh ein oder zwei Pferde hatten. Der älteste Bruder meiner Mutter sagte mir, dass er froh gewesen wäre, als sie 1923 geheiratet hatte. Sie musste nämlich als Mädchen mit dem Pferd im Feld arbeiten, weil der Bruder, der die Landwirtschaft ihrer Eltern übernommen hatte, ziemlich dick war und schlecht Luft bekam. Während meine Mutter auf dem Feld arbeitete, hat sich der besagte dicke Bruder nur ins Gras gelegt.

Zur Hochzeit meiner Eltern hat Onkel Wilhelm meine Mutter und meinen Vater mit der Kutsche vom Wohnort meines Vaters bis zur Kirche in Asbach gefahren. Kurz vor Asbach wären sie noch von Franzosen kontrolliert worden, so hat er es mir später erzählt. Die Franzosen hatten 1923 das Rheinland besetzt. Nach der Trauung zog meine Mutter zu meinem Vater, der nicht alleine, sondern zusammen mit seiner Mutter lebte.

Einmal sind meine Mutter und meine Oma zu Fuß nach Linz am Rhein gegangen, um dort Butter und Eier zu verkaufen. Sie hatten ausgemacht, dass meine Mutter das Geld vom Verkauf behalten sollte. Mit dem Geld wollte sie von Asbach mit der Kleinbahn bis nach Mendt zu Ihren Eltern fahren. Um 1925 war das Geld aber täglich weniger wert – es war Inflation. Später erzählte sie uns, sie wäre am nächsten Sonntag mit der Bahn gefahren, aber das Geld von dem Verkauf der Butter und Eier hätte nicht gereicht.

Wie lange mein Vater nach der Hochzeit noch neben der Landwirtschaft gearbeitet hat, kann ich nicht genau sagen. Ich erinnere mich aber, dass mein Opa zu diesem Zeitpunkt schon verstorben war. Über ihn weiß ich leider nichts, wir Kinder haben auch später nie nach ihm gefragt. Meine Oma war eine geborene Junior und ihr Elternhaus lag im Wiedbachtal. Das kann man nicht als Ort bezeichnen, da es dort nur zwei Häuser gab und der nächste Ort einen Kilometer weit weg lag. Meine Oma ist mit 92 Jahren gestorben.

Man könnte jetzt denken: Schwiegermutter und Schwiegertochter in einem Haus – das geht nicht gut. Aber ich glaube, dass meine Mutter viel mit meinem Vater ins Feld gegangen ist, während meine Oma zuhause war. Wenn ich ehrlich bin, habe ich meine Eltern nie mit meiner Oma streiten gehört. Für die damalige Zeit war meine Mutter reich. Wir hatten von unserem Ort den ersten Elektromotor und noch dazu einen recht großen, starken. Auf dem Motor standen drei Buchstaben: A.B.N. (Adam Baummüller Nürnberg). Diese drei Buchstaben waren glaube ich die ersten, die ich aussprechen konnte.

Meine Eltern bekamen fünf Kinder, es waren alles Jungen und ich bin der Jüngste. Willi, mein ältester Bruder, wurde 1924 geboren. Ein Jahr später kam Peter und Konrad kam 1928 zur Welt. Mein zweitjüngster Bruder, der Josef, ist 1931 geboren und ich 19 Monate nach ihm.

Willi hat Anstreicher in Asbach gelernt. Wenn er mit dem Fahrrad nach Hause kam, habe ich schon auf ihn gewartet. Ich kann mich gut erinnern, mein Geburtshaus lag direkt an einer Straße, die etwas Gefälle hatte. Mit Willis Fahrrad habe ich Fahrradfahren an diesem Gefälle gelernt. Mein rechtes Bein habe ich dazu unter der Querstange durchgestreckt, sodass ich mit dem rechten Fuß auf das rechte Pedal kam. Mit dem linken Fuß stieg ich dann auf das linke Pedal und musste meinen Oberkörper ein wenig schräg stellen, damit ich das Gleichgewicht halten konnte. So bin ich dann oft das Gefälle heruntergefahren.

Als Willi in die Lehre kam, war schon der zweite Weltkrieg ausgebrochen. Sein erster Lehrmeister ist in den Krieg eingezogen worden. Bei einem anderen Meister konnte er seine Lehre fortsetzen, bis auch dieser eingezogen wurde. Gott sei Dank konnte er bei einem weiteren Lehrmeister seine Lehre beenden. Später habe ich erfahren, dass es auch Lehrlinge gab, die, ehe sie ihre Lehre fertig machen konnten, in den Krieg eingezogen wurden. Nach Kriegsende konnten diese Menschen nicht nachweisen, dass sie zwei oder drei Jahre in einem Beruf gelernt hatten. Mein Bruder musste nach Linz am Rhein in die Berufsschule. Einmal brachte er von Linz schöne, dunkelrote Kirschen mit nach Hause. Ich weiß noch gut, dass meine ganze Familie von den Kirschen gegessen hatte. Meine Oma, meine Eltern und besonders meine Brüder. Als wir alle satt waren, wurden die restlichen Kirschen in eine Schüssel getan. Am nächsten Morgen, alle staunten nicht schlecht, waren fast mehr Würmer als Kirschen in der Schüssel. Aber sie hatten gut geschmeckt, auch mit Würmern.

Nachdem Willi seine Gesellenprüfung abgelegt hatte, erzählte er uns, dass der Prüfer mehr Sachen über den Krieg gefragt habe als über seinen Lehrberuf. Zum Beispiel lautete eine Frage: „Wie heißt der größte deutsche Panzer?“ Willi wurde nach seiner Gesellenprüfung in den Krieg eingezogen, wo er als S.M.G. Schütze ausgebildet wurde.

(S.M.G. = S chweres M aschinen- G ewehr)

Zum schweren Maschinengewehr gehörten drei Mann. Zum einen gab es den Schützen eins, der bedient das Gewehr. Mein Bruder war dieser Schütze. An der Front durfte er das Gewehr nie verlassen. Für Essen und Trinken war Schütze drei zuständig. Schütze zwei hatte die Aufgabe, die Halterung für die Patronen festzuhalten.

Willi ist nach dem Krieg unversehrt nach Hause gekommen. Uns hat er gesagt, dass er nie ans Sterben gedacht habe. Es wäre mehr ein Spiel für ihn gewesen. Als der Krieg zu Ende ging war er in Frankreich bei Brest. Dort ist er auch in Gefangenschaft gekommen. Die Nachricht, dass er in französischer Gefangenschaft war, bekamen wir mit einer Postkarte. Ich weiß noch genau ihre Maße: ungefähr 10 cm lang, 7-8 cm breit und ziemlich dick. Bestimmt habe ich sie über hundert Mal in den Fingern gehabt.

In der Gefangenschaft musste mein Bruder für einen Anstreicher arbeiten. Zusammen mit einem anderen deutschen Gefangenen wurde er morgens von dem Anstreicher aus dem Lager geholt und abends wieder dorthin zurückgebracht. Willi hatte sich mit der Zeit mit der Tochter des Anstreichers angefreundet. So kam ihm der Gedanke, aus dem Lager zu fliehen. Dazu besorgte die Tochter des Anstreichers französische Uniformen. Weil mein Bruder kein Französisch konnte, musste ein französisch sprechender Gefangener gesucht werden, der schließlich auch gefunden wurde.

Zusammen mit dem anderen deutschen Anstreicher und...