Woher man kommt, wohin man geht - Über die Zugkraft der Klassenherkunft am Beispiel junger IndustriearbeiterInnen

von: Carina Altreiter

Campus Verlag, 2018

ISBN: 9783593439655 , 308 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 41,99 EUR

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Woher man kommt, wohin man geht - Über die Zugkraft der Klassenherkunft am Beispiel junger IndustriearbeiterInnen


 

1 Einleitung 'Ich fragte meine Mutter nach den abgebildeten Leuten. Der erweiterte Familienkreis: die Kinder meiner Brüder, Cousins und Cousinen mit ihren Ehepartnern usw. Immer fragte ich: ?Was macht er/sie jetzt?? Die Antworten ergaben eine Kartografie der heutigen ?classes populaires?, der sogenannten ?einfachen? Leute, die in Wahrheit Leute ohne Privilegien sind. ?Der arbeitet bei X in der Fabrik?, ?der bei Y in der Kellerei?, ?der ist Maurer?, ?der ist Polizist? und ?der ist arbeitslos?. Den sozialen Aufstieg verkörpern die Cousine, die Finanzbeamtin geworden ist, und die Schwägerin, die als Sekretärin arbeitet. Natürlich ist das nicht mehr das Elend, das ich in meiner Kindheit kannte (?Denen geht es nicht schlecht?, ?Die verdienen ziemlich gut?, fügte meine Mutter hinzu, wenn sie erzählte, was bestimmte Personen auf den Fotos beruflich machten). Im sozialen Gefüge nehmen jedoch all diese Menschen denselben Platz ein wie früher, die relationale Position in der Klassengesellschaft hat sich für die gesamte Verwandtschaft kaum geändert.' (Eribon 2016, 97) Im Jahr 2016 erschien die autobiographische Erzählung Retour à Reims des französischen Soziologen Didier Eribon in deutscher Übersetzung, die auf einer sehr persönlichen Ebene die Erfahrungen des sozialen Aufstiegs vom Kind einer Arbeiterfamilie zum Universitätsprofessor schildert. Der Autor beschreibt darin seinen verzweifelten Versuch, mit Fortschreiten seines Bildungsaufstiegs alle Brücken zu seiner Herkunft abzureißen, die ihm verhasst war und für die er sich im intellektuellen Milieu von Paris schämte. Die Geschichte lässt sich sicherlich nicht nur für Frankreich erzählen. Alle, die einen vergleichbaren sozialen Aufstieg durchlebt haben, wissen vermutlich Ähnliches zu berichten. Dennoch habe ich mich beim Lesen des Buches immer wieder gefragt, ob etwas Vergleichbares in Deutschland oder Österreich hätte geschrieben werden können. Ich würde behaupten, dass dem nicht so ist. Dabei meine ich nicht die Aufstiegsgeschichte an sich, sondern vielmehr den klassenspezifischen Rahmen, in welchen die Erfahrungen eingeordnet werden. Von Klassen zu sprechen, aber vielmehr noch die Gesellschaft in sozialen Klassen zu denken, scheint uns heutzutage fremd geworden zu sein. Im Alltag haben wir uns an eine Wahrnehmung der Welt gewöhnt, die auf Individualität gebaut ist und soziale Klassen ins Reich der Geschichte verbannt, die lediglich noch für HistorikerInnen oder LinksromantikerInnen Bedeutung haben. Auch im öffentlichen Diskurs hat sich die Vorstellung festgesetzt, dass das Leben individuell gestaltet werden kann und nicht mehr durch die soziale Herkunft vorherbestimmt ist. In den Mittelpunkt gerückt ist das Individuum mit seinen persönlichen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Talenten. Die Verteilung von und der Zugang zu Ressourcen sowie zu sozialen Positionen, soziale Auf- und Abstiege, Erfolge ebenso wie das Scheitern werden an individuellen Leistungen und Anstrengungen festgemacht. Aber hält dieses Buchgefühl und diese öffentlich geteilte Meinung einer empirischen Prüfung stand? Studien im Bereich der Bildungsforschung widerlegen diese selbstverständlich gewordene Wahrnehmung in regelmäßigen Abständen. Schulische Leistungen, aber auch damit verbundene Bildungswegentscheidungen, streuen nicht beliebig, sondern korrelieren mit dem Bildungshintergrund der Eltern (Bruneforth u.a. 2016; 2013). In Österreich klafft der Leistungsunterschied zwischen Kindern, deren Eltern höchstens über einen Lehrabschluss verfügen oder eine mittlere Schule abgeschlossen haben, und jenen, deren Eltern eine Matura (Abitur) haben, bereits am Ende der Primarstufe deutlich auseinander und drückt sich umgerechnet in einem Kompetenzrückstand von knapp einem Jahr aus. Während nur jedes zehnte Kind aus einem akademischen Haushalt den Bildungsstandard in Mathematik bei den PISA Überprüfungen nicht erreicht, gelingt das mehr als der Hälfte der Kinder aus Familien, in denen die Pflichtschule den höchsten Abschluss der Eltern darstellt, nicht. Diese Unterschiede setzen sich in den weiteren Bildungsverläufen fort. Während für Eltern mit Matura das Gymnasium die bevorzugte Wahl für den weiteren Bildungsweg der Kinder nach der Volksschule darstellt, wechseln Kinder von Eltern ohne Matura mehrheitlich in die Hauptschule bzw. Neue Mittelschule. Aber selbst bei vergleichbaren Leistungen schlagen die Kinder, abhängig vom Bildungshintergrund der Eltern, unterschiedliche Pfade ein. Beispielsweise treten bei gleichen Mathematik-Testergebnissen Kinder aus AkademikerInnenhaushalten mehr als doppelt so häufig in das Gymnasium über als Kinder aus bildungsfernen Familien (Bruneforth u.a. 2016, 125). Die Bedeutung sozialer Herkunft zeigt sich in weiterführender Linie zum Bildungsbereich auch dort, wo es um die späteren beruflichen Positionen geht. Die FacharbeiterInnen und HilfsarbeiterInnen rekrutieren sich zu einem überwiegenden Teil aus der ArbeiterInnenschaft und den landwirtschaftlichen Milieus. 86 Prozent der männlichen Facharbeiter stammen von Arbeitervätern oder Landwirten ab. Ein ähnliches Muster finden wir bei den unqualifizierten Frauen. Im Gegensatz dazu kommen in den höheren Verwaltungs- und Managementberufen sowohl bei Männern als auch bei Frauen weniger als ein Drittel aus ArbeiterInnenfamilien (Haller 2008, 332). Die Vererbung der beruflichen Position zeigt sich insbesondere bei den Männern deutlich, bei den Frauen ist das Bild aufgrund des geschlechtsspezifisch segregierten Arbeitsmarktes etwas differenzierter. Während die Hälfte der Söhne von Facharbeitern selbst ebenfalls Facharbeiter werden, finden wir die Töchter insbesondere in den einfachen und mittleren Dienstleistungstätigkeiten, aber auch in Hilfstätigkeiten (ebd., 329). Es scheint ganz so, als ob die soziale Herkunft doch nicht gänzlich unbedeutend für die Chancen der Gesellschaftsmitglieder geworden ist. Wie lässt sich nun diese Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und empirischer Realität erklären? Für die Durchsetzung dieses Eindrucks einer scheinbar klassenlosen Gesellschaft können wir unterschiedliche Entwicklungen verantwortlich zeichnen. Da wäre zunächst ein gewisses politisches Unwohlsein, das mit dem Begriff verbunden ist. Der Klassenbegriff ist in Deutschland und Österreich stärker mit ideologischen Konzepten aufgeladen, als er das im anglo-amerikanischen Raum ist. Während in Großbritannien oder den USA der Begriff class zunächst einmal dazu dient, auf sozioökonomische Lagen zu verweisen, wird er hierzulande vor allem mit den durch Karl Marx und Friedrich Engels inspirierten politischen Parteien und Bewegungen assoziiert und hat stets den Beigeschmack von Klassenkampf und revolutionärem Umsturz der Gesellschaft (Kreckel 1998, 45f.). Die offensichtliche Skepsis gegenüber diesem Begriff mag, wie Max Haller vermutet, aber auch mit der jahrelangen geographischen Nähe zum Kommunismus sowjetischer Prägung zu tun zu haben, der von vielen als Bedrohung empfunden, aber auch politisch als solche inszeniert wurde (Haller 2008, 141). Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die Verabschiedung des Klassenbegriffs auf semantische Präferenzen zu reduzieren. Sie vollzieht sich vor dem Hintergrund tatsächlicher Veränderungen der Lebensbedingungen, welche die Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges grundlegend modifiziert haben. Die Nachkriegsjahrzehnte waren von einem wirtschaftlichen Aufschwung gekennzeichnet, der es erstmals breiten Bevölkerungsgruppen ermöglichte, am Wohlstandszuwachs zu partizipieren. Der Ausbau des Sozialstaates brachte ein neues Ausmaß an sozialer Absicherung. Die kontinuierliche Reduktion der gesetzlichen Arbeitszeit verschaffte Gesellschaftsmitgliedern mehr Freiräume zur Gestaltung ihres Lebens und förderte damit eine Pluralisierung und Ausdifferenzierung von Lebensstilen. Die Bildungsexpansion der 1960er und 1970er Jahre erhöhte die soziale Mobilität und eröffnete für breitere soziale Schichten Aufstiegschancen (Ehmer und König 1996; Haller 2008). Das Bild einer Klassengesellschaft, geprägt vom scharfen Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie, wie es Marx und Engels für die Phase der Industrialisierung skizziert hatten, schien den Verhältnisse des 20. Jahrhunderts nicht mehr angemessen. Unterstützt wurde diese Vorstellung scheinbar nivellierter Ungleichheiten (Schelsky 1965a) zwischen sozialen Gruppen auch durch den Rückgang des in der Öffentlichkeit sichtbarsten Rückgrates des Klassenbegriffs, nämlich der Arbeiter und Arbeiterinnen. Deindustrialisierung und Automatisierungsprozesse gepaart mit einem Aufschwung des Dienstleistungssektors, aber auch die Bildungsexpansion und damit verbundene Tendenzen in Richtung Höherqualifizierung haben dazu beigetragen, dass die Anzahl der Arbeiter und Arbeiterinnen in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen ist. Stellten sie 1951 noch 44,5 Prozent der Erwerbstätigen, waren es 2015 nur mehr 26,3 Prozent (Haller 2008, 289; Statistik Austria 2016a). Die Veränderung ist allerdings nicht nur quantitativer Natur, sondern verbunden mit einem Rückgang an öffentlicher Aufmerksamkeit für die Lebensrealitäten und Anliegen der ArbeiterInnenschaft als soziale Gruppe. Im Radio und in Fernsehsendungen wird der Eindruck vermittelt, es gäbe abseits der Bürorealität eben niemanden mehr, der frühmorgens in die Bude oder Fabrik aufbricht. Letztere tritt höchstens noch als Leerstand medial in Erscheinung, in welchem in den einstigen Produktionshallen adaptierte Arbeitsplätze für eine neue Generation an Kreativschaffenden entstehen. In jüngster Zeit gerieten Arbeiter und Arbeiterinnen wieder stärker ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die politischen Entwicklungen in Europa und den USA haben ihnen zu einer eher unehrenhaften Rolle verholfen, an den Wahlurnen geben sie vermehrt rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien die Stimme. Die französische ArbeiterInnenschaft, die lange Jahre der kommunistischen Partei die Treue gehalten hat und sich nun für den rechtsextremen Front National begeistert, wie Eribon aus seiner eigenen Familie zu berichten weiß. Aber auch in Österreich haben 85 Prozent der ArbeiterInnen dem Rechtsaußen-Kandidaten bei der Bundespräsidentenwahl 2016 ihre Stimme gegeben. In den Zeitungen, Nachrichtensendungen und Blogs ist von den Enttäuschten, den Entmutigten die Rede, von den VerliererInnen der Globalisierung, die von den herrschenden politischen Eliten nicht gehört werden, die sich im Stich gelassen fühlen und nun ihrem Ärger an der Wahlurne Ausdruck verleihen. Der öffentliche Diskurs erhält allerdings auch Schützenhilfe durch die Wissenschaft. Während in der Etablierungsphase der deutschsprachigen Soziologie in den Nachkriegsjahren soziale Klasse - anknüpfend an Marx - zum zentralen Begriffsinventar zählte und auch die westlichen Industrienationen als Klassengesellschaften verstanden wurden, setzte mit den 1970er Jahren diesbezüglich eine Wende ein. Wurde zunächst noch von unterschiedlicher Seite in kritischer Auseinandersetzung mit den Konzepten von Marx eine Weiterentwicklung der Klassenanalyse versucht (Dangschat 1998; Kreckel 1998), geriet dieser Zugang Stück für Stück in die Defensive. Und spätestens seit den 1980er Jahren wurde von vielen WissenschaftlerInnen in Frage gestellt, ob mit dem Begriff der Klasse soziale Verhältnisse der Gegenwartsgesellschaften überhaupt noch angemessen beschrieben werden können. Ulrich Becks Verkündung des Endes der Klassengesellschaft (Beck 1994, 52) markiert hier einen Paradigmenwechsel in der deutschsprachigen Soziologie, der in seiner Wirkung bis heute anhält. Vor diesem Hintergrund lässt sich ein Bedeutungsverlust sozio-ökonomischer Faktoren, wie der Klassenlage, in der Analyse sozialer Phänomene, insbesondere im Zusammenhang mit Fragen sozialer Ungleichheit, feststellen (Kraemer 2008, 104f.). Gleichsam mit der Verdrängung des Klassenbegriffs ging auch die Aufmerksamkeit für die ArbeiterInnenschaft verloren, die lange Zeit eine viel beforschte Gruppe innerhalb der Industrie- und Arbeitssoziologie darstellte. Wie Olaf Groh-Samberg (2014) anmerkt, hat auch die Sozialwissenschaft einen erheblichen Anteil am zuvor beschriebenen öffentlichen Repräsentationsverlust der Arbeiter und Arbeiterinnen. Die Forschung habe sich genau in dem Moment von ihnen verabschiedet, als sich politisch und wirtschaftlich 'das Blatt zu wenden begann' (ebd., 242) und die Gruppe zunehmend von sozialer Unsicherheit und Prekarisierung bedroht wurde. Welche Auswirkungen haben diese Veränderung des Referenzrahmens zur Wahrnehmung sozialer Ungleichheiten nun auf die arbeitssoziologische Forschung und Theoriebildung? Eine erste Beobachtung dazu, die auch die Triebfeder der vorliegenden Studie bildete, war, dass sich in zentralen arbeitssoziologischen Studien soziale Klasse als relevante Kategorie aus dem empirischen Material aufdrängt, dieser Umstand aber unter den Vorzeichen des herrschenden Theorierahmens keine Beachtung findet bzw. die dafür notwendigen heuristischen Werkzeuge zu fehlen scheinen, um damit verbundene Phänomene angemessen erfassen zu können. Am deutlichsten wurde das für mich anhand der These des Arbeitskraftunternehmers, die G. Günter Voß und Hans J. Pongratz 1998 erstmalig vorgestellt haben und die bis heute über die Grenzen der Disziplin hinaus einflussreich geblieben ist. In einer später publizierten Studie, in der die Autoren ihre Überlegungen einer empirischen Überprüfung unterziehen, werden systematische Unterschiede zwischen ArbeiterInnen und Angestellten festgestellt. Der Arbeitskraftunternehmer ist - so legen die Daten nahe - ein Angestelltenphänomen. Aus dieser Erkenntnis erfolgt jedoch kein weiterer Schluss, als der Verweis auf betriebliche und letztendlich individuelle Unterschiede. Eine Perspektive, die auf die kollektiven Unterschiede zwischen Subjekten verweisen würde, wird nicht angelegt. Damit ist die Studie bei weitem kein Einzelphänomen. Die dominanten Forschungsstränge in der gegenwärtigen deutschsprachigen Arbeitssoziologie haben sich in den letzten Jahren zusehends in Fragen der 'Subjektivierung' und 'Individualisierung' verstrickt, die zwar für ihr Bemühen, das Subjekt sprechen zu lassen, zu würdigen sind, dabei aber vergessen haben, von welchen sozialen Orten aus dieses Subjekt spricht bzw. sprechen kann. Verloren gegangen ist damit nicht nur die Wahrnehmung für Verflechtungen zwischen sozialer Lage und individuellen Orientierungen, wie sie insbesondere für die Gründungsphase der Arbeits- und Industriesoziologie in den Nachkriegsjahren prägend war, sondern auch eine relationale Perspektive, welche Unterschiede zwischen AkteurInnen, die auf einer kollektiven Ebene angesiedelt sind und vormals unter dem Vorzeichen sozialer Klassen verhandelt wurden, angemessen erfassen und erklären kann. Die Fokussierung auf das Subjekt als Akteur bei gleichzeitiger Verabschiedung einer Klassenperspektive birgt die Gefahr, spezifische Formen von Ungleichheitsrelationen aus den Augen zu verlieren, die jedoch in einer kapitalistischen Gesellschaft ein zentrales Element in der Zuweisung von Chancen und Ressourcen darstellen. Klasse als analytische Kategorie wieder zu etablieren, erscheint deshalb gerade aus ungleichheitstheoretischer Perspektive notwendig. Fragestellung und Zielsetzungen der Studie Die Studie geht von einer anhaltenden strukturierenden Wirkung sozialer Herkunft für die Arbeits- und Lebensbedingungen von Gesellschaftsmitgliedern aus und beschäftigt sich am Beispiel von jungen IndustriearbeiterInnen in Österreich mit der Frage, wie sich Klassenzugehörigkeit in der Gestaltung ihres Lebens auswirkt. Auf der Grundlage von zwanzig Fallgeschichten wird nachvollzogen, wie die Arbeiter und Arbeiterinnen an ihre aktuelle berufliche Position gelangt sind und wie sich ihre Auseinandersetzung mit dem Arbeitsplatz gestaltet. Dabei wird zunächst untersucht, wie soziale Klasse den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt strukturiert. Im Anschluss daran wird gefragt, wie die Klassenherkunft die Einfügung an einem Arbeitsort und den Umgang mit Anforderungen am Arbeitsplatz vermittelt und wo bzw. wie es zu einer Verfestigung der Klassenposition kommt. Über welche Wege gelangen Arbeitssubjekte an einen konkreten Arbeitsplatz? Welche Ressourcen und Ansprüche bringen sie mit, und wie können sie diese im Kontext ihrer Tätigkeit realisieren? Wie gehen sie damit um, wenn Erwartungen und Arbeitsbedingungen, Ansprüche und Realität, nicht zusammenpassen? Den Blick auf die junge Gruppe von Arbeitern und Arbeiterinnen zu richten, ist insofern vielversprechend, als angenommen werden kann, dass insbesondere in der jüngeren Generation aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Transformationen akzentuierter zum Vorschein treten. Ziel der Arbeit ist es, auf der Grundlage fundierter Analysen von Fallgeschichten die Wirkungsmechanismen sozialer Klasse auf der individuellen Ebene freizulegen. Dadurch können interindividuelle Variationen des Phänomens ebenso wie übergreifende Strukturen sozialer Reproduktion in den Blick genommen werden, die sich durchaus unter Spannungen vollziehen und mit Ambivalenzen verbunden sind (Bertaux und Thompson 2009). Die Arbeit schließt nicht nur eine Lücke in der aktuellen österreichischen Arbeitsforschung, indem sie Einblicke in die Arbeits- und Lebenszusammenhänge junger ArbeiterInnen gibt, sondern versteht sich auch als konzeptioneller Vorschlag, wie mit Rückgriff auf die Überlegungen von Pierre Bourdieu soziale Klasse wieder für die arbeitssoziologische Analyse fruchtbar gemacht werden kann. Seine Perspektive erlaubt es, auf Momente der Herstellung und des Umgangs mit sozialen Strukturen auf einer Subjektebene zu achten - ein Anliegen, das auch die jüngere Arbeitssoziologie angetrieben hat -, diese subjektiven Auseinandersetzungen aber nicht in ihrer Beliebigkeit stehen zu lassen, sondern sie systematisch auf den Ort ihrer Entstehung, also die Klassenherkunft, zu beziehen und damit auch relational zueinander in Beziehung zu setzen. Zum Aufbau des Buches Die Studie beginnt mit einer Bestandsaufnahme des arbeitssoziologischen Klassendiskurses und skizziert, wie im deutschsprachigen Raum soziale Klasse als analytischer Begriff sukzessive aus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung verschwunden ist (Kapitel 2). Mit Bezug auf die Arbeits- und Industriesoziologie wird herausgearbeitet, welche Auswirkungen diese heuristischen Verschiebungen nicht nur auf den theoretischen Rahmen, sondern ebenso auf die empirischen Analysen hatten. In Anlehnung an aktuelle Debatten in der internationalen Klassen- und Ungleichheitsforschung wird mit Bourdieu ein Konzept vorgestellt, das geeignet erscheint, rezente Entwicklungen in der Arbeitssoziologie aufzugreifen und mit einer Klassenperspektive zu verbinden (Kapitel 3). Konstitutiv für das Klassenverständnis von Bourdieu ist die Annahme, dass soziale Lage und individuelle Praktiken aufgrund des Habitus homologisch miteinander verbunden sind und dadurch auch die Reproduktion sozialer Ordnung gesichert werde. Dieser Zugang wird mit Blick auf die ArbeiterInnenklasse ausgeführt und vor dem Hintergrund aktueller Forschungen kritisch diskutiert. Im Anschluss daran werden in Kapitel 4 historische Entwicklungslinien und gegenwärtige Charakteristika der ArbeiterInnen als soziale Gruppe besprochen. Skizziert werden zum einen die Entstehungsbedingungen der Klasse vor einem spezifisch österreichischen Hintergrund, zum anderen wird auf aktuellere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen verwiesen, die für die Verfasstheit der jungen Generation von Arbeitern und Arbeiterinnen als Klasse - sowohl sozial als auch arbeitsrechtlich - von Bedeutung sind. Der empirische Teil der Studie beginnt mit einer Darstellung des methodischen Zugriffs in Kapitel 5. Ein qualitativer Zugang wird als angemessen skizziert, um der Strukturierung der Wahrnehmungs- und Handlungsweisen der Subjekte durch soziale Klasse auf die Spur zu kommen. Konkret werden rekonstruktive, hermeneutische Verfahren angewendet, um die auf einer latenten Ebene angesiedelten Wirkungsweisen der Klassenherkunft freizulegen. Ausführlich reflektiert werden auch die Effekte sozialer Nähe und Distanz im Forschungsprozess, die sich insbesondere im Kontext des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes als Herausforderung präsentierten. Anschließend werden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung entlang der Forschungsfragen in drei Kapiteln vorgestellt. Kapitel 6 widmet sich der Frage, wie soziale Klasse die Übergänge der Befragten von der Schule in die Lehre und damit den Eintritt in die Arbeitswelt strukturiert. Im Mittelpunkt von Kapitel 7 stehen die Auseinandersetzungen der jungen Arbeiter und Arbeiterinnen an ihren (vorläufigen) beruflichen Ankunftsorten. Dabei wird untersucht, wie die Klassenherkunft das Passungsverhältnis von individuellen Ansprüchen und objektiven Arbeitsbedingungen prägt. Darauf aufbauend werden in Kapitel 8 Umgangsstrategien mit Erfahrungen von Nicht-Passungen untersucht, die auf Dynamiken von Transformation bzw. Klassenpositionsverfestigung hindeuten. Abschließend werden in Kapitel 9 die Ergebnisse unter Rückgriff auf den theoretischen Bezugsrahmen reflektiert und zusammenfassend für ihre Bedeutung im Hinblick auf die strukturierende Wirkung von Klassenherkunft und Mechanismen der sozialen Reproduktion diskutiert. Davon ausgehend werden theoretische Implikationen für die arbeitssoziologische Analyse erörtert, aber auch eine konzeptionelle Weiterentwicklung des Bourdieu'schen Reproduktionsmodells für die Analyse auf mikrosoziologischer Ebene vorgeschlagen. Die Arbeit schließt mit einer Diskussion gesellschaftspolitischer Implikationen der Studienergebnisse.