Träume - In einer anderen Haut

von: Laura Fritsch

epubli, 2018

ISBN: 9783746734491 , 216 Seiten

8. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: frei

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Preis: 5,49 EUR

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Mehr zum Inhalt

Träume - In einer anderen Haut


 

 

Prolog: Diagnose Schwere Psoriasis


 

Der Wind rauschte in den Ästen über unseren Köpfen und brachte die Blätter zum Rascheln. Die Vögel flogen von einem Baum zum anderen, die Böen tanzten um die dicken Baumstämme herum. Ich reckte den Kopf in die Höhe und legte ihn in den Nacken, sodass ich den leuchtend blauen Himmel zwischen den Baumwipfeln sehen konnte. Keine einzige Wolke verzerrte das perfekte Sommerbild.

Die Hufe unserer Pferde verursachten ein dumpfes Klopfen auf dem trockenen Waldboden. Das Schweifschlagen, das durch die Luft zischte, wenn unsere Pferde nach einer Bremse schlugen, war fast wie ein Unruhestifter. Die rotbraune Mähne meiner Fuchsstute La Kaya wippte im Takt mit, als wir antrabten und die Ruhe genossen.

Meine junge Trakehnerstute gehörte mir seit letztem Sommer, das war nun fast ein Jahr her. Meine Eltern hatten sie mir geschenkt, als ich die Versetzung in die neunte Klasse geschafft hatte. Das war allerdings nicht der einzige Grund.

Mein älterer Bruder Leon segelte mit Leidenschaft und lag meinen Eltern seit mehr als vier Jahren damit in den Ohren, dass er eine eigene Jolle haben wolle. Als ich dann La Kaya bekommen hatte, hatten sie sich breitschlagen lassen. Nur leider hatte Leon bis heute nicht die perfekte Jolle für sich gefunden und das ärgerte ihn mächtig.

Meine jüngere Schwester Saira tanzte Ballett und da sie durch das schnelle Wachstum in dem Alter ständig neue Klamotten brauchte, gingen dafür auch jede Menge Euros drauf. Und meine jüngste Schwester Melanie, die wir alle nur Mel nannten, wollte ebenfalls reiten lernen. Allerdings war sie noch zu jung und auch zu klein, um La Kaya zu reiten. Trotzdem hatten meine Eltern das Argument, dass Mel unser eigenes Pferd auch irgendwann reiten könnte, akzeptiert und jetzt gehörte Kaya zur Familie.

„Wieso habe ich das Gefühl eines Déjà-Vus und trotzdem ist es diesmal genau andersherum?“, wollte meine beste Freundin Alexa grinsend von mir wissen und musste ihren Wallach Lord Andyamo ständig zurückhalten, damit er nicht angaloppierte. Alexa kam auch aus einer Familie mit mehreren Geschwistern und sie war die Älteste von drei Kindern. Aber ihre Eltern bevorzugten ihren kleinen Bruder Johannes immer und überall. Ich war immer froh darüber gewesen, dass meine Eltern mich und meine Geschwister alle gleich behandelten.

Ich schaute Alexa an und antwortete ihr: „Vielleicht, weil wir vor fast drei Monaten schon mal hier langgeritten sind“, schlug ich ihr vor und musste ebenfalls lachen.

Alexa seufzte glücklich. „Lucy, weißt du eigentlich, wie sehr ich mich für dich freue?“, fragte sie mich dann und ich musste noch mehr grinsen als vorher.

„Ich glaube, das hast du mir in den letzten Tagen mindestens eine Millionen Mal gesagt; ja, Alexa, ich weiß, wie sehr du dich freust“, zwinkerte ich ihr kichernd zu und dann lenkten wir unsere Pferde auf die Galoppstrecke einen kleinen Berg hinauf.

„Ich weiß, dass du es nicht einfach hast und umso mehr freue ich mich, dass auch deine Geschichte ein Happy End bekommen hat!“ Mit diesen Worten ließ Alexa Andyamo die Zügel frei und der Fuchswallach preschte los. Meine La Kaya zog an den Zügeln und wollte folgen; nach ein paar Sekunden ließ ich sie los und den Wind all meine schlimmen Erinnerungen aus der Vergangenheit davonzerren.

Alexa hatte leider Recht. Ich hatte es nie leicht gehabt. Jedenfalls nicht mehr seit dem Tag, an dem die Diagnose Schwere Psoriasis kam. Die Autoimmunerkrankung, die dafür sorgt, dass sich meine Hautzellen viel zu schnell erneuern und sich deshalb fies juckende und rote Stellen auf der Haut bilden, hat seitdem mein Leben bestimmt und mir viele traurige Stunden beschert. Wir hatten als Familie versucht, einigermaßen damit umzugehen. Meine Eltern hatten versucht, mir immer wieder Mut zu machen und mir Hoffnung zu geben, dass es eines Tages erträglich werden würde; und dass es Hoffnungen gibt. Als ich noch kleiner gewesen war, hatte ich ihnen geglaubt, doch vor kurzem hatte ich den Glauben daran ganz verloren.

Doch jetzt alles von Anfang an. Das hier ist meine Geschichte:

 

Kapitel Eins: 50-50-Chance


 

Für Ende Mai war das Wetter verdammt gut. Die Sonne strahlte vom Himmel und ihre Strahlen wärmten mich auf. Die Vögel flogen tief über unsere Köpfe hinweg und landeten kreischend auf den blühenden Ästen der Bäume. Wir hatten den Winter und den Frühling hinter uns gelassen und der Frühsommer stand schon in den Startlöchern. Genauso wie La Kaya und Lord Andyamo. Wir hatten mit Sägespänen eine Linie quer über den Weg gestreut und standen genau so, dass die Pferdehufe an der Linie waren. Alexa und ich sahen uns siegessicher an. Andyamo und Kaya scharrten wild entschlossen mit den Hufen. Ich streckte wie Alexa meinen Arm in die Höhe, sie stand neben mir, und dann senkten wir beide langsam unsere Arme.

„Und los!“, kreischte Alexa, als sich unsere Hände schließlich berührten.

Unsere Pferde preschten bei dem Startsignal los und zunächst schienen ihre Beine durchzudrehen. Als sie den Halt fanden, trug die Kraft sie nach vorne und wir ließen die Zügel länger, damit sie sich besser strecken konnten. Meine zarte La Kaya legte sich fast senkrecht in den Gegenwind, ich beugte mich tief vor über ihren Hals und spornte sie an. Auch Andyamo feuerte wie eine Kanonenkugel durch den Wald. Er war ein Westfalenwallach und etwas kräftiger gebaut als meine zarte Trakehnerstute, sodass sie ein wenig brauchten, bis sie auf gleicher Höhe waren. Alexa und ich riefen um die Wette und feuerten unsere Pferde wild entschlossen an.

„Ich krieg dich, Lucy“, Alexa strahlte und trieb Andyamo vorwärts. Der Wallach zog gleich noch mehr an. Seine Nase schob sich vor Kayas, meine Stute kommentierte das mit einem angespornten Schnaufen.

„Nie im Leben, los, Kaya“, ich tat es ihr gleich und schwebte förmlich im Sattel. Es kam mir so vor, als würden wir in Lichtgeschwindigkeit durch den Wald rasen.

Am Ende des Weges parierten wir außer Atem durch. Unsere Pferde waren verschwitzt und atmeten heftiger, La Kaya schnaubte mehrfach hintereinander zufrieden ab und schüttelte den Hals. Mein Puls raste und ich füllte meine Lungen sehnsuchtsvoll mit Sauerstoff.

„Wow, Alexa, das war mega cool“, grinste ich und klopfte Kayas Hals.

„Und wie! Das sind echt die schönsten Stunden am ganzen Tag“, japste Alexa und grinste. Sie hatte das Wettrennen ganz knapp gewonnen, weil Andyamo durch die kräftigeren Muskeln die letzte Steigung besser genommen hatte. Trotzdem freute ich mich für sie.

Aber ich musste schlucken. „Für mich auch, Alexa, für mich sind das auch die schönsten Stunden“, erwiderte ich und wandte den Blick ab, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.

„Hey, Lucy, was ist denn los?“, Alexa hielt Lord Andyamo erschrocken an und packte mich am Arm. „Ist irgendetwas passiert?“

„Wir haben am Montag einen Termin in der Klinik, weil die Haut nicht besser geworden ist“, sagte ich schließlich und wischte mir mit dem Ärmel die Tränen weg.

„Aber das ist doch logisch! Ich meine, es ist grade mal Mai, da hast du fast immer Probleme mit der Haut. Was erwarten sie denn nur alle von dir? Das macht doch nur zusätzlichen Druck“, Alexa streichelte mir sachte über den Arm, um mich etwas aufzumuntern. Seit nun mehr als sieben Jahren kämpfte ich unerbittlich gegen die Krankheit, wollte nicht akzeptieren, dass sie mein Leben bestimmte. Doch es hatte nichts geholfen. Kein Wunder also, dass die nächsten Termine in der Klinik bereits vereinbart waren. Worum es gehen würde, konnte man sich ja denken.

Resigniert sagte ich: „Aber es ist auch klar, dass die Schuppenflechte mal irgendwann weg muss, denn die Belastung durch die dauernden Entzündungen können Spätfolgen haben. Ich will nur nicht ständig daran erinnert werden! Und ich will auch nicht akzeptieren, dass ich bei meinem Hobby eingeschränkt werde!“, beklagte ich mich.

„Wie jetzt?“ Alexa runzelte die Stirn.

„Ich sollte nicht mehr so viel im Sattel sitzen, sondern Bodenarbeit machen, weil die Reithose zu eng an den entzündeten Stellen sitzt und nicht guttut“, erwiderte ich. „Haben Mama und Papa mich dran erinnert“, fügte ich noch schnell hinzu.

„Sieht die Haut echt so schlimm aus?“, meine beste Freundin war erschrocken.

„Ja, leider“, musste ich zugeben.

„Dann zieh doch wenigstens ab jetzt in der übrigen Zeit kurze Hosen an und lass Licht und Luft an die Haut. Dann wird es bestimmt bald besser“, schlug sie gutgemeint vor, doch sie vergaß dabei immer wieder den springenden Punkt.

„Das geht aber nicht!“

„Aber warum denn nicht?“

„Du weißt doch, dass ich mich damit nicht in der Öffentlichkeit und vor Fremden zeige. So renne ich nicht rum“, erinnerte ich sie. „Diese ganzen tuschelnden Menschen. Und die dummen Kommentare. Darauf habe ich einfach keinen Bock.“

„Aber der Reiterhof ist doch keine Öffentlichkeit“, empörte sich Alexa. „Die Leute kennen dich doch alle und mit vielen sind wir befreundet. Hier wäre das doch kein Problem“, sie ließ die Füße baumeln, als wir den Reiterhof erreichten.

„Ach, Alexa, das ist zwar alles so lieb von dir“, fing ich an, „aber ich kann das einfach nicht. Du musst verstehen, dass die Erfahrungen zu schlimm sind.“

„Das ist deine Entscheidung, Lucy. Aber ich glaube, dass es dir auch seelisch besser gehen würde, wenn du offener damit umgehst“, sie ließ sich aus dem Sattel gleiten, dann machten wir die Pferde fertig und ich verdrängte die Gedanken an meine Hautprobleme so gut es ging.

Der...