Langer Tunnel Nacht - Roman

Langer Tunnel Nacht - Roman

von: Hanno Roether-Stuck

epubli, 2018

ISBN: 9783746742496 , 190 Seiten

32. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 1,99 EUR

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Langer Tunnel Nacht - Roman


 

 

Verschlafen sah sich Andreas im Bad von Angela um, das zwar nicht groß war, aber einen äußerst eleganten Eindruck auf ihn machte. Sein eigenes erschien ihm im Vergleich dazu nur wie Economy Class, obwohl er auch einiges Geld dafür ausgegeben hatte. Einen bis oben zur Decke gehenden Spiegel in der ganzen Breite des Doppelwaschbeckens rahmten offene Regale ein, in schwarzem  Lack – ein gelungener Kontrast zu Porzellan und  glänzenden Fliesen in Weiß.  

    Erste Sonnenstrahlen, vom Spiegel auf sein Gesicht reflektiert, zwangen ihn dazu, wach zu werden. Bei näherem Hinsehen entdeckte er, dass im rechten Regal alle Handtücher einen Goldton mit schwarzem Rand hatten, im anderen es dagegen genau umgekehrt war. Ebenso stellte er fest, dass diejenigen mit Goldton als Monogramm ein AH aufwiesen, wogegen alle schwarzen mit TV gekennzeichnet waren. Ganz eindeutig waren die Utensilien rechts für Damen bestimmt, wogegen links ein Rasierapparat neben Anderem auf den Gebrauch durch einen Mann hinwies. Angela Horn war doch nicht verheiratet oder? Andreas begann zu grübeln. Hieß sein neuer Chef nicht Anton Vogel? Stand das T somit vielleicht für Toni? Hatte Angela etwa bemerkt, dass er sie schätzte, gar liebte und begehrte? Hatte sie ihn deshalb bei sich einquartiert, damit von Anfang an klar wäre, dass er keine Chance auf sie hätte? Bestand eine Liaison zwischen seinem Chef und dessen Sekretärin und falls ja, wie lange schon? Sauer würde es wissen … vielleicht auch andere. Was spielte sich gestern zwischen ihr und Vogel ab? Waren diesem wegen des Unglücks die Nerven derartig durchgegangen, dass er sogar in die Psychiatrie eingeliefert werden musste? Es klopfte heftig an die Tür. »Wir müssen jetzt los, sonst kommen wir zu spät«. Wie eine Seifenblase zerplatzten da seine Spekulationen.

 

Auf dem kurzen Weg zum Büro drückte Angela ihm eine große Tüte mit Croissants in die Hand, die sie soeben im Untergeschoss des Hauptbahnhofs besorgt hatte. Andreas hatte währenddessen nahe der großen Freitreppe gewartet. ›Der Turm fehlt, der gestern bei meiner Ankunft doch noch so imposant über all die demonstrierenden Menschenmassen geragt hatte‹, ging es ihm durch den Kopf. Und dann lief das ganze Grauen wieder vor  ihm ab. Es war nicht mehr ganz so kalt wie am Vortag. Aber die Sonne hatte wiederum einen glanzvollen Auftritt. Tief stehend, beleuchtete sie den riesigen Steinhaufen, der in der nahen Baugrube lag und aussah, als ginge es um eine Szene aus Wagners Götterdämmerung. Wild und gespenstisch lag da alles vor ihm. Fröstelnd hörte er nun die Stimme seiner Kollegin: »Alles Andere ist zum Glück im Büro.«

    Die Berliner Chefs trafen nur kurz nach ihnen ein und sahen enorm verbiestert und müde aus. Der nächtliche Bahnbetrieb, der wegen des Unglücks auf der Ostseite mit noch weniger Gleisen als eh schon seit Beginn der Umbauarbeiten auskommen musste, hatte sie wohl nicht schlafen lassen. Da war die Nachtruhe zuhause im feinen grünen Westen Berlins schon etwas anderes. Schlagartig war der Generaldirektor aber wach, als er im Großen Besprechungsraum neben dem Betriebsleiter des Bahnhofs Sauer sitzen sah, gut gelaunt mit wichtigen Mitarbeitern scherzend, so als hätte es den Vortag überhaupt nicht gegeben.  

