Dr. Stefan Frank 2460 - Manchmal werden Sommerträume wahr

von: Stefan Frank

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2018

ISBN: 9783732567805 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 1,99 EUR

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Dr. Stefan Frank 2460 - Manchmal werden Sommerträume wahr


 

Warum fallen mir die schlagfertigen Antworten eigentlich immer erst hinterher ein?

Jenny grub die Zähne in die Unterlippe, während sie sich kräftig in die Ruder stemmte und das Boot weit hinaus auf den Chiemsee brachte.

Der Bootsverleiher hatte sie mitleidig gemustert, als sie ihn nach einem Wasserfahrzeug gefragt hatte. Ob sie etwa ganz allein auf den See rudern wolle? Das wäre aber schade. So ein hübsches junges Ding wie sie! Jenny war purpurrot geworden und hatte nur gestammelt, dass sie gern allein war. Dann hatte sie sich in das erstbeste Boot gesetzt und war losgerudert, als gälte es ihr Leben.

Ihre Schüchternheit ärgerte sie. Was war schon dabei, wenn eine Frau allein rausruderte? Nichts! Sie hätte einfach kontern müssen. Die Frage war nur: Was hätte sie erwidern können? Ich trainiere für den Iron Women? Dazu ein Augenzwinkern. Ja, das hätte den Verleiher vermutlich staunen lassen. Nur leider kam sie erst jetzt darauf, und der Verleih lag bereits zwanzig Minuten hinter ihr.

Seufzend holte Jenny die Ruder ein und ließ sich von den Wellen treiben. Es war ein herrlicher Augusttag. Die Sonne ließ das Wasser glitzern, als wäre es mit winzigen Diamanten übersät. Ein veilchenblauer Himmel wölbte sich über Bayern und versprach weiterhin schönes Wetter. Ein paar Enten jagten sich über den See. Ansonsten war nur das Plätschern der Wellen zu hören, die gegen den Bootsrumpf schlugen.

Vor Jenny breitete sich das Alpenvorland aus. Die Gipfel waren in leichten Dunst gehüllt, ein weiteres Zeichen für eine stabile Wetterlage.

Drei Inseln ragten aus dem Wasser: die Fraueninsel mit dem Kloster, die Herreninsel mit dem Schloss von König Ludwig II. und die Krautinsel, auf der zahlreiche Vögel brüteten und die man deshalb nicht betreten durfte.

Jenny war schon öfter hier am See gewesen, als sie zählen konnte. Ihre Familie bewirtschaftete einen Bauernhof wenige Fahrradminuten vom Ufer entfernt, und Jenny liebte den See und die Inseln sehr.

Wenn sie nur besser hätte kontern können! Eine gute Antwort fiel ihr oft viel zu spät oder gar nicht ein. So ging das doch nicht weiter! Sie hatte zwei ältere Brüder, die es als ihre Aufgabe betrachteten, Jenny zu beschützen. Das war gut gemeint, aber sie wollte für sich selbst einstehen können. Dazu gehörte eben auch, die richtigen Worte im passenden Moment zu finden. Ob sie das üben könnte?

Vielleicht finde ich daheim in der Bücherei eine Anleitung, grübelte sie. Es muss doch auch anderen Menschen so gehen wie mir. Oder etwa nicht? Nun, Hanna kennt solche Schwierigkeiten nicht. Meine Schwester war noch nie um ein Wort verlegen. Sie kann einen zu Boden quasseln, wenn sie es darauf anlegt. Ja, sie …

Ein Stich fuhr Jenny ins Herz, als sie an ihre Schwester dachte. Hanna war ein Jahr älter als sie selbst. Früher hatten sie sich nahegestanden und alles voneinander gewusst, aber seit einer bitteren Herbstnacht hatten sie kein Wort mehr miteinander gewechselt. Und das hatte auch seinen Grund …

Jenny strich sich eine lange braune Haarsträhne aus der Stirn. Nicht darüber nachgrübeln, ermahnte sie sich selbst. Das bringt nichts. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen.

Sie breitete eine Decke über der Sitzbank aus, legte sich auf das Polster und schloss die Augen. Es war wunderbar, sich so treiben zu lassen. In der Früh war sie zeitig aufgestanden und hatte ihre Arbeit auf dem Hof erledigt. Davon zwackten ihr nun gehörig die Muskeln, und sie genoss die stille Pause auf dem See.

Gemächlich dümpelte ihr Ruderboot auf den Wellen, und die Sonne schien angenehm warm auf sie herab. Wie von selbst drifteten Jennys Gedanken davon.

Sie arbeitete gern auf dem Hof ihrer Eltern, aber noch lieber würde sie sich etwas Eigenes aufbauen. Das war ihr Traum. Den Hof würden ihre beiden Brüder eines Tages von den Eltern übernehmen. Sie brauchten Jennys Hilfe nicht unbedingt. Und sie selbst würde am liebsten etwas mit Tieren machen. Ein Hundesalon, ja, das würde ihr gefallen. Dafür hatte sie Geschick. Allerdings …

Ein lautes Tuten riss Jenny aus ihren Gedanken. Plötzlich schwankte ihr Ruderboot bedrohlich! Erschrocken fuhr sie in die Höhe. Eine schnittige weiße Yacht steuerte nur eine Armlänge von ihr entfernt vorbei. An Deck stand ein Mann und hielt das Steuer fest in den Händen. Mehrere goldene Ketten glitzerten in seiner Brustbehaarung. Sein Bauch hing über die Badehose. Zumindest nahm Jenny das an. Es war nicht eindeutig zu erkennen, ob er wirklich eine anhatte.

Er funkelte sie wütend an.

„Aus dem Weg, Mädchen! Hast du etwa keine Augen im Kopf?“

Jennys Gedanken stoben auseinander wie aufgeschreckte Spatzen. Was sollte sie nun erwidern? Sie zermarterte sich den Kopf, aber der war auf einmal wie leergefegt. Ödnis. Nichts. Kein einziges Wort wollte ihr einfallen. Dabei musste er sie doch gesehen haben. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, nicht so nah an ihr kleines Ruderboot heranzusegeln.

„Weiber am Ruder“, schnaubte ihr Gegenüber und drehte ab.

Keine Augen im Kopf. Keine Augen im Kopf. Wie ein Echo hallten seine Worte in ihrem Verstand wieder. Keine Augen im Kopf? Ha, jetzt weiß ich es! Jenny straffte sich.

„Das wäre bei manchen Zeitgenossen gar nicht schlecht!“, rief sie. Sie blickte der Yacht nach, die inzwischen schon halb um die Herreninsel herum war. Unwahrscheinlich, dass der Mann am Steuer sie noch gehört hatte. Vielleicht war das auch besser so.

Jenny setzte sich wieder auf die Ruderbank und beschloss, zum Verleih zurückzurudern. Ihre gebuchte Stunde würde fast herum sein, bis sie dort war …

Bevor sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, schaukelte ihr Boot erneut heftiger, jedoch nicht so wild wie eben noch. Rund zweihundert Meter entfernt steuerte ein Passagierschiff den Steg an der Herreninsel an. Es war ein Raddampfer.

Jenny blickte ihm versonnen nach – und bemerkte auf einmal, dass sich zwei Arme hilfesuchend zwischen dem Dampfer und ihr aus dem Wasser reckten. Ein Mensch schwamm dort. Oder, nein, er war am Ertrinken! Nun hörte sie auch seinen gurgelnden Hilferuf.

„Ach, du liebe Zeit!“ Hastig streifte sie ihr T-Shirt und die Sandalen ab. Nur noch mit einem Bikini bekleidet, hechtete sie kopfüber ins Wasser und kraulte zu dem Ertrinkenden hinüber. Der Mann versank soeben unter der Oberfläche, aber Jenny packte beherzt zu, schlang ihm die Arme von hinten unter die Achseln und zog ihn hinter sich her zum Ufer der Herreninsel.

Er schlug aus, strampelte und kämpfte gegen ihren Griff, aber sie ließ nicht locker. Neben ihnen paddelte ein Hund im Wasser. Er musste dem Unbekannten gehören.

Bis zum Ufer war es nicht weit. Jenny zerrte den Mann an Land und sank keuchend neben ihm in den Sand. Er hustete, krümmte sich und spuckte Wasser aus. Ein Schwall. Noch einer. Endlich ließ sein Husten nach, und er atmete ruhiger.

„Geht es wieder?“ Jenny setzte sich auf und sah ihn prüfend an.

„Ja“, schnaufte er und spuckte noch einmal Wasser aus. „Geht schon. Aber … mein Rucksack … ich habe ihn im Wasser verloren.“

„Herrje. Ich werde ihn suchen.“ Jenny stemmte sich hoch, watete noch einmal zurück ins Wasser und schwamm zu der Stelle, an der sie den Unbekannten entdeckt hatte. Hier in Ufernähe war der See nicht allzu tief und das Wasser herrlich klar. Jenny schaute sich um und entdeckte den Rucksack. Sie tauchte, um ihn heraufzuholen.

Auf dem Weg zurück zum Ufer packte sie ihr Ruderboot am Rand und zog es hinter sich her an Land, ehe es abgetrieben werden konnte.

Erleichtert ließ sie sich wieder in den Sand sinken.

Das wäre geschafft!

„Hier, bitte! Ihre Sachen sind vermutlich alle nass geworden, aber wenigstens sind sie wieder da“, sagte sie und legte dem Unbekannten den Rucksack hin. „Sagen Sie, was haben Sie denn da drin? Ziegelsteine?“

„Bücher“, gestand er. „Ich kann mich nie nur für ein Buch entscheiden, wenn ich einen Ausflug mache, deshalb nehme ich immer mehrere mit.“

„Auch eine Form des Fitnesstrainings.“

„Stimmt.“ Der Mann lachte leise. Wasser rann ihm aus den blonden Haaren über das Gesicht. Seine Statur war eher hager und sehnig, seine Haut blass, als würde er nicht oft hinaus an die frische Luft kommen. Er mochte nur ein paar Jahre älter als Jenny sein und trug eine Brille mit dunklem Rand. Es war ein Wunder, dass er sie nicht auch verloren hatte. „Einen Fotoapparat haben Sie nicht zufällig gefunden, oder?“

„Tut mir leid. Nein.“

„Ich habe meine Kamera fallen gelassen, als ich von Bord gefallen bin. Das war irgendwo da drüben.“ Er wedelte in die Richtung, aus der das Passagierschiff gekommen war.

„Oh! Sie waren auf dem Raddampfer?“

„Ja, ich wollte ihn fotografieren. So groß wie möglich. Dabei bin ich über Bord gefallen. Leider kann ich nicht schwimmen.“

„Hat Ihren Sturz denn niemand bemerkt? An Bord muss es doch Rettungsringe geben.“

„Sicherlich, aber es waren mehrere Schulklassen mit dem Raddampfer unterwegs. Sie haben so einen Wirbel gemacht. Vermutlich wäre es nicht einmal aufgefallen, wenn wir unterwegs einen Eisberg gerammt hätten.“

„Nun, wenigstens hätten Sie dann eine Eisscholle zum Festhalten gehabt.“

„Da ist was dran.“ Sympathische Lachfältchen gruben sich um seine Augen ein, als er lächelte. „Jedenfalls werde ich keinen Fuß mehr auf so ein Schiff setzen.“

„Dann haben Sie leider ein Problem. Das hier ist nämlich eine Insel. Hier kommt man nur schwimmend...