Geschichte und Region/Storia e regione 26/1 (2017) - Veränderung des Raums/Mutamenti dello spazio

von: Ellinor Forster

Studienverlag, 2018

ISBN: 9783706559089 , 240 Seiten

Format: ePUB

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Preis: 23,99 EUR

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Geschichte und Region/Storia e regione 26/1 (2017) - Veränderung des Raums/Mutamenti dello spazio


 

Editorial


Eines der ersten Hefte von „Geschichte und Region/Storia e regione“ titelte im Jahr 1992 mit dem Wortkonstrukt „RaumBilder“ und setzte sich intensiv mit dem Ansatz der Regionalgeschichte auseinander. Diskutiert und ausgelotet wurden brauchbare Untersuchungsansätze für einen Forschungsblick, der sich nicht mehr an der üblichen ereignispolitischen Territorialgeschichte – in der Zuspitzung des 19. und 20. Jahrhunderts an Nationalgeschichte und ihren Narrativen – orientierte, sondern auf kleinere Räume und deren Logiken richtete.1 Die dadurch entstehenden „RaumBilder“ bekamen damit konsequenterweise eine andere Form. Noch nicht im Fokus stand, wie diese Räume konkret konstruiert wurden.

Mittlerweile ist die Kategorie Raum in vieler Historikerinnen und Historiker Mund und Feder und droht inflationär gebraucht zu werden. Mit ihrem Sammelband zum „Spatial Turn“ legten Jörg Döring und Tristan Thielmann 2008 eine interdisziplinäre Bestandsaufnahme sowie Zusammenschau vor und regten die Diskussion an, inwiefern das Einbeziehen von Raum in den unterschiedlichen Fachdisziplinen tatsächlich neu war beziehungsweise wie sich die verschiedenen Ansätze verändert hatten.2 Susanne Rau bereitete 2013 die theoretischen – philosophischen und soziologischen – Grundlagen von Raumkonzeptionen in ihrer Anwendung auf geschichtswissenschaftliche Untersuchungen auf.3 Beide Grundlagenwerke demonstrieren die extrem weite Bandbreite möglicher Herangehensweisen an ein Arbeiten mit Raum. Um zu fruchtbaren Ergebnissen zu kommen, ist es daher zunächst notwendig, die zugrundeliegende Vorstellung von Raum klar zu definieren.

Raum lässt sich entweder als Container-Raum oder aber als konstruierter Raum begreifen. Die Idee eines Container-Raums geht von der Annahme aus, dass sich Menschen in einem vorgegebenen, statischen Raum bewegen, der das Handeln für alle gleichermaßen vorstrukturiere. In diesem Fall würde eine Untersuchung von Raum wenig Sinn machen. Anders sieht es jedoch aus, wenn Raum als soziale Konstruktion aufgefasst wird, die von jedem Menschen vorgenommen wird. Martina Löw definiert Raum demnach als „eine relationale (An) Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern“, die durch Platzierung und Verknüpfung entstehe.4 Konkretisiert durch Gabriela B. Christmann bedeutet dies, dass Personen im Handeln „Flächen, Gegenstände, Pflanzen, Tiere, aber auch andere Subjekte sowie deren Handlungsweisen und soziale Ordnungen“ wahrnehmen, sie einem Raum zuordnen und ihm auf diese Weise bestimmte Bedeutungen zuschreiben. In der Kommunikation, im gemeinsamen Handeln einer sozialen Gruppe erfolgen damit einhergehend Austausch und Abgleichung dieser subjektiven Wirklichkeitskonstruktionen von Raum.5 Zugleich bilden sich durch wiederholende Handlungsvollzüge Routinen aus, die diese sozialen Strukturen stets wieder neu herstellen, bestätigen und verfestigen. Auf diese Weise entsteht ein Orientierungsrahmen für das weitere Handeln, der zugleich Sicherheit vermittelt.6 Raumwissen und Raumhandeln sind dabei eng aufeinander bezogen. Das im Handeln konkret erfahrene und sichtbare Raumgefüge wirkt durch die Wahrnehmung wieder auf die Raumvorstellungen der Akteure und Akteurinnen zurück.7

Raumstrukturen mit ihren Bedeutungszuschreibungen unterliegen und unterlagen immer wieder Veränderungen, bedingt beispielsweise durch technische Neuerungen, Umwelteinflüsse oder neue Herrschaftsund Verwaltungsstrukturen. Raumhandeln und Raumwissen passten sich an, indem sich etwa durch eine neue Art der Fortbewegung der Blick auf den Raum und die eigene Verortung änderte. Gehen solche Umgestaltungen über längere Zeiträume hinweg vor sich, können sie leichter in die jeweiligen Raumkonzeptionen integriert werden. Kommt es jedoch zu plötzlichen Veränderungen, führt dies häufig zu Konflikten, weil sie als Eingriff in die eigene Ordnung und Orientierung wahrgenommen werden.

Dies ist beispielsweise der Fall, wenn es zur Umsetzung von Verwaltungsreformen kommt. Hier treffen Ansätze zur Analyse von Raumkonstruktionen auf die neuere Verwaltungsgeschichte.8 Im Sinne einer Kulturgeschichte der Verwaltung hat man sich hier von der einseitig als Topdown-Prozess gedachten Vorstellung einer „Herrschaftsverdichtung“ verabschiedet und nimmt vermehrt das eigenständige beziehungsweise sich teilweise ergänzende Agieren auf den unterschiedlichen Verwaltungsebenen bis hin zu den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in den Blick.9 In gleicher Weise liegt auch das Forschungsinteresse zum Raum auf den Konstruktionen aller beteiligten Akteure und Akteurinnen.

In Zeiten von grundlegenden Verwaltungsveränderungen trafen verschiedene Raumvorstellungen aufeinander. Wenn beispielsweise eine Herrschaft beabsichtigte, in einem Gebiet eine neue Ordnung zu implementieren, trat diese in der Folge meist in Konkurrenz zur Raumwahrnehmung und Raumnutzung der dort lebenden Bevölkerung.10 Damit ergeben sich Fragen nach den Reaktionen auf die Neuordnungsversuche – etwa in Form von Anpassung oder Widerstand. Wurden Möglichkeiten gefunden, an alten Strukturen festzuhalten oder konnten die neuen Strukturen für eigene Zwecke genutzt werden? Wie konnte Orientierung und Sicherheit im Raumhandeln wiederhergestellt werden?

Alle vier Beiträge des vorliegenden Heftes beschäftigen sich mit der Implementierung oder mit Implementierungsversuchen von neuen Verwaltungsstrukturen, die die bestehenden Raumkonstruktionen herausforderten. Die jeweiligen Zugriffe der Autorin und der Autoren setzen dabei unterschiedlich an – teils überschneiden sich ihre thematischen Blickrichtungen, teils führen sie neue Aspekte ein. Schauplätze der Raumkonstruktionen sind zunächst im Beitrag von Attila Magyar die zwei Komitate Bodrog und Bács im wiedereroberten habsburgischen Südungarn, deren genaue Verortung und Grenzen es festzustellen galt. Davide De Franco untersucht zwei Täler in den Westalpen, die Region um Briançon und Valsesia – beide mit Privilegien und Freiheiten ausgestattet –, und ihren Umgang mit den Veränderungen, die sich durch die Besitznahme durch Savoyen ergaben. An diese beiden Untersuchungen des frühen 18. Jahrhunderts schließt Margret Friedrichs Studie zu dem in den österreichischen Ländern zur Mitte des Jahrhunderts neu eingeführten Behördentyp – dem Kreisamt – am Beispiel Tirol an. Das bedeutete das Einweben einer neuen Raumebene, die in Konkurrenz zur alten Raumanordnung von Vierteln und Gerichten trat. Die Raumkonstruktionen in Milan Hlavačkas Beitrag über Böhmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren hingegen sprachlich geprägt. Durch die Verwendung von Tschechisch oder Deutsch als äußere (im Kontakt der Behörden mit der Bevölkerung) und innere (der Kommunikation innerhalb der Behörden) Amtssprache konnte Raum in nuancierten Facetten markiert und abgesteckt und damit eingenommen werden – sowohl in Hinblick auf den Umgang mit den Vorschriften aus Wien als auch auf das Agieren der autonomen Behörden, die selbst über die Sprachverwendung entscheiden konnten.

Ein Weg zur Raumanalyse führt über die beteiligten Akteurinnen und Akteure und damit auch über die Frage der hierarchischen Ebenen – entlang der Überlegung, wer auf welche Weise Raum konstruierte. Dabei werden unterschiedliche Raumvorstellungen sichtbar. Im Fall von Südungarn hatten die habsburgischen Militärführer schon gegen Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen an der Errichtung einer Militärgrenze gearbeitet, während sich der ungarische Adel für die Wiederherstellung der Komitate einsetzte – und auf die alte Autonomie in der lokalen Herrschaft und Verwaltung hoffte. Trotz anfänglicher Ablehnung des Hofkriegsrats kam das Zentrum in Wien dem Adel schließlich entgegen und bewilligte die Komitatsstruktur. Damit war der neue Raum grob bestimmt, die Komitate formal eingerichtet. Gründungsversammlungen machten jedoch die Unsicherheit in der genauen Bestimmung des Raums deutlich. Nach 150 Jahren osmanischer Herrschaft und Herrschaftsstrukturen waren die Grenzen nicht mehr bekannt, sondern mussten erst rekonstruiert werden. Damit begann ein Aushandlungsprozess, der weniger alte Räume wiederherstellte, sondern vielmehr neue schuf. In der Region um Briançon und Valsesia stellte das Beschicken des Rats durch Vertreter des weitgehend selbstverwalteten Gebiets ein zentrales Element der Raumkonstruktion dar. Diese Handlungsroutine spiegelte das privilegierte rechtliche Verhältnis zur übergeordneten Herrschaft – die Akteure im Tal konnten vieles selbst regeln, Ansuchen der Bevölkerung waren vor diesem Rat vorzubringen. Erst mit dem Wechsel an das Haus Savoyen, das im 18. Jahrhundert eine intensive Reformphase durchlief, musste die Raumkonstruktion angepasst werden. Die Wege zum neuen Zentrum in Turin veränderten den Raum und die Blickrichtung. Als Konstruktion des Raums lässt sich auch die Einrichtung der Kreise in Tirol beschreiben. Ähnlich wie die Vertreter der Komitate mit der Zuordnung von Orten als Punkte der Raumdefinition arbeiteten, wurden auch den Kreisen die bisherigen Verwaltungseinheiten, die Gerichte, zugeteilt und sie darüber definiert.

Die Untersuchung von Verwaltungspraktiken lässt Einblicke in das Raumwissen und Raumhandeln der Bevölkerung zu, indem etwa...