    »Guten Morgen, Herr Sauer, was lässt Sie denn so strahlend aussehen nach dem furchtbaren Desaster?«, rief ihm Professor Dr. Hattenkamp zu. »Sie scheinen gestern zeitig Schluss gemacht zu haben und sich gut versteckt, so dass Sie niemand finden konnte. Und Sie haben sich auch sichtlich gut erholt von dem Unglück!« Schnell wurde die Miene von Franz Sauer nun ernst. Er hatte sofort gemerkt, dass es für ihn unangenehm werden könnte. Er stotterte leicht. »Also gestern – w… war mir wirklich nicht gut nach allem, was passiert ist. Aber, Gott sei Dank, hab i mit zwoi Bierle dann doch noch ziemlich  guet g´schlofe.«

 

Angela unterbrach in diesem Augenblick wegen einer traurigen Nachricht, die ihr von einer Kollegin als SMS auf das Handy gelegt worden war und den Anruf von Frau Gedecke zum Inhalt hatte. ›Ihr Mann‹, hätte diese vorhin mitgeteilt, ›sei wegen Verdacht auf Herzinfarkt, den er beim Aufstehen erlitten habe, ins Krankenhaus gebracht worden. Sie wisse allerdings noch nicht, wie es ihm gehe.‹ Betretenes Schweigen eine ganze Weile lang! Zu Sauer meinte der Generaldirektor dann: Wir müssen jetzt weitermachen; in knapp drei Stunden bin ich zum MP bestellt! …›Was es zum einen für einen Hintergrund gäbe für die große Aufmachung seitens der Medien wegen der exorbitanten Kostensteigerungen, die sich zum  Glück ja aber als Ente herausgestellt hätten – und zum anderen‹, wollte er wissen, ›ob das Wassermanagement der Bahn als mögliche Ursache für den Einsturz des Turms infrage kommen könnte.‹ »Oh«, meinte Herr Sauer, »da muss ich aber weit ausholen.«  »Dann holen Sie mal … wir sind sehr gespannt darauf«, kam von der anderen Tischseite zurück, messerscharf.

    Franz Sauer fasste mit beiden Händen seine randlose Brille an. Auf die rosa Stirn, die jetzt mit den gleichfarbig gewordenen Bäckchen konkurrierte, traten kleine Schweißperlen. Er schob die Brille mit der linken Hand hoch und versuchte mit der Rechten Stirn und Glatze zu trocknen. Er legte dar, dass aufgrund des Gutachtens eines renommierten Fachmanns aus der Schweiz ... »Konkret, sein Name!«, fuhr Professor Dr. Hattenkamp dazwischen … ›ursprünglich die teurere Bauweise mit Spezialbeton gar nicht erforderlich gewesen wäre, man aber, das heißt, sein Chef Dr. Vogel, wegen der zahlreichen Einwände seitens der Bürgerinitiative es im Nachhinein dann doch für richtig gehalten hätte, diese wegen der Mineralquellen einzubauen und zwar für alle Tunnels in der Innenstadt, ohne dass er – Sauer – rechtzeitig davon erfahren habe. So hätte er die Mehrkosten nicht eruieren und dann in die Kalkulation einfließen lassen können. Und Gottvater hätte ... ‹ »Wer?«  ›... nun – Herr Dr. Vogel – gemeint, das könne man später ja in einen Nachtrag packen. Er selbst hätte das zwar etwas anders gesehen, aber der Herr Generaldirektor kenne den Führungsstil hier im Hause doch genau.‹

    Franz Sauer versuchte nun sogar ein Lächeln, das ihm aber sofort gefror und er eine oder besser gleich zwei Zigaretten gebraucht hätte, weil seine Hände zu zittern begannen, als er den Kommentar des obersten Vorgesetzten vernahm. »Und das haben Sie sich als Chef des Controlling bieten lassen? Ja sind Sie denn ein kleiner Sachbearbeiter-Hansel?« Angela Horn schüttelte, als sie Sauer hörte, angewidert ihre langen schwarzen Locken. Ihr Chef hatte dies nicht an Sauer vorbei entschieden. »Bedeutet das denn nun, die Ente ist gar keine Ente und die zusätzlichen Kosten kommen tatsächlich auf uns zu?»  

