Philosophie der Maschine

von: Martin Burckhardt

Matthes & Seitz Berlin Verlag, 2018

ISBN: 9783957575005 , 358 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 22,99 EUR

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Mehr zum Inhalt

Philosophie der Maschine


 

1
Einleitung


Vielleicht sucht man sich eine Frage nicht aus. Vielleicht ist es gerade umgekehrt, vielleicht erscheint eine Frage, eine wirklich drängende Frage wie ein Traumbild, nur dass es sich beim Erwachen nicht auflöst, sondern, als schwach leuchtender Himmelskörper, auch tagsüber noch zu sehen ist. Schließt man die Augen, beginnt es wie ein nachglühender Reflex oder ein Phantombild am Nachthimmel des Denkens herumzuspuken. Oder unter der Schädeldecke, wer weiß. Und vielleicht ist diese Unentschiedenheit zwischen Tag und Nacht, zwischen der körperlichen und der phantomartigen Erscheinung, das Wesen jener geistigen Unruhe, für die man – um sie einzuhegen – die Disziplin der Philosophie erfunden hat.

Es ist Jahre her, dass mich die Frage der Maschine heimgesucht hat. Nicht in Form eines Buches oder als Resultat einer Lektüre, sondern auf die beiläufigste Art und Weise. Es war im Tonstudio – und ich schaute auf das Display eines Samplers und registrierte, etwas verwirrt, dass die Maschine von mir zu wissen verlangte, ob ich den Hybrid unter einem anderen Namen abspeichern wolle. Eigentlich war es nur dieses Wort: Hybrid. Und die schlagartig einsetzende, unangenehme Erkenntnis, dass der Vorgang des Sampelns eine Form der Genetik darstellt, nur dass man hier nicht mit Lebewesen herumspielt, sondern mit Symbolen. Gewiss: all dies liegt weit zurück. Es war die Zeit, als man den Techno erfand, als der Kommunismus sich noch hinter einer Mauer verbarrikadierte und der Philosoph Habermas die neue Unübersichtlichkeit ausrief. Mag all dies Schnee von gestern sein, hat sich die Frage der Maschine so wenig erledigt wie das Befremden dieses Augenblicks. Ganz im Gegenteil. Die Frage der Maschine hat an Radikalität zugenommen, in einem Maße, das ich damals kaum für möglich gehalten hätte. So insistierte Craig Venter darauf, als er vor drei, vier Jahren ein synthetisches Bakterium vorstellte, dass man es hier nicht mit einem Akt der Biologie, sondern der Programmierung zu tun habe. Deswegen wolle er nicht von einem gentechnisch veränderten Lebewesen, sondern von etwas anderem sprechen: einer software driven machine. Aber was ist das: eine softwaregetriebene Maschine? Ganz offenkundig ist hier der somatische Teil als Maschine gedacht. Und dieser Maschine wiederum wird, über die Software, eine Intelligenz implantiert, die etwas Höheres zu sein scheint als das biologische Substrat. Aber ist dieser Ausdruck nicht eine vollständige Umkehrung unseres bisherigen Denkens? Hat man bislang versucht, der Maschine Leben einzuhauchen, besteht das Ziel nun umgekehrt darin, dem Leben die digitale Logik zu implantieren. In dem Youtube-Video, in dem Craig Venter die Arbeit seiner Mitarbeiter vorstellte, gab es einen Augenblick, an dem das anwesende, staunende Publikum in ein befreites Gelächter ausbrach. Und zwar ging es darum, dass die Forschergruppe – um ihr Gebilde von den natürlich vorkommenden Bakterien zu unterscheiden – dem Gen-Code eine Copyright-Botschaft hinzugefügt hatte. Sie enthielt die Namen aller sechsundvierzig Projekt-Mitarbeiter, ein paar Zitate von Menschen der Zeitgeschichte, etwa die Bemerkung Robert Oppenheimers, dass man die Dinge nicht so sehen solle, wie sie seien, sondern wie sie sein könnten, und zu guter Letzt: die Adresse jener Website, die dem Bakterium gewidmet worden war. Wann, so fragte Venter sein Publikum, habe man schon ein Bakterium gesehen, das eine eigene Homepage unterhalte? Dieser kleine Witz war so gut platziert wie die Berufung auf Oppenheimer, den Vater der Atombombe. Denn mit der Vorstellung, dass wir in Zukunft unsere Bakterien von einer Website herunterladen und mit einem Gen-Drucker ausdrucken können, werden die verwegensten Fantasien der Gentechnik noch übertroffen – ahnt man, dass die Schreckgespenster der Literatur, von den Golem-Fantasien des Mittelalters bis zum Monster des Dr. Frankenstein, der verschwommene Vorschein einer zutiefst unheimlichen Verwandlung sind. Deswegen der Witz und das befreite Gelächter. Denn wenn ein solches Bakterium kein anderes Interesse hat, als auf seiner Homepage allerlei Likes und Retweets zu generieren, so können wir, genauer: kann unser humoristischer Instinkt daraus schließen, dass auch ein solches Bakterium nichts weiter zu sein scheint – ja, als was? Ein Mensch?

Als ich damals, im Licht des Spätnachmittags, auf dem Display des Samplers dieses Wort las, Hybrid, waren all diese Dinge noch keine Frage, geschweige, dass es eine Theorie gegeben hätte, die meine Begriffsstutzigkeit hätte lindern können. Ganz im Gegenteil. Was immer ich las, mit wem auch immer ich mich über die Thematik austauschte – stets beschlich mich das Gefühl, dass im Zeichen des Computers allerlei verwaistes, metaphysisches Gerümpel aus dem Gedankenspeicher hervorgekramt wurde. Und weil das niemanden zu bekümmern schien, setzte ich mich hin und schrieb, zögernd beinahe, einen Text, der den Titel »Digitale Metaphysik«1 trug. Im Grunde war die Ausgangsfrage denkbar einfach: Was ist das für eine Maschine, welche die Kraft besitzt, die Gedankenwelt eines Menschen nachhaltig zu beeinflussen? Ohne dass mir dies vollständig bewusst war, war damit der Aufriss zu einem langen Forschungsprojekt gegeben, das sich seither in einer Reihe von Texten und Büchern niedergeschlagen hat. Dabei spielte die Philosophie anfangs eine eher untergeordnete Rolle. Zunächst einmal ging es nur darum herauszufinden, ob je zuvor in der Geschichte eine dem Computer vergleichbare Maschine existiert hatte. War damit der Bauplan für die Metamorphosen von Raum und Zeit2 gegeben – eine Kulturgeschichte, die die Wandlungen der Maschine vom Räderwerkautomaten bis zum Computer verfolgte –, dehnte sich die Fragestellung immer weiter aus, kamen sukzessive all jene Bereiche ins Spiel, die ich zuvor peinlichst vermieden hatte. Dabei löste sich die Maschine, als geräthaftes Objekt, zusehends auf, oder genauer, trat der Geist in der Maschine hervor: eine sonderbar kopflose, schweigsame Instanz, die sich, wenn überhaupt, nur in vermittelter Form ausdrückte, stets aber zwischen Himmel und Hölle, Religion und Philosophie oszillierte. Folglich war es geradezu eine Zwangsläufigkeit, dass Gesellschaftsinstitute wie das Alphabet, die Knabenliebe oder das Dogma der Unbefleckten Empfängnis nach einem Platz in der Genealogie der Maschine verlangten, ja, dass Letztere sich zunehmend anfühlte wie ein vergessenes Höhlensystem. In dieser Welt, in der ein steter Dämmer, ein Gedankenzwielicht herrschte, war nicht der menschliche Geist, sondern der Geist der Maschine tonangebend, passierte es nicht selten, dass sich Ursache und Wirkung auf bizarre Weise vertauschten, ja, dass die Gesetze der Logik geradezu dispensiert schienen. Mag die Beschreibung dieser Welt, ihrer Fremdheit wegen, den Charakter einer Traumerzählung annehmen, so handelt es sich doch keineswegs um das Produkt einer überschießenden Deutungsapparatur. Ganz im Gegenteil: folgt man den historischen Entwicklungsschritten, findet man, statt sich im Labyrinth der Philosophie zu verirren, zu einer Deutung, deren Plausibilität sich von selber ergibt. Damit aber ist der folgenden Untersuchung eine Methode ins Stammbuch geschrieben. Denn verschreibt man sich einer Philosophie der Maschine, kann man nicht von einem fixen Maschinenbegriff ausgehen, sondern ist zunächst einmal genötigt, sich mit den Metamorphosen der Maschine selbst zu beschäftigen. Genau dies wird auf den folgenden Seiten geschehen. Würde ein Schulphilosoph diese Aufgabe dadurch lösen, dass er die Ahnengalerie der Philosophiegeschichte abschreitet und fragt, wie ein Platon, ein Aristoteles oder ein René Descartes die Maschinenmetapher für ihr Denken nutzbar gemacht haben, täte sich hier das Problem auf, dass ein solch metaphorologischer Zugang die Realität der Maschine verleugnet: das befremdliche Faktum, dass die Maschine ins Denken einschlägt, lange bevor sie von der Philosophie aufgegriffen wird. Spricht ein Philosoph beispielsweise vom mechanischen Weltbild, so ist das Setting gesetzt, befindet man sich im Dunstkreis Descartes’, der seinem Weltbild die Form eines Räderwerkautomaten verliehen hat. Tatsächlich jedoch ist die Maschine, mithilfe derer der Philosoph sein Denken auf Touren bringt, kein Produkt seiner Zeit, sondern lange zuvor schon, im 12. oder 13. Jahrhundert, in das mittelalterliche Zeitalter eingeschlagen: ein fremdartiger, rätselhafter Meteor, der die Lebenswelt der Zeit tiefgreifend verändert, im scholastischen Denken jedoch kaum Spuren hinterlassen hat. Dieser Umstand mutet gleich doppelt merkwürdig an. Denn zweifellos stellt die in der materiellen Maschine verkapselte Rationalität eine mechanistische Philosophie avant la lettre dar, wäre es von daher nur ein Sprung zu der Annahme, dass man in ihrem Gefolge, oder zumindest in einer gewissen zeitlichen Nähe, einen Denker vom Schlage eines Descartes hätte erwarten können. Warum aber verspätet sich dieser – und dann gleich um Jahrhunderte? Diese Frage, in all ihrer Schlichtheit, konfrontiert uns mit dem schwer begreiflichen Komplex eines Denkens ohne Denker, das der Philosophie erst nach mehreren Jahrhunderten zu Kopf steigt, auf eine Weise zudem, die zweifeln lässt, ob die Philosophie der Maschine tatsächlich einen...