Qualitätsorientierte interprofessionelle Kooperation (QuiK) - Pflegefachkräfte und Mediziner im Fokus

von: Udo Schuss, Reiner Blank

Hogrefe AG, 2018

ISBN: 9783456758022 , 190 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 26,99 EUR

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Qualitätsorientierte interprofessionelle Kooperation (QuiK) - Pflegefachkräfte und Mediziner im Fokus


 

Vorwort


Pflege und Medizin haben in den letzten Jahrzehnten einen sehr hohen Qualitätsstandard erreicht. Das Leistungs- und Sicherheitsniveau ist in der Pflege und in der Medizin, bei der Behandlung mit Arzneimitteln, bei diagnostischen und operativen Interventionen deutlich verbessert worden. Dem persönlichen Willen der Patienten (deren „Autonomie“) wird mit Respekt begegnet und eine mündliche und schriftliche (auch fremdsprachliche) Einwilligung nach erfolgter Aufklärung (informed consent) ist heute gängige Praxis.

Das Gesundheitswesen ist insgesamt leistungsfähiger als je zuvor, ohne dass der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) unverhältnismäßig gestiegen ist.

Dennoch ist von einer Krise des Gesundheitswesens die Rede. Im veröffentlichen Diskurs wird der Alltag in Kliniken, Praxen und Pflegeheimen häufig in düsteren Bildern gezeichnet. Patienten begegnen dem System und den darin arbeitenden Menschen zunehmend mit der misstrauischen Frage: „Meint man es gut mit mir oder hat man nur ein Interesse an mir“?

Genau genommen handelt es sich um eine Krise der ambulanten und stationären Medizin und der Pflege: Es geht um Zugangsgerechtigkeit und Qualität in der kurativen Versorgung. Das weite Feld der öffentlichen Gesundheitspflege (Public Health) hat andere, teilweise komplementäre Aufgaben und eine gesonderte Finanzierung.

Es sind die Mitarbeiter/-innen1, die zunehmend in ein Spannungsfeld zwischen Wert- und Werteorientierung geraten: Ihnen wird ein entscheidender Beitrag zur Qualität der Versorgung und auch der Wirtschaftlichkeit abverlangt, aber eine Einflussnahme auf die Systemregularien bleibt ihnen weitestgehend verwehrt.

Der „Mutterdisziplin“ Medizin stehen heute originäre und selbstbewusste Fachbereiche zur Seite, denen man früher – euphemistisch – eine „dienende“ Funktion zugeschrieben hat.

Die Pflegewissenschaften verfügen zwar noch nicht über eine vergleichbare akademische Tradition und evidenzbasierte Studien sind in den Fächern, die heute einen Masterabschluss ermöglichen (z.B. Logopädie, Physio- und Ergotherapie) noch eher selten, „Augenhöhe“ ist aber längst gegeben: Weder die „herrschende“ Medizin noch die „regierende“ Ökonomie werden auf diese heranwachsenden Kompetenzen verzichten können.

Diese sich verändernde soziologische Ausgangssituation wird im kommenden Jahrzehnt einen tiefgreifenden strukturellen Wandel nach sich ziehen (müssen). Noch achten die Interessenvertreter der jeweiligen Berufsgruppen mit Argusaugen darauf, dass ihnen nichts „genommen“ wird – ungeachtet der Frage: Was hat wem und mit welcher Begründung denn je „gehört“? Die Kerndisziplinen (Pflege und Medizin) werden enger zueinander finden müssen und es werden veritable, politisch ausgewogene, ideologiefreie und ermutigende Entscheidungen getroffen werden müssen!

Unterhalb der politischen Ebene, auf der Meso- und Mikroebene, werden aber auch die patientennah tätigen Akteure mit eigenen Beiträgen zur weiteren Verbesserung der Versorgung und der Arbeitsbedingungen beitragen müssen.

Berufsethische Prinzipien spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Förderung der fachlichen Qualifikation und die Stärkung der persönlichen, sozialen Identität. Es verlangt Mut und Einsatzbereitsschaft, sich qualifiziert gegen eine übermäßige Regulierung „von oben“ – durch Politik und Kostenträger – zu behaupten. Denn beide verfügen über keinen persönlichen Kontakt zu Patienten.

These

Die vertikale Kommunikation zwischen „oben“ und „unten“ wird solange nicht gelingen, wie es im horizontalen, interprofessionellen Dialog nicht gelingt, die Aufgaben kooperativ und qualitätsorientiert zu gestalten!

Viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen, die sich täglich „gemeinsam mit anderen um andere“ kümmern, wollen diese konstruktive Zusammenarbeit: Den beiden großen Berufsgruppen (Pflege und Medizin) wird die Aufgabe zufallen, den Weg zu einer emanzipativen Form der Kooperation zu entwickeln. Deren gutes Zusammenwirken ist nicht nur aus Sicht der Patienten wünschenswert. Mitarbeitende in den Praxen, den Ambulanzen und auf Stationen oder in Operationssälen wissen längst, dass die Gesamtleistung in einem heterogenen Team höher ist als die Summe der Einzelleistungen (Synergie).

Gutmeinende, aber meist selbstautorisierte Prozessoptimierer gebärden sich häufig wie Betreuungsbevollmächtigte gegenüber den Mitarbeiter/-innen ganzer Abteilungen. Sie werden lernen müssen, die zur Mitwirkung Befähigten ernster zu nehmen. Mitarbeitende haben heute eigene Ansprüche an ihre Arbeitswelt, in der sie Sinnvolles zu leisten durchaus bereit sind: Auch im Sozialen wollen Menschen, von sich aus – wie Sportler, Politiker und Manager – erfolgreich sein und nicht durchschnittlich.

Dabei ist und bleibt das Patientenwohl der entscheidende ethische Maßstab! Dies umfasst die Dimensionen:

  • objektivierbare (medizinische Parameter, Zugänglichkeit der Leistung),
  • subjektive (Behandlungszufriedenheit, Berücksichtigung subjektiver Präferenzen) und
  • intersubjektive (wechselseitige Anerkennung, Respekt, Achtsamkeit).2

Der Ethikrat verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Notwendigkeit, sich stets einer prüfenden Betrachtung zu stellen: Was ist objektiv nötig, subjektiv möglich und intersubjektiv erreichbar? Mitarbeitende, die in ihrer täglichen Praxis zu dieser Denkweise angeleitet werden und die ihr (Be-)Handeln zu begründen lernen, werden zu Garanten der Ergebnisqualität und der Patientensicherheit.

Wie aber können und warum sollten Ärzte und Pflegefachkräfte gemeinsam ihren Beruf als „Dienst am Nächsten“ verstehen, sich vor Selbstausbeutung bewahren, den eigenen Interessen Geltung verschaffen und all dies auch noch ohne jemandem zu schaden und ohne ungerecht zu handeln? Die Antwort darauf ist zunächst eine simple Schlussfolgerung: In jeder Gruppe von Menschen, die sich auf die Ziele ihres Handelns (hier: eine gute medizinische-pflegerische Versorgung) geeinigt hat, führt Kooperation zu einem positiven Wir-Gefühl, welches für die Gruppe selbst zu einer sie stärkenden Erfahrung3 wird (Reziprozität). Der Akt des Helfens ist nicht an Sympathie gebunden, sondern Ausdruck der persönlichen und sozialen Vernunft!

Das zur Hilfe geholte betriebswirtschaftliche Wissen hat das Gesundheitssystem vor der Jahrtausendwende buchstäblich vor der „Fahrt gegen die Wand“ gerettet – was heute gerne vergessen wird. Was die Betriebswirtschaft aber nach dieser „Rettung“ nicht leisten konnte und auch zukünftig nicht wird leisten können – gleichsam damals aber von ökonomisch ratlos gewordenen Medizinern und Pflegedienstleitungen – überlassen bekam, war die Gestaltung einer optimistischen Fürsorgekultur.

Aus diesem Grund sind die Führungseliten der Fachbereiche Medizin und Pflege gefordert, mutiger als bisher, berufsethische und berufsspezifische Vorbehalte zu betonen, sie zu begründen und versorgungsfremden Interessen entgegenzustellen!

Die moralischen Prinzipien, die als Grundlage für zustimmungsfähige Entscheidungen gelten, sind für alle Beteiligten eine dauerhafte Aufgabe und im Alltag praktisch anwendbar:

  1. das Prinzip des Wohltuns (oder Nutzen),
  2. das Prinzip des Nichtschadens,
  3. das Prinzip Respekt vor der Autonomie und
  4. das Prinzip der Gerechtigkeit.4

Wo sich die im Versorgungsalltag Mitarbeitende diesen Fragen stellen, entstehen keine endlosen medizin- und pflegeethischen Debatten, sondern zunächst einmal ein höheres Maß an Aufmerksamkeit. Aufkommende Fragen oder gar Widersprüche werden nach den genannten Prinzipien strukturiert geklärt.

Das Maß an Aufmerksamkeit hat bekanntlich physiologische Grenzen! Deshalb gilt es, eine Praxis der Beteiligung von möglichst vielen Mitarbeitenden zu entwickeln. Unabhängig vom beruflichen Status sind besonders die patientennah-tätigen Mitarbeiter/-innen zu ermutigen, ihre Beobachtungen, Eindrücke und Gefühle zu kommunizieren. Beteiligung wird dadurch zur Mitwirkung und fließt in Entscheidungsprozesse ein. Den etwa drei Millionen Menschen in Deutschland, die sich eine Versorgung von Älteren, Kranken oder Behinderten zur beruflichen Aufgabe gemacht haben, wird erst dadurch Respekt und Wertschätzung überzeugend vermittelt.

Beteiligung will Wirksamkeit: Für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in den verschiedenen Gesundheitsberufen stellt sich ständig die Frage, was und wie viel sie dazu beitragen können, dass Kranken und Menschen mit Besonderheiten professionell und dennoch sehr persönlich geholfen wird. Ihr Engagement ist keine angeborene Tugendhaftigkeit, sondern eher ein Protest gegen die vielen Formen der sozialen Gleichgültigkeit: In jedem einzelnen „Fall“ besteht für sie die Herausforderung...