    »Ja und noch weitere! Wir müssen eine Strecke zweigleisig ausbauen und damit auch die ganze  Signaltechnik ändern und außerdem …« Franz Sauer wurde nun leiser und blickte einen Moment auf den großen Chef aus Berlin, ohne weiterzusprechen. Seine ganze wuchtige Gestalt fiel in sich zusammen, als würde die Luft aus einem Ballon gelassen. Fast lautlos kamen dann die nächsten Sätze: »… muss der Brandschutz ebenfalls massiv nachgebessert werden. Die ständigen Demos verursachen zusätzliche Kosten, weil wir nicht mehr im Zeitplan liegen.« … »Und nun zum Wassermanagement!« Da blickte Sauer still auf den großen Tisch und wischte ein weiteres Mal die nasse Stirn. Dabei hatte er eigentlich vorgehabt, mit Gottvater abzurechnen wegen dessen ständigen Demütigungen. Er ... Franz ... der Mutige! Professor Dr. Hattenkamp sah Dr. Krumnow an. Beide schienen einer Meinung zu sein. Also gab es eine Unterbrechung für einen Kaffee und die vier Herren aus Berlin zogen sich in das Büro von Dr. Vogel zurück.

 

Punkt elf Uhr war das Taxi am Eingang der Villa Reitzenstein vorgefahren. Außer Herrn Professor  Dr. Hattenkamp entstieg ihm auch sein Justitiar. Auf diesen wollte der Generaldirektor nicht verzichten. Er hielt große Stücke auf ihn und war vom Scharfsinn und der ausgewogenen Urteilsfindung stets von neuem begeistert. Rechts hinten sitzend war er gezwungen, um das Auto herum zu gehen, um den Hausherrn, der leicht grinsend an der feudalen Eingangstür wartete, begrüßen zu können. Alle drei kannten sich von einem früheren, jedoch sehr unangenehm verlaufenen Treffen in Berlin, damals – direkt nach dem Bürgerentscheid.  

    »Man trifft sich im Leben halt immer zweimal, gab mir schon mein Großvater als Lebensweisheit mit auf den Weg. Dennoch willkommen in meinem Palast, der auf mich immer noch wie ein Smoking für einen Konfirmanden wirkt. So luxuriös ist mein vorheriger Arbeitsplatz in der Schule nicht gewesen.« Grinsen nun auch auf der anderen Seite.

    Ehe der Generaldirektor dem Herrn Ministerpräsidenten die Hand schütteln konnte, sah er gerade noch im Augenwinkel ein Rad mit hohem Tempo auf die Kies-Einfahrt einbiegen. ›Oh, dann wird es hart heute‹, fiel ihm dazu ein. Und da war es auch schon geschehen. »So macht der das immer, wenn er auffallen möchte«, meinte dessen Chef lachend. Vor ihnen lag der Verkehrsminister auf dem Boden. Zum wiederholten Male hatte er nicht gemerkt in der Eile, in der er ja eigentlich immer war, dass die Bodenschiene des Einfahrtstors wieder ein winzig kleines Stückchen hochgefahren war. Es war klar, dass das vom vorherigen Hausherren da gebliebene Personal boshafterweise dem von ihm nicht sehr geschätzten Radfahrer den Streich spielte; aber dabei immer dicht hielt. Der oder die Schuldigen konnten nie ermittelt werden ... und  im Landtag der Opposition